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Quatsch-Mathe: Wie Pandemie-Leugner mit richtigen Zahlen täuschen

von | Jan 18, 2021 | Analyse

Quatsch-Mathe ³ – Warum man Zahlen trauen kann, wenn man sie richtig anwendet

Gastbeitrag von Thomas S.

Nachdem #QuatschJura schon seit längerem Einzug in die Querdenker-Szene gefunden hat, findet man immer mehr Beiträge mit Quatsch-Mathe, die in der Community in Umlauf sind.

Der Anwalt Chan-jo Jun hat die #QuatschJura-Aussagen der Querdenker-Anwälte schon öfters analysiert und aufgezeigt, warum hier von Quatsch auszugehen ist. Beliebtes Mittel ist hier die Anwendung von richtigen juristischen Mitteln auf Grundlage falscher Tatsachen („das Virus ist ungefährlich, aber die Maske tötet“).

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Ich möchte mich einmal den Zahlen widmen und zeigen wie man Quatsch-Mathe machen kann. Dabei geht es gar nicht um intellektuelle Fragen, wie kürzlich von Prof. Drosten diskutiert, ob das Wachstum der Coronafälle in Deutschland eine exponentielle Funktion nach mathematischer Auslegung ist oder nicht.

Framing mit zahlen

Zahlen können durch den Framing-Effekt in ein Licht gerückt werden, dass die Aussagen dahinter verändert werden. Ein gern genommenes Beispiel für Framing ist das Wasserglas. Ist es halbvoll oder halbleer? Es ist beides das Gleiche, die Wirkung bzw. Sichtweise ist aber eine andere. Sterben 1% der Bevölkerung oder überleben 99%?

An ein paar Beispielen möchte ich zeigen, wie Pandemie-Leugner die Zahlen nutzen, um damit ihre ganz eigenen Aussagen zu transportieren.

Beispiel 1 für Quatsch-Mathe: Prozentrechnung zur Relativierung

Die irreführend benannten „Eltern für Aufklärung und Freiheit“ veröffentlichen täglich die aktuellen Corona-Zahlen auf Twitter. Dort werden die Infektionszahlen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Deutschland angegeben. So heißt es am 15.01.2021:

„Zur Zeit sind in Deutschland 0,37 % positiv auf Sars-Cov2 getestete in Quarantäne. (314.764) Das bedeutet, dass 99,63 % der Bewohner Deutschlands vermutlich nicht infiziert sind.“

Hier soll veranschaulicht werden, dass 99,63 % der Bewohner Deutschland unter dem Lockdown zu leiden haben, während gerade mal die kleine Minderheit von 0,37 % tatsächlich Corona-positiv ist und damit isoliert werden sollte. Das diese 0,37% aber fast der gesamten Bevölkerung fast einer Großstadt wie Bochum entsprechen, wird verschwiegen. 0,37% klingt halt besser als 314.000 Menschen.

Noch deutlicher ist es bei den täglichen Neuinfektionen:

„Gestern wurden von 0,03 % der Deutschen ein positiver Test gemeldet (22.386) (LW Fr 31.849)“

Die Zahl 0,03 % – oder absolut ausgedrückt 0,0003 – wirkt für den Leser, dass die Zahl gegen Null tendiert. Daraus lässt sich dann gut schlussfolgern: Corona-Maßnahmen sind überflüssig. Fast niemand leidet unter Corona, aber ganz Deutschland unter den Maßnahmen. Aber das stimmt nicht.

Ist dem denn so? Und macht es Sinn, die Zahlen so auszudrücken?

Ein Zahlenbeispiel aus einem anderen Lebensbereich zeigt, wie man das Bild verzerren kann und warum es keinen Sinn macht, Zahlen so ins Verhältnis zu setzen.

Nehmen wir mal den Straßenverkehr in Deutschland. Ich unterstelle, dass annähernd jeder Bewohner Deutschland in irgendeiner Form am Straßenverkehr teilnimmt. Als Autofahrer, als Beifahrer, mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Irgendwann sind wir alle auf der Straße unterwegs.

Jährlich sterben in Deutschland ca. 3.000 Menschen im Straßenverkehr (Quelle). Das sind gerade mal gut 8 Personen am Tag (3.000 / 365 = 8,22).

Im Verhältnis zur Bevölkerung (ca. 83.000.000) sterben also nur 0,00001% täglich oder 0,0036% jährlich der Bevölkerung in Deutschland im Straßenverkehr.

