Großväter von Olaf Scholz und Christian Lindner waren nicht in der SS
Gastbeitrag von Julia Segantini
Neues aus der Propaganda-Küche: Diesmal kursiert im Netz die falsche Behauptung, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner seien Nachkommen von SS-Beamten. Die Fake-News-Urheber:innen folgen dabei einem altbekannten Rezept.
Laut dieser Fake-News-Nachricht soll Bundeskanzler Scholz der Enkel von Fritz von Scholz, SS-Gruppenführer, und Finanzminister Lindner der Enkel von SS-Brigadenführer Gerhard Lindner sein. Der Post zeigt jeweils ein Bild von Scholz und Lindner mit ihren vermeintlichen Großvätern, die eine Familienähnlichkeit nahe legen sollen. Natürlich handelt es sich hierbei um (nicht besonders geschickt) erlogene Verwandtschaftsverhältnisse, die sich leicht widerlegen lassen.
Die Großeltern von Scholz waren Eisenbahnbeamte
Den Fake über Olaf Scholz entlarvte schon die dpa. Auf ihre Anfrage, ob Olaf Scholz der Enkel von Fritz von Scholz sei, antwortete Bundespresseamt: „Das ist völliger Unsinn.“ Auf dem Bild ist zwar tatsächlich Fritz von Scholz zu sehen, der Großvater unseres Bundeskanzlers kann er aber nicht sein. Von Scholz lebte mit seiner Frau in Pörtschach am Wörthersee und starb bereits am 28. Juli 1944, seine Ehe blieb kinderlos. Das beweisen Unterlagen im Bundesarchiv. „Die Großeltern von Olaf Scholz stammen aus Hamburg und waren Eisenbahnbeamte“, schreibt die dpa weiter.
Lindners Großeltern waren Bäcker
Christian Lindner stammt aus Wuppertal, wo seine Großeltern eine Bäckerei führten. Das schreibt er in seiner Biografie. Auch andere Quellen bestätigen dies, zum Beispiel das Munzinger-Archiv. Der Großvater, der ihm angedichtet wird, stammte aus Bautzen und starb in Aurich (Quelle). Falsch ist auch, dass er SS-Brigadenführer war. Zwar führte er die 17. SS-Panzergrenadier-Division „Götz von Berlichingen“ an, trotzdem blieb Gerhard Lindner Generalmajor (Quelle). Das entsprach zwar dem Rang des SS-Brigadeführers. Um SS-Brigadenführer zu werden, musste man aber auch SS-Mitglied sein, was bei Gerhard Lindner (anders als bei Fritz von Scholz) nicht der Fall war (Quelle).
Vielleicht stimmt deshalb die Bildbeschreibung im Fake-Post nicht mit dem Bild überein. Als SS-Brigadeführer hätte seine Uniform die unten dargestellten Abzeichen tragen müssen. Auf dem Bild ist davon aber nichts zu sehen. Die Informationen im Post sind also nicht nur komplett falsch, sondern auch noch schlecht recherchiert. Mehr als den Nachnamen, die beide alles andere als exotisch sind, haben Olaf Scholz und Christian Lindner also nichts mit ihren erfundenen Großvätern gemeinsam.
Wer ist Alina Lipp?
Der Scholz-Lindner-Fake verbreitete sich in den letzten Tagen vor allem durch die Telegram-Gruppe von Alina Lipp. Am Sonntag, 10. April verbreitete sie diese Falschinformation über ihren Blog „Neues aus Russland“, der über 123.000 Follower:innen zählt. Lipp stammt aus Deutschland und wohnt mittlerweile in Russland. Die selbsternannte „Friedensjournalistin“ gilt als größte deutschsprachige Verbreiterin von Russland-Fake-News und Pro-Putin-Propaganda (Quelle).
