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„Under His Wings“: Der Heilige Krieg religiöser Gruppen gegen trans Menschen

von | Mrz 23, 2023 | Analyse

„Gott gilt die Ehre!!“ Mit diesen Worten feierte Margaret Clarke im März 2020, dass Idaho ein Verbot für die Teilnahme von trans Personen an Sportveranstaltungen und die Abänderung von Geburtsurkunden erwachsener trans Menschen verabschiedet hatte. Die E-Mail richtete sich an einen Verteiler, über den nach einem Leak zunächst Mother Jones berichtet hatte. Die mehr als 2600 E-Mails, die in dem Verteiler verschickt wurden, lassen die enge Zusammenarbeit zwischen Organisationen der politischen und religiösen Rechten wie der Alliance Defending Freedom, TERFGruppierungen wie der Women’s Liberation Front und mit Republikanischen Politikern wie dem Abgeordneten Fred Deutsch erkennen, der eine zentrale Rolle beim Austausch spielte, bei dem Versuch, die Rechte von trans Menschen auf Bundesstaatsebene massiv zu beschneiden.

Die ADF spielt auch in Anti-Abtreibungs-Fällen mit – sie steckt beispielsweise hinter dem Dobbs-Fall, der zur Aufhebung des Grundsatzsurteils zum verfassungsrechtlichen Schutz auf Abtreibung, Roe v. Wade, führte, und versucht gerade vor Gericht das Verbot des Abtreibungsmedikaments Mifepriston zu erwirken. Die geleakten E-Mails zeigen, wie Erin Reed, eine Reporterin, Aktivistin und trans Frau beschreibt, dass nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern ein rechtsreligiöses, fundamentalistisches Weltbild Motivation und Grundlage der Bestrebungen sind, trans Menschen aus dem öffentlichen Leben zu verbannen.

Mail-Verteiler belegt intensiven Austausch unter anti-trans-Aktivisten

Der E-Mail Verteiler ist ein Who is Who des anti-trans Aktivismus in den Vereinigten Staaten. Da sind zum Beispiel Vertreter der katholischen pro-Conversion Therapy-Gruppierung Courage International. Zur Einordnung: Die von Nathanael Liminski, heute Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien in NRW, 2005 gegründete Initiative Pontifex, damals noch unter dem Namen Generation Benedikt, verweist auf ihrer aktuellen Website auf die US-Gruppierung „Courage International“ als „best practice“-Beispiel in Sachen LGBTQ-Themen.

Weiterhin finden sich im Mail-Verteiler die Society for Evidence Based Gender Medicine, das National Catholic Bioethics Center und die Catholic Medical Association, sowie die Alliance Defending Freedom (ADF). Während einige dieser Organisationen ihre religiöse Affiliation schon im Namen tragen, haben auch neutral klingende Organisationen wie beispielsweise das American College for Pediatricians ein gemeinsames Ziel: Transfeindlichkeit verbreiten. Im Verteiler finden sich neben der ADF auch andere Vertreter*innen von LGBTQ-feindlichen Gruppierungen wie der Women’s Liberation Front, dem von Phyllis Schlafly gegründeten Eagle Forum, dem Liberty Counsel und dem American Principles Project.

Trans feindliche Gesetzgebung mit Gottes Hilfe?!

Aber was ist eigentlich das Ziel des intensiven Austauschs per E-Mail? Neue Wege zu finden, Menschen in medizinischen Berufen dafür zu kriminalisieren, dass sie ihren trans Patient*innen die Best Practice Gender affirming Gesundheitsversorgung zukommen lassen? Immer wieder wird dabei Gottes Hilfe beschworen und zum Gebet aufgerufen, damit die trans feindlichen Gesetzesentwürfe Erfolg haben. So schreibt beispielsweise die Abgeordnete Julianne Young aus Idaho an die frühere Direktorin des American College of Pediatricians, Michelle Cretella, und bittet um Unterstützung für ein Verbot der Angleichung von Geburtsurkunden: „Jetzt Gebete für den Gouverneur und seine Mitarbeiter!“

„Und die Fürbitter beten. Bitte nehmt uns und die Abgeordnete Ginny Earhart in eure Gebetsteams im ganzen Land auf“, schrieb Vernadette Broyles, Direktorin der transfeindlichen Child & Parental Rights Campaign, die Florida Gouverneur Ron DeSantis bei seinem LGBTQ-feindlichen „Don’t Say Gay“-Gesetz beraten hat. Eine der Antworten: „Lasst die Spiele beginnen.“ Broyles verschickte ein Propaganda-Paket, das sich unter anderem an Eltern richtete, mit den Worten: „Gebt diese Informationen an eure Gesetzgeber weiter und verbreitet sie so weit wie möglich mit Verbündeten. Wir hoffen, dass sie zu Waffen in den Händen vieler Kämpfer werden!“

