Transfeindlichkeit ermöglicht das Mainstreaming rechtsextremer Narrative
Gastbeitrag von Annika Brockschmidt
Eine Verschwörung ist in Deutschland im Gange – ausgeführt vom Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, um “unsere Kinder” zu “sexualisieren”. Das Ziel? Indoktrination und “Umerziehung”. Das behauptet eine Gruppe von fünf Gastautoren bei der “Welt”, die als “Wissenschaftler” vorgestellt werden – doch dazu später mehr. Bleiben wir zunächst bei dem angeblichen finsteren Plan. Mit was sollen Kinder “indoktriniert” werden? Die Autoren raunen von dem Glauben an die “Vielgeschlechtlichkeit” oder “Gender Ideologie”, die den Kindern in den Kopf gesetzt werden solle. Dabei verwenden sie rechte Kampfbegriffe: eine “kleine Anzahl von Aktivisten mit ihrer “woken” Trans-Ideologie” hätten “den ÖRR unterwandert, Falschdarstellungen als vermeintlichen Stand der Wissenschaft verbreitet und das Leben von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beschädigt.”
Unwissenschaftlich ist die Anti-Queere Ideologie
Dass die angeblichen biologische “Fakten”, die hier präsentiert werden, falsch dargestellt und verzerrt werden, ist oft genug von der Mehrheit der Fachleute auf dem Gebiet dargelegt worden. In diesem Text geht es um die Mechanismen, die dem Artikel zugrunde liegen: Was wir hier sehen, ist die Wiedergabe rechtsextremer Positionen im publizistischen Mainstream Deutschlands. Die Erzählung von einer kleinen Kabale, die Politik und Medien unterwandert und sexuelle Degeneration mit sich bringt, ist keine neue. Die Nationalsozialisten schauten sie sich aus der hetzerischen Fälschung namens “Die Protokolle der Weisen von Zion” ab. Teilweise nehmen Verschwörungsmythen einer mächtigen angeblichen “Trans-Lobby” auch offen antisemitische Formen an.
Faschisten wie der amerikanische politische Kommentator James Lindsay (dessen Buch jüngst im C.H. Beck Verlag übersetzt wurde) verbreiten diesen Verschwörungsmythos, wann immer sie in Reichweite eines Mikrofons gelangen. Das Narrativ ist immer dasselbe: Eine kleine Gruppe marginalisierter Personen bedrohe “unsere Kinder” und verfüge aber gleichzeitig über unfassbar großen Einfluss in Medien und Politik. Daraus folgern Rechte, müsse der marginalisierten Gruppe – in diesem Beispiel trans Menschen – mit Gesetzen Einhalt geboten werden. So zu beobachten übrigens gerade in den USA in republikanisch regierten Bundesstaaten. Wo Stück für Stück an einer Aufhebung der Bürger- und Freiheitsrechte von trans Menschen, allen voran trans Kindern und Jugendlichen, gearbeitet wird – und zwar erfolgreich.
moralische Panik um Transidentität
Die moralische Panik um Transidentität, erzeugt von rechten Akteuren und von ihren medialen Sprachrohren verbreitet, grassiert in den USA bereits seit einiger Zeit. Mit der zunehmenden Unterstützung in der Bevölkerung für Gay Rights musste man sich auf ein anderes Thema verlegen. Über trans Menschen wissen viele Leute wenig. Es ist also ein ideales Ziel für diejenigen, die nach einem neuen Buhmann suchen. Das Ganze geschieht auf Kosten von trans Menschen – und ist längst im Mainstream angekommen.
Bekannte Comedians wie Ricky Gervais oder Dave Chapelle füllen nach wie vor große Hallen mit ihren transfeindlichen Witzen, indem man sich das Unwissen vieler zunutze macht. Die Folgen können tödlich sein: Trans Kinder und Jugendliche haben eine dramatisch höhere Selbstmordgefährdung als ihre cis Altersgenossen, wenn ihnen nicht die empfohlene medizinische Behandlung, z.B. durch sogenannte Pubertäts-Blocker bereit gestellt wird. Trans Menschen haben ein deutlich höheres Risiko, dass ihnen Gewalt angetan wird, die auch tödlich enden kann – besonders trans Frauen und Schwarze trans Frauen.
Akteure, die die Schauererzählungen verbreiten, wie die Autorengruppe bei der “Welt”, behaupten, es sei geradezu kinderleicht, sein Geschlecht zu ändern. So als ob nur mit den Finger geschnipst werden müsse und einem Vierzehnjährigen werde der Penis wegoperiert. In dem Artikel wird behauptet, dazu sei nur ein “Sprechakt” nötig. Das ist nicht nur sachlich vollkommener Unsinn, sondern ein ganz besonderer Hohn gegenüber den unzähligen finanziellen, bürokratischen und gesellschaftlichen Hürden, die trans Menschen überwinden müssen, um ihre Transition beginnen zu dürfen.
