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Um nicht der Wirtschaft zu schaden eine „Durchseuchung“ erreichen? Reiner Wahnsinn!

von | Mrz 29, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona

Wir riskieren Millionen Tote

Das SARS-CoV-2 Virus hat die Welt im Griff. Ganz Europa ist betroffen, Deutschland davon nicht ausgenommen. Das Kontaktverbot der Bundesregierung und die Maßnahmen der Länder zielen im Moment vor allem auf eines ab: Ein Abflachen Infektionskurve und damit Zeit schinden. Seit Anfang der Infektion nutze ich wie auch Freund*innen von mir die Zeit, um Daten, die wir haben, zu modellieren. Für irgendetwas müssen die ganzen Kurse in Epidemiologie und Data Science ja am Ende taugen.

Eines ist klar, je länger dieser Zustand jedoch andauert, desto schwieriger ist er für unsere Wirtschaft, und die zu treffenden Maßnahmen müssen immer besser begründet werden. Für die Bundesrepublik ist dieser Zustand beispiellos. Nun werden Stimmen laut, dass eine Abschottung aller Bürger*innen das Problem nur verzögert und verschiebt und dabei unsere Wirtschaft vernichtet. Nationen wie das Vereinigte Königreich und die Niederlande wollten zu Anfang auf einen anderen Plan setzen:

Herdenimmunität.

Dieser Begriff ist vor allem von Impfungen bekannt. Wenn wir eine Bevölkerung maximal „durchimpfen“, kann ein Virus, wie beispielsweise Masern, keinen Fuß mehr fassen. Die Idee ist nun: Wenn man die Risikogruppen isolieren würde und alle anderen raus lässt, würde sich das Virus unter der weniger anfälligen Bevölkerung verbreiten. Eine andere Idee ist, einfach gar nichts zu tun, dem Virus seinen Lauf zu lassen und dann abzuwarten.

Epidemiologen wie Mark Lipsitch aus Harvard oder Neil Ferguson vom Imperial College in London gehen davon aus, dass die Epidemie eine Durchseuchung von 20-60% erreichen kann. Das entspricht ungefähr dem, was eine Grippe jedes Jahr erreicht. Mit dem Unterschied, dass ein neuartiges Virus auf eine Population ohne jegliche Immunität trifft. Einige Forscher, bspw. Prof. Gupta von der Universität London, gehen davon aus, dass wir bereits viel weiter in der Pandemie sind, als wir im Moment wissen.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise sind enorm. Auch ich bange um meine Existenz, ein Umsatzrückgang von über 50 % ist verzeichnet, bei meiner Partnerin um ganze 100 %. Die Stimmen, einfach nur die Risikogruppe zu isolieren und somit Herdenimmunität zu erreichen, werden lauter. Deswegen sollten wir einfach einmal durchgehen, was das bedeutet. Ich sage schon mal vorweg: Die Idee ist reiner Wahnsinn. Aber ich folge dem Gebot der Neutralität, das Beispiel erstmal ganz wertfrei durchzurechnen. Wer ein bisschen damit spielen will, dem kann ich den „Pandemic Calculator“ empfehlen, auch wenn hier ein paar Daten, wie die Anzahl Intensivbetten, nicht eingegeben werden können. Diese werden gleich besonders wichtig.

So würde sich die Pandemie ohne Maßnahmen entwickeln

Um eine Pandemie beurteilen zu können, sind einige Daten wichtig. Dazu gehört R0, die Basisreproduktionszahl. Die sagt uns, wie viele andere Menschen im Schnitt durch eine einzelne Person infiziert werden. Superspreader sind davon ausgenommen. Ist R0 größer als 1, verbreitet sich das Virus. Ist R0 kleiner als 1, nimmt die Anzahl Infizierter ab. Die Mean Doubling Time ist eine weitere Größe, die wir bedenken müssen. Also wie lange es dauert, bis sich die Anzahl Infizierter anfangs verdoppelt.