Es sterben „Nur“ 0,00001% täglich an Autounfälle, stvo und gurtpflicht also „Diktatur“? Nein!

Und dafür der ganze Aufwand? Airbags und Fahrassistenten wie ABS und ESP zum Eigenschutz, Stoßfänger an denen geforscht wird, wie Fußgänger bei einer Kollision mit einem PKW möglichst gut geschützt werden. Abbiegeassistenten für den toten Winkel, um Radfahrer zu schützen. Straßenverkehrsregeln, Ampeln (die sehr teuer im Unterhalt sind), Verkehrsschilder. All die Kosten, all der „Wahnsinn“ für gerade einmal 0,00001% der Bevölkerung?

Klare Antwort: Ja!

Der Aufwand muss sein. Denn die Zahlen sind so niedrig, weil wir diesen Aufwand betreiben. Und dennoch versuchen wir (vollkommen zurecht) die Anzahl Verkehrstoten weiter zu verringern. Das gilt auch für die Coronafälle bzw. Toten.

In beiden Fällen (Corona und Straßenverkehr) greift das sog. Präventionsparadox. Eben weil wir Maßnahmen haben, sind die Zahlen niedrig. Aber aus diesen Zahlen auf die absolute Gefährlichkeit eines PKWs ohne Sicherheitsmaßnahmen oder des SARS-CoV-2 zu schließen, ist ein fataler Irrweg.

Beispiel 2 für Quatsch-Mathe: Irreführenden Bezug herstellen und Zahlen ganz weg lassen

Im August lobte Prof. Homburg (Finanzwissenschaftler und Noch-Professor für Öffentliche Finanzen an der Leibniz Universität Hannover) den „schwedischen Weg“ in der Pandemie. Das begründet er damit, dass die relativen Todeszahlen in Schweden gar nicht so hoch seien, sondern lediglich „zwischen“ denen in Deutschland und denen in Belgien lägen.

Ja, es ist richtig, dass der schwedische Wert damals zwischen dem Deutschen und dem Belgischen lag. Aber: zum damaligen Zeitpunkt lagen der belgische (über 800 Tote pro Million Einwohner) und schwedische Wert (knapp 600 Tote pro Million Einwohner) relativ eng beieinander. Der deutsche Wert lag aber weit darunter (bei etwa 100 Tote pro Millionen). Oder anders gesagt: In Schweden waren damals relativ gesehen sechs mal so viele Menschen verstorben wie in Deutschland und in Belgien acht mal so viele! Das Wort „dazwischen“ leistet hier viel Transferleistung.

Es wird mit der Aussage „dazwischen“ ein Bild geschaffen, was von der Realität weit entfernt ist. Vielmehr sollte die Aussage den schwedischen Wert vom Belgischen entfernen und näher an den deutschen Wert rücken. Damit soll der schwedischen Sonderweg in der Corona-Pandemie besser gemachen, als er letzten Endes war. Dass der „schwedische Weg“ letzten Endes gescheitert ist, wurde auch HIER und HIER schon mit aktuelleren Zahlen aufgezeigt.

Deutliche Übersterblichkeit, sinkende Lebenserwartung: Schwedens Weg funktioniert einfach nicht

Praktisches Beispiel für das Prinzip:

Die Zahl 3 liegt auch „zwischen“ der Zahl 1 und der Zahl 100. Die Aussage „es liegt dazwischen“ ist natürlich auch keine Lüge, aber es ist offensichtlich, dass die Zahl 3 viel kleiner ist als die Zahl 100.

Beispiel 1 und 2 zeigen: hier wurden richtige Zahlen und Fakten verwendet. Durch ihre Anwendung wurde das Bild jedoch so stark verzerrt, dass andere Interpretationen möglich werden.

Beispiel 3 für Quatsch-Mathe: Fakten weglassen bzw. verändern

Die Rechtsanwältin Beate Bahner (Fachanwältin für Medizinrecht, mehr dazu) hat zum Pseudo-Aufstand #WirMachenAuf folgende Stellungnahme geschrieben: –

 

Einmal der Reihe nach:

Sie unterstellt, dass „nur“ die 53.000 Covid19-Patienten schwer erkrankt seien, die intensivmedizinisch behandelt werden. All diejenigen, die zu Hause krank sind oder auf „normalen“ Krankenhausstationen behandelt werden, unterschlägt sie. Dann setzt sie diese 53.000 ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Deutschlands und kommt zu dem Schluss, dass nur 6 von 10.000 Menschen schwer an Covid19 erkranken und Covid-19 damit schon fast eine „seltene Krankheit“ sei.

