Seit Mai dieses Jahres ist Alexander Dobrindt (CSU) Bundesinnenminister. Obwohl er Deutschland während seiner Zeit als Bundesverkehrsminister (2013–2017) vor allem mit seiner Maut-Katastrophe eine Blamage einbrockte, die den Steuerzahler am Ende Millionen kostete, hat er nun als Bundesinnenminister einen Posten mit noch mehr Verantwortung bekommen und ist unter anderem für Migrationsfragen zuständig. Während nach Jahren der Asylrechtsverschärfungen ausgerechnet unter einem CSU-Minister keine bahnbrechenden Liberalisierungen zu erwarten sind, ist es dennoch bezeichnend, wie sich die deutsche Migrationspolitik in vielen Fällen in offenen Rechtsbruch mit Ansage verwandelt hat. Wir analysieren zehn konkrete Punkte, die nahelegen, dass Dobrindt auch als Innenminister seiner Verantwortung nicht einmal ansatzweise gerecht wird.
1. Afghanistan: Dobrindt bricht seine Versprechen und schindet Zeit
Wie skrupellos der Bundesinnenminister in Migrationsfragen ist, zeigt sich am schärfsten bei seinem neuesten Versagen, afghanische Schutzsuchende mit deutscher Aufnahmezusage nach Deutschland zu bringen und Versprechen einzuhalten. Wir erinnern uns: Bis 2021 bekämpfte die Bundeswehr fast zwei Jahrzehnte lang mit ihren Verbündeten die Taliban – leider nicht sehr erfolgreich. Die NATO-Mission scheiterte am Ende kläglich.
Vier Jahre nach der Machtübernahme bereitet die Bundesregierung eine schleichende Normalisierung des Terrorregimes vor. Ausführlich analysiert haben wir das bereits in unserer Infografik-Slideshow auf Instagram:

Damit nicht genug: Einigen Afghan:innen, die eine deutsche Aufnahmezusage hatten und seit Jahren in Pakistan auf ihr Visum warten, erteilt Dobrindt nun eine Abfuhr. Um das genauer zu verstehen, müssen wir auf die vier verschiedenen Aufnahmeprogramme schauen, die es theoretisch gibt:
Erstens gibt es das Bundesaufnahmeprogramm (BAP), über das Deutschland rechtlich bindende Zusagen an Afghan:innen erteilte – so die aktuelle Entscheidungslinie deutscher Gerichte. Es handelt sich um Menschen, die Verfolgung vor den Taliban befürchten, ausgewählt von Nichtregierungsorganisationen. Das können beispielsweise Journalist:innen, Richter:innen, Menschenrechtsaktivist:innen oder besonders vulnerable Personen sein.
Viele von ihnen mussten trotzdem für ihre Ausreise nach Deutschland kämpfen, haben aber vor deutschen Gerichten oft Recht bekommen. Die Grünen-Bundestagsfraktion, die sich für die Aufnahme aller Afghan:innen mit Aufnahmezusage einsetzt, spricht von mehr als fünfzig Verwaltungsgerichtsentscheidungen und Androhungen von Zwangsgeld. Das berichtet auch die Organisation „Kabul Luftbrücke“. Noch 465 Menschen aus dem Bundesaufnahmeprogramm warten in Pakistan auf ihre Visa. Mittlerweile scheint Dobrindt verstanden zu haben, dass es sich beim BAP um rechtsverbindliche Zusagen handelte, die er nicht einfach brechen kann.
Versprechen eiskalt gebrochen: Zusagen ohne Begründung widerrufen
Zweitens gibt es das Ortskräfte-Programm, das rechtlich nicht bindend ist. Ende November sagte Dobrindt zwar, dass er sich den Ortskräften gegenüber, also Personen, die vor der Taliban-Machtübernahme mit der Bundesregierung zusammengearbeitet haben, „politisch verpflichtet“ fühle. Dennoch wurden vor Kurzem insgesamt 123 Aufnahmezusagen für Ortskräfte und ihre Familien widerrufen. Nur wenigen Ortskräften wurde die Aufnahmezusage noch nicht widerrufen. Dobrindt hat sein Versprechen eiskalt gebrochen. Eine Erklärung wurde nicht geliefert.
Drittens und viertens gibt es noch die Menschenrechtsliste und das Überbrückungsprogramm, beides humanitäre Aufnahmeprogramme, und beide rechtlich nicht bindend. Dabei handelt es sich um ca. 650 Personen. Diesen hat Dobrindt im Herbst Geld angeboten, damit sie auf ihre Aufnahmezusage verzichten.Nur 62 Personen haben angenommen. Es ist ein Armutszeugnis für jede Partei – aber insbesondere für jene, die von sich behaupten, christliche Werte zu vertreten –, Menschen Geld andrehen zu wollen, denen bereits Schutz versprochen wurde. Personen aus der Menschenrechtsliste und dem Überbrückungsprogramm wurde mitgeteilt, dass kein „politisches Interesse“ mehr bestünde, sie nach Deutschland zu bringen. Sie sind aber genauso gefährdet wie Menschen mit rechtsverbindlicher Aufnahmezusage.
Und als wäre das noch nicht genug: Insgesamt wurden bereits über 210 Afghan:innen, die eine deutsche Aufnahmezusage hatten (andere Quellen sprechen von 165 Betroffenen), von den pakistanischen Behörden nach Afghanistan abgeschoben. Einfach, weil Deutschland ihre Ausreise so lange verzögert, bis Pakistan nicht länger warten will.
Die Zeit läuft ab – Regierung lehnt Antrag mit Stimmen der AfD ab
Insgesamt warten noch etwa 1.800 Afghan:innen in Pakistan auf ihre Ausreise. Der Großteil sind Frauen und Kinder. Die Zeit tickt, denn die mit Pakistan vereinbarte Frist, die verbliebenen Afghan:innen mit Aufnahmezusage in Pakistan zu dulden, läuft am 31.12.2025 ab. Was den Menschen im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan droht, möchte man sich nicht ausmalen. Das Bündnis „Kabul Luftbrücke“ setzt sich unermüdlich dafür ein, dass alle Afghan:innen mit Aufnahmezusage nach Deutschland ausreisen können. Über Spenden versucht das Bündnis, Anwält:innen zu finanzieren, um den Afghan:innen auf dem Rechtsweg zu ihrer Ausreise aus Pakistan zu helfen.
Ein Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion, die versprochenen Visa für alle Afghan:innen mit Aufnahmezusage zu erteilen, wurde mit Stimmen der Union, SPD und AfD abgelehnt. Ein unbeschreibliches Versagen aller demokratischen Parteien, die sich „christlich“ oder „sozial“ nennen.