Eine Pandemie folgt einer Sigmoidfunktion, bei der die Zahlen anfangs exponentiell zunehmen und dann irgendwann eine Sättigung erreichen. Die Anzahl aktiver Fälle folgt einer klassischen Exponentialfunktion, einer simplen Glockenkurve. Die Inkubationsperiode und Mean Infectious Time sagen uns, wie lange ein*e Patient*in gar nichts von seiner / ihrer Krankheit weiß, aber in dieser Zeit andere anstecken kann. Die Daten hier variieren übrigens massiv. Die letzten beiden Daten, die wichtig sind, sind die Anzahl Personen, die hospitalisiert werden und Intensivbetreuung brauchen, sowie die Case Fatality Rate. Die Case Fatality Rate gibt an, wie viele Personen in einer Gruppe sterben.

Diese kann natürlich variieren. Und hier liegt auch das scheinbare Argument für Herdenimmunität: Lassen wir das Ganze unter den jungen Menschen laufen, werden wir irgendwann immun und die Alten sterben nicht. Das ist jedoch, wie wir gleich sehen, eine völlige Illusion.

Die Datenlage ist im Moment absolut chaotisch

Sie ist absolut nicht perfekt, weil wir zum einen nicht jeden Menschen testen (können), und auch einige Kriterien noch anders gehandhabt werden. Daher ergibt es Sinn, verschiedene Daten miteinander abzugleichen und nach Konsistenz zu suchen und Regionen zu vergleichen, die schon weit mit einem Ausbruch fortgeschritten sind oder diesen hinter sich haben. In einer Studie von Wu und Kollegen wurde die Region der Stadt Wuhan und die Umgebung, Hubei, miteinander verglichen.

Dabei wurde versucht, den Ausbruch zu verfolgen, zu klassifizieren und mit einzubeziehen, was passiert, wenn die Krankenhäuser überlastet werden. Hierbei gehen wir davon aus, dass die Daten der Chinesen vertrauenswürdig sind. Glaubt man den Regierungen von Taiwan, Singapur, Südkorea und Hong Kong, wäre das ein Fehler, sie sind der Überzeugung, dass die Daten viel zu niedrig sind. Wir müssen also bedenken, dass wir vielleicht das Ausmaß mit diesen Daten völlig unterschätzen. Dazu später mehr.

Schauen wir uns die Zahlen an

Vergleichen wir Studien, von Kucharski und Kolleg*innen, Wu und Kolleg*innen, Li, Leung und Leung, dann ist R0 irgendwo zwischen 2.2 und 3.0. 2.2 ist die am meisten ermittelte Zahl, sie ist einigermaßen belastbar. Auf der Princess Diamond sah es anders aus, Rocklöv und Kollegen fanden eine R0 von 14. Wo man sich aufhält, hat entsprechend eine Bedeutung. Wu und Kolleg*innen ermittelten, dass es ungefähr 5.1 Tage dauert, bis sich das Virus in der Bevölkerung verdoppelt.

Sie ermittelten ebenso, dass mindestens 50 % asymptomatische Träger sind, das Virus also ohne es zu wissen verbreiten. Wu und Kolleg*innen ermittelten eine Case Fatality Rate von 1.4 % für Wuhan und 0.85 % für die Region Hubei. Dabei nehmen sie eine sehr hohe Dunkelziffer an, geschätzt durch die Mengen an asymptomatischen Kontaktpersonen, die in Hubei getestet wurden. Das unterscheidet sich von den Zahlen der John-Hopkins-Universität, dem Robert Koch Institut und somit den Worldometer Zahlen, die wir tagtäglich sehen. Denn diese nehmen nur an, was bereits getestet wurde. Die Case Fatality Rate, wenn wir diese Zahlen annehmen würden, wäre deutlich höher. In China läge sie dann nämlich bei 4 %, in Italien bei unglaublichen 10.5 %, in Deutschland hingegen gerade mal bei 0.74 %.

