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Asylpolitik: Immer weiter verschärfen, immer mehr AfD?

von | Nov. 12, 2025 | Analyse

Union und SPD eifern einem Irrglauben nach. Sie denken, man müsse nur noch ein klein wenig weiter das Asylrecht verschärfen und schon ist die AfD halbiert. Mehr Naivität geht nicht. Das zeigt der Blick in die Vergangenheit: Seit Jahren gibt es in der Migrationspolitik offenbar nur eine Kursrichtung. Das Asylrecht verschärfen, Leistungen kürzen, mehr abschieben, sprich: immer härter werden. Aus Angst vor der AfD lässt sich die Bundesregierung (seit Jahren!) regelrecht treiben. Migrationsforscher Schammann spricht gar von einer panischen Migrationspolitik.

Politikwissenschaftler:innen stellen eindeutig fest: Rechtsradikale Positionen zu übernehmen, bringt laut Studien den traditionellen Parteien überhaupt nichts. In unserer Analyse der Asylpolitik seit 2013 haben wir die Verschärfungen und Liberalisierungen des Asylrechts zusammengetragen und über die AfD-Zustimmungswerte gelegt. Obwohl das Asylrecht regelrecht konstant verschärft wird und es nur wenige Liberalisierungen gab, tat dies dem AfD-Zuwachs keinen Abbruch – im Gegenteil. Wie genau möchte man also die AfD halbieren, wenn gefühlt im Minutentakt neue Verschärfungen verabschiedet werden, Herr Merz?

Das Grundrecht auf Asyl in der Verfassung

Schnell vorab: Wir machen heute einen Deepdive. Hol dir also am besten eine Tasse Kaffee oder Tee und wir gehen dann rein. Wenn du nicht so viel Zeit oder grafische Inhalte lieber hast, dann speichere dir diesen Artikel für später ab und schau dir unsere Slides zum Thema hier an.

Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen das Grundrecht auf Asyl in der Verfassung steht. Dennoch hat das Asylrecht, so wie es im Grundgesetz steht, fast keine Bedeutung mehr. Grund ist eine 1993 verabschiedete Grundgesetzänderung – die erste Verschärfung des Asylrechts. Niemand, der sich zuvor in einem “sicheren Drittstaat” aufgehalten hat, hat demnach Anspruch auf Asyl in Deutschland. Über das Grundrecht auf Asyl, nun Artikel 16a GG, erhält in Deutschland fast niemand mehr einen Schutzstatus. 2024 entfielen lediglich 1,5 Prozent der gewährten Schutzformen auf das im Grundgesetz festgeschriebene Asylrecht. Nach dem Europarecht, das über deutschem Recht steht, erhalten weitaus mehr Menschen Schutz.  

Die Entwicklung des Asylrechts seit Gründung der AfD

Lasst uns ein Stück weiterspringen, denn wir wollen heute ja aufzeigen, dass andauernde Asylrechtsverschärfungen der AfD sogar helfen. In dieser Grafik siehst du die wichtigsten Asylrechtsverschärfungen und Liberalisierungen seit der Gründung der AfD:

Quelle

Bitte beachte: Wir haben hier keine wissenschaftliche Auswertung gemacht und wollen damit nicht sagen, dass die Zustimmungswerte für die AfD nur deswegen steigen, weil wir ihr in Sachen Asylrecht immer mehr nachgeben. Fakt ist aber, dass eine immer schärfere und teils sogar rechtswidrige Asylpolitik der AfD in die Hände spielt. Bitte beachte auch: Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die wichtigsten Gesetzesänderungen sind aber dabei. 

Phase I: 18. Bundestag (2013 – 2017)

Im Februar 2013 gründete sich die AfD als sogenannte eurokritische „Professorenpartei“. Schon bald erfolgte aber der Übergang in den offenen Rechtsextremismus, von „Protestpartei“ kann keine Rede mehr sein. Im September 2013 fand eine Bundestagswahl statt, damals zog die AfD knapp nicht ins deutsche Parlament ein. Zwischen 2013 und 2017 befinden wir uns also in der 18. Legislaturperiode, mit einer Großen Koalition aus Union und SPD unter Bundeskanzlerin Merkel. 