„Spiritual warfare“: Krieg gegen die trans Bevölkerung

Wieder und wieder finden sich Aufforderungen zum Gebet im Sinne der „spiritual warfare“, der „geistigen Kriegsführung“, samt Bezug auf entsprechende Bibelstellen. Elisa Rae Shupe, die erste Person, die 2016 in den USA die rechtliche Anerkennung als Person nicht-binären Geschlechts erhalten hatte, ließ sich nach Zweifeln an ihrer Entscheidung in die Kampagne einbinden und schrieb in einer Mail: „Ich habe heute für dich und die anderen, die das Gesetz unterstützen, gebetet. Habe Gott gebeten, euch alle für den Kampf in die Rüstung Gottes zu hüllen.“ Shupe spielt hier auf eine für die spiritual warfare zentrale Bibelstelle an. 

Shupe war zu diesem Zeitpunkt detransitioned, und als anti-trans Aktivistin aktiv. Heute, nach ihrer re-Transition, hat sie dem fundamentalistischen Christentum abgeschworen und sich nach Vice-Informationen für ihre Rolle in der geheimen Gruppierung entschuldigt. Shupe hatte die 2600 E-Mails an die Presse geleakt, um die Rolle der geheimen Gruppe, deren Teil sie selbst war, öffentlich zu machen. Die Gruppen, an deren Seite sie gegen die Rechte von trans Menschen gekämpft hatte, hatten ihr gezeigt, dass das Leiden – religiöse Konversionstherapie zeigte keine Wirkung (denn die gibt es nicht), ihrer Verbündeten ihnen egal war

„Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass mein intensives Leiden radikalen und gender-critical Feministinnen, Konservativen und religiösen Gruppen nichts bedeutet hat. Diese Tatsache sollte als warnendes Beispiel für andere dienen, die sich auf eigene Gefahr mit diesen Gruppen einlassen wollen. Wenn ihr das tut, werdet ihr einfach zu einem nützlichen Idioten: ein Spielball in ihrem gefährlichen Krieg gegen die trans Bevölkerung. Und euer Handeln wird euch daran hindern, die geschlechtsangleichende medizinische Versorgung zu erhalten, die ihr höchstwahrscheinlich zur Behandlung eurer Geschlechtsdysphorie benötigen werdet.

Ich habe diesen Beitrag auch verfasst, um hoffentlich zu verhindern, dass diese Gruppen mich weiter als Spielfigur in ihrem bösartigen Krieg gegen die Transgender-Gemeinschaft benutzen, sei es auf gesetzgeberischer oder anderer Ebene. Fürs Protokoll: Ich habe mich formell von meinen früheren Verbindungen und meiner Zugehörigkeit zu radikalen und geschlechterkritischen Feministen, Konservativen und religiösen Gruppen losgesagt.“

Religiöser Fundamentalismus trifft rechten Hass

Biblische Bezüge begegnen einem bei der Lektüre der E-Mails häufig. So schreibt zum Beispiel Dr. Patrick Lappert, Diakon und Mitglied der rechtskatholischen und LGBTQ-feindlichen Gruppe Courage: “Lobt Gott! Fünf glatte Steine und ein fester Glaube in Seine Gerechtigkeit!” Die “fünf Steine”, von denen er schreibt, beziehen sich auf die Geschichte von David und Goliath – implizierend, dass Lappert sich und seine Mitstreiter*innen und ihre menschenfeindliche Agenda als Underdog gegenüber angeblich so mächtigen trans Menschen sieht – hier schwingt der Verschwörungsmythos einer allmächtigen “trans Lobby”, gegen die gekämpft werden müsse, mit. 

Gleichzeitig wird deutlich, wie eng sich die Anti-trans-Aktivisten über Bundesstaatsgrenzen hinweg auch zeitlich untereinander abgestimmt haben, was den richtigen Zeitpunkt für die Vorstellung von trans Health Care-Verboten für Teenager angeht, wie eine E-Mail von Margaret Clarke vom Eagle Forum in Alabama zeigt. Immer wieder tauschen sich die Mitglieder des E-Mail-Verteilers darüber aus, wie man Sprache in Gesetzesvorschlägen so verwendet, dass trans Menschen komplett die Existenz abgesprochen wird. Auch hier zeigt sich wieder die so oft offen vorgetragene genozidale Agenda von transfeindlichen Akteuren: trans Menschen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. 

