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„Weit über 98% aller Flüchtlinge sind unauffällig und begehen keine Straftaten“

von | Jun 9, 2018 | Analyse

Der Fall Susanna wird von Rechtsextremen genutzt, um verschiedenste, falsche Statistiken und Zahlen über die Kriminalität Flüchtender zu verbreiten. Ein fact check.

So einfach wie es viele Hetzer derzeit aussehen lassen ist es nicht: Es gibt nicht einfach nur „die Flüchtlinge“. In der Hetze, aber leider auch in den offiziellen Statistiken werden oftmals anerkannte Asylbewerber – Menschen, die ein Bleiberecht haben und nie abgeschoben werden können, ohne dass man ein Menschenrecht abschafft – mit geduldeten oder abgelehnten Bewerbern zusammengewürfelt. Außerdem handelt es sich fast ausschließlich stets um Tatverdächtige, nicht Täter. Genau wie beim Tatverdächtigen im Fall Susanna. Seine Schuld müssen Gerichte feststellen, nicht der Mob.

Die aktuellste Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) – die die verlässlichsten aktuellen Zahlen beinhalten, beruht auf dem Erkenntnisstand bei Abschluss der polizeilichen Ermittlungen, welche in einiger Hinsicht ihre Aussagekraft begrenzen: Erstens hängt sie stark vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung ab, das stark variieren kann. So können manche Menschen eine Schlägerei aus verschieden Gründen eben nicht anzeigen oder bestimmte Personengruppen eben aufgrund rassistischer Vorurteile schneller verdächtigen Studien belegen, dass Nicht-Deutsche überproportional häufiger angezeigt werden. Auch Versicherungsaspekte können relevant sein.

„ZUwanderer“ über 40% weniger tatverdächtig als im Vorjahr

Die PKS führt tatverdächtige „Zuwanderer“ noch einmal gesondert neben deutschen Tatverdächtigen und anderen nicht-deutschen Tatverdächtigen auf. Ok, was sind „Zuwanderer“? Diese sehr unpassende Bezeichnung meint die Gruppe „ Asylbewerber“, „International/national Schutzberechtigte und Asylberechtigte“, „Duldung“, „Kontingentflüchtling“ und „unerlaubt“. Also alle diejenigen, die einen Asylantrag gestellt haben, diejenigen, die anerkannt wurden, diejenigen, die trotzdem geduldet werden und auch diejenigen, deren Anträge abgelehnt wurden und sich trotzdem noch hier aufhalten. (Wie viele das sind und wieso einige geduldet werden habe ich hier erklärt)

Mir ist etwas unklar, wieso anerkannte Flüchtende und solche, die es werden wollen, als „Zuwanderer“ bezeichnet werden, da sie schließlich Flüchtende sind und niemand, der aus welchen Grund auch immer einwandert und sich bei uns niederlassen will. Flüchtende wollen in der Regel zurück in ihre Heimat. Aber gut, so nennt die PKS diese Gruppierung.

Ganz wichtig ist, dass bis 2016 anerkannte Asylbewerber NICHT zu den „Zuwanderern“ hinzugezählt worden sind, sondern lediglich zu den Tatverdächtigen ohne Deutschen Pass. Das heißt erstens, dass wir bisher nicht wussten, wie viele Tatverdächtige es unter den anerkannten Asylbewerbern gab und zweitens, dass die definierte Gruppe in der Statistik „Zuwanderer“ im Vergleich zu 2016 um schätzungsweise 500.000 Menschen größer geworden ist. Das heißt, dass die angegebenen -4,1% weniger Tatverdächtigen unter der Gruppe der „Zuwanderer“ im Vergleich zum Vorjahr gar nicht stimmen, da diejenigen, die die PKS unter diesem Begriff versteht, nicht die genau gleiche Gruppe ist und gleichzeitig viel größer. Rechnet man anerkannte Flüchtende nämlich heraus, sinkt die Anzahl der Tatverdächtigen „Zuwanderer“ um satte 40,7%. Einen Vergleich zum realen Rückgang der Tatverdächtigen der Gruppe „Zuwanderer“ mit anerkannten Flüchtenden können wir mit den Zahlen gar nicht wissen.

Aber: Alle Straftaten und Tatverdächtigen sind durch die Bank zurück gegangen, ganz besonders die „Zuwanderer“, sprich: Alle diejenigen, die man umgangssprachlich als „Flüchtling“ bezeichnet. Doch um die Statistik an ihre gefühlten Wahrheiten anzupassen, wird spätestens hier gerne eingewendet, dass ein „Zuwanderer“ überproportional krimineller ist als ein Durchschnittsdeutscher. Das stimmt. Das hat auch ganz logische Gründe.