Lassen wir der Pandemie freien Lauf

Da die chinesischen Daten aufgrund der Dunkelziffer-Schätzung das beste sind, was wir im Moment haben, nehmen wir einfach mal an, dass sie akkurat sind. Sagen wir nun, wir gehen davon aus, dass 0.85 % der Infizierten sterben würden. Lassen wir der Pandemie ihren Lauf. Was passiert dann? Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir 53540 Fälle. Wir liegen aufgrund der Inkubationszeit ca. 5.1-14 Tage hinter der Kurve. Das bedeutet, zu jedem Zeitpunkt haben wir mindestens die doppelte Anzahl Infizierter, die erst noch Symptome entwickeln müssen.

Realistisch gesehen haben wir bereits eine viermal so hohe Anzahl, da wir 50 % Asymptomatiker*innen haben. Somit müssen wir von ca. 220.000 Infizierten ausgehen. Lassen wir dem ganzen seinen Lauf, werden somit nun zwischen 20 % und 60 % der Bevölkerung infiziert. Aufgrund der Verdopplungsrate passiert das innerhalb der nächsten 60 Tage und nimmt seinen Lauf innerhalb der nächsten 90-120 Tage. Der Peak ist erst im Juni zu erwarten, wir stehen noch ganz am Anfang der lokalen Epidemie. 60 % entspricht dabei dem Worst Case Szenario.

Google meldet 82.79 Millionen Einwohner im Jahr 2018, nutzen wir diese Zahl. 20 % von 82.79 Millionen sind 16.6 Millionen, 60 % sind 49.67 Millionen. Von diesen werden nun die Hälfte symptomatisch krank. Also irgendwas zwischen 8.3 bis 24.84 Millionen Menschen. 80 % dieser bekannten Fälle verlaufen nun mild. Hier ist übrigens unklar, ob die Asymptomatiker*innen eingerechnet sind, wenn ja, wäre meine Prognose noch viel apokalyptischer.

Best Case Szenario? Eine Millionen Tote Deutsche

Die anderen 20 % haben schwere Verläufe, wir sprechen hier nun von ca. 10-15 % der Menschen, die ins Krankenhaus müssen. Nehmen wir die alten Menschen raus, da wir sie ja als isoliert annehmen, müssten zwischen 2-4 % auf die Intensivstation. Im besten Fall wären das nun 166.000 Menschen, also 2 % von 8.3 Millionen Infizierten. Im schlechtesten Fall wären es 4 % von 24.84 Millionen. Das wären 993.600 Menschen. Deutschland hat laut Angaben des Gesundheitsamtes ganze 25.000 Intensivbetten, es sollen weitere 10.000 geschaffen werden. Das macht 35.000.

Wir wissen, dass die Hälfte der Intensivpatient*innen stirbt. Wir wissen auch, dass jede*r, der / die kein Intensivbett mit einem Beatmungsgerät bekommt, stirbt. Der durchschnittliche Aufenthalt auf der Intensivstation in China und Italien, bevor der- oder diejenige kein solches Bett mehr braucht, sind 21 Tage. Das entspricht auch ungefähr der Zeit, bis jemand stirbt. Im besten Fall, wenn die Menschen also so krank werden, dass sie auch passend in der Region krank werden, in der nun gerade ein Intensivbett frei ist (was utopisch ist), werden als nun im besten Fall ungefähr 35.000 Menschen gleichzeitig beatmet werden können. Die Hälfte davon stirbt.

Innerhalb von drei Monaten könnten nun also 105.000 Menschen beatmet werden. Die restlichen 61.000, alle unter 60, werden wir sterben lassen müssen. Also ca. die Hälfte der Intensivpatient*innen Das ist das BEST Case Szenario. Wie sieht es mit dem Worst Case Szenario aus? Das wäre ein bisschen blöd. Denn dann bräuchten wir über den ganzen Zeitraum 1.242.000 Intensivbetten. Wir haben: 35.000, wenn alles funktioniert. New York erlaubt Doppelbeatmung an einem Beatmungsgerät, auch das würden wir vermutlich versuchen. Im besten Fall können wir also ungefähr nach denn ersten 60 Tagen ca. 210.000 Menschen beatmen. Die restlichen 1.032.000? Die sterben.

