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Polizeigewalt in Frankfurt-Sachsenhausen: Keine Videos, keine Konsequenzen?

von | Aug 21, 2020 | Aktuelles, Gastkommentar, Kommentar

Polizeigewalt in Frankfurt-Sachsenhausen

Am Sonntagmorgen (16.08.2020) nahmen Polizist:innen in Frankfurt-Sachsenhausen einen 29-jährigen Mann vorübergehend fest.

Vorangegangen war ein Platzverweis gegen eine Gruppe, in der sich auch der Tatverdächtige befand. Nach Darstellung der Polizei Frankfurt am Main wurden die Polizist:innen aus der Gruppe heraus beleidigt. Der 29-jährige soll darüber hinaus einen Beamten ins Gesicht gespuckt haben. Gegen die Festnahme soll er sich gewehrt haben. (Pressemeldung 17.08.2020)

Nun könnte hier die Pressemeldung der Polizei aufhören und niemand würde davon Notiz nehmen. Ein völlig legitimer Einsatz der Polizei, der eskaliert ist und der Tatverdächtige muss dafür natürlich die Konsequenzen tragen.

Doch diesmal ist etwas anders. Der Einsatz in Frankfurt-Sachsenhausen wurde auf Videos festgehalten. Und was festgehalten wurde, ist in einer Demokratie, die kein Polizeiproblem hat, unglaublich.

Doch was zeigen die Videos?

Bereits etwa 2 Stunden nach der Festnahme in Frankfurt-Sachsenhausen erscheint das erste Video auf der Kurznachrichtenplattform Twitter. Es zeigt, wie eine Person fixiert auf den Boden liegt und ein blonder Beamter mehrfach die wehrlose Person Tritte verpasst. Die Haarfarbe wird im Nachhinein noch wichtig. Seine Kollegen sahen offensichtlich, dass dies Konsequenzen haben dürfte. Gleich zwei Beamte zogen den Beamten von der wehrlosen Person zurück.

In ihrer Pressemeldung vom 17.08.2020, 16:43 Uhr gab die Polizei Frankfurt folgendes an:

„In dieser Phase schaltete sich der Einsatzleiter ein, nahm einen Polizeibeamten zur Seite und meldete später den Vorfall intern. Teilsequenzen der Festnahmesituation kursieren im Internet.

Es wurden Ermittlungen wegen der Körperverletzung im Amt und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet. Gegen einen Beamten wurden bereits dienstrechtliche Maßnahmen ergriffen.“

Die Aufregung war zwar groß, aber durch diesen Absatz beruhigte sich Social-Media wieder. Denn der Einsatzleiter hat den Beamten intern gemeldet. Die Polizei funktionierte und die Polizeifamilie hat hier ihr Schweigen gebrochen. Gut.

Ich würde dies allerdings nicht schreiben, wenn nun der Fall zu Ende wäre.

Am 18.08.2020 berichtete die Frankfurter Rundschau von einem neuen Video, welches aufgetaucht ist. Nach Darstellungen der Hessenschau und der Frankfurter Rundschau zeigt dieses Video, wie der Festgenommene ins Auto gesetzt wurde (Quelle). Vier Beamt:innen sind auf zwei Fotos zu sehen, die beide Medien veröffentlicht haben.

Ein Beamter mit braunen Haaren hält sich am Dach des Polizeiautos fest und tritt nach Angaben beider Medien ins Fahrzeuginnere.

Die Hessenschau schreibt dazu:

„Beim Polizisten handelt es sich nicht um den Beamten, der zuvor den Mann auf dem Boden mit Tritten traktiert hatte.“

Dies lässt Zweifel an der oben genannten Darstellung der Polizei Frankfurt. Hat der Einsatzleiter den blonden Beamten intern gemeldet, bevor das Video im Netz über Frankfurt-Sachsenhausen kursierte oder war diese nachträglich eingereicht, nachdem das Video bereits im Netz war? Und wenn der Einsatzleiter wirklich gegen verbotene Gewalt seiner Beamt:innen ist, wieso meldete er nicht auch den Kollegen mit den braunen Haaren?

Seltsamer Ablauf

Wann der Einsatzleiter den Beamten gemeldet hat, haben wir versucht, innerhalb der Geschäftszeiten bei der Pressestelle der Polizei Frankfurt telefonisch nachzufragen. Leider kam ein Gespräch trotz mehrmaliger Versuche nicht zustande.

Eine weitere Frage ist, was eigentlich die anderen etwa 17 Beamt:innen getan haben. Wieso meldeten sie den zweiten Kollegen nicht intern? Polizist:innen sind dazu verpflichtet, Straftaten zur Anzeige zu bringen. Bei Polizeigewalt handelt es sich mindestens um Körperverletzung im Amt.

Die Körperverletzung im Amt ist im §340 StGB geregelt.

„(1) 1Ein Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst eine Körperverletzung begeht oder begehen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 2In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.“

Und auch die Strafvereitelung im Amt ist gemäß §258a StGB strafbar. So heißt es:

„(1) Ist in den Fällen des § 258 Abs. 1 der Täter als Amtsträger zur Mitwirkung bei dem Strafverfahren oder dem Verfahren zur Anordnung der Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) oder ist er in den Fällen des § 258 Abs. 2 als Amtsträger zur Mitwirkung bei der Vollstreckung der Strafe oder Maßnahme berufen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.“

Zum derzeitigen Ermittlungsgeschehen gegen die Polizist:innen gibt die Polizei Frankfurt folgendes in der aktuellen Pressemeldung vom 19.08.2020, 16:20 Uhr bekannt:

„Eine erste Auswertung und Bewertung wurde heute Vormittag vorgenommen und führte dazu, dass nunmehr gegen zwei weitere Beamte dienstrechtliche Maßnahmen in Form von Disziplinarverfahren eingeleitet wurden. Gegen einen Beamten war bereits gestern ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Gegen diese drei Beamten wurde heute das Verbot des Führens der Dienstgeschäfte ausgesprochen.“ (Pressemeldung 19.08.2020)

Keine Videos, keine Konsequenzen?

Weswegen gegen einen dritten Beamten dienstrechtliche Maßnahmen beschlossen wurden, geht aus den Videos und der Pressemeldung nicht hervor.

Weiterhin wurde anscheinend keine Anzeige gegen die Kolleg:innen erstattet, die bei der Polizeigewalt zuschauten und dies nicht gemeldet haben. Das 29-Jährige Opfer wurde nach Angaben eines Polizeisprechers vom Dienstag bei dem Einsatz verletzt. Wie schwer er verletzt worden ist, sei noch unklar.

Übrigens: Ob es zur Polizeigewalt kam, steht offensichtlich nicht mehr zur Debatte. Selbst der CDU-Innenminister Peter Beuth räumte ein, dass es sich hierbei um einen strafrechtlichen Vorgang handelt und es sich um Körperverletzung im Amt handelt.

Gastbeitrag von „Union Watch“. Artikelbild: pixabay.com, CC0


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