Zur Infografik

Vor der großen Flüchtlingsbewegung aus Syrien nach Europa in den Jahren 2015/16 wurde bereits im September 2014 ein Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als „sichere Herkunftsstaaten” verabschiedet. Damals wurden Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sogenannte „sichere“ Herkunftsstaaten festgelegt, an der Entscheidung gab es viel Kritik. Im selben Gesetz wurde aber auch der Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und geduldete Ausländer gelockert. Geduldete dürfen nun bereits nach 3 Monaten Aufenthalt in Deutschland (vorher: ein Jahr) Arbeit aufnehmen. Die Hürden blieben aber dennoch hoch, so muss u.a. ein konkretes Arbeitsplatzangebot bestehen und die betreffende Person darf nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen. Wenn dies der Fall ist, dürfen Geduldete erst nach 6 Monaten Aufenthalt in Deutschland arbeiten. Dafür müssen aber sehr bürokratische Arbeitsgenehmigungen erteilt werden. 

Nachdem die Zahl von Asylbewerber:innen in Europa 2014 bereits gestiegen war, kamen 2015 und 2016 noch mehr Schutzsuchende an, allen voran aus Syrien, aber auch aus Afghanistan und dem Irak und anderen Staaten. Im Sommer 2015 errichtete Viktor Orban, der ungarische Ministerpräsident, einen Grenzzaun zu Serbien – die humanitäre Lage von Geflüchteten auf der Balkan-Route verschärfte sich zunehmend. Am 5. September 2015 entschied sich Angela Merkel zur vorübergehenden Aussetzung der Dublin-II-Verordnung. Bis zum Sommer 2016 reisten über eine Million Asylbewerber:innen nach Deutschland ein. 

Viele Verschärfungen und wenige Liberalisierungen

Doch schon kurz nach Angela Merkels berühmten Satz „Wir schaffen das” im Sommer 2015 wurde das Asylrecht wieder verschärft. Im Oktober 2015 wurde das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (Asylpaket I) verabschiedet, mit vielen Neuregelungen. Darunter, dass Asylbewerber:innen bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben sollen. Während dieser Zeit kann keine Arbeit aufgenommen werden. Es soll Sachleistungen statt Geldleistungen geben, darüber entscheiden die Kommunen. Außerdem wurden erneut neue „sichere Herkunftsstaaten” eingeführt, nämlich Albanien, Kosovo und Montenegro. Für alle Asylsuchenden aus den sogenannten „sicheren“ Herkunftsstaaten gilt ein Arbeitsverbot, wenn ihr Asylantrag nach dem 31.08.2015 abgelehnt wurde. Außerdem darf der Termin der Abschiebung den Betroffenen nicht mehr mitgeteilt werden.

Im März 2016 legte die Bundesregierung mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (Asylpaket II) nach. Demnach können Abschiebungen leichter und schneller durchgeführt werden. Schwerwiegende Krankheiten verhindern eine Abschiebung nicht mehr zwangsläufig. Der Familiennachzug für subsidiär Geschützte wurde für vorerst zwei Jahre ausgesetzt.

Im August 2016 kam es zu einer Liberalisierung (wenn man so will) im Zuge des Integrationsgesetzes. Demnach wird die Duldung von Geduldeten verlängert, bis eine Ausbildung abgeschlossen ist. Die eingeführte 3+2-Regelung sieht vor, dass während 3 Jahren Ausbildung und anschließenden 2 Jahren Beschäftigung die Duldung verlängert wird. Wichtig: Eine Duldung ist kein regulärer Aufenthaltstitel! Im selben Gesetz wurde zugleich noch eine Verschärfung beschlossen, darunter eine dreijährige Wohnsitzauflage Schutzberechtigte. Sie wurden durch die neue Regelung für einen Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung des Schutzstatus verpflichtet, ihren Wohnsitz in demjenigen Bundesland zu nehmen, dem sie zur Durchführung des Asyl- bzw. Aufnahmeverfahrens zugewiesen wurden. Auch weitere Kürzungs- und Sanktionsmöglichkeiten des Existenzminimums im Asylbewerberleistungsgesetz fanden Einzug ins Gesetz.

