16.940

Bauern: Dafür steht die Schwarze Fahne der Landvolkbewegung auf den Traktoren

von , | Jan 10, 2024 | Analyse

In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, aber auch in allen anderen Bundesländern demonstrieren die Landwirt*innen gegen die Kürzungsvorhaben der Bundesregierung bei der Agrarsubvention. Straßen werden blockiert und Traktoren mit Schildern behängt. Inzwischen versuchen auch zunehmend extrem rechte Gruppen wie die “Freien Sachsen” oder die AfD die Proteste für ihre nationalistische und antidemokratische Agenda zu instrumentalisieren. Darüber hinaus finden sich vielerorts beim Bauernprotest auch ein Symbol aus den 1920er Jahren: Die schwarze Fahne der völkischen und antisemitischen Landvolkbewegung, die eng mit der Geschichte des Nationalsozialismus verknüpft ist.

Bauernproteste – und Landvolk-Symbolik?

“Das ganze Land lahmlegen”, so gaben einige der Aktivist*innen die Parole aus. Die Wellen schlugen immer höher und erreichten spätestens mit einem Protest am Fähranleger Schlüttsiel einen neuen Höhepunkt. Normalerweise ist der kleine Fährhafen in Nordfriesland eher nicht im bundespolitischen Interesse. Doch als der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) die Fähre, mit der er von der Hallig Hoog kam, verlassen wollte, versuchten protestierende Bauern, zu ihm durchzukommen. Die Polizei verhinderte ein Aufeinandertreffen und versuchte mit einem Gesprächsanegbot mit dem Minister zu vermitteln. Das wurde ausgeschlagen.

Das ist nur eine Episode, die einen Eindruck der zunehmend scharfen Auseinandersetzung vermittelt. Seitdem die Bundesregierung ein Ende vieler Subventionen angekündigt hat, äußern viele Bauern lautstark ihren Unmut darüber. Vor den nächsten großen Protesten forderte der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied, Abgrenzung: „Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben“ erklärte er der “Bild am Sonntag”. Davon erzählen die Aufrufe von rechtsextremen Organisationen wie z.B. der AfD, dem Compact-Magazin, den “Freien Sachsen” oder dem Verein “Ein Prozent”. Und in einer Stellungnahme auf Instagram hieß es, dass man sich auf “das Schärfste” von etwaigen “Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen und Spinnern, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen“, distanziere.

„schwarze Fahnen“?

Am Vorabend des 8. Januar, dem Tag des Beginns des deutschlandweiten Bauernprotestes, trafen bereits die ersten Traktoren im Berliner Regierungsviertel ein. An vielen von ihnen prangten allerlei politische Forderungen und Botschaften. Bei einer Demonstration soweit nichts Ungewöhnliches. Ist es doch das demokratische Recht der Landwirt*innen ihren Protest auf die Straße zu tragen. Gleichermaßen, darauf weisen auch die klaren Ansagen des Bauernverbandes hin, scheinen zunehmend Gruppen auf den Protest aufzuspringen und ganz andere politische Anliegen dort zu platzieren. Doch Rukwied wies darauf hin, dass hier nicht nur politische Gruppierungen von “außen” den Protest kapern:

Fahne der Landvolkbewegung, Foto: Ruben Gerczikow

In einem Statement des Bauernverbandes heißt es: “Demo-Symbolik wie Galgen, schwarze Fahnen oder andere Symbole extremistischer Gruppen lehnen wir entschieden ab!” Doch welche “schwarze Fahnen” meint die Interessensvertretung genau? Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um eine Fahne mit martialischer Symbolik: weißer Pflug und rotes Schwert. Es ist die Fahne der sogenannten Landvolkbewegung. Im Interview mit t-online am Abend des 7. Januars erklärt ein Brandenburger Bauer, dass die “Landvolk”-Fahne an seinem Traktor ein Symbol dafür sei, “dass man ab und zu die Chance hat, sich gegen die Regierung durchzusetzen“. Mit Rechtsextremen habe das alles nichts zu tun und man könne ja in jeder Suppe ein Haar finden.