Die Definition für eine „seltene Krankheit“ liefert das Bundesgesundheitsministerium:

„In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen in der EU von ihr betroffen sind.“ (Quelle)

Hier ist die Rede jedoch von „betroffen“ und nicht von „schwer erkrankt“. Daher wird von Frau Bahner eine zwar technisch gesehen richtige, aber hier falsche Zahl verwendet, um den Anteil je 10.000 Menschen zur ermitteln. Laut den Daten des RKI sind am Montag, 18.01.2021 insgesamt 2.040.659 Menschen positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden. Damit hätte man: 2 Mio. / 83 Mio. = 2,4%. Oder: 240 Fälle je 10.000 Menschen

Zugegeben, von den 2 Mio. Infizierten sind nicht alle erkrankt. Laut RKI sind etwa ein Viertel aller Infizierten ohne Symptome (aber dennoch ansteckend, Quelle). Aber selbst wenn nur die Hälfte „erkrankt“ wäre, wären wir aber dennoch weit von einer seltenen Krankheit entfernt.

Es gibt mehr Corona-Tote

Die zweite falsche Annahme ist, dass behauptet wird, lediglich die 13.000 auf Intensivstationen Verstorbenen seien Corona-Tote. Diese werden dann auch noch ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung (13.000 / 83.000.000 = 0,016%) gesetzt, anstatt sie zur Zahl der Erkrankten ins Verhältnis zu setzen. Hier werden also gleich zwei fragwürdige Dinge in einem gemacht:

1) Die echte Anzahl der Corona-Toten wird falsch dargestellt

2) Die Zahlen werden irreführend ins Verhältnis zur Bevölkerung gesetzt

Ich weiß nicht, welchen Stand der Daten Frau Bahner verwendet hat, aber sie nimmt hier wieder zwar technisch gesehen richtige, aber in diesem Kontext völlig falsche Zahlen. Stand 18.01.2021: Tatsächlich sind laut RKI Dashboard: 46.633 Menschen an Corona verstorben. Setzt man alle Corona-Toten ins Verhältnis mit allen positiv Getesteten bekommt man folgenden Ergebnis:

46.633 (Tote) / 2.040.659 (Positive) = 2,3%

Und schon ist die Sterblichkeit von Covid19 nicht mehr 0,016%, sondern 2,3%. Hätte man nur mit den Erkrankte mit Symptomen gerechnet – statt mit allen positiv getesteten – wäre der Prozentsatz noch höher.

Man sieht, dass man trotz der amtlichen Ausgangzahlen andere Ergebnisse erhalten kann.

Als „Erkrankte“ werden nur die „schwer Erkrankten“ (Intensivpatienten) gezählt und auch die Zahl der Toten wurde falsch definiert. Unterstellt man, dass die Corona-Toten (lt. RKI) gar nicht alle an Corona gestorben sind, müsste man aber genauso an den 13.000 Verstorbenen auf den Intensivstationen zweifeln. D.h., diese Überlegung dürfte nicht ausschlaggebend für die Wahl der 13.000 als Corona-Tote gewesen sein.

Fazit:

Beim Quatsch-Mathe von Querdenken und Co. werden keine falschen Zahlen verwendet. Sie werden nur falsch oder irreführend angewendet. Die Ausgangszahlen lassen sich nachprüfen. Gerne werden sie aus offiziellen Daten, z.B. vom Robert-Koch-Institut, aus Studien oder aus dem sog. Mainstream genommen. Das gibt ihnen einen gewisse Glaubwürdigkeit. Sie werden dann aber solange verarbeitet und aus dem Kontext gerissen, bis zum Schluss eine Aussage suggeriert wird, die zwar dem eigenen Meinungsbild entspricht.

Aber oft mit einer ehrlichen Darstellung der Realität wenig zu tun hat. Die Pandemie-Leugner:innen verbreiten immer noch Fake News und Desinformation, reden sich aber damit heraus, dass ihre Aussagen „technisch gesehen“ stimmen.

Kurz: die richtigen Zutaten, falsch gewürzt, gut umgerührt und fertig ist das Quatsch-Mathe-Süppchen. Aufpassen!

Autor: Thomas S. (Auf Twitter). Artikelbild: marcovarro

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