Alina Lipp: Der größte deutsche Pro-Putin-Propaganda-Kanal auf Telegram
Sie berichtet laut eigener Aussage als offizielle Kriegsreporterin für staatliche russische Medien und bedient sich dabei dem russischen Befreier-Narrativ, nach dem Russland die Ukraine von ihrem vermeintlich “faschistischen” Regime befreit. Zudem pflegt sie enge Verbindungen zur Querdenken-Bewegung, der russischen Troll-Fabrik, diversen russischer Propagandist:innen mit AfD-Kontakten und Anhänger:innen des russischen Faschisten Dugin (Quelle). Lipps Beziehungen und Desinformationen haben wir in diesem Artikel genauer betrachtet.
Propaganda, die euch belügen will
Über ihren Blog „Neues aus Russland“ verbreitete sich der Scholz-Lindner-Fake kürzlich im deutschsprachigen Raum. Andere Kanäle für Fake-News, wie RadioTop20-News teilten den Post schon Ende März. Handelt es sich um einen der vielen dummen, im Endeffekt einfach nur lächerlichen Nachrichten aus der Fake-News-Bubble? Möglicherweise hat dieser Post einen etwas ernsteren Hintergrund. Dazu muss man etwas weiter ausholen.
Wochen zuvor liefen diese falschen Behauptungen bereits über russische Propaganda-Plattformen, insbesondere der Scholz-Fake (Quelle). Als erstes taucht die Falschinformation auf StalkerZone auf, einer der vielen Plattformen für Fake-News aus Russland. Urheber der Lüge ist demnach Yevgeny Prigozhin.
Wer ist Prigozhin?
Yevgeny Prigozhin wird manchmal als „Putins Koch“ bezeichnet, weil er russischen Soldat:innen sowie Angehörige der Polizei und Staatsanwaltschaft verköstigt. Er ist auch für das Catering für Putin und seine Gäste zuständig. Interessanter sind aber seine inoffiziellen Machenschaften. Eine Recherche von Bellingcat, The Insider und Der Spiegel deckte auf, dass er gezielt Desinformationen verbreitet und an militärischen Operationen des russischen Verteidigungsministerium und seinem Geheimdienst GRU beteiligt ist.
Wegen der Rolle, die seine Troll-Fabrik bei dem Versuch spielte, die Wahlen 2016 zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen, wurde Prigozhin in den USA angeklagt. „Yevgeniy Viktorovich Prigozhin is wanted by the FBI for his alleged involvement in a conspiracy to defraud the United States by impairing, obstructing, and defeating the lawful functions of the Federal Election Commission, the United States Department of Justice, and the United States Department of State“, schreibt das FBI auf seiner Homepage. Seine Trollfabrik rief eine der größten bekannten Online-Desinformationskampagnen ins Leben, verbreitete Propaganda und warb für den Brexit. Zudem sanktionierte ihn die USA wegen seiner Finanzierung der Gruppe Wagner, einem rechtsextremen privaten Militärunternehmen, das verdeckte Operationen in der Ostukraine, Syrien und mehreren afrikanischen Ländern durchführt (Quelle).
Putin stilisiert sich zum Möchtegern-Befreier
Weiß man, wer Alina Lipp und Yevgeny Prigozhin sind, fällt es leichter zu verstehen, welchen Zweck der Scholz-Lindner-Fake verfolgt. Prigozhin hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, das politische Weltgeschehen Putin-freundlich zu beeinflussen. Dazu scheint die Destabilisierung demokratischer Staaten zu gehören. Lipp unterstützt ihrerseits russische Putin-Propaganda. Der Scholz-Lindner-Fake soll unser Vertrauen in unsere Regierung angreifen. In Deutschland hat man schließlich gelernt: Wer gegen Nazis ist, steht auf der guten Seite. Indem eine Verbindung zwischen Regierungsvertretern und Nazis herbei fabuliert wird, sollen wir gegen unsere Regierung aufgestachelt werden. Umso wichtiger, dass solche Lügen entlarvt werden.