Jetzt haben wir dabei aber noch was vergessen

Erstens. Die allgemeine Hospitalisierungsrate liegt bei 10 %. Das heißt, im Best Case Szenario brauchen ungefähr 830.000 Menschen das Krankenhaus. Ganz Deutschland hat 500.000 Betten insgesamt. Das bedeutet nun, dass unsere Krankenhäuser im absolut BESTEN Fall Patient*innen auf den Fluren lagern würden. In Notunterkünften usw. Wenn wir aber mit dem Worst Case Szenario rechnen, dann haben wir 2.4 Millionen Menschen, die das Krankenhaus brauchen, innerhalb der nächsten drei Monate. Viermal die Kapazität, die unser Gesundheitssystem hat. Menschen werden in den Fluren, in Zelten, in Turnhallen, überall liegen, wo wir sie unterbringen können. Vermutlich würden wir Fußballstadien, Basketballstadien, große Veranstaltungshallen umfunktionieren müssen, damit wir überhaupt Platz für alle diese Menschen haben.

Aber, dabei haben wir immer noch etwas NICHT bedacht. Denn wir haben ja nicht nur SARS-COV-2, wir haben auch noch ganz andere Probleme. In Deutschland brauchen wir pro Jahr ca. 2 Millionen Intensivaufenthalte. Die durchschnittliche Auslastung der Intensivstationen sind bei 80 %, mit einem Durchschnittsbesuch von ca. 3.8 Tagen. Das betrifft Herzpatient*innen, Krebspatient*innen, Unfallopfer, und so weiter und so fort.

Das Blöde daran: Wir haben die gesamten Kapazitäten mit COVID19 voll. Wir sind am Limit. Verteilen wir diese Zahl nun auf 12 Monate, sprechen wir hier von 166.666 Patient*innen jeden Monat, also nochmal weitere 500.000 Personen über unsere Pandemierechnung. Da egal in welchem Beispiel unsere Intensivbetten voll sind, können wir davon ausgehen, dass der größte Teil der Menschen einfach sterben wird, weil wir sie nicht behandeln können.

Die Triage: Wie im Krieg

In Kriegszeiten entwickelt, werden Patient*innen dann nach dem Muster der Triage behandelt. Eine Triage bedeutet, dass die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen und daher Entscheidungen getroffen werden müssen, wer behandelt wird und wer nicht. Alter, Schwere der Symptome, Vorerkrankungen usw., all das kommt in ein Muster, das gerade entwickelt wird. Ein Muster, nachdem Ärzt*innen entscheiden müssen, wer die besten Überlebenschancen hat. Und so hart es ist: Der Rest wird dann einfach sterben.

Wir reden also im besten Fall, wenn wir die Epidemie laufen lassen würden, von ungefähr 600.000 Toten, im schlimmsten Fall von 1.5 Millionen Menschen, die sterben. Nur weil die Intensivbetten voll sind. Das Ganze sieht nicht besser aus, wenn wir die chinesische Case Fatality Rate einfach übertragen würden und von 0.85 % bis 1.4 % ausgehen. Im Bedenken an die chinesischen Anstrengungen, innerhalb weniger Tage das größte Beatmungskrankenhaus des Landes aus dem Boden zu stampfen und 10.000 Ärzt*innen aus dem gesamten Land abzukommandieren, während Polizei und Militär die Bevölkerung in ihre Wohnungen einnageln und Dissident*innen sofort verhaften und bestrafen, ist das völlig utopisch. Sowas stemmt unser Rechtsstaat nicht. Dann wären es eben im besten Fall 70.550 (0.85 % von 8.3 Millionen) Tote und im schlimmsten Fall 347.000 Tote.