die Ideologie Landvolkbewegung

Auch bei den Protesten 2021 wurden Hinweise auf die Ideologie Landvolkbewegung damit abgewehrt, dass man sich angeblich nur auf die Geschichte um 1919 berufen würde. Der Erste Weltkrieg und die Zwangswirtschaft hatten immense Folgen für die deutsche Landwirtschaft gehabt. Die Inflation hatte zur Folge, dass landwirtschaftliche Betriebe ihre Sparguthaben verloren. Zusätzlich mussten die Bauern mit den Preisen von Industrieprodukten Schritt halten, weshalb sie auf moderne Maschinen angewiesen waren. Während die Bauern sich dabei durch US-amerikanische Wiederaufbaukredite finanzierten, wurde 1925 der Markt wieder für Agrarimporte geöffnet.

Im Zusammenspiel mit steigenden Steuern und Abgaben potenzierte sich die Not der Bauern. Diese verschärfte sich mit der Wirtschaftskrise 1929 noch einmal. Das – und noch weitere Faktoren wie klimatisch bedingte Ernteausfälle – führte zu einer zunehmenden Radikalisierung der Landbevölkerung. Zusätzlich hatten sich viele Bauern, die einst noch Stütze der Monarchie waren, von der Demokratie entfremdet, war diese doch auch geprägt durch die Transformation von der Agrar- zur Industriegesellschaft.

Bis zurück nach 1923

Die politische Organisation lässt sich unter anderem bis zum 28. Januar 1923 zurückverfolgen. Damals gab es 20 Kundgebungen, auf denen sich 140.000 Menschen an der gesamten schleswig-holsteinischen Westküste trafen, die besonders hart von den oben beschriebenen Umständen getroffen war. Die Bewegung erlebte schnell eine ideologische Radikalisierung, in deren Zuge Claus Heim und Wilhelm Hamkens ihre Leitung übernahmen. Dabei gab es schon bei den ersten Kundgebungen eine klare völkische Agitation. Im “Bauernblatt” erklärte die Historikerin Heidrun Edelmann, dass eben jener Claus Heim “völkische, nationalistische und antisemitische Denkansätze“ vertrat. Früh seien etliche Rechtsradikale in dem Verband aktiv gewesen. Er habe durch seine „jahrelange hasserfüllte, antidemokratische Propaganda” schließlich mit den “Nährboden für die NSDAP bereitet“.

Demokratiefeindliche Bauernbewegung

Umso weniger überrascht es, dass die Bauern gegen die junge Demokratie mobil gemacht haben: Das begann mit Steuerboykott, reichte aber auch bis hin zu Sprengstoffanschlägen. Davon will man heute alles nichts wissen. Der Protest werde angeblich als “rechts” diffamiert, um die Anliegen der Bauern generell zu untergraben. Es stimmt, dass eine komplexe Protestbewegung wie die der Landwirt*innen nicht pauschal als demokratiefeindlich bezeichnet werden sollte.

Gleichzeitig sollten sich die Beteiligten jedoch ihrer individuellen Verantwortung bewusst sein, wen sie auf ihren Demonstrationen dulden oder wer zu ihnen aufruft. Beispielsweise veröffentlichten die niedersächsischen “Jungen Nationalisten”, die Jugendorganisation der neonazistischen Partei “Die Heimat” (ehemals NPD), am 6. Januar ein Video auf ihrem Telegram-Kanal. Es zeigt mehrere maskierte Neonazis, die ein Banner mit der Aufschrift “Setzt die Saat für einen neuen Staat” an einer Autobahnbrücke anbringen. Daneben das oben beschriebene Symbol der Landvolkbewegung. Also warum wird dann keine nicht historisch-vorbelastete Symbolik verwendet? Für manche Protestteilnehmenden handelt es sich wohl um eine Chiffre, einen kulturellen Code, mit dem man die Verbindung zur Erde und die Ablehnung einer Politik betont, die die inländische Agrarwirtschaft schlechter stellt. 