Der ehemalige Leiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Afghanistan, Hans Hermann Dube, findet treffende Worte für das Versagen der Bundesregierung: „Eine viel größere Sauerei kann ich mir kaum vorstellen.“
2. Härtefälle Familiennachzug: absurd hohe Voraussetzungen
Wir kommen als Nächstes zu einem Beispiel, in dem die SPD erneut kein Rückgrat zeigte und sich Dobrindts Willen fügte. Ein kurzer Rückblick: Im Juni dieses Jahres wurde der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte (erneut) ausgesetzt. Subsidiärer Schutz ist einer der Schutzstatus für Geflüchtete in Deutschland. Menschen mit subsidiärem Schutz haben kein Asyl erhalten, Betroffene werden aber nicht in die Heimat zurückgeschickt, da ihnen dort ein ernsthafter Schaden droht.
34 Prozent aller syrischen Schutzsuchenden haben subsidiären Schutz (Stand Ende 2024). Weitere Anträge für Familiennachzug kommen von subsidiär Schutzberechtigten aus beispielsweise Somalia, dem Jemen, Afghanistan und Eritrea. Zum Stichtag 31. März 2025 lebten 388.074 subsidiär Schutzberechtigte in Deutschland.
Die Zahl derjenigen, die über Familiennachzug nach Deutschland kommen dürfen, war vor Juni 2025 bereits auf 1.000 Plätze pro Monat beschränkt. Dieses Kontingent legte die damalige Bundesregierung 2018 unter der Merkel-CDU subsidiär Schutzberechtigten auf. Zwischen 2016 und 2018 war der Familiennachzug schon komplett ausgesetzt, schon damals griff lediglich eine strenge Härtefall-Regelung.
Oft wird behauptet, subsidiär Schutzbedürftige seien nur eine kurze Zeit in Deutschland, da ja ihr Asylantrag abgelehnt wurde, und sie könnten schnell in ihre Heimat zurückkehren – deswegen sei der Familiennachzug nicht relevant. Doch dieses Argument ist zu kurz gedacht. Am Beispiel Syrien haben wir gesehen, dass der Krieg 13 Jahre dauerte und die Lage nach wie vor unübersichtlich ist. Auch in anderen Krisenregionen wie Eritrea oder Afghanistan ist ein Ende der Gewalt und schwerer Menschenrechtsverletzungen nicht abzusehen. Über die Hälfte der subsidiär Geschützten (187.194 Personen) lebt bereits seit sechs Jahren oder länger in Deutschland.
Selbst Geflüchtete mit unbegleiteten Kindern im Heimatland haben keinen automatischen Härtefallanspruch
Und die SPD? Die hatte noch 2023 eine Erleichterung des Familiennachzugs gefordert. 2025 stimmen sie dann für das bodenlose Gesetz. Danke für Nichts? Der einzige Trost für die Sozialdemokraten: Die mit eingeführte Härtefallregelung. Wenn man schon ein Gesetz mitträgt, das der Sozialdemokratie nicht würdig ist (und auch der Christdemokratie, wenn man ehrlich ist, denn wo bleibt da der sonst so hochgehaltene Schutz der Familie?), dann muss es zumindest Ausnahmeregelungen für Härtefälle geben, so anscheinend die Gewissensberuhigung.
Liebe SPD, da muss ich euch leider enttäuschen. Denn die tatsächliche Härtefallregelung ist so unglaublich streng, dass die Anforderungen „unüberwindbar hoch“ sind, wie ProAsyl schreibt. Zum Beispiel: Wenn die Mutter oder der Vater, die subsidiären Schutz in Deutschland erhalten haben, ihr Kleinkind (unter drei Jahre alt), das noch in ihrem Heimatland lebt, nach Deutschland nachholen wollen, ist es laut Auswärtigem Amt erst ab einer Trennungszeit von fünf Jahren möglich, einen Härtefallantrag zu stellen und damit tatsächlich eine Chance zu haben, ihr Kind wiederzusehen. Wenn keine Kleinkinder betroffen sind, sind es zehn Jahre!
Fünf Jahre Wartezeit
Wenn diese Trennungszeiten noch nicht erfüllt sind, kann nicht einmal das Elternteil eines unbegleiteten (!) Kleinkinds einen Härtefall beantragen, wenn kein weiterer Aspekt hinzukommt, wie zum Beispiel eine konkrete Gefährdung für Leib und Leben. Der Grund: Die Vergleichsgruppe sei zu groß. Sprich: Es gäbe zu viele Menschen, die sich dann auf diese Regelung berufen würden. Merkst du was? Wir schaffen mit unmenschlichen Gesetzen sehr viel Leid, und weil wir so viel davon schaffen, können wir dann keine humanen Härtefallregelungen mehr vereinbaren?! Mehr Zynismus geht nicht.

Die Konsequenzen dieser menschenverachtenden Politik sind bereits jetzt sichtbar. ProAsyl berichtet von einem Fall einer syrischen Familie – der Vater ist in Deutschland, seine Frau und Kinder wollten nachziehen, doch sie konnten nicht auf „legalem“, sprich: sicherem Weg, da der Familiennachzug ja ausgesetzt ist. Sie wählen den Weg übers Mittelmeer, nur zwei Töchter überleben, während die Mutter und zwei Söhne ertrinken. Es ist ein Beispiel von vielen.
Deutschland. 2025.
3. Zweifel an Georgien als „sicheres Herkunftsland“ – aber Dobrindt will mehr davon!
Im Dezember 2023 stufte die Ampel-Regierung Georgien und die Republik Moldau als sogenannte “sichere Herkunftsstaaten” ein. Als sicheren Herkunftsstaat definiert das Grundgesetz Länder, „bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. ‚Sichere’ Länder also – augenscheinlich. Asylanträge von Menschen, die aus sogenannten ‚sicheren Herkunftsstaaten’ kommen, werden in großer Mehrheit abgelehnt. Die Verfahren von Asylantragsteller:innen sind oft verkürzt und abgelehnte Asylbewerber:innen haben weniger Zeit (und ergo eingeschränkten Zugang zu Rechtsschutz), gegen den Beschluss zu klagen.