Und selbst das ist utopisch

Selbst dann ignorieren wir, dass es vollkommen utopisch ist, dass wir imstande sind, die Alten und Risikopatient*innen wirklich zu isolieren. Altenpfleger*innen, die Angehörigen, der Bringdienst für Essen und auch das medizinische Personal sind allesamt problematisch. In China sowie Italien wurde klar, dass das medizinische Personal viel zu ungeschützt an die Sache heranging. In China starb eine Reihe junger Ärzt*innen an den Folgen. Aber diese werden das Virus weitertragen und es WIRD bei einer hohen Durchseuchungsrate nun mal unmöglich sein, das Virus aus den Risikogruppen herauszuhalten.

Wir können diese Personen nicht hermetisch isolieren. Also wird das eine oder andere Altenheim dann als „Kollateralschaden“ bei dieser Taktik mit ausgelöscht werden. Die Hospitalisierungsrate über 70 liegt über 30 %, fast 50 % über 80 Jahren. Diese Patient*innen hätten in der anvisierten Zukunft, die „Herdenimmunität“ heißt, keine Chance. Sie würden durch das Muster fallen und sterben.

Es besteht zumindest die Hoffnung, dass ich einen großen Haufen Grütze erzähle

Ist das Modell der Universität Oxford näher an der Wahrheit und es sind bereits mehr als ein Drittel aller Menschen in England infiziert, dann gilt das auch für uns. Und dann wäre die Case Fatality Rate viel niedriger, dann wäre die Zahl der Krankenhausbesuche niedriger und die Zahl der Asymptomatiker*innen vielleicht auch viel, viel höher. Nur wissen wir das im Moment nicht. Aufschluss geben können uns darüber nur Antikörper-Tests. Je mehr Menschen wir in ganz Deutschland und der Welt testen, desto mehr wissen wir über die epidemiologischen Eigenschaften des Virus. Und vielleicht haben wir Glück.

Wenn Menschen über das Thema Herdenimmunität reden, müssen wir aber von einer Todesziffer ausgehen, nach den jetzigen Daten, die das Vorstellbare übersteigt. Das KÖNNEN wir nicht riskieren. Nicht für so etwas simples wie „unser System und die Wirtschaft.“ Solange wir nicht klar wissen, dass das Virus viel harmloser ist als gedacht, würden wir den Tod von Millionen riskieren. Auf die Möglichkeiten, dass diejenigen, die einen Aufenthalt im Krankenhaus brauchen, Langzeitschäden der Lunge nach sich tragen könnten, habe ich noch gar nicht hingewiesen.

In China überwachen Ärzt*innen Patient*innen im Moment nach ihrer Erholung. Sie wollen wissen, ob sich die Lungenschäden der Patient*innen wieder erholen. Bisher sind die Daten dazu unzureichend. Auch sollte bedacht werden, dass in einem Preprint nachgewiesen wurde, dass die ACE2 Rezeptoren, die das Virus nutzt, um anzudocken, auch in den Hodensäcken und in der Gebärmutter nachgewiesen werden kann. Post-mortem konnten hier in China auch Viruslasten festgestellt werden.

Auch hier warnen chinesische Forscher: Es ist völlig unklar, ob das nicht noch Folgen hat. Sie überwachen daher eine Reihe von Patient*innen und prüfen ihre Spermaqualität. Die Effekte auf Patientinnen werden Jahre brauchen, damit sie sich in der Statistik manifestieren. Es ist aber möglich, dass hier absolut gar nichts passiert. Darauf hoffe ich, denn die Datenlage ist früh, chaotisch und absolut unzureichend für eine Aussage.

Wir würden auch viele junge Menschen umbringen

Aber das ist auch das Problem der Entscheider*innen. Wer jetzt Entscheidungen trifft, tut dies mit unvollständigen Daten. Und anhand dieser Daten lassen sich Szenarien erstellen. Im Moment ist es so, dass die Szenarien sagen, wir würden eine unglaubliche Menge JUNGE Menschen umbringen, sie dem Risiko eines langfristigen Lungenschadens und sogar der Unfruchtbarkeit aussetzen. Und all das im Namen der „Wirtschaft, die ja weiterlaufen muss.“ Eine bessere Strategie gibt es bereits. Sie wurde zuerst von Tomas Pueyo mit dem Namen „Hammer and Dance“ benannt.