Fake News im “WELT”-Artikel
Die Autoren übernehmen ebenfalls den “Elternrechte”-Slogan der amerikanischen Rechten. Das Ganze geschehe hinter dem Rücken der Eltern: “Eltern wissen in der Regel nicht, was mit solchen Sendungen den Kindern angetan wird und mit welchen Botschaften diese indoktriniert werden. Niemand hat den ÖRR beauftragt, Kinder im Sinne einer ideologisch motivierten Agenda umzuerziehen.” Das Narrativ soll Panik wecken, Eltern das Gefühl geben, ihr Kind sei aktiv in Gefahr, und sie könnten etwas “übersehen” haben. Nicht einmal “in der früher harmlosen ,Sendung mit der Maus’” seien Kinder noch vor dieser gefährlichen Indoktrination sicher. Das hatte schon Ex-BILD-Chef Julian Reichelt im März behauptet, als er dieselben Narrative und transfeindlichen Inhalte verbreitete und von der “Zwangsmaus” sprach.
In der Hoffnung, doch noch Deutschlands Tucker Carlson zu werden? Der ist zumindest ebenfalls, gemeinsam mit der politischen Rechten in den USA, enorm daran interessiert, welche Gender-Identität Cartoon-Figuren haben. Was wie ein absurder Auswuchs klassischer Kulturkampf-Rhetorik wirken mag, ist tatsächlich viel subversiver: Es etabliert ein gefährliches Narrativ. Während Kritiker es auf Grund seiner Absurdität nicht für voll nehmen – und so die Gefahr unterschätzen.
Transfeindlichkeit ist eine Radikalisierungspipeline zu rechtsextremen Inhalten
Es ist kein Zufall, dass das Gerede von “Sexualisierung” und “Indoktrination” eng verbunden ist mit “Grooming”-Vorwürfen. In der Vergangenheit wurden Homosexuelle oft mit Pädophilie in Verbindung gebracht, um sie zu diskreditieren. Der Vorwurf ist – wie auch bei trans Menschen – komplett haltlos. Er fußt auf einer Vorstellung, die sich ursprünglich vor allem bei der Religiösen Rechten findet: Dass Homosexualität eine Krankheit sei, “übertragbar” und “ansteckend”. Da Homosexuelle sich nicht fortpflanzen könnten, müssten sie ihren “Nachwuchs”, also Kinder und Jugendliche, “rekrutieren”. Dasselbe Narrativ wird hier angewendet.
Transfeindlichkeit ist eine Radikalisierungspipeline zu rechtsextremen Inhalten, durch die auch Menschen, die sich im mittleren oder gar linken politischen Spektrum verorten, schnell abrutschen können. Und so sieht man regelmäßig selbsternannte Feministinnen, die man häufig “trans exclusionary feminists” (TERFs) nennt, die sich mit Rechten verbünden und teils gar auf ihren Veranstaltungen auftreten. Für Rechte, besonders die Religiöse Rechte, ist die bloße Existenz von trans Menschen (an die sie nicht glauben) ein Beweis für eine gottlose sexuelle Degeneration der modernen Gesellschaft, ein perverser Auswuchs der Individualisierung.
Anti-Queere Organisation wird in “WELT” als “Schwulen- und Lesben-Interessenvertretung” dargestellt
Die Autoren erklären in der “Welt”, sie würden von der “Schwulen- und Lesben-Interessenvertretung “LGB Alliance” unterstützt. Die “LGB Alliance” ist eine aus Großbritannien stammende anti-trans, anti-queere Organisation, die Hetze gegen trans und queere Menschen verbreitet. So behauptete sie beispielsweise, aus “LGB” “LGBTQ” zu machen, würde Sex mit Tieren Tür und Tor öffnen. Es ist kein Zufall, dass die Organisation aus UK kommt. Dort fallen sogar BBC und der Guardian immer wieder mit Transfeindlichkeit auf. Die transfeindliche Mobilisation innerhalb Westeuropas scheint sich derzeit vor allem in Großbritannien zu sammeln – doch sie strahlt bis nach Deutschland aus, bis in die selbsternannte Mitte der Gesellschaft.
In transfeindlichen Narrativen wird oft behauptet, Transidentität sei lediglich ein “neuer Trend” – aber ein höchst gefährlicher, vor dem man Kinder und Jugendliche schützen müsse. So auch in diesem Artikel: Transidentität sei ein “Dauerthema” – dem müsse dringend ein Riegel vorgeschoben werden: Die Politik müsse in die Medienfreiheit eingreifen. Natürlich wird das nicht so deutlich formuliert, aber die Botschaft ist dieselbe: Man richte diesen “Appell auch an die Kontrollinstanzen der Rundfunk- und Fernsehräte sowie an die Politik:
Setzen Sie sich aktiv dafür ein, dass der ÖRR sachangemessen, neutral, wahrheitsgemäß und mit Achtung der Würde aller Menschen berichtet!” – also transfeindliche Positionen unkritisch verbreitet. Die Autoren framen das jedoch nicht als Eingriff in die Berichterstattung, sondern als “Rückkehr zum Sendeauftrag”. Sie behaupten, Journalisten zu “respektieren”, und verbreiten doch gleichzeitig das rechte Märchen der “Lügenpresse”: “Das ist kein Journalismus mehr. Es ist nur noch eine Inszenierung von Journalismus.”