Georgien ist also seit 2023 als ‚sicher’ eingestuft, gleichzeitig steht dort Queerfeindlichkeit hoch im Kurs. Dadurch, dass Georgien ein ‚sicheres Herkunftsland’ ist, ist es für queere Asylbewerber:innen schwieriger, in Deutschland Schutz zu finden. On top kommt, dass die georgische Regierung sich von der EU abwendet und sich nach Russland orientiert. Demonstrierende werden niedergeprügelt. Pro-europäischen Protestanführern drohen lange Haftstrafen. Trotz alledem hält die aktuelle Bundesregierung an der Einstufung als ‚sicheres Herkunftsland’ fest. So werden Pro-EU-Demonstrationen also „belohnt“? Damit nicht genug: Dobrindt möchte auch weitere Staaten als „sicher“ einstufen, darunter die Maghreb-Staaten, also Algerien, Marokko und Tunesien. Auch dort sind queere Menschen alles andere als sicher.
Gerichte widersprechen Einstufung Georgiens als “sicher”
Gerichtlich liegt die Einstufung Georgiens nicht in trockenen Tüchern. Schon das Verwaltungsgericht Berlin (Beschluss vom 11.03.2025) zweifelte an der Einstufung Georgiens als ‚sicher’. Dem schloss sich das Verwaltungsgericht Düsseldorf Ende Juli an. Das Gericht führte in seiner Erklärung unter anderem aus, dass der Beitrittsprozess Georgiens in die EU faktisch zum Stillstand gekommen ist, dass Einreisesperren gegen georgische Beamte verhängt wurden und dass georgische Oppositionelle im Land massiven Bedrohungen ausgesetzt sind. Außerdem kritisiert das Gericht die Einschränkungen der Pressefreiheit sowie das Vorgehen gegen Protestierende:
„Während der Proteste im November 2024 kam es zu einer Vielzahl von schweren Verstößen gegen Menschenrechte durch Sicherheitskräfte, Gewalt gegen Protestierende in Polizeigewahrsam, die laut internationalen Experten und georgischem Ombudsmann als Folter eingeordnet werden können, ebenso zu Angriffen auf Bürger und Oppositions- und Medienvertretende durch maskierte Schlägertrupps. Diese Gewalt blieb bis dato straflos, entweder, weil die zuständigen Ermittlungsbehörden keine Untersuchungen einleiteten, oder diese bisher ohne Ergebnis blieben. Regierungskritiker werden andererseits von der Justiz für ihnen vorgeworfene Ordnungswidrigkeiten und Straftaten bestraft.”
Zwar ist es noch ein Relikt aus der Ampel-Zeit, dass Georgien als “sicher” eingestuft ist, doch Dobrindt sind die gerichtlichen Zweifel daran egal. Er hat sogar ein Gesetz erfolgreich durch den Bundestag gebracht, durch das “sichere Herkunftsstaaten” zukünftig per Rechtsverordnung festgelegt werden können und nicht mehr der Zustimmung des Bundesrats bedürfen.
4. Amtsermittlungsgrundsatz abzuschaffen wäre rechtswidrig
Ein unscheinbarer Satz, der aber enorme Tragweite hätte, sollte er umgesetzt werden, hat es in den Koalitionsvertrag von Union und SPD geschafft. Er betrifft den Kern, wie behördliche und gerichtliche Asylverfahren in Deutschland ablaufen:

Doch was hat es mit den sperrigen Begriffen „Amtsermittlungsgrundsatz“ und „Beibringungsgrundsatz“ überhaupt auf sich? Stellt jemand einen Asylantrag in Deutschland, geschieht dies ja in der Regel aus einem konkreten Grund, nämlich aus Furcht vor Verfolgung oder aufgrund einer konkreten Gefahrenlage. Über Asylanträge entscheidet in Deutschland das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Kommt es zu einem negativen Asylbescheid und die betroffene Person klagt dagegen, kommt es zu einem gerichtlichen Asylverfahren.
Wie „beweist“ aber eine Person, dass ihr in ihrem Heimatland Verfolgung oder Schaden droht? Asylbewerber:innen sind bereits nach heutiger Rechtslage dazu verpflichtet, bei der Aufklärung ihres Sachverhalts mitzuwirken (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Sie müssen insbesondere selbst die Tatsachen vortragen, die ihre Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihnen drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Grundsätzlich gilt aber der sogenannte „Amtsermittlungsgrundsatz“. Behörden und Gerichte müssen also eigenständig recherchieren und Quellen zur Lage in dem jeweiligen Herkunftsland konsultieren, häufig auf Grundlage von Berichten des Auswärtigen Amtes sowie von internationalen Organisationen.
Asylbewerbern soll es wohl extra schwer gemacht werden
Laut Koalitionsvertrag soll dieser Grundsatz nicht mehr gelten, sondern es soll zu einer Art Beweislastumkehr kommen. Betroffene sollen also nicht nur mitwirken (wie es der Status quo sowieso schon vorsieht), sondern ihre Verfolgung beweisen müssen. Gehen wir das in einem realistischen Gedankenexperiment aber durch, sollte es für jede:n mit gesundem Menschenverstand logisch sein, dass dies gerade in Asylfragen oft unmöglich ist. Denn bricht in einem Land beispielsweise ein Bürgerkrieg aus, haben Schutzsuchende nicht erst Tage oder Wochen Zeit, entsprechende Dokumente zu sammeln, sondern müssen akut fliehen. Viel Zeit für eine Sammlung von Beweisen bleibt da offensichtlich nicht.
Bisher hat die Bundesregierung keinen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt oder konkretisiert, wie sie sich den „Beibringungsgrundsatz“ vorstellt. Eine Analyse der Unterabteilung Europa des Deutschen Bundestags kommt aber zum Ergebnis, dass eine komplette Abschaffung des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht im Einklang mit EU-Recht stünde:
„Eine gänzliche Abschaffung von Amtsermittlungsbefugnissen bzw. eine Einschränkung, die dazu führt, dass insbesondere die allgemeine Gefährdungslage in Zielstaaten nicht mehr von Amts wegen ermittelt werden kann, stünde indes nicht im Einklang mit dem EU-Recht.” (S. 36).
Auch das Bundesverfassungsgericht machte schon mehrmals deutlich, dass die entsprechenden Behörden und Gerichte eine „Pflicht zur tagesaktuellen Ermittlung von Erkenntnissen zur Sicherheitslage in Bezug auf drohende Gefahren“ (S. 44) haben. Zusammenfassend läuft es laut heute geltender Rechtslage also schon so, wie es rechtlich maximal möglich ist. Asylbewerber:innen müssen mitwirken, Gerichte und Behörden müssen aber auch eigenständig recherchieren. Der Plan der Bundesregierung, das BAMF und die Gerichte komplett aus der Verantwortung zu ziehen, dürfte rechtlich kaum umsetzbar sein. Schon wieder möchte diese Regierung Recht brechen, um extra grausam zu sein.