Landvolkbewegung heute?

So nähern wir uns dem tatsächlichen Problem. Nach wie vor mangelt es bei vielen Menschen an Wissen in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus und völkischem Denken. Und dabei, wie diese beiden ineinander verflochten sind. Nach wie vor gibt es viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die im allgemeinen “politikfern” erscheinen. Dazu kommt, dass viele Menschen Antisemitismus und völkische Ideologie nur in dezidiert politischen Bereichen vermuten. Das vermeintlich “unpolitische” wird nicht damit zusammengebracht. Wenn wir von postnazistischer Gesellschaft sprechen, dann weisen wir darauf hin, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Antisemitismus und völkisches Denken wurden bis in jeden Winkel getragen.

Nun beginnt das schon bei der Symbolik. So hielt das Fachblatt agarheute es 2020 für “verheerend”, wenn die Symbolik der Bewegung heute auf den Bauerndemos erscheint. Einige Landwirt*innen würden die Demos aufgrund dessen gar meiden. So fragt die Journalistin Sabine Leopold in agrarheute: “Was, bitteschön, soll ein blutrotes Schwert denn vermitteln? Dass die Landwirtschaft wieder zurück in die Mitte unserer Gesellschaft möchte? Wohl kaum.” Und nicht nur das. Peter Petersen, einem Mitglied des sogenannten “Landbundes” sowie NSDAP- und später NPD-Mitglied, behauptet, dass er die Fahne gestaltet habe. Bei dem blutigen Schwert, so kommentiert Leopold weiter, handelte es sich um eine “ernstzunehmende Drohung”. Damit drücke man in der Gegenwart doch “eine bedenkliche Distanz zu unserer heutigen Gesellschaft” aus. 

Blut und Boden Ideologie?

Tatsächlich scheint es so, als würden die ideologischen Versatzstücke entsprechende Denkstrukturen bei ihre Adressat*innen beflügeln. So erklärte 2021 ein Landwirt auf die Frage nach der Symbolik, dass das rot am Schwert für das Blut stehe und damit die Verbundenheit der Bauernschaft zur Erde verbildliche. Blut und Boden? Da war doch was. Mit dem Pflug wird der Boden bearbeitet, das Schwert steht getreu dem Motto “Lieber tot als Sklave” (Nordfriesisch: „Lewer duad üs Slaw“ – Der Spruch ist ein Ergebnis friesischer Nationalromantik und wurde zeitweise im Nationalsozialismus vereinnahmt) für den Kampf und das Blut verbindet diese Elemente miteinander.

Fahne der Landvolkbewegung

Der mit seiner “Scholle” (J. G. Fichte) verwachsene Bauer war im völkischen Denken nicht nur sinnbildlich für das “deutsche Volk”, er war auch das Gegenbild zu einer globalisierten Moderne. Das “Land” wurde als Gegenbild der industriellen Städte inszeniert und romantisiert. Die Bauern bewirtschaften und kultivieren den eigenen Boden, sie stellen ganz konkret die Verbindung mit dem Boden her und stehen in scharfem Gegensatz zum “raffenden Kapital” wie also z.B. die Finanzwirtschaft im nationalsozialistischen Jargon bezeichnet wurde.

Eine Binse zu sagen, dass letzteres in der nationalsozialistischen Ideologie durch das “Jüdische” personifiziert wurde. Der Antisemitismus war das verbindende Element der sehr heterogenen völkischen Bewegungen. Er band sie alle zusammen: kulturalistische, lebensreformerische, rassenanthropologische und -hygienische, religiöse und esoterische Gruppen. Der Philosoph Julius Goldstein kam daher zu dem Schluss, dass im “völkische[n] Antisemitismus […] eine eigene Ideologie geschaffen [wurde], die den Ausschluß der Juden aus der deutschen Volksgemeinschaft begründen soll.“

