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Was Habeck wirklich sagte: Irreführende Schlagzeilen lösen Hasstirade aus

von | Mai 25, 2022 | Analyse

Süddeutsche bringt mit irreführender Schlagzeile Fake News

Vizekanzler Robert Habeck hat am Montag an der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos teilgenommen. Dort sprach er über verschiedene Themen, unter anderem, dass die Regeln der internationalen Märkte reformiert werden müssten, und die Länder global zusammenarbeiten müssten, um globale Krisen zu verhindern. Er kritisierte auch, dass der Marktmechanismus nicht alleine eine Lösung der Probleme bringen werde. Am Rande der Konferenz gab Habeck dann ein Interview, bei dem er zu den beim Treffen besprochenen Themen befragt wurde. Hier die gesamten 10 Minuten des Interviews, damit sich jeder selbst vom Kontext überzeugen kann:

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Habeck wurde dort (ab ca. Minute 2:00) auch auf die Gefahren einer globalen Nahrungsmittelkrise befragt. „Wir werden, wenn wir keine andere Lösung finden, im nächsten Jahr einen großen Mangel an der weltweiten Kalorienversorgung haben.“, erklärte er. Diese Nahrungsmittelkrise werde spezifisch Regionen treffen, die arm und instabil seien. „Und wenn wir darauf so antworten, dass jedes Land sich nur um sich selber kümmert, also seine eigenen Vorräte aufstockt, dann wird diese Krise eskalieren“.

Habeck plädiert daraufhin für globale Kooperation und offene Märkte und ergänzt in diesem Kontext auch: „Und wir sind natürlich auch gehalten, um unseren eigenen, manchmal etwas überschwänglichen Verbrauch von Lebensmitteln zu reduzieren.“ Und er fährt fort: „Daran festhalten, dass wir global miteinander interagieren, das solidarisch tun, fair und gerecht und zum Wohle der Menschen und nicht nur zum Wohle des Gewinns von einigen Unternehmen.“

„Habeck ruft zu Zusammenarbeit gegen globale Nahrungsmittelkrise auf“

Also alles klar: Im Angesicht globaler Hungerkrisen möchte er eine gemeinsame, solidarische Lösung finden, um arme, stark betroffene Länder zu unterstützen, und nicht nur Gewinne für „einige Unternehmen“ als Endprodukt zu sehen. In einem Nebensatz erwähnt er auch, den „manchmal überschwänglichen Verbrauch“ des Westens/Deutschlands zu reduzieren. Nur ein Aspekt davon ist zum Beispiel die Tatsache, dass rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr in Deutschland im Müll landen (Quelle).

Entsprechend ist auch die dpa-Meldung dazu betitelt: „Habeck ruft zu Zusammenarbeit gegen globale Nahrungsmittelkrise auf“. Inhaltlich ist in der dpa-Meldung fast 1:1 das Gleiche, was im Abschnitt zuvor aufgeschrieben wurde. Die dpa-Meldung haben auch andere Medien übernommen.

Wie das Handelsblatt:

Die Augsburger Allgemeine:

Die SHZ:

Und viele, weitere Medien auch. Wie bei einer normalen dpa-Meldung eben. Doch einige Medien änderten die Schlagzeile der dpa-Meldung irreführend ab. Am prominentesten die Süddeutsche Zeitung:

Aber auch andere Medien wie der Stern:

Irreführende Schlagzeile führt zu Hass gegen Habeck

Es ist deutlich, dass die neue, aus dem Kontext gerissene Schlagzeile – wie es in Social Media mit dem Screenshot der SZ-Meldung geschah – eine völlig andere Forderung von Habeck suggeriert. Ob aus gezieltem Populismus oder weil man durch die verkürzte Schlagzeile einem Irrtum unterlag, wurde an Habeck kritisiert, dass er den Verbrauch von Lebensmitteln von Privatpersonen reduzieren wolle. Wie wir gesehen habe, entspricht nichts davon der Wahrheit. Im Gegenteil, zur Erinnerung: Er sprach in einem Nebensatz einen „manchmal etwas überschwänglichen Verbrauch“ der westlichen Länder bzw. Deutschlands an, welcher eben Menschen in ärmeren Ländern schadet. FDP-Politiker Papke, der bereits von „islamistischen Bedrohung“ oder der „ungeregelten Massenzuwanderung“ nach Deutschland sprach (Quelle), steigert sich wegen der Falschmeldung gar in eine AfD-esque Tirade darüber hinein, dass „die Grünen“ die „Freiheit bedrohen“ würden.

Eine entsprechend verkürzte, populistische Kritik kam nicht nur von rechtspopulistischen Mitgliedern der FDP, aber auch Personen wie Jutta Ditfurth, die sogar Personen sperrt, die sie auf die falsche Interpretation hinweisen ( – nämlich mich). Hinzu kommt aber natürlich vor allem extremer Hass aus dem Umfeld der rechtsextremen AfD. Unter dem lookistischen Hashtag #Doppelkinn wird sich über das unvorteilhafte Foto von Habeck zum Artikel lustig gemacht. Man unterstellt Heuchelei, denn man glaubt, er habe andere aufgefordert, weniger zu essen. Das ist natürlich, wie nachgewiesen, falsch.

SZ korrigiert Schlagzeile

Den Schaden und die Fake News, die die Süddeutsche mit der verkürzten Schlagzeile verursacht hat, scheint ihr bewusst geworden zu sein. Am Mittwochmorgen wurde die irreführende Schlagzeile durch die ursprüngliche dpa-Schlagzeile ausgetauscht.

So schnell kommt es zu Hass-Wellen und populistischer Kritik. Schuld daran haben Medien, die bewusst oder unbewusst verkürzte Schlagzeilen bringen, aber auch die Medienschaffenden, Kommentierenden und Politiker:innen, die ihre gesamte Kritik auf einer Schlagzeile basieren, die sie frei interpretieren. Wer sich nicht die Mühe macht, die Position einer Person – wie hier Habeck – ehrlich darzustellen, betreibt jenen Populismus und jene Fake News, die unseren Diskurs zerstört. Sie normalisiert ein Verhalten, wie der rechtsextremen AfD.

Ob die dahinterstehende Kritik an Habeck oder den Grünen berechtigt ist, ist an dieser Stelle zweitrangig. Wer beim politischen Gegenüber hinzugedichtete Dinge kritisiert, obwohl er weiß, dass sie im konkreten Fall unwahr sind, und sich damit herausreden will, dass es ja „typisch“ sei oder zu dessen sonstigen Positionen passe, der verhält sich nicht anders als eine AfD. Sobald Fake News als Mittel akzeptiert werden, ist der demokratische Diskurs tot. „Hätte aber sein können“ ist keine legitime Ausrede. Denn das ist genau die Rechtfertigung, mit der die AfD oder Querdenker ihre Lügen und ihren Hass verbreiten.

Zum Thema:

Warum Querdenker offen zugeben, dass sie die ganze Zeit lügen

Artikelbild: Screenshots

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