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Unterzeichner wie „Dr. Person Fakename“: Der Betrug hinter der „Great Barrington Erklärung“

von | Okt 11, 2020 | Aktuelles, Corona, Corona-Fake

Der große Betrug hinter der „Great Barrington Erklärung“

Die unwissenschaftliche Szene der Pandemie-Leugner und extrem Rechten ist derzeit völlig begeistert von der so genannten „Great Barrington Erklärung“. Sie verspricht alles, was diese abgeschottete Filterblase ohnehin schon glaubt und hofft: Ein sofortiges Ende aller Corona-Maßnahmen. Mit einer (vermeintlich) wissenschaftlichen Idee dahinter. „Tausende“ Wissenschaftler:innen und Gesundheitsexpert:innen sollen die „Great Barrington Erklärung“ unterzeichnet haben und fordern, dass gesunde und junge Menschen wieder zu einem normalen Leben zurückkehren sollten. Die fußt fundamental auf dem Konzept der „Herdenimmunität“.

Doch die „Great Barrington Erklärung“ ist eigentlich eine einzige Manipulation. Nicht nur sind nicht wenige der „Expert:innen“ Fake, das Konzept der „Herdenimmunität“ hat gar keine wissenschaftliche Grundlage, lässt Langzeitfolgen außer Acht, würde eine brutale Zwei-Klassen-Gesellschaft mit vielen Toten verursachen. Nein, dahinter steckt auch eine Organisation, die eine extrem rechte Ideologie promoted und von extrem rechten Klimawandelleugner und Ölmilliardär Charles Koch mitfinanziert wird.

1. „Dr. Person Fakename“ und weitere „Experten“

Die Täuschung fängt schon auf der untersten Ebene an: Der britische Sender „Sky“ hat sich die Liste der Namen der vermeintlichen „Expert:innen“ genauer angesehen: Und dutzende offensichtliche Fake Namen gefunden (Quelle). Darauf stehen Namen wie „Dr. I.P. Freely“ (Es klingt wie „Ich pinkle frei“), „Dr. Person Fakename“ oder Dr. Johnny Bananas, „Doktor für harte Summen“. Ein Arzt auf der Liste heißt genau so wie ein britischer Arzt, der bis 1998 über 200 seiner Patient:innen umgebracht hat. Manche sind Professoren auf der „Universität deiner Mudder“. Und viele derartige Späße mehr.

Auch wurden 18 selbst erklärte Homöopathen als „Gesundheitsexpert:innen“ aufgezählt, obwohl es keinen wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit von Homöopathie über den Placebo-Effekt hinaus gibt. Über 100 Therapeut:innen haben unterzeichnet, darunter Massage-Therapeut:innen, Hypnose-Therapeut:innen und eine Person, die sich selbst als „therapeutischen Klangpraktiker“ bezeichnet. Die Organisatoren erklären, dass das Troll-Einträge waren, um ihrem Ansehen zu schaden. Jedoch zeigt es deutlich, dass es wohl keinerlei Kontrollen gibt, die eine Überprüfung der Unterzeichner:innen vornehmen.

Wie leicht man Fake-Einträge produzieren kann, wurde von mehreren Personen demonstriert (Quelle). Die „tausenden Expert:innen“ sind damit äußerst zweifelhaft. Auch ist unklar, ob tatsächlich existierende Expert:innen dann ihre Namen selbst eingetragen haben und mit der Eintragung überhaupt einverstanden sind.

Eine Randmeinung der wissenschaftlichen Community

Das ändert jedoch auch nichts daran, dass die einfache Anzahl für Laien an Namen eine Mehrheit (oder zumindest signifikante Minderheit) in der wissenschaftlichen Gemeinschaft suggerieren soll, die es einfach nicht gibt. Das hat zum großen Teil damit zu tun, dass es keinen wissenschaftlichen Unterbau für die Theorien hinter der „Great Barrington Erklärung“ gibt, aber dazu gleich mehr. Expert:innen widersprechen der Grundidee hinter der Erklärung und zweifeln unter anderem an, dass Risikogruppen (, die bis zur Hälfte der Bevölkerung ausmachen können! Quelle) wirklich isoliert werden können (mehr dazu).

Sie beschuldigen die Erklärung, bewusst den Anteil an Support für die These der „Herdenimmunität“ in der wissenschaftlichen Community zu verzerren. Prof. Martin McKee von European Public Health at the London School of Hygiene and Tropical Medicine vergleicht es mit den bezahlten Botschaften, die die Debatte um die Gesundheitsschädlichkeit von Tabak verzerren sollten, damit Zigarettenhersteller länger mehr Produkte verkaufen können (mehr dazu). Die meisten Expert:innen lehnen die Konzepte der „Herdenimmunität“ ab, und nur eine Minderheit an Stimmen der Fürsprecher:innen wird überproportional in den Medien präsentiert. Kommen wir dazu, warum.