Bob Sullivan, ein Anwalt, der Detransitioners in Behandlungsfehler-Fällen vertritt, schrieb, er könne Politiker*innen durch sein katholisches Beziehungsnetzwerk mit transfeindlichen Expert*innen vernetzen:

„Ich habe vielleicht Zugang zu einigen Experten, die ein Nicht-Katholik und ein Nicht-Christ nicht kennen würde. Die Experten sind vielleicht nicht katholisch, aber die einzige Möglichkeit, sie zu finden, ist die Vernetzung mit katholischen Ärzten. Der durchschnittliche Psychologe, Psychiater oder Arzt wird keinen Finger rühren wollen, um dir zu helfen. Ich denke, ich könnte dir in dieser Hinsicht eine große Hilfe sein. Ohne Experten, die bereit sind, zu sagen, dass Ärzte es versäumt haben, den richtigen ,Standard der Pflege’ zu bieten, hast du keinen Fall.“

Er stellte sich in der E-Mail der früheren Detransition-Aktivistin Shupe als „frommer Katholik, der das Königreich Gottes aufbauen will“ vor, und schrieb, er würde aggressiver sein, als ein Anwalt, der nicht verstehe, wie „böse“ „Gender Ideologie“ sei. 

2023: Das Jahr mit den meisten Anti-trans-gesetzen aller Zeiten. Im März.

Die Abgeordnete Clarke ermutigte 2020 ihre Mitstreiter, nicht aufzugeben, nachdem ein Versuch des Abgeordneten Deutsch gescheitert war, in South Dakota das Verbot von gender affirming Gesundheitsversorgung durchzusetzen. 

Fred Deutschs Gesetzentwurf, der den Namen „Vulnerable Child Protection Act (VCPA)“ trug, war nach den Zeugenaussagen von Mediziner*innen im Kongress von South Dakota abgelehnt worden und damit gescheitert. Deutsch hatte sich bereits zuvor einen Namen als einer der ersten Abgeordneten gemacht, der in North Dakota versuchte, anti-trans Gesetzgebung durchzusetzen. Er hatte schon Jahre 2016 eine der sogenannten „Bathroom Bills“ vorgestellt, die auf Modellgesetzgebung der Alliance Defending Freedom basierten – auch dieses Vorhaben war gescheitert. Doch Clarke lobte ihn: „Bitte sag nicht, dass die Bemühungen in South Dakota gescheitert sind! Du hast erfolgreich zahllose VCAP (sic) Bemühungen im ganzen Land inspiriert, ermutigt und beraten. Du hast die ideale Zeugenliste erstellt, der wir immer noch in unseren einzelnen Staaten folgen. Und, am wichtigsten, du hast uns miteinander verbunden. Das ist erst der Anfang.“  Sie sollte Recht behalten.

„In der Tat hat sich Deutschs Gesetzentwurf als einflussreich für die jüngste Welle der Anti-LGBTQ-Gesetzgebung erwiesen. In dieser Legislaturperiode haben mindestens 18 Staaten Gesetzentwürfe vorbereitet, die Formulierungen enthalten, die dem Text des Gesetzes zum Schutz gefährdeter Kinder sehr ähneln. Die durchgesickerten E-Mails zeigen, wie Deutschs Vorschlag den Befürwortern der nationalen Bewegung zur Einschränkung der geschlechtsspezifischen Betreuung dabei geholfen hat, einen Leitfaden für ihre inzwischen üblichen Angriffe zu erstellen.“

Madison Pauly in Mother Jones.

2023 ist jetzt schon als Jahr mit den meisten eingebrachten anti-trans Gesetzen in die Geschichtsbücher der USA eingegangen – dabei haben wir erst März. Bereits jetzt liegen auf Bundesstaatsebene über 300 Gesetze vor, die darauf ausgerichtet sind, die Rechte von trans Menschen massiv zu beschränken. 

Religiös-kriegerische Rhetorik

Wieder und wieder fällt die religiöse Sprache auf – Eunie Smith vom Eagle Forum schreibt: „Danke an alle und jeden, (ich) warte auf weitere Marschbefehle des guten Herrn in Seinem Timing.“ Immer wieder wird kriegerische Rhetorik genutzt. So schreibt Vernadette Broyles, Anwältin für Jamie Reed: „Gelobt sei Gott!! Und wir annullieren jeden Auftrag für einen Gegenschlag gegen dich und diejenigen, die dir zur Seite stehen. Mögest du den tiefen Schlaf eines Menschen schlafen, der gut für das Richtige gekämpft hat.“ Eine ihrer Betreffzeilen lautet: „Heute schlagen wir die Schlacht in South Dakota“, gefolgt von:

„Wisse, dass viele für dich gebetet haben und heute noch beten. Zieht euch nicht zurück und habt keine Angst. Wisst, dass der Herr mit euch ist. Die Kinder von South Dakota gehören zu ihm. Er eifert um sie. Lasst seinen Eifer heute im Repräsentantenhaus verkündet werden, damit seine Kinder sicher sein werden. Du bist heute SEIN Abgeordneter. Habe keine Angst, stehe fest in dem, was richtig ist“. 