5. Dobrindt will GEAS-Reform härter als nötig umsetzen
Für die nächsten beiden Punkte schauen wir auf die europäische Perspektive in Migrationsfragen. 2024 wurde vom EU-Parlament eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verabschiedet. Insgesamt kam es zu sehr vielen Neuerungen. Einen Überblick über die wichtigsten bietet der Mediendienst Integration. Jetzt muss das Paket in nationales Recht umgesetzt werden, und zwar bis spätestens Sommer 2026. Das Novum der EU-Asylrechtsreform: Asylverfahren sollen direkt an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden, um Migranten mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern.
Geringe Aufnahmechancen bedeuten, dass betroffene Asylbewerber eine höchstens 20-prozentige Anerkennungsquote in der EU haben, wie zum Beispiel Menschen aus Marokko, Tunesien und Bangladesch. Auch Migranten, die als Sicherheitsgefahr eingestuft werden, kommen ins Außenlagerverfahren. Darüber hinaus soll das Grenzverfahren auch für Menschen ohne Dokumente oder bei widersprüchlichen Aussagen bei der ersten Anhörung greifen.
Außenlagerverfahren in haftähnlichen Zuständen, auch für Familien
Obwohl sie sich auf europäischem Boden befinden, gelten Menschen in den Außenlagern juristisch als nicht in die EU eingereist. Wird kein Asyl gewährt, sollen Migranten direkt abgeschoben werden. Die Asylverfahren sollen bis zu zwölf Wochen dauern – ein Schnellverfahren mit vermindertem Rechtsschutz. Die einzige Gruppe, die von der neuen Regelung ausgenommen ist, sind unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote. Selbst Familien sind nicht ausgenommen.
Das erste Problem: Menschenrechtsorganisationen sprechen bei den geplanten Lagern von haftähnlichen Zuständen. Wird der Asylantrag abgelehnt, kommt ein bis zu drei Monate langes Abschiebegrenzverfahren hinzu. Dazu kommt, dass eine Sonderregelung greift, wenn die EU sehr hohe Ankunftszahlen von Geflüchteten verzeichnet oder wenn Geflüchtete instrumentalisiert werden.
So versuchte der belarussische Diktator Lukaschenko beispielsweise 2021, Flüchtlinge als Druckmittel gegen die EU einzusetzen. Gemäß dieser Sonderregelung dürfen dann selbst Personen aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote in den Lagern festgehalten werden. Hinsichtlich der menschenwürdigen Unterbringung an den Außengrenzen warnen Migrationsforscher vor einem Desaster. So sagte Migrationsforscher Düvell im BR: „Wir werden nicht Moria verhindern, wir werden ganz viele Morias bekommen“.
Dobrindt will sogar noch über das EU-Ziel hinausschießen
An der GEAS-Reform kann nichts mehr gerüttelt werden, die Mitgliedstaaten müssen sie in nationales Recht umsetzen. Das versucht Dobrindt zu nutzen, um eine noch härtere Gangart durchzusetzen. Zum Beispiel möchte er die Grenzverfahren in einem Pilotprojekt testen (also an den internationalen Flughäfen). Der Hauptkritikpunkt daran: Menschen mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme (zum Beispiel Schwangere, Personen mit Behinderung, Personen, die Opfer von schwerer psychischer, physischer oder sexueller Gewalt geworden sind, oder auch Minderjährige) werden nicht vom Pilotprojekt ausgenommen.
Außerdem soll es eine Wohnverpflichtung in Aufnahmeeinrichtungen geben, in denen Asylbewerber:innen unterkommen sollen, für deren Asylverfahren eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig ist („Dublin-Fälle“). Die Höchstdauer der Wohnverpflichtung soll 24 Monate betragen, bei minderjährigen Kindern und ihren Familien bis zu 12 Monate.
Regierung plant, Kinder zu „ihrem Wohl“ inhaftieren zu können
Zusätzlich sollen sehr große Eingriffe in die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden ermöglicht werden, was sogar zu einer haftähnlichen Unterbringung auch von Kindern führen würde. An einem Paragraphen zeigt sich exemplarisch, wie abgekoppelt von tatsächlichen menschlichen Bedürfnissen und Rechten der Gesetzentwurf ist, denn die Bundesregierung scheint tatsächlich der Meinung zu sein, eine Inhaftnahme von Kindern könnte in irgendeinem Szenario „ihrem Wohl dienen“:

Abgesehen davon, dass es eigentlich dem gesunden Menschenverstand entspricht, dass man Kinder nicht inhaftieren sollte, verbietet die UN-Kinderrechtskonvention jegliche Migrationshaft von Kindern.
All diese Pläne und weitere finden sich im Gesetzentwurf des Innenministeriums zur GEAS-Umsetzung wieder. Insider sagen, dass dieser bereits Anfang 2026 im Bundestag zur Abstimmung kommen könnte. Die ausführliche Analyse findest du hier:
Wenn Haft zum Normalfall wird
Wenn du dir jetzt denkst: Wie kann es sein, dass mit den neuen Regelungen wohl sehr viele Menschen in Haft genommen werden, obwohl sie nichts verbrochen haben, sondern einfach nur Schutz suchen, dann bist du damit nicht alleine. Clara Bünger, die Migrationsexpertin der Linken-Fraktion im Bundestag, sieht in dem Gesetzentwurf eine klare Abkehr vom Verhältnismäßigkeitsprinzip:
„Freiheitsbeschränkung und Haft werden zum Standardinstrument des Asylverfahrens. Es droht die Normalisierung des Ausnahmezustands.”
6. Drittstaatenmodell hat bisher nicht funktioniert – warum also daran festhalten?
Kommen wir damit zu den neuen Plänen der EU-Innenminister, an denen Dobrindt tatkräftig mitgefeilt hat. Pläne gibt es viele. Schauen wir auf die Einzelheiten und wie realistisch diese sind.
Als „großer Durchbruch“ wurde Anfang Dezember gefeiert, dass sich die EU-Innenminister darauf einigten, das sogenannte „Verbindungselement“ bei Drittstaaten abschaffen zu wollen. Grob gesagt ermöglicht das Konzept der „sicheren Drittstaaten”, das Asylgesuch einer Person automatisch abzulehnen, wenn der Asylsuchende in einem Drittstaat, der für sie als sicher gilt, internationalen Schutz hätte beantragen und erhalten können. Als „Verbindung“ zählt zum Beispiel, eine Familie in dem Land oder sich dort länger aufgehalten zu haben. Zwischenzeitlich galt in Griechenland die Türkei als „sicherer Drittstaat“. Von März 2016 bis März 2020 gab es insgesamt 2.140 Abschiebungen von den griechischen Inseln in die Türkei. Seit 2020 setzt die türkische Regierung die Rücknahme von Schutzsuchenden aus, der EU-Türkei-Deal ist somit außer Kraft. Erst dieses Jahr urteilte der Oberste Gerichtshof Griechenlands, dass die Türkei kein „sicherer Drittstaat“ ist.