Dieser Fake ist ein plumper Versuch, Putins Lüge der „Entnazifizierung“ der Ukraine zu legitimieren. Die angebliche „Entnazifizierung“ schiebt Putin als einen der wichtigsten Kriegsgründe vor. Nazis hätten die Ukraine unterwandert, nun müsse Russland dort den Frieden sichern, behauptet er fälschlicherweise (Quelle). „Damit bedient Putin mit einem Feindbild die heroische Erzählung vom historischen Sieg über den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg. Insbesondere ältere Menschen fühlen sich diesem antifaschistischen Erbe der Sowjetunion verpflichtet, die Erzählung dient also auch zur Mobilisierung und Rückhaltsbildung. Ein Land zu ‘Entnazifizieren’ klingt ja auch erstmal nach einem unterstützenswerten Vorhaben“, haben wir in diesem Artikel bereits erklärt. Dort könnt ihr den Mythos über die „Entnazifizierung“ genauer nachlesen.
Putin und seine Anhänger:innen wähnen sich gern als „Befreier“, die in der Tradition der Sowjetunion stehen. Auch der Deutschlandfunk erklärt, dass das erlogene Narrativ der von Nazis regierten Ukraine, die einen Einmarsch rechtfertigt, schon lange als Erzählung in Russland kursiert und massiv von Putin verstärkt wird. „Die Tatsache, dass die Sowjetunion damals mit ihrer Roten Armee einen blutigen Krieg geführt hat, der letztlich erfolgreich war gegen die Nazis, gegen den Faschismus, wie es im Russischen immer heißt, ist erwiesen. Das sind die Bilder, die allen Menschen präsent sind, weil sie in Russland gepflegt werden – und darauf baut es auf“, verdeutlicht der Deutschlandfunk.
Querdenker:innen springen auf den Zug auf
So lächerlich der Scholz-Lindner-Fake auf dem ersten Blick erscheinen mag, diese durchaus ernsten Hintergründe sollte man im Hinterkopf behalten. Schließlich spielt dieses Narrativ auch Querdenker:innen, Rechtsextremen, Corona-Leugner:innen und Reichsbürger:innen in die Karten. Der Wunsch nach einem „Nürnberg 2.0“ gehört in diesen Kreisen zu den Standard-Forderungen (Quelle).
Gemeint ist damit eine Neuauflage der sogenannten Nürnberger Prozesse. Dabei handelte es sich um eine Reihe von zwölf Prozessen, die US-Militärgerichte gegen Mitglieder der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Zweige Nazideutschlands führten. Sie wurden von 1946 bis 1949 in Nürnberg abgehalten, im Anschluss an den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. In einem „Nürnberg 2.0“ sollen politischen Gegner:innen oder kritischen Medien zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Forderungen der Möchtegern-Helden sind nicht nur vollkommen absurd, sondern verharmlosen massiv die NS-Verbrechen.
Scholz und Lindner haben keine SS-Großväter
„In Telegramgruppen arbeiten die russischen Trolle auf Hochtouren daran, die ‘Nazi-Legende’ weiter zu schüren. Sie versuchen auch hier den Wahnsinn in die Hirne zu pflanzen, dass aktuelle Politiker:innen in einer NS-Tradition stehen, die womöglich auch hier mittels Invasion gebrochen werden muss“, schreibt der Blog für Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien Milchkäse über den Scholz-Lindner-Fake. Der Scholz-Lindner-Fake ist zwar keineswegs ein direkter Hinweis für eine Invasion. Vielmehr sollte man sich die Hintergründe und Zusammenhänge klar machen. Vor allem sollte sich auf keinen Fall verängstigen und verunsichern machen lassen. Denn genau das wollen die Urheber:innen solcher Lügen ja.
Fazit: Die erfundene Verwandtschaft zwischen Olaf Scholz und Fritz von Scholz sowie zwischen Christian Lindner Gerhard Lindner ist die Lüge eines engen Vertrauten von Putin, der viel Erfahrung im Verbreiten von Fake-News und der gezielten Destabilisierung von Staaten hat. Außerdem reiht sich der Post in die anderen von Alina Lipp verbreiteten Desinformationen zugunsten Putins. Wie sooft hat sich auch dieser Fake als solcher erwiesen.
Artikelbild: shutterstock.com / Screenshots
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