Zwischen Deals mit der Türkei und “Hau-Ab-Gesetzen”

Im März 2016 trat der EU-Türkei-Deal in Kraft. Mit diesem Deal schlossen die EU-Mitgliedstaaten und die Türkei ein Abkommen, um die Fluchtmigration im östlichen Mittelmeer aufzuhalten. Die Kontrollen in der Ägäis wurden verstärkt; Flüchtlinge, die die griechischen Inseln aus der Türkei erreichen, sollen zurückgeschoben werden. Die EU-Mitgliedstaaten blätterten der türkischen Regierung insgesamt sechs Milliarden Euro hin für den Ausbau der Kontrollen und die Aufnahme von Geflüchteten. Bei der immer drastischeren Aushöhlung der Demokratie in der Türkei sah die EU dagegen weg. Von März 2016 bis März 2020 gab es insgesamt 2.140 Abschiebungen von den griechischen Inseln in die Türkei. Seit 2020 setzt die türkische Regierung die Rücknahme von Schutzsuchenden aus. ProAsyl argumentiert, dass die Ankunftszahlen in Europa nicht wegen des Deals, sondern bereits davor und aus anderen Gründen zurückgegangen seien.

Ebenfalls im 18. Bundestag kam es zu dem ersten der beiden umgangssprachlich bezeichneten “Hau-Ab-Gesetzen”. Offiziell heißt es Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Hau-Ab-Gesetz I) und wurde im Juli 2017 verabschiedet. Darin wurde neu geregelt, dass alle Asylsuchenden, auch Kinder, bis zum Ende ihres Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden können – für bis zu 24 Monate. Das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) darf nun Handydaten von Asylsuchenden für bestimmte Zwecke auslesen und verarbeiten und der Ausreisegewahrsam wurde auf bis zu 10 Tage erweitert. Der Ausreisegewahrsam ist eine Form der Abschiebehaft. Er dient der Sicherung einer Abschiebung, wenn diese organisatorisch besonders aufwändig ist oder nur seltene Flugverbindungen bestehen. Ausreisegewahrsam kann dann angeordnet werden, wenn Ausreisepflichtige die ihnen gesetzte Frist zur Ausreise um mehr als 30 Tage überschreiten. Er kann auch angeordnet werden, wenn Ausreisepflichtige bei einer Überschreitung der Ausreisefrist ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sind.

Asylverschärfungen sind mitverantwortlich am Rechtsruck, nicht umgekehrt

Zum Ende der Legislaturperiode des 18. Bundestags lagen die AfD-Zustimmungswerte schon im zweistelligen Bereich. Bei der Bundestagswahl 2017 erzielte sie ein Ergebnis von 12,6 Prozent und zog damit in den 19. Bundestag ein.

Zur Infografik

Wie Politikwissenschaftler Tarik Abou-Chadi feststellt, sprach sich eine Mehrheit der Deutschen erst ab 2017 (und nicht, wie oft behauptet wird, seit Merkels „Wir schaffen das” im Jahr 2015) für eine Beschränkung der Zuwanderung aus. 

Das bemerkenswerte hier ist, dass die Verschiebung eben nicht 2015 passiert sondern 2017. Genau dann wenn Politik und Medien anfangen sich auf die aufsteigende AfD und ihre Themen einzuschießen. Wenn Migrationspolitik verschärft wird und Migranten dämonisiert werden. Es ist nicht Migration an sich.

Tarik Abou-Chadi (@tabouchadi.bsky.social) 2025-08-29T07:45:55.783Z

Es ist also nicht die Zuwanderung an sich, die Menschen migrationsskeptisch werden lässt. Untersuchungen zeigen sogar, dass Menschen dort, wo mehr Geflüchtete leben, Migration gegenüber positiver eingestellt sind. Es ist das Nachplappern von AfD-Rhetorik in den Medien, Politik, die das Asylrecht immer weiter verschärft, und das rechte Agenda-Setting, das die Deutschen immer skeptischer werden lässt. Auch in der nächsten Phase, dem 19. Bundestag, wirst du sehen, dass es kaum Liberalisierungen gegeben hat.

Phase II: 19. Bundestag (2017 – 2021)

In der nächsten Legislaturperiode kam es erneut zur Großen Koalition aus Union und SPD unter Angela Merkel, ihrer letzten Legislaturperiode als Kanzlerin. Auch die nächsten vier Jahre waren geprägt von Asylrechtsverschärfungen.