2. Der Mythos der „Herdenimmunität“

Die ganze Idee basiert auf der falschen Annahme, dass es eine Herdenimmunität für Covid-19 überhaupt möglich ist. Es gibt bisher keinen gesicherten Beweis, dass man die Krankheit nie wieder haben kann, wenn man einmal infiziert wurde. Es gibt bestätigte Fälle, in welchen sich Menschen ein zweites Mal angesteckt haben (Quelle). Covid-19 scheint sich da eher wie die Erkältung zu verhalten, für die es auch keine Herdenimmunität gibt (mehr dazu).

Das ganze Konzept basiert also schon auf einer unwissenschaftlichen Annahme. Der Präsident der Academy of Medical Sciences aus Großbritannien bezeichnete den Vorschlag der „Great Barrington Erklärung“ als „unethisch und einfach nicht möglich“ (Quelle). Am Anfang der Pandemie haben wir eine Rechnung veröffentlicht, die die Todeszahlen einer ungehinderten Durchseuchung konservativ geschätzt hat.

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Letztlich basiert die These auf Prinzipien, die gefährlich sind für die öffentliche Gesundheit, erklären Experten (Quelle). Weder ist gesichert, dass eine Herdenimmunität möglich ist, noch wird so das Leben und die Gesundheit jener vermeintlichen „Risikogruppen“ zuverlässig geschützt werden können. Sie werden weiterhin mehr als genug Kontakte zum Rest der Bevölkerung haben müssen und sich infizieren. Und man unterschätzt die Größe und Bedeutung jener „Risikogruppen“ in der Gesellschaft.

3. Zwei-Klassen-Gesellschaft, Langzeitfolgen

Der Vorsitzende der englischen NHS beschrieb die logische Konsequenz dieser absurden Forderungen: „Es wäre eine altersabhängige Apartheid!“ (Quelle) Man müsste effektiv jeden über 65 einsperren, weil jeder Kontakt mit der Außenwelt den potentiellen Tod bedeuten könnte. Und wo genau ziehen wir die Grenze?  Risikogruppen und ältere Menschen und damit ein gewaltiger Teil der Bevölkerung wären einer unglaublichen Beschränkung ihrer Rechte ausgesetzt. Sofern sie nicht ein extrem tödliches Risiko eingehen möchten. Die versprochene Freiheit für junge, gesunde Menschen wäre exakt das Gegenteil für Risikogruppen. Die Todeszahlen und der Schaden für die Wirtschaft wären immens (mehr dazu).

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Und der zweite Faktor wird dabei völlig außer Acht gelassen: Die Langzeitfolgen auch für junge Menschen. Denn nicht nur sterben auch junge und gesunde Menschen an Corona, tausende leiden an den Langzeitfolgen der Erkrankung, selbst wenn sie nach einem leichten Verlauf wieder gesund wurden. Es gibt Studien und Berichte von vielen bleibenden Herzschäden (Quelle). Berichte von Patient:innen, die fünf Monate nach Gesundung noch unter der „Folter“ der Langzeitfolgen leiden.

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Es gibt noch zu wenig Daten und Forschung darüber und ob und wie lange Langzeitfolgen auch insbesondere bei jungen Menschen bestehen bleiben. Jedoch einfach ohne wissenschaftliche Grundlage wieder zu einem „normalen Leben“ zurückzukehren, wie es die „Great Barrington Erklärung“ fordert, könnte weitaus gravierendere Folgen haben als bisher angenommen. Und das wäre unverantwortlich. Möchten die Unterzeichner:innen und Unterstützer:innen diese Verantwortung übernehmen?

4. Extrem rechte agenda und Geld von einem Ölmilliardär

Kommen wir zur letzten Enthüllung über die „Great Barrington Erklärung“, die das alles als eine große Manipulation entlarvt. Wer sich gefragt hat, woher der Name „Great Barrington“ kommt – das ist der Name der US-amerikanischen Ortschaft, in welcher das American Institute for Economic Research (AIER) ansässig ist, und wo die Erklärung unterzeichnet wurde. Und hier offenbart sich, warum das alles rein gar nichts mit Epidemiologie oder überhaupt Wissenschaft zu tun hat: AIER erklärt auf seiner Website, dass ihre Ziele sind, gegen die „Ideologien des Sozialismus und Zentralismus“ anzukämpfen und den Einfluss von Regierungen zu beschränken. Es ist ein libertärer Think Tank, das mit viel Geld versucht, die öffentliche Meinung zu Gunsten von Superreichen und Unternehmen zu manipulieren.

Es handelt sich also um eine Organisation, die extrem rechte Wirtschaftsideologie verbreitet, wie auch Richard