“Fachleute” sind nicht Experten und kommen zum Teil aus rechtsradikalem Umfeld
Wer ist nun diese Gruppe von Autoren, die hier als Fachleute präsentiert werden? Der Münchner Oberarzt Dr. Alexander Korte tritt immer wieder in erzkatholischen Medien auf. In einem Interview mit der “Tagespost” behauptet er beispielsweise “Geschlechtsdysphorie sei eine “moderne ethnische beziehungsweise soziokulturelle Störung,” (…) “die möglicherweise in Teilen an die Stelle der Anorexie tritt”. Er taucht auch im rechten Blog “Tichys Einblick” auf, wo er damit zitiert wird, dass es sich bei Transidentität um einen “Hype” handle. Rieke Hümpel ist Journalistin. Der Ostsee-Zeitung gegenüber sagte sie “Gendern macht mir Angst!”, Marie-Luise Vollbrecht eine Doktorandin der Biologie, die gerade zum folgenden Thema promoviert:
“Die Auswirkung von Hypoxie auf die Proliferation von Gehirnzellen, die Neurogenese und die kognitiven Leistungen von schwach elektrischen Fischen”. Uwe Steinhoff forscht am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong. Antje Galuschka ist laut “Welt” Biologin auf dem Gebiet der Immunologie und Transfusionsmedizin und Mitglied der Grünen. Der Journalist Claas Gefroi schreibt zur Auswahl dieser “Experten” auf Twitter: “Man nutzt den Nimbus der Objektivität + Seriosität der Wissenschaft, um willkürliche Behauptungen als wahr + richtig darzustellen. Und es funktioniert, denn welcher Leser recherchiert, wie kompetent + objektiv diese Expert*innen denn in Bezug auf das Thema sind?“ [sic]
Schulterschluss transfeindlicher feministinnen und religiöser rechten
Grundlage für den Artikel, schreibt die Autorengruppe, sei der von ihnen und anderen – insgesamt 120 Menschen unterzeichnete Offene Brief, der die “Indoktrination” von Kindern und Jugendlichen im ÖRR anprangere. Die Namen der Unterzeichner sind aufschlussreich: Ebenfalls unterschrieben hat übrigens Birgit Kelle, eine Abtreibungsgegnerin und gern gesehene Speakerin der Religiösen Rechten in Deutschland. Aber auch international gut vernetzt – sie sprach jüngst als Gastrednerin auf der CPAC in Budapest, wo sich Rechte aus den USA und Europa tummelten. Sie hat bereits wegen der Verbreitung transfeindlicher Inhalte eine Anzeige wegen Volksverhetzung erhalten.
Zu finden ist der Blog auf der Website von Eva Engelken, einem Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, die dort anti-trans Inhalte verbreitet. Der Schulterschluss von transfeindlichen Feministinnen zeigt sich auch an der Liste der Unterzeichner des Offenen Briefs: Dort finden sich zahlreiche Mitglieder des vom CDU-Mitglied Andreas Rödder gegründeten, rechten “Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit”. Das Netzwerk bedient rechte Narrative einer ideologischen “Cancel Culture” im Wissenschaftsbereich. Dabei sprechen sie sich gegen angebliche “Denkverbote” aus. Auf ihrer Website findet sich beispielsweise dieses Zitat – als Widerspruch für das Plädoyer, dass es keine “biologischen Rassen” gibt: “Tatsächlich ist die Frage, ob oder inwiefern es menschliche Rassen gibt, auch weiterhin Gegenstand sachorientierter biologischer und wissenschaftsphilosophischer Diskussionen.”
Derweil steigt die Gewalt gegen LGBTQ Menschen, besonders gegen trans Menschen, auch in Deutschland. Die Hetze gegen trans Personen findet sich jedoch nicht nur Rechtsaußen – längst sind rechte Narrative im bürgerlichen Mainstream und auch in einigen linken Milieus angekommen. Sie hat katastrophale Folge für die Gesundheit von trans Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen – und kann tödlich sein.
Zum Thema:
Annika Brockschmidt ist Historikerin und Journalistin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit dem Einfluss der Religiösen Rechten auf die amerikanische Politik. 2021 erschien ihr aktuelles Buch „Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ bei Rowohlt. Artikelbild: Screenshots
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