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Wien: Neonazi-Anschlag verhindert & Betroffene haben es nicht erfahren?

von | Mai 26, 2023 | Aktuelles

Von Clara Hoheisel

Eine Tragödie hätte die friedliche Atmosphäre eines linken Volksstimmenfests in Wien zerstören können. Ein Rechtsextremer hatte einen Anschlag geplant und war im Besitz von Schusswaffen, „Kriegsmaterial“, Sprengmitteln und einer Feindesliste. Er besaß neonazistische Propaganda, Anleitungen für Rohrbomben und hatte schon potenzielle, linke Ziele ausgemacht. Die österreichischen Behörden konnten ihn schnappen und er wurde verurteilt. Doch dass das linke Fest in Wien das Ziel geworden wäre, haben weder die Veranstalter erfahren – noch die Öffentlichkeit. Bis jetzt, viele Monate später. Und nur durch einen Zufall.

Explosivstoffe, Waffen, Bauanleitungen für Sprengvorrichtungen, eine makabre Feindesliste und ein verstörendes Video mit Sprengübungen – das alles wurde bei Rudolph P. während einer Hausdurchsuchung sichergestellt. Das Ziel des Rechtsextremen anscheinend: ein Anschlag auf das Wiener Volksstimmenfest. Bekanntheit erlangte dieses Versäumnis erst, als der Journalist Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) den österreichischen Verfassungsschutzbericht nicht einfach nur überflog, sondern genau las.

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Auf Seite 20 des Verfassungsschutzberichtes heißt es:

Quelle: https://www.dsn.gv.at/501/files/VSB/VSB_2022_bf_12052023.pdf

FPö-Fan und Ex-Mitglied

Rudolf P. soll vor Jahren als Lokalpolitiker der rechtspopulistischen FPÖ in einer burgenländischen Gemeinde tätig gewesen sein. Seine politische Karriere in der Partei endete jedoch abrupt, als bekannt wurde, dass er wegen des Besitzes einer halbautomatischen Waffe und Kinderpornografie zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten und einem Bußgeld verurteilt worden sei. Dennoch hegte Rudolf weiterhin Sympathie für die FPÖ.

Auf seinen Facebook-Accounts soll er Posts von führenden Mitgliedern der Partei verbreitet haben. Doch nicht nur das: Rudolf P. soll mindestens vier Facebook-Konten betrieben haben, auf denen er rechtsextreme Inhalte und sich mit bekannten Neonazis vernetzt haben soll. Rudolf P.s Online-Aktivitäten kamen jedoch zum Erliegen, als er am 19. Juli 2021 im Rahmen einer Hausdurchsuchung festgenommen wurde.

Das Ziel des Hasses

Bei der Durchsuchung von Rudolf P.s Wohnsitz wurden nicht nur Drogen und NS-Devotionalien gefunden, sondern auch Waffen, sowie Munition und Material zum Bombenbau. Darunter befanden sich drei Kilogramm Nitrozellulosepulver, 400 mit Schwarzpulver gefüllte Schweizer Knallkörper und Rohre. Im Laufe des Gerichtsverfahrens kam außerdem ans Licht, dass P. in Ungarn einen Vorlauf für eine Sprengung durchgeführt hatte. Bei der Hausdurchsuchung fanden die Behörden auch gerahmte Porträtfotos der rechtsterroristischen Täter Franz Fuchs, Beate Zschäpe und Anders Behring Breivik.

Die polizeilichen Ermittlungen ergaben eine weitere alarmierende Erkenntnis. Rudolf P. hegte nicht nur einen tiefen Hass gegen das Volksstimmefest, sondern hatte auch zahlreiche andere potenzielle Ziele im Visier. Auf seinem Computer fanden die Ermittler:innen eine Datei mit dem beängstigenden Namen „Freundes- und Feindesliste„. In dieser Liste waren politisch linke Organisationen als Feinde oder „potenzielle Ziele“ aufgeführt.

Des Weiteren fand man bei P. eine Art Manifest, ein Handbuch namens „Nationale Wehrkraft“. Darin waren nicht nur Anleitungen zum Bombenbau enthalten, sondern auch Anweisungen, wie man Mineralwasser- und Limonadenflaschen mit Gift injizieren und diese dann zum Verkauf zurückbringen könnte. Dieses Handbuch zeigt deutlich P.s Affinität zum Rechtsterrorismus.

Schließlich wurde der Rechtsextremist am 31. März 2022 zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Die Anklagepunkte: NS-Wiederbetätigung, Verhetzung und Vergehen gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz. Das Strafmaß wurde in einem Berufungsverfahren aufgrund der besonderen Gefährlichkeit des Befragten auf fünf Jahre erhöht. Das wurde auch öffentlich. Jedoch nicht, auf wen er einen Anschlag geplant haben soll.

Eine fahrlässige Unterlassung

Wie sich jetzt herausstellte, haben es die Sicherheitsbehörden versäumt, die Veranstalter des Volksstimmenfests zu warnen, obwohl das Fest in Wien als mögliches Anschlagsziel bekannt gewesen sei. Es wäre möglich gewesen, dass der Täter Komplizen hatte, da er sich seit Jahren im rechtsextremen Milieu bewegte. Dennoch wurden weder Personen noch Organisationen auf seiner „Feindesliste“ von den Behörden benachrichtigt. Auch die Öffentlichkeit erfuhr nicht davon, auch nicht zu dessen Verurteilung.

Gemäß dem EU-Terrorismusbericht von Europol war zu lesen, dass österreichische Sicherheitsbehörden 2021 erfolgreich einen geplanten Sprengstoffanschlag auf eine „linke Veranstaltung“ vereitelt haben. Der Bericht gibt an, dass der Täter ein Rechtsextremist war, der anscheinend alleine handelte. Es wird auch erwähnt, dass der Täter Geld an die Identitären spendete. Mehr erfuhr man nicht, laut Standard.

Es ging „Keine Gefahr mehr aus“

Der Grund dafür bleibt unklar. Das Innenministerium hat sich dazu ausweichend geäußert und lediglich erklärt, dass der Beschuldigte unmittelbar nach der Hausdurchsuchung im Juli 2021 in Untersuchungshaft genommen wurde und dass die Polizei angemessene Sicherheitsmaßnahmen für die Veranstaltung ergriffen habe.

Es wird bereits kritisiert, dass die Verfassungsschutzberichte seit geraumer Zeit durch nachlässige Recherche gekennzeichnet sind. Ein Beispiel hierfür ist der Brandanschlag auf ein Parteilokal der FPÖ in St. Pölten, bei dem irrtümlicherweise angenommen wurde, dass die linksradikale Szene dafür verantwortlich war. Später wurden jedoch zwei Männer verurteilt, die keinerlei Verbindungen zu dieser Szene hatten.

Die österreichischen Behörden stehen jetzt in der Kritik, dass sie den potenziellen Anschlag in Wien nie öffentlich kommuniziert hatten und auch die Veranstalter nie über ihre mögliche Gefährdung informierten, ebenso wie weitere Personen auf der „Feindesliste“.

Artikelbild: Heinz-Peter Bader/AP/dpa