Die Sprache, durchzogen von kriegerischen Bezügen, ist typisch für Weißen, Christlichen Nationalismus, erklärt der Historiker Thomas Lecaque, dessen Schwerpunkt auf christlicher Apokalyptik und religiöser Gewalt liegt:

„Die Rhetorik des Heiligen Krieges in den E-Mails ist besorgniserregend, aber nicht wegen der spezifischen Rhetorik darin – die ist christlich-nationalistische Standardkost. Die größere Sorge ist, dass die Rhetorik des Heiligen Krieges in allen christlich-nationalistischen Bereichen existiert und ihre Aktivitäten in allen Bereichen miteinander verbindet: Antitrans-Gesetzgebung, antisemitische Dog Whistles, Behauptungen von Wahlbetrug, Verbot von Büchern, Pro-Miliz, Pro-6. Januar und Pro-Waffen-Rhetorik, die ständige Verteidigung von Trump trotz seiner fehlenden Moral, seiner Politik und seiner juristischen Schwachstellen. Alles lässt sich rechtfertigen, wenn man das Werk des Herrn tut, und das schließt die Leichenberge ein, die historisch gesehen zurückgelassen werden.“

Apokalyptische Sprache

Die apokalyptische Linse, durch die viele dieser Akteur*innen die Welt wahrnehmen, verstärkt die empfundene Dringlichkeit ihrer Handlungen, erklärt Lecaque, auch was die genozidale Zielsetzung der anti-trans Bewegung angeht:

„Die apokalyptischen Motive sind der Schlüssel dazu, warum diese Leute an allen Fronten Druck ausüben. Wenn wir uns in der Endzeit befinden, wenn Armageddon nahe ist, dann werden die beiden Themen ‘Reinigung’ und ‘Ausrottung’ immer dringlicher, und zwar an allen Fronten. Und die Tatsache, dass es 2.000 Jahre eschatologischer Anxiety gibt, ändert nichts an der Tatsache, dass jede Generation denkt, dass jetzt die Zeit sei, das Reich Gottes zu bringen – und das ist es, was die Leute versuchen zu tun.“

Als Michelle Cretalla, die Präsidentin des American College of Pediatrics, erfährt, dass in Wisconsin die staatliche Krankenversicherung gender affirming-Gesundheitsversorgung abdeckt, schreibt sie: „Der Teufel schläft nie. Ich bete mehr und mehr für die Wiederkunft des Herrn.“ Eine Grußformel, die in den 2600 E-Mails auftaucht, lautet „Under His Wings“. Sie erinnert an Handmaid’s Tale, die erfolgreiche Netflix-Serie nach Margret Atwoods gleichnamigem Roman. In Margaret Atwoods Roman lautet die Grußformel im totalitären Staat Gilead Under His Eye. „Under His Wings“ bezieht sich auf Psalm 91:4.

Anti-Trans-Gesetze sind faktenwidrig, basieren auf Hass

Erin Reed, die seit Jahren die Bestrebungen von trans feindlichen Akteuren in Bundesstaaten beobachtet, ihre Ideologie in Gesetzesform zu gießen, fasst den Informationsgehalt der E-Mails so zusammen:

„Während wir bisher nur behaupten konnten, zu wissen, dass diese Gesetzesentwürfe in völliger Unkenntnis von Pflegestandards und Beweisen verfasst wurden, haben wir nun eindeutige Beweise. Die gleichen Ideen, die in diesen E-Mails im Jahr 2019 entworfen wurden, werden nun im Jahr 2023 landesweit in Gesetzesform gegossen und auf die transgender-Gemeinschaft ausgerichtet, und trans Menschen zahlen den Preis, der in diesen Gesprächen genannt wird. Die anti-trans Gesetze basieren nicht auf Unkenntnis der medizinischen Faktenlage, sondern auf der religiös begründeten Leugnung derselben – und der willigen Inkaufnahme des Todes von trans Menschen.“

Bei den Gesetzesvorhaben auf Bundesstaatsebene handelt es sich nicht um das Ergebnis einer organisch gewachsenen Graswurzel-Bewegung, sondern um die koordinierte Attacke rechtsreligiöser Gruppen auf die Menschenrechte von trans Personen – basierend nicht auf Wissenschaft, sondern entgegen der Wissenschaft, auf einer fundamentalistischen Auslegung des Christentums.

Wenn ihr mehr darüber erfahren wird, wie auch in Deutschland transfeindliche Narrative von einflussreichen Akteuren wie dem Axel-Springer-Verlag gepusht werden, könnt ihr hier weiterlesen:

Artikelbild: Victor Moussa