Völkisches Denken

Was diese deutsche Volksgemeinschaft ist, konnte im völkischen Denken vor allem durch die Projektionsfläche des “Jüdischen” proklamiert werden. Denn sie wurde zum Gegenstück. Alles was “undeutsch” sein sollte, fand sich dort wieder. Vor allem bestimmte Aspekte, die fest mit der Moderne verbunden wurden: Mobilität, Abstraktheit, Universalismus. Dieses Denken lebte von seiner Aufteilung in gut und böse. Das “Gute” war mit der “Scholle” verbunden, das “Schlechte” galt als “abstrakt” und “wurzellos”. Dieses manichäische Weltbild stellt auch die Grundlage für Verschwörungserzählungen dar. 

Auch, weil die Landvolkbewegung eine Konkurrenz für die NSDAP darstellte, würde man es sich zu einfach machen, sie schlicht als Nazis zu bezeichnen. Doch war ihr Denken erfüllt von einer Mischung aus Antisemitismus und völkischem Nationalismus. Genau dieses Denken schuf ein Milieu, das auch für die nationalsozialistische Ideologie sehr empfänglich war. Das nationalsozialistische Deutschland wurde zwar militärisch besiegt, aber eine militärische Niederlage verdrängt nicht die Ideologie aus den Köpfen. So setzten sich antisemitisches und völkisches Denken nach 1945 in veränderter Form fort. Wie Samuel Salzborn in Kollektive Unschuld gezeigt hat, währten antisemitische Narrative in der sogenannten bürgerlichen Mitte der Gesellschaft fort.

Anknüpfungspunkt für antisemitisches Denken

Sogenannte Gelegenheitsstrukturen bieten einen Anknüpfungspunkt für antisemitisches Denken. Die Vorstellung der Landwirt*in, der*die seine eigene Scholle kultiviert, ist eine solche Gelegenheitsstruktur. Das zeigt, warum es einerseits Menschen gibt, die sich von diesem völkisch-nationalistischen Denken abwenden und zum Teil die Bauernproteste selbst als Landwirt*innen meiden und warum es Bauern gibt, die auf Proteste im Jahr 2024 mit einer Fahne aus den 1920ern und 30ern erscheinen. Gerade in einer Zeit, in der die antisemitische Bedrohung zunimmt und die Gefahr von Seiten der politischen Rechten zunehmend Wahlerfolge feiert, gliedern sich solche historischen Referenzen nahtlos ein.

Umso wichtiger ist es, sich mit dem Kontext dieser Symbolik auseinanderzusetzen. Sie sind eben keine bedeutungslosen Chiffren, die je nach Lust und Laune besetzt werden können. Und wer sich nicht damit auseinandersetzt, kann den vielen extrem rechten Versuchen, diese Proteste zu unterlaufen, auch nichts entgegensetzen. Wer sich nicht mit dem Antisemitismus und seiner engen Verflechtung zum deutsch-völkischen Nationalismus beschäftigt, ist offen dafür, antisemitische Denkweisen zu reproduzieren.

Fazit

Trotz der Versuche das Symbol der Landvolkbewegung von seiner ursprünglichen Geschichte zu trennen und es eine neue Bedeutung zu geben, lassen sich Schwert und Pflug nicht von den verschwörungsideologischen Denkstrukturen, vor denen Rukwied nicht müde wird zu warnen, trennen. Der Präsident des Bauernverbandes versucht sich immer wieder vermittelnd einzuschalten und dem verschwörungsideologischen Geraune des “die da oben” etwas entgegenzuhalten. Doch liegt es an allen, das Scheunentor nach Rechtsaußen geschlossen zu halten.

Anfang 2023 ist der Reportageband „Wir lassen uns nicht unterkriegen“ – Junge jüdische Politik in Deutschland im Verlag Hentrich & Hentrich von Monty Ott und Ruben Gerczikow erschienen. Artikelbild: Ruben Gerczikow