Zuwanderer ähnlich verdächtig wie Deutsche im gleichen Alter

Wie kriminell ein Mensch ist, hängt nicht damit zusammen, was er für eine Hautfarbe hat. Was nachweislich für Kriminalität relevant ist, sind nun mal das Geschlecht, sprich: Männlichkeit (75% aller Tatverdächtigen der PKS, bei Gewaltkriminalität sogar 86 Prozent und bei Vergewaltigung fast 99 Prozent!), Alter und soziale Situation (ob du arm bist, Arbeit hast, etc.).

Und demzufolge müssen „Zuwanderer“ rein statistisch gesehen schon krimineller sein, weil ihr Anteil an sozial schlechter gestellten Männern zwischen 20 und 40 größer ist als in der durchschnittlichen deutschen Bevölkerung12% der Deutschen sind zwischen 20 und 40 und männlich. Bei Asylbewerbern liegt der Anteil an Männern im Alter zwischen 18 und 40 bei 30,8%. (Stand: 08/17; Deswegen sind übrigens tatsächlich nur weniger als 1/3 der Asylbewerber „junge Männer“, mehr dazu).

Und sozial schlechter gestellt sind sie allemal: Diejenigen, die zur Gruppe der „Zuwanderer“ gezählt werden, können und dürfen größtenteils nicht arbeiten, zusätzlich zu dem Faktor, dass sie sich auf der Flucht befinden und kulturelle, sprachliche und psychische Barrieren überwinden müssen, ist ihre soziale Situation selbstverständlich weitaus gravierender als die der Durchschnittsdeutschen und daher anfälliger für hohe Kriminalität.

Das BKA schreibt dies selbst:

„Diese Ergebnisse dürften „nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt werden. Sie lassen auch keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu. Einem wertenden Vergleich zwischen der deutschen Wohnbevölkerung und den sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit stehen (auch) das doppelte Dunkelfeld in der Bevölkerungs- und in der Kriminalstatistik sowie der hohe Anteil ausländerspezifischer Delikte und die Unterschiede in der Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur entgegen.“

DER GROSSTEIL DER OPFER VON FLÜCHTENDEN SIND ANDERE FLÜCHTENDe

Und wenn jetzt Flüchtende immer noch mehr Tatverdächtige sein sollten, auch wenn wir die Statistiktricks der Polizei herausrechnen, die unterschiedliche Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur berücksichtigen und das Anzeigeverhalten im Kopf behalten, das nicht zwingend mit der Täterschaft übereinstimmt, (die Anzeigebereitschaft ist statistisch höher, wenn Ausländer als Täter vermutet werden.) und man immer noch Flüchtende als Gefahr für Deutsche betiteln möchte, dann muss man immer noch dazu sagen, dass die allermeisten Opfer von Straftaten, die von Flüchtenden begangen werden, keine Deutschen sind, sondern andere Flüchtende.

Wenn wir mal kurz das PKS verlassen und uns das „Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ des BKA anschauen sehen wir: Bei 59% aller Opfer, die Flüchtlinge waren, war der Täter ebenfalls „Zuwanderer“. Der Gefahr, ausgehend von kriminellen „Zuwanderern“, sind vor allem andere „Zuwanderer“ und anerkannte Asylbewerber ausgesetzt.

Über 98% der Anerkannten Asylbewerber unbescholtene Bürger

Kriminologen wie Prof. Thomas Feltes bestätigten: Anerkannte Asylbewerber – die einen absoluten Großteil der so genannten „Zuwanderer“ ausmachen, 98,5% aller „Zuwanderer“ sind NICHT ausreisepflichtig – sind fast ausschließlich gesetzestreue Menschen. Von den tatverdächtigen „Zuwanderern“ waren nur 6% anerkannte Asylbewerber. Im gleichen Verhältnis wie diejenigen mit deutschem Pass im Übrigen auch. Es sind eben auch nur Menschen.

Hier geht es in gar keinem Fall darum, Straftaten von Menschen, die einen Asylstatus besitzen – oder eben nicht – klein zureden und zu verharmlosen, im Gegenteil. Jede Straftat gehört geahndet und mit den von unserem Rechtssystem als angemessen empfundenen Mitteln aufgeklärt und bestraft. Aber der perverse Versuch, die Kriminalität einer künstlich zusammengefassten Gruppe nicht nur als überdramatisch problematisch darzustellen und dies auch noch auf Dinge darzustellen, die nicht den Umständen geschuldet sind, sondern der Herkunft, muss endlich beendet werden.

Eine falsche Gegenüberstellung von „Deutschen“ und „Asylbewerbern“ zu schaffen, erzeugt ein „Wir“ gegen „Die“, das einfach nicht der Realität entspricht – Wo bleibt Platz für Nicht-deutsche Nicht-Flüchtlinge, die Unterscheidung zwischen ausreisepflichtigen oder Anerkannten Asylbewerbern, usw.? Wer einfache Lösungen fordert, hat die Thematik nicht verstanden. Wir plädieren für mehr Sachlichkeit in der Debatte und weniger Kurzschlussreaktionen.