Bisher sind „sichere Drittstaaten“ ohne Verbindungselement nicht möglich, sprich Asylbewerber:innen konnten nicht Drittstaaten verwiesen werden, mit denen sie überhaupt nichts zu tun haben. Das soll nun geändert werden. Sollten zukünftig Abkommen mit „sicheren Drittstaaten“ abgeschlossen werden, könnte dahin entweder eine Schutzzuweisung erfolgen (wie bei Griechenland und der Türkei), das heißt, die EU wäre überhaupt nicht mehr für die Bearbeitung des Asylgesuchs zuständig.
Oder das europäische Asylverfahren könnte in diesen Staat ausgelagert werden, ohne dass die Asylsuchenden währenddessen europäischen Boden betreten. Dies hat die postfaschistische Regierung Italiens in Albanien versucht, wurde aber von italienischen Gerichten zurückgepfiffen. Die abgeschotteten Einrichtungen in Albanien werden jetzt als Abschiebezentren verwendet, haben aber eine sehr geringe Auslastung.
Externalisierungsdeals sind teuer und machen Europa erpressbar
Auch dieses Projekt der Asylexternalisierung kann also als gescheitert betrachtet werden. Auch der UK-Ruanda-Deal platzte, da der Supreme Court das Projekt als rechtswidrig einstufte. Großbritannien wollte Asylanträge in Ruanda bearbeiten lassen – bei einem erfolgreichen Antrag wäre ein Verbleiben in Ruanda, bei einem negativen Bescheid eine Abschiebung ins Herkunftsland geplant gewesen.
Wenn Drittstaatenmodelle also bisher nicht funktioniert haben, wieso hält Dobrindt dann so stur daran fest? In Migrationsfragen scheint unrealistische und menschenfeindliche Politik immer Vorrang zu haben, solange das Narrativ des starken Hardliners aufrechterhalten wird.
„Return Hubs“: Hohe Kosten und Abhängigkeit von Drittstaaten
Als weiteren Plan gibt es noch die sogenannten „Return Hubs“ im Rahmen der neuen „Rückführungsverordnung“ der GEAS-Reform. Diese würden nicht Asylsuchende, sondern Ausreisepflichtige betreffen. Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen in einen Drittstaat abgeschoben werden, um dort entweder dauerhaft zu bleiben oder von dort aus in ihr Herkunftsland abgeschoben zu werden. Es gibt noch keine rechtlich formulierten Standards für Länder, die zu Return Hubs werden sollen.
Fest steht aber, dass die internationalen Menschenrechtsstandards und Grundsätze des Völkerrechts, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, eingehalten werden müssen. Ob sich ein Staat findet, der a.) mit der EU kooperieren möchte und b.) diese Bedingungen erfüllen kann, steht in den Sternen. Die Niederlande haben gerade mit Uganda die Errichtung eines Abschiebezentrums vereinbart. Was die Gerichte dazu sagen werden, bleibt abzuwarten.
Fest steht, dass jedes Abkommen zunächst einmal teuer ist. Zusätzlich macht sich Europa dadurch unnötig abhängig von den Regierungen potenzieller Drittstaaten. Der Sachverständigenrat für Migration und Integration weist berechtigterweise darauf hin, dass Kosten, die in Externalisierung gesteckt werden, an anderen Enden fehlen:
„Zudem sollten die hohen Kosten, die Grenzkontrollen oder gar Externalisierungsprojekte mit sich bringen, genau geprüft und gegenüber anderen, migrationspolitisch relevanten und notwendigen Maßnahmen abgewogen werden – z. B. dem Ausbau nationaler und kommunaler Aufnahmekapazitäten.” (Seite 7)
Fazit: Gemeinsame Sache von Konservativen und Rechtsextremen in der EU
Zusammengefasst stehen hinter all diesen Plänen erst einmal viele rechtliche und konzeptionelle Fragezeichen. Gepaart mit all den anderen GEAS-Regeln, die wir in Punkt 5 analysiert haben, und weiteren, über die wir noch gar nicht gesprochen haben, ist es aber sehr eindeutig, dass es Menschen quasi unmöglich gemacht werden soll, in Europa Asyl zu erhalten. Zu den Plänen sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL, dem Volksverpetzer auf Anfrage:
„Einmal mehr sind sich die EU-Staaten bei Asylfragen vor allem darin einig, wenn es um noch mehr Abschottung oder Abschreckung geht – ob bei der Auslagerung von Asylverfahren oder Abschiebungen. Offen bleibt mal wieder, welches Drittland sich eigentlich auf diese undankbare Rolle einlassen soll. Die bisherigen Beispiele haben gezeigt: Solche Deals funktionieren nie wie gedacht, sind teuer und verursachen vor allem sehr viel Leid bei den betroffenen Menschen. Deswegen haben Gerichte solche Versuche auch immer wieder gestoppt. Sollte Bundesinnenminister Dobrindt tatsächlich einen Deal für ein Abschiebezentrum außerhalb der EU schließen, dann werden wir dies mit Sicherheit vor Gericht bringen.“
Die Pläne der EU-Innenminister wurden am Mittwoch vom EU-Parlament mit einer Mehrheit von rechten und rechtsextremen Parteien abgesegnet. Es braucht also kein Verbindungselement mehr, um Asylbewerber:innen in „sichere Drittstaaten“ auslagern zu können. Es ist nicht das erste Mal, dass die europäischen Konservativen mit rechtsextremen Parteien im EU-Parlament gemeinsam abstimmen. Die europäischen Sozialdemokraten (in denen auch die SPD vertreten ist), die Grünen und Linken stimmten den Plänen nicht zu. Zumindest auf EU-Ebene sind die Sozialdemokraten stabiler als im Bundestag.
7. BAMF-Entscheidungen zu Asylanträgen von Venezolanern häufig gekippt
Blicken wir als Nächstes auf ein Land, dessen massive Wirtschafts- und Menschenrechtskrise hierzulande weniger Menschen auf dem Schirm haben: Venezuela. Doch was hat Deutschland damit zu tun? Um dies zu beantworten, schauen wir kurz auf die Hintergründe.