Im Juni 2018 schaffte die Regierung mit dem Familiennachzugsneuregelungsgesetz den Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte ab. Aufmerksame Leser:innen werden sich jetzt denken „Moment mal, aber die Familienzusammenführung war doch schon ab 2016 ausgesetzt?” Das stimmt! Ab dem 01. August 2018 trat nun eine neue Regelung in Kraft. Der Rechtsanspruch wurde abgeschafft und ab dem Stichtag 01. August 2018 durften nur noch bis zu 1000 Menschen pro Monat zu dieser Personengruppe nachziehen. 

Die Verschärfungsspirale dreht sich weiter

Gleich ein Jahr später, im August 2019, wurde erneut verschärft, und zwar mit dem zweiten “Hau-Ab-Gesetz”, offiziell Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Massive Verschärfungen wurden eingeführt. Erstens, die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in Erstaufnahmeeinrichtungen von sechs Monaten auf bis zu 18 Monate. Das hat zur Folge, dass Schutzsuchende oft räumlich und sozial isoliert wohnen, was zu massiven Folgeproblemen führt. 

Zweitens, die europarechtswidrige Unterbringung von Abschiebehaftgefangenen in normalen Gefängnissen, wenn sie dort von Strafgefangenen örtlich getrennt sind (bis Juni 2022). Zwei Bundesländer, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, machten davon Gebrauch. Drittens, eine massive Erweiterung von Abschiebehaftgründen. Viertens, die Einführung einer „Duldung light“ für Personen, die angeblich nicht bei der zumutbaren Identitätsklärung und Passbeschaffung (während Corona und geschlossenen Botschaften nahezu unmöglich!) mitwirken. Es handelt sich um einen Status der weitgehenden Entrechtung mit zwingendem Arbeitsverbot, einer Wohnsitzauflage sowie Leistungskürzungen. 

Fünftens, Abschiebungstermine wurden zum „Dienstgeheimnis“ erklärt. Deren Weitergabe stellt für Behördenmitarbeitende eine Straftat dar. Sechstens, die Polizei darf für die Durchführung einer Abschiebung die Wohnung ohne richterlichen Beschluss betreten.

Mit dem Hau-ab-Gesetz II wurden auch Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz vorgenommen. Ebenfalls im August 2019 wurde demnach das Dritte Änderungsgesetz zum Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen. Zum Hintergrund: Asylbewerber:innen erhalten nur eingeschränkte Sozialleistungen, während das Asylverfahren läuft. Diese sind noch geringer als Bürgergeld. Mit dem neuen Gesetz wurden die Sozialleistungen zwar minimal aufgrund der allgemeinen Preissteigerung angehoben, doch auch die Dauer, bis Analogleistungen, sprich grundsätzlich normale Sozialleistungen, bezogen werden können, wurde von 15 Monaten auf 18 Monate angehoben. Für Geflüchtete mit einem Schutzstatus in einem anderen EU-Staat, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, ist ein vollständiger Leistungsausschluss möglich. 

Während Corona hat sich die AfD blamiert

Eine nennenswerte Liberalisierung wurde durch das Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung beschlossen. Damit wurde die sogenannte Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG) eingeführt. Das bedeutet, dass Personen, die geduldet sind, aber seit mindestens 18 Monaten arbeiten und weitere Kriterien erfüllen, vor einer Abschiebung geschützt werden können. Eine Beschäftigungsduldung haben aber (Stand März 2025) nur 0,6 Prozent aller Geduldeten.

Und wie stand es um die AfD-Zustimmungswerte in dieser Periode? Während sie nach der Bundestagswahl 2017 zunächst noch anstiegen, verlor die AfD mit Beginn der Corona-Pandemie massiv an Zustimmung. Sie dümpelte 2020 sogar teils im einstelligen Bereich herum. Vor allem während der Corona-Hochphase hat sich die AfD maximal unglaubwürdig gemacht:

Bei der Bundestagswahl 2021 erzielte sie ein schlechteres Ergebnis als noch 2017 und erhielt 10,3% der Stimmen

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Phase III: 20. Bundestag (2021 – 2025)

2021 wurde ein neuer Bundestag gewählt. Das Novum: Die Union stellte nicht die Bundesregierung, sondern saß in der Opposition. Das letzte Mal, als die Union die parlamentarische Opposition anführte, war übrigens 1998 – 2005, also schon super lange her!

2021 bis 2025 stellten SPD, Grüne und FDP (bis 2024) die Bundesregierung unter Kanzler Scholz. Obwohl die Ampel-Koalition krachend gescheitert ist und viele von uns vermutlich eher die Misserfolge und weniger die positiven Eindrücke in Erinnerung haben, wäre es falsch zu sagen, alles an ihr wäre schlecht gewesen. Konkret in der Migrationspolitik gab es auch Erfolge und fortschrittliche Ansätze. Während sich die Ampel mit der Zeit ebenfalls vom Irrglauben beeinflussen ließ, Verschärfungen in der Asylgesetzgebung würden die AfD eindämmen (und wir sehen ja in diesem ganzen Deepdive, dass das Gegenteil der Fall ist), startete sie vergleichsweise innovativ und hat mit einzelnen Gesetzen die Integration gestärkt.

Ihr haben wir es beispielsweise zu verdanken, dass ausländische Mitbürger:innen nicht mehr wie früher acht Jahre warten mussten, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, sondern nur noch fünf – in besonderen Fällen sogar nur drei (dieser Sonderfall wurde mittlerweile wieder abgeschafft). Diese Reform verdanken wir dem Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz.

Auch die Möglichkeit, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu besitzen, führte die Ampel ein. Und nicht nur das: Im Zuge des Chancen-Aufenthaltsrechts wurde endlich ein Instrument zur Einführung einer dauerhaften Bleibeperspektive für Menschen mit jahrelangem Duldungsstatus geschaffen. Zur Erinnerung: Geduldete haben in Deutschland keinen Aufenthaltstitel, sondern sind eigentlich ausreisepflichtig. Aus praktischen oder rechtlichen Gründen ist aber die Ausreise oder Abschiebung faktisch oft nicht möglich. Viele Menschen leben in Deutschland jahrelang mit einer Duldung und sind dadurch in einem Limbo aus Furcht vor drohender Abschiebung und eingeschränkten Rechten gefangen.

Guter Start, dann aber drastische Verschärfungen

Dennoch fanden auch unter der Ampel-Koalition einige Asylrechtsverschärfungen statt. Begonnen im Dezember 2023 mit dem Gesetz zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten. Auf EU-Ebene stimmte Deutschland im April 2024 der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu (GEAS). Die Reform wird heftig kritisiert, insbesondere aufgrund der Pläne, Grenzverfahren mit geringeren Rechtsstandards einzuführen. Außerdem ist geplant, auch solche Länder als „sichere Drittländer“ zu deklarieren, in denen nicht alle Regionen sicher sein und auch nicht alle Personengruppen geschützt sein müssen. Derzeit wird die GEAS-Reform in nationale Rechtsprechung umgesetzt. Deutschland schießt dabei über die Vorgaben hinaus und will noch härter sein:

Damit nicht genug. Schon im Februar 2024 wurde das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet. Darin wurde die mögliche Dauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage angehoben. Auch die maximale Dauer der Abschiebehaft wurde von 3 auf 6 Monate angehoben. In Gemeinschaftsunterkünften ist künftig nicht nur das Betreten des Zimmers der abzuschiebenden Person selbst, sondern auch das Betreten von Zimmern anderer unbeteiligter Personen erlaubt. Nächtliche Abschiebungen wurden vereinfacht. Und wer sich noch erinnert: Erst im August 2019 wurde die Wartedauer für bedürftige Asylbewerber:innen, ungekürzte Leistungen und eine uneingeschränkte Gesundheitsversorgung zu erhalten, auf 18 Monate angehoben. Im Zuge des Rückführungsverbesserungsgesetzes wurde die Wartedauer verdoppelt (!) – auf nun geltende 36 Monate. 

AfD verdoppelt Ergebnis

Zeitgleich zur Zustimmung zur GEAS-Reform im April 2024 wurde auf Bundesebene das Asylbewerberleistungsgesetz reformiert und die bundesweite Bezahlkarte eingeführt. Es ist, man kann es nicht anders sagen, ein Instrument der Schikane und Kontrolle und dabei auch noch verwaltungstechnisch komplett ineffizient:

Im Oktober 2024 wurde direkt nachgelegt und das sogenannte Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems („Sicherheitspaket“) verabschiedet. Damit wurde die Grenze von ausufernder Härte hin zur Verfassungswidrigkeit vermutlich überschritten. Asylbewerber:innen, die laut Dublin-Verordnung woanders ihr Asylgesuch hätten stellen müssen und abgeschoben werden sollen, werden von Sozialleistungen ausgeschlossen. Expert:innen zufolge ist das verfassungswidrig. Mittlerweile haben bundesweit 40 Sozialgerichte den Leistungsausschluss im Eilverfahren gestoppt. Außerdem wurde im Sicherheitspaket die Möglichkeit geschaffen, den Schutzstatus zu widerrufen, wenn Menschen mit Schutztitel in ihr Heimatland reisen. 

Während die Ampel in Migrationsfragen also noch vergleichsweise innovativ startete, verfiel sie ab Ende 2023 in eine regelrechte Verschärfungswut. Bis Anfang Mai 2023 dümpelte die AfD übrigens bei maximal 14-15% herum. Bis Dezember 2023 stieg sie dann auf 22% an, ihr absoluter Peak bis dahin. Der Rechtsruck der Ampel verlief also parallel mit dem Aufstieg der AfD und war nicht eine Reaktion darauf. Die Asylrechtsliberalisierungen 2022 haben die AfD nicht stärker gemacht. 

Das Argument, Asylrechtsverschärfungen würden die AfD schwächen, ist grundlegend falsch. Trotz massiver Asylrechtsverschärfungen verdoppelte die AfD bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar 2025 ihr Ergebnis im Vergleich zur Bundestagswahl 2021. AfD-Migrationspolitik zu machen, hilft halt einfach niemandem außer der AfD selbst.

Zur Infografik

Phase IV: 21. Bundestag (2025 bis dato) 

Seit Mai 2025 ist nun die neue Regierung unter Union und SPD im Amt. Ziemlich genau ein halbes Jahr also und schon machte die Bundesregierung unter Kanzler Merz mit den Asylrechtsverschärfungen weiter. Einen Monat nach Amtsantritt, im Juni 2025, wurde das Gesetz zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten verabschiedet. Du erinnerst dich: Einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug haben subsidiär Schutzberechtigte schon seit 2018 nicht mehr. Wie schon im Zeitraum 2016 – 2018 unter Merkel ist der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte nun wieder komplett ausgesetzt, das heißt nicht mal 1.000 Menschen pro Monat – wie vorher – dürfen nachziehen. Diese Regelung ist zunächst befristet auf zwei Jahre. 

Weitere Verschärfungen sind in Planung. So möchte die Bundesregierung zukünftig weitere sogenannte “sichere Herkunftsstaaten” ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat festlegen können, sowie den Pflichtanwalt in Abschiebehaft abschaffen. Weitere geplante Verschärfungen laut Koalitionsvertrag haben wir hier analysiert:

Die rechtsextreme AfD steht inzwischen laut aktuellen Umfragen bei 25 Prozent und damit vier Prozentpunkte höher als bei der Bundestagswahl im Februar. Selbst wer der These widerspricht, dass rechtes Agenda-Setting und Asylrechtsverschärfungen die AfD stärken, muss einsehen, dass die Verschärfungen sie offensichtlich nicht schwächen. Denn die AfD klettert immer weiter in den Umfragewerten. Und sie kletterte insbesondere in dem Zeitraum, als das Asylrecht (erneut) massiv verschärft wurde.

Die Bundesregierung scheint sich jedoch noch fataler als die Ampel zuvor auf das Thema Migration eingeschossen zu haben, allen voran natürlich Kanzler Merz mit seinen “Stadtbild”-Lügen, dicht gefolgt von Innenminister Dobrindt und seinem Abschiebewahn und, nicht zu vergessen, CDU-Generalsekretär Linnemann, demzufolge “Migration, Migration, Migration” die drei wichtigsten Themen seien. 

Bei immer mehr Härte ist Verfassungswidrigkeit irgendwann erreicht

Wenn du es bis hierher geschafft hast, dann möchte ich dir erst einmal danken für deine Aufmerksamkeit und dein Interesse. Ich hoffe, du siehst, wie festgefahren die Kursrichtung der Verschärfungen in der Asylpolitik ist, schon seit Jahren! Und wie unsinnig die Annahme ist, durch eine Migrationspolitik, wie die AfD sie machen würde, könnte man die Rechtsextremen in Zaum halten oder gar deren Zustimmungswerte reduzieren. Der Politikberater Johannes Hillje macht deutlich, wie das anständige Verschärfen der Migrationspolitik nur der AfD hilft: 

