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Lampedusa, Libyen, Waffenverkäufe? 4 Fake News über Carola Rackete

von | Jul 2, 2019 | Aktuelles, Analyse

4 Fake News über Carola Rackete

Die Kapitänin der „Sea Watch 3“, Carola Rackete, wurde am Wochenende in Italien verhaftet. Sie hatte 53 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Als lediglich 13 aus medizinischen Gründen aufgenommen worden waren und sie in Lampedusa eine Hafensperre erhalten hatte, widersetzte sie sich und fuhr dennoch ein. Bei Landung wurde sie verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Das Ereignis wird viel diskutiert und dabei oft mit Falschdarstellungen und Lügen vermengt. Wir klären vier davon auf.



1. Ihr Vater verkauft keine Waffen

Wie auch bei Mimikama berichtet, wird derzeit eine Grafik geteilt, die Rackete „Doppelmoral“ unterstellen soll, da ihr Vater angeblich Geld mit Waffenverkäufen verdienen soll. Ihr Vater, Ekkehart Rackete, 74, ist pensionierter Oberstleutnant der Bundeswehr und Ingenieur. Er ist wirklich Senior Consultant, also Berater, bei einem Unternehmen namens Mehler Engineered Defence GmbH. Dieses Unternehmen stellt jedoch keine Waffen her, sondern ausschließlich Materialien zum Schutz von Menschen vor Munition und Granatsplittern etc wie kugelsichere Westen oder Uniformen für Bomben-Entschärfer (Quelle).

Ihr Vater ist also nicht nur nur Berater, die Firma entwickelt auch keine Waffen, sondern im Gegenteil, Produkte die vor Waffen schützen sollen. Außerdem ist es natürlich Unsinn, die Tätigkeit ihres Vaters, wofür sie nichts kann, mit Carola Rackete in Verbindung zu bringen. Es ist nur ein Versuch, durch Sippenhaft und noch dazu mit Falschdarstellungen Rackete zu diskreditieren. Also um die Frage zu beantworten, ob es „Nebensache ist und nichts mit Doppelmoral zu tun“ hat: Ja!

2. Rackete hätte die geretteten nicht nach libyen bringen können

Wenn sich ein Flüchtlingsretter wie die „Sea Watch 3“ bei der MRCC Rom, der Seenotrettungsstelle für die Seegebiete um Italien meldet, um zu erfahren, was sie mit den Geretteten tun soll, wird normalerweise ein Hafen vermittelt, den sie anfahren kann. Ihr wurde der Hafen in Tripolis zugewiesen, der darüber hinaus auch näher war als Lampedusa. Einige schlussfolgern hieraus, dass sie die Menschen doch auch nach Libyen hätte bringen können. Das ist aber falsch.

Trotz der Zuweisung der MRCC ist es Rackete völkerrechtlich untersagt gewesen, die Geretteten nach Libyen zu bringen (Mehr dazu). Libyen ist ein failed state, in welchem systematisch Menschenrechtsverletzungen und Folter betrieben werden. Es ist verboten, Geflüchtete dorthin zu bringen. Deutschland hat ebenfalls eine Reisewarnung für Libyen ausgegeben. Rackete hätte also die Geretteten nicht nach Libyen bringen können. Für Tunesien ist die Situation ähnlich.

3. durfte nicht in lampedusa einlaufen

Das ist technisch gesehen richtig. Sie hatte von den Behörden in Lampedusa eine Hafensperre erhalten, nach Anweisung des rechtsextremen Innenministers Salvini. Die Frage ist allerdings, ob das überhaupt legal war. Denn das Gesetz setzt sich über das internationale Seerecht zur Rettung Schiffbrüchiger hinweg und überschreitet die Kompetenzen des italienischen Innenministers.

Italien hätte Rackete einen sicheren Hafen zuweisen müssen. Frankreich reagierte nach Angaben der Seenotretter nicht auf Anfragen, Malta lehnte ab. Das Anfahren von Deutschland oder den Niederlanden (deren Flagge das Schiff hisst) ist eine weltfremde Suggestion, da das Schiff überhaupt nicht für so eine Reise ausgestattet ist und selbst zum Seenotfall geworden wäre. Italien war also als Anlegehafen alternativlos.

4. Weniger Seenotrettung führt zu mehr Toten, nicht zu weniger Flucht

Es ist ein Mythos, dass es so etwas wie einen „Pull-Faktor“ gibt oder dass die Menschen nur auf das Meer flüchten, weil sie Rettung erwarten. Mehrere wissenschaftliche Studien haben eindeutig bewiesen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Präsenz ziviler Seenotretter und der Zahl der Flüchtenden gibt, was man auch daran sieht, dass 10.000 Menschen ertrunken sind, bevor zivile Seenotretter ausliefen (Mehr dazu). Und auch weiterhin sterben, auch wenn die Seenotrettung quasi eingestellt worden ist. So sterben laut UNHCR durchschnittlich sechs Menschen täglich beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren.

Es ist auch naiv, da die Menschen vor Krieg, Tod, Hunger, Folter und Vergewaltigung fliehen und das Risiko, egal wie groß, keine Rolle spielt. Weniger Seenotrettung führt zu mehr Toten, nicht zu weniger Fliehenden. Oft ist es auch so, dass Flüchtende von libyischen Warlords einfach auf dem Meer ausgesetzt werden, sobald diese ausgeraubt und/oder vergewaltigt worden sind und keinen Gewinn mehr bringen. Diese echten Schlepper setzen die Menschen sogar gegen ihren Willen auf dem Meer aus, völlig unabhängig von den Rettungschancen.

Fazit

Natürlich hat Rackete beim Einlaufen in Lampedusa widerrechtlich gehandelt. Aber das hätte sie auch, wenn sie die Geretteten zurück nach Libyen gebracht hätte, oder in irgendeinen anderen Hafen. Und selbst wenn sie sie im Meer hätte ertrinken lassen, hätte sie auch gesetzeswidrig gehandelt. In jedem Szenario hätte sie eine Straftat begangen. Nur in diesem haben die Geretteten überlebt und sind in Sicherheit. Das liegt daran, dass Seenotrettung von den europäischen Regierungen und insbesondere von Italien absichtlich juristisch behindert wird, sodass Seenotretter wie die Sea Watch 3 gezwungen werden würden, Menschen ertrinken zu lassen.

Unabhängig von seiner politischen Ausrichtung, muss jeder zugeben, dass diese Situation rechtlich und humanitär unmöglich ist. Eine Lösung wäre ein gesamteuropäisches System der Verteilung und Aufnahme von den lediglich paar hundert Geretteten jeden Monat, denn es ist richtig, dass Italien nicht mit den Geflüchteten allein gelassen werden soll. Doch unter anderem Italien selbst ist es, das sich gegen eine EU-Lösung ausspricht, die es entlasten würde. Es ist eine paradoxe Politik, die Menschenleben kostet.

Zum Thema: Bericht eines Seenotretters

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Artikelbild: Screenshot SeaWatch