Acht Millionen Menschen haben seit 2017 Venezuela verlassen. Unter Diktator Maduro spitzte sich die politische Krise seit seinem Amtsantritt 2013 zu – politische Gegner werden verfolgt und verhaftet. Als 2014 die Ölpreise massiv sanken, brach die Wirtschaft des erdölabhängigen Landes ein und eine Wirtschafts- und Versorgungskrise entstand. Durch Hyperinflation können sich die meisten Venezolaner:innen grundlegende Versorgungsmittel nicht mehr leisten. Bei den meisten venezolanischen Migrant:innen handelt es sich um „survival migrants“, die Venezuela aus purer Not verlassen haben. Aber auch politische Gegner, die Verhaftung, Folter und Repression fürchten, haben das südamerikanische Land verlassen und suchen Asyl.
Die meisten Venezolaner:innen suchen im Nachbarland Kolumbien Schutz. Nach Europa gelangen aufgrund der Distanz im Vergleich viel weniger (siehe Diagramm in grün):

Dennoch stand Venezuela 2024 auf Platz zwei der Asylerstanträge in der EU mit 72 800 Anträgen. Das entspricht 8 Prozent der Erstanträge im Jahr 2024. Die meisten Venezolaner:innen stellten einen Antrag in Spanien. Dort erhalten zwar nur wenige Asyl – doch Spanien bietet vielen Schutz im Rahmen eines temporären humanitären Aufenthaltstitels.
Deutschland lehnt die große Mehrheit venezolanischer Asylanträge ab
In Deutschland sieht das anders aus. Zwar stellen nur wenige Venezolaner:innen in Deutschland einen Asylantrag (zwischen Januar und November 2025 waren es insgesamt 1.648 Asylerstanträge). Doch die große Mehrheit wird abgelehnt:
Dass die hohe Zahl abgewiesener Asylanträge oft nicht gerechtfertigt ist, zeigt eine Spiegel-Recherche. Demnach bekamen von den venezolanischen Antragstellern, die gegen eine Ablehnung klagten, 20,7 % vor Gericht recht, sprich: ein Fünftel der BAMF-Entscheidungen war rechtswidrig.
Welche Asylanträge das unter anderem sind, die das BAMF als „offensichtlich unbegründet“ zurückweist, berichtet der Spiegel exemplarisch in seiner Recherche. Ein ehemaliger Staatsanwalt aus Venezuela, der nicht mit dem Maduro-Regime kooperieren wollte, daraufhin entlassen wurde und aus Angst vor Verhaftung in Deutschland Asyl suchte mit seiner Familie, wurde vom BAMF abgewiesen. Nicht einmal subsidiären Schutz gewährte die Behörde, obwohl ein Asylanspruch nach Art. 16a GG („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) auf der Hand liegt.
Das BAMF lehnte das Asylgesuch unter anderem deswegen ab, weil er und seine Familie ja mit einem Flugzeug ausreisen konnten. So kaputt ist das System: Nur wer es schafft, auf Schlauchbooten nach Europa zu gelangen (während die EU alle legalen Fluchtrouten systematisch ausmerzt), kann ein legitimer Flüchtling sein?! Ein Verwaltungsgericht kassierte am Ende die BAMF-Ablehnung, dem Staatsanwalt muss die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden.
Das BAMF verkennt klar die Willkür, die autokratische Regime wie das venezolanische unter Maduro als systematisches Druckmittel verwenden. An einem Tag mag ein regimekritischer Staatsanwalt noch das Land verlassen dürfen, schon am nächsten könnte er eingesperrt und gefoltert werden. Von ausreichender Sicherheit kann keine Rede sein. Von weitreichender staatlicher Repression spricht nicht nur die Europäische Agentur für Asyl, sondern auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt seit 2021 zu mutmaßlichen Menschenrechtsverstößen der venezolanischen Regierung.
BAMF-Entscheidungen entgegen der gerichtlichen Spruchpraxis
Der beschriebene Fall ist bei Weitem kein Einzelfall. Dirk Tolkmitt, Richter und Sprecher des Verwaltungsgerichts Leipzig, sagte dem Spiegel, dass dem BAMF bewusst sein müsste, „dass es sehr viele Entscheidungen entgegen der Spruchpraxis der Gerichte trifft“.
Selbst wenn in vielen Fällen kein Flüchtlingsstatus zutrifft, müsste allermeistens mindestens ein Abschiebeverbot oder subsidiärer Schutz gewährt werden. Doch ein nationales Abschiebeverbot kann nur vom BAMF erlassen werden. Und da kommt Dobrindt ins Spiel, der es ja nicht einmal schafft, Aufnahmezusagen gegenüber afghanischen Schutzsuchenden einzuhalten. Es scheint daher utopisch, dass er das dem Innenministerium unterstellten BAMF anweist, bei Asylentscheidungen zu Venezolaner:innen endlich mehr der Linie der deutschen Gerichte zu folgen. Ja, richtig gelesen: Wir mussten über unseren deutschen Innenminister schreiben, dass man nicht mehr davon ausgehen darf, dass er sich in Migrationsfragen an deutsche Rechtsprechung hält.
Doch das Problem ist nicht neu. Bereits 2020 berichtete die taz, dass die Entscheidung über venezolanische Asylanträge einem Lotteriespiel gleicht und davon abhängt, welche BAMF-Außenstelle über den Antrag entscheidet. Teils beziehen die BAMF-Stellen veraltete Quellen heran. 2023 schob Sachsen nach Venezuela ab. Bei Gerichtsentscheiden zu abgelehnten Asylanträgen lässt eine einheitliche Linie zu wünschen übrig. Teilweise entscheiden Gerichte diametral unterschiedlich bei ihrer Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in Venezuela.
8. Psychosoziale Zentren werden in massive Geldprobleme gestürzt
Wir blicken wieder zurück nach Deutschland und auf den Bundeshaushalt für nächstes Jahr, der massive Kürzungen für die psychische Unterstützung von Geflüchteten vorsieht. Zum Hintergrund: Asylbewerber:innen haben in Deutschland per Gesetz keinen vollen Zugang zum Gesundheitswesen. Das regelt das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Wartezeit, bis Asylbewerber:innen vollen Zugang haben, wurde in den letzten Jahren immer weiter erhöht und liegt zurzeit bei vollen drei Jahren. In der Regel werden nur akute Krankheiten behandelt, eine psychotherapeutische Versorgung wird normalerweise nicht gewährt.
Genau da kommen die psychosozialen Zentren (PSZ) in Deutschland ins Spiel, die diesen staatlich geschaffenen Versorgungsengpass versuchen abzumildern. Die PSZ sind die einzigen spezialisierten Einrichtungen für schwer traumatisierte Geflüchtete und versorgen jährlich 30.000 Klient:innen. Nur 3,1 % des Bedarfs können sie decken. Dabei sind die PSZ kein nice to have, sondern ein essentieller Bestandteil einer ganzheitlichen Gesundheitsversorgung, wie eine Referentin der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren unterstreicht:
„Viele von uns haben erlebt, wie Klient*innen durch die Hilfe der Psychosozialen Zentren erstmals wieder Hoffnung fassen: Hoffnung darauf, dass ihre Überlebenskämpfe gesehen werden und das Unrecht, das sie erfahren haben, als falsch anerkannt wird. Für manche bedeutet das: endlich wieder schlafen können. Für andere: Vertrauen in Menschen und in Institutionen. All das ist kein Luxus – es ist überlebensnotwendig.
Doch nun sollen den PSZ die Mittel massiv eingekürzt werden:

2026 sollen den PSZ nur noch 7,1 Millionen Euro durch den Bund zur Verfügung stehen (siehe Bundeshaushalt > Familienministerium > Sonstige Bewilligungen). Nötig wären aber mindestens 27 Millionen Euro an Bundesmitteln. Mit der geplanten Kürzung könnten nur noch 0,5 % der potenziell betroffenen Personen versorgt werden. Das wäre noch unterirdischer als die sowieso schon angespannte und wenig planbare aktuelle Versorgungslage. Die Folgen sind absehbar:
„Durch die Kürzungen drohen bundesweit Aufnahmestopps und Therapieabbrüche. Die Wartelisten der verbleibenden Einrichtungen werden ins Unerträgliche wachsen, Erkrankungen chronifizieren, Krisen werden sich zuspitzen und die Versorgungslast verschiebt sich in den akutstationären Bereich, also die Notaufnahmen der Kliniken.”
Selbst aus einer rein ökonomischen Sicht sinnvoll
Wem das Argument noch nicht ausreicht, dass durch psychosoziale Zentren das Leid von Menschen gemildert werden kann: In PSZ zu investieren hat sogar ökonomische Vorteile. Durch Präventionsarbeit werden in Zukunft Kranken- und Rentenversicherung entlastet und Arbeitgebern stehen produktivere Arbeitnehmer zur Verfügung, was gut für die Wirtschaft ist. Forschende gehen davon aus, dass jeder Euro, der in die psychosoziale Versorgung Geflüchteter investiert wird, 2,5 bis 3 Euro an volkswirtschaftlichem Gewinn generieren kann.
Schauen wir uns dafür die Kosten psychischer Erkrankungen genauer an:

Klar ist, dass indirekte Kosten und insbesondere intangible Kosten, also schwer monetarisierbare Kosten in Form von verminderter Lebensqualität bei Betroffenen, grundsätzlich schwer messbar sind. Die 2,5 bis 3 Euro volkswirtschaftlicher Gewinn pro Euro Investition beziehen sich übrigens nur auf die Verminderung von Produktivitätsausfällen. Der positive Effekt von Investitionen in die Behandlung psychischer Erkrankungen auf die Sozialversicherungen wurde da noch gar nicht berücksichtigt. Nochmal erhöhen würde sich die Rendite von Investitionen in psychische Gesundheit bei Berücksichtigung der intangiblen Kosten (s. Bericht S. 40).
Selbst wenn die Menschen hinter den einzelnen Verwaltungsakten Dobrindt & Co. egal sind, wären sie gut beraten, die Bundesmittel für die psychische Gesundheitsversorgung von Geflüchteten deutlich zu erhöhen.
9. UN-Sozialausschuss: Leistungsausschluss gefährdet soziale Menschenrechte
Wir bleiben noch bei der Versorgung von Geflüchteten und schauen auf die aktuellen Auswirkungen eines Ampel-Relikts, dessen Konsequenzen Dobrindt sogar noch verschärfen will.
Ein Überbleibsel aus der Ampel-Zeit ist das sogenannte „Sicherheitspaket“. Unter anderem ist dort vorgesehen, dass Asylbewerber:innen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, bevor sie nach Deutschland kamen, Sozialleistungen komplett gestrichen werden können. Was steckt dahinter? Die Dublin-III-Regelung sieht vor, dass das EU-Land, in dem ein Asylbewerber als Erstes ankommt, auch für das Asylverfahren zuständig ist.
Von den Leistungskürzungen sind also Menschen betroffen, die zuerst in einen anderen Mitgliedstaat der EU eingereist und dann nach Deutschland weitergereist sind. Die Ampel hat einen Leistungsausschluss für diejenigen Dublin-Ausreisepflichtigen möglich gemacht, bei denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreise für „rechtlich und tatsächlich möglich“ hält, wie die Tagesschau schreibt.
Daran gab es von Anfang an Kritik und Zweifel an der Verfassungskonformität. Auch wir analysierten damals:
Sozialgerichte: Leistungsausschluss ist rechtswidrig – Dobrindt legt noch eins drauf
Doch aller Kritik zum Trotz ist die Regelung weiter in Kraft. Bereits 75 Sozialgerichte urteilten, dass der Leistungsausschluss in Dublin-Fällen unzulässig ist (Stand Ende November 2025). Und was macht die Regierung? Sie schaut einfach weiter weg, auch wenn seit mehr als einem Jahr Rechtsbruch mit Ansage begangen wird. Nicht genug: Im Gesetzesentwurf zur GEAS-Anpassung werden Leistungskürzungen sogar weiter ausgeweitet (mehr zu GEAS siehe Punkt 5).
Doch es gibt eine gute Nachricht: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte macht von einer Möglichkeit Gebrauch, die bislang niemand nutzte. Sie legte eine Individualbeschwerde beim Sozialausschuss der Vereinten Nationen ein. Sie vertritt einen Menschen, dessen Geschichte hier nicht zu kurz kommen darf:
„Gemeinsam mit einem zwanzigjährigen Betroffenen aus Thüringen, führen wir ein Verfahren gegen den Leistungsausschluss. Er ist aus Syrien vor dem Krieg geflohen und über Malta in die EU eingereist. Im Sommer letzten Jahres ist er in Deutschland angekommen, wo drei seiner Tanten leben. Nach der Ablehnung seines Asylantrags, weil nach EU-Recht allein Malta darüber entscheiden darf, wurden ihm die Sozialleistungen vollständig gestrichen. Ob es ihm tatsächlich möglich ist auszureisen, hat die Behörde hierbei nicht geprüft.
Mitte Februar musste er die Unterkunft verlassen und seine Gesundheitskarte abgeben. Seitdem ist er obdachlos. Er lebt von Spenden von Freunden und Freiwilligen, die jedoch nicht verhindern können, dass er nachts oft keinen sicheren Ort zum Aufenthalt hat. In einer Gemeinde, in der über 40 % bei der letzten Bundestagswahl die AfD gewählt haben, ist die Situation für einen Geflüchteten besonders belastend und angsteinflößend. Er hat oft tagelang nichts zu essen, keine ausreichend warme Kleidung für die zunehmend kälteren Nächte und keinen Zugang zu Waschmöglichkeiten – eine Situation, die ihn körperlich und seelisch stark belastet. Es widerspricht seinem Selbstverständnis, auf Spenden angewiesen zu sein, jedoch sieht er keinen Ausweg.”
UN-Sozialausschuss schritt noch während des laufenden Verfahrens ein
Noch während des laufenden Verfahrens vor dem UN-Sozialausschuss erzielte die GFF einen Etappensieg. Deutschland muss dem Mann vorläufig existenzsichernde Leistungen gewähren. Über die Beschwerde als solche hat der UN-Sozialausschuss noch nicht entschieden, doch sowohl die Rechtslage als auch die praktische Umsetzung einiger Behörden sind bereits derart fatal, dass er sich gezwungen sah, noch während des laufenden Verfahrens einzuschreiten.
10. Pflichtanwalt in Abschiebehaft wurde abgeschafft
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit gab es noch Anfang Dezember eine erneute Verschärfung des Asylrechts. Zusammen mit der neuen Regelung, dass „sichere Herkunftsstaaten“ nun per Rechtsverordnung festgelegt werden können und damit die bisher nötige Zustimmung des Bundesrats entfällt, wurde im selben Gesetz auch gleich noch der Pflichtanwalt für Menschen in Abschiebehaft abgeschafft.
Dieser war Teil des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ der Ampelregierung. Er sorgte dafür, Rechte eines Menschen in Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam geltend zu machen.

Die Abschaffung ist fatal. Rund 50 % der untersuchten Haftbeschlüsse erweisen sich seit Jahren bei juristischen Überprüfungen als rechtswidrig. Aus gutem Grund haben Menschen in Abschiebehaft, was ja sowieso schon ein einschneidender Grundrechtseingriff ist, rechtliche Unterstützung.
Weil Pflichtanwälte also bitter benötigt werden, werden sie jetzt wieder abgeschafft? Weil Abschiebehaft so oft rechtswidrig ist, geben wir Menschen in Abschiebehaft keinen juristischen Beistand mehr, damit eine rechtswidrige Maßnahme beendet werden kann? Was ist denn das für eine zynische Logik? Rechtswidrige Abschiebehaftbeschlüsse werden nun also von der Regierung nicht nur geduldet, sondern es wird noch weniger dagegen getan. Eine umfassende juristische Analyse findest du hier:
Abschiebehaft-Anwalt verhindert keine Abschiebungen!
Dobrindt behauptete wahrheitswidrig, durch das Gesetz könnten Abschiebungen beschleunigt werden:

Dieser Fake hat es sogar in die Begründung des Gesetzentwurfs geschafft:

Explizit sitzt der Bundesinnenminister damit dem Fake auf, dass Abschiebungen von den Pflichtanwälten in Abschiebehaft verhindert oder verlangsamt würden. Doch ein Pflichtanwalt in Abschiebehaft verhindert keine Abschiebungen! Er oder sie würde dem Abzuschiebenden lediglich helfen, aus der Abschiebehaft herauszukommen, sofern sie rechtswidrig ist. Was sie ja in jedem zweiten Fall ist, wie wir oben gesehen haben. Ein Pflichtanwalt kann aber die Abschiebung NICHT verhindern, da er oder sie nur im Verfahren der Abschiebehaft beteiligt wird, nicht im Verfahren der Abschiebung selbst. Zwei komplett unterschiedliche Dinge, die (bewusst?) vermischt werden.
Schon als es den Pflichtanwalt bei Abschiebehaft noch gab, kam es laut einer Analyse der Uni Hamburg, die Volksverpetzer vorliegt, zu Problemen bei der Implementierung. Die Autor:innen werteten mehrere Interviews mit Pflichtanwält:innen und Richter:innen aus, die beispielsweise die Auswahl der beigeordneten Richter:innen bemängeln. Oftmals würden Gerichte insbesondere Anwält:innen auswählen, von denen sie wenig „Probleme erwarten“.
Außerdem gäbe es zu wenige Anwält:innen, die auf Abschiebungshaftrecht spezialisiert sind. Doch bei spezialisierten Pflichtanwält:innen wäre der Rechtsbeistand in Abschiebehaft definitiv sinnvoll, so die Autor:innen. Umso dramatischer, dass er bei der abartig hohen Fehlerquote von Abschiebungshaftbeschlüssen wieder abgeschafft wurde.
Fazit: Zivilgesellschaft versucht zu löschen, was Dobrindt befeuert
Ich bin ehrlich: Bei dieser Vielzahl an Versagen, die unser Innenminister an den Tag legt, und keinerlei Verantwortung übernehmen möchte für das Ausmaß an Unmenschlichkeit und teils rechtswidriger Politik, bleiben nicht viele Optionen, um diesen Artikel zumindest mit einem Mindestmaß an Hoffnung zu schließen. Doch ein Aspekt darf hier nicht zu kurz kommen: Wie schon seit Jahren ist es die deutsche Zivilgesellschaft, die für jedes Fünkchen Menschlichkeit unbeirrt und mutig weiterkämpft, allen politischen Widrigkeiten zum Trotz.
Aufgrund des aktuellen Anlasses möchte ich an dieser Stelle das Bündnis „Kabul Luftbrücke“ hervorheben, das sich unermüdlich dafür einsetzt, dass alle Afghan:innen mit Aufnahmezusage, die von unserer Bundesregierung im Stich gelassen wurden, nach Deutschland ausreisen können. Über Spenden versucht „Kabul Luftbrücke“, Anwält:innen zu finanzieren, um Afghan:innen auf dem Rechtsweg zu ihrer Ausreise aus Pakistan zu helfen.
Die andauernden Versuche, es Asylsuchenden so schwer wie möglich zu machen, sind nicht neu, wie wir hier schon ausführlich analysiert haben:
Neu ist aber das Tempo, in dem es der Innenminister schafft, AfD-Migrationspolitik zu machen, ohne dass die AfD an der Regierung sein muss. Dass dies wie ein Bumerang wirkt, ist mehr als offensichtlich. Bezahlen müssen am Ende diejenigen, die am eigenen Leib erfahren, wie heuchlerisch Deutschland in Migrationsfragen geworden ist.
Das „C“ in CDU/CSU steht schon lange nicht mehr für „christlich“. Dessen sollten wir uns nicht nur, aber insbesondere kurz vor Weihnachten, einmal mehr bewusst werden.
Artikelbild: Michael Kappeler/dpa