„Es war immer ein Irrglaube, dass eine restriktivere Migrationspolitik allein die AfD dezimieren könnte. Wenn die Regierung einen härteren Kurs in der Migrationspolitik einschlägt, fühlen sich AfD-Wähler zunächst bestätigt und gleichzeitig radikalisiert die AfD ihre Positionen.“

Wäre die AfD an der Macht, wäre ihre Migrationspolitik natürlich nochmal schärfer und noch verfassungswidriger, aber das ist ein Thema für einen anderen Tag. Und wenn du dich jetzt fragst, wer am Ende dieser Verschärfungsspirale den Kürzeren zieht, dann schauen wir doch mal darauf, was Expert:innen dazu zu sagen haben. Migrationsforscher Hannes Schammann macht klar, dass eine immer restriktivere und irgendwann autoritäre Migrationspolitik nicht nur Geflüchtete, sondern uns alle betrifft: 

“Manche aktuell diskutierten Vorschläge – etwa die laxere Auslegung von Menschenrechten oder die Abschaffung des Flüchtlingsschutzes – sind auf Dauer nur in einem autoritäreren Staat umsetzbar. Die Konsequenzen von Migrationspolitik treffen also nicht nur Geflüchtete, sondern uns alle. Natürlich können wir Migrationspolitik ändern, aber bitte mit offenen Augen für die Nebenwirkungen. 2035 wird man sich fragen: War Migration der Auslöser für eine autoritäre Wende – oder der Katalysator, unsere liberale Demokratie zu erneuern?”

Er plädiert dafür, nicht im Sekundentakt neue Gesetze zu verabschieden. Das ist auch für Beschäftigte in den zuständigen Behörden eine große Belastung, da viele Gesetze auslegungsbedürftig sind und Behörden mit den Schulungen ihrer Mitarbeitenden kaum Schritt halten können.

Fazit: Verschärfungen bis zur Verfassungswidrigkeit oder endlich mal konstruktiv sein?

Viele Maßnahmen, die bereits in Kraft getreten sind, sind bereits jetzt verfassungswidrig. Wir befinden uns mittlerweile nicht in einer Phase, in der Verfassungswidrigkeit droht, sondern diese bereits in mehreren Fällen bereits eingetreten ist. 

Dauerhafte Grenzkontrollen zu unseren Nachbarn verstoßen gegen den Schengener Grenzkodex. Zurückweisungen Asylsuchender an den deutschen Grenzen sind ebenfalls rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht stellte erst kürzlich klar, dass ein Richterbeschluss vorliegen muss, wenn Abzuschiebende in Abschiebehaft genommen werden sollen. Da es keine offiziellen Zahlen zur Abschiebungshaft gibt, ist es schwierig zu sagen, wie viele Menschen zu Unrecht in Abschiebehaft sitzen. Fragt man jedoch erfahrene Anwält:innen, berichten diese, dass bis zu 50 Prozent der Inhaftierten zu Unrecht in Abschiebungshaft sitzen. Die ARD-Rechtsredaktion sagt dazu:

“Wahrscheinlich gibt es kaum ein Rechtsgebiet, in dem Gerichte Behördenhandeln so oft als rechtswidrig beanstanden müssen.”

Der autoritäre Umbau der deutschen Migrationspolitik droht also nicht nur, sondern er ist bereits real. Die derzeitige Bundesregierung hat die Grenzen unserer Verfassung bereits mit ihrer Asylpolitik an mehreren Stellen verlassen. Und jetzt denkt daran, dass die AfD noch Schlimmeres vorhat – dann wisst ihr, wieso dieser Weg weg von der Demokratie führt. 

Doch es ginge doch auch anders. Wir haben da mal ein paar Ideen für eine lösungsorientierte “Migrationswende” gesammelt:

Um mit den Worten des Migrationsforschers Schammann zu schließen: 

“[…] Wenn wir glauben, wir könnten mit Migrationspolitik die AfD verhindern, dann machen wir zwei entscheidende Fehler. Erstens ignorieren wir, dass es auch andere Gründe gibt, warum Menschen die AfD wählen. Und zweitens ignorieren wir die echten migrationspolitischen Herausforderungen, die mit der Integration der Menschen verbunden sind. Beides ist nicht gut.”

Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa, Grafik: https://www.wahlrecht.de/umfragen/politbarometer.htm 

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