Was getan werden muss, um bald wieder raus zu können: Der Hammer & der Tanz

Auch das Innenministerium wird sie wohl verfolgen wollen. Dabei bleiben wir erstmal im Shutdown. Und das, bis die Menge Neuinfektionen unter ein gewisses statistisches Maß sinkt. Sind wir dort angekommen, wechseln wir die Strategie. Der Tanz ist es dann, jede Neuinfektion sofort zu quarantänieren, jede einzelne Kontaktperson ebenso sofort zu isolieren und zu testen. Südkorea, Taiwan und Hong Kong sind auf diese Weise enorm effektiv. Dort feiert allerdings auch niemand Corona Partys.

Der logistische Aufwand dafür ist allerdings enorm und stellt durchaus ein paar Freiheitsrechte auf den Kopf. Diese Fragen darf sich aber jemand anders stellen. Ich schließe mit meiner Wertung der Idee der Herdenimmunität: Sie ist nach jetziger Datenlage völliger menschenverachtender Wahnsinn. Niemand muss wie Texas Gouverneur sagte, in diesen Mengen „für die Wirtschaftslage“ sterben. Wenn wir den Hammer aufrechterhalten, dann können wir das mit Sofortmitteln schaffen. Der Schaden wird sowieso angerichtet.

Es gibt kein Szenario, in welchem diese Pandemie keinen wirtschaftlichen Schaden anrichtet

Und wenn in zwei Monaten 24 Millionen Menschen erkrankt wären, würde die Wirtschaft sowieso stillstehen. Wir dürfen uns nicht von unserer Existenzangst dazu bringen lassen, Millionen von Menschen sterben zu lassen. Es ist Wunschdenken, das wir einfach so weitermachen können. Das geht nicht. Und wenn wir es tun, ist es eine Katastrophe. Deswegen bleiben wir lieber noch einen weiteren Monat zuhause. Langfristig helfen nur Antikörper-Tests, eine wirksame Behandlung zur Reduktion der Sterblichkeit und eine Impfung. Denn selbst wenn wir gewinnen, werden andere Länder es nicht. SARS-COV-2 ist da, es wird bleiben und sich einnisten. Und wenn nicht bei uns, dann in Afrika, dem indischen Kontinent und Südamerika, wo die Behandlungsmöglichkeiten deutlich schlechter aufgestellt sind als bei uns. Die paar Monate, die packen wir schon.

Quellen:

Für diejenigen, die selbst mit Szenarien spielen wollen, der Epidemic Calculator (Link).

Live-Zahlen aus der ganzen Welt:

  • Worldometer (Link)
  • John Hopkins CSSE Coronavirus Tracking (Link)
  • Tomas Pueyo, The Hammer and the Dance (Link)

Wissenschaftliche Publikationen:

  • Kucharski, A., Russell, T., Diamond, C., & Liu, Y. (2020). Analysis and projections of transmission dynamics of nCoV in Wuhan. CMMID repository, 2.
  • Li, Q., Guan, X., Wu, P., Wang, X., Zhou, L., Tong, Y., … & Xing, X. (2020). Early transmission dynamics in Wuhan, China, of novel coronavirus–infected pneumonia. New England Journal of Medicine.
  • Rocklöv, J., Sjödin, H., & Wilder-Smith, A. (2020). COVID-19 outbreak on the Diamond Princess cruise ship: estimating the epidemic potential and effectiveness of public health countermeasures. Journal of Travel Medicine.
  • Wu, J. T., Leung, K., Bushman, M., Kishore, N., Niehus, R., de Salazar, P. M., … & Leung, G. M. (2020). Estimating clinical severity of COVID-19 from the transmission dynamics in Wuhan, China. Nature Medicine, 1-5.
  • Wu, J. T., Leung, K., & Leung, G. M. (2020). Nowcasting and forecasting the potential domestic and international spread of the 2019-nCoV outbreak originating in Wuhan, China: a modelling study. The Lancet, 395(10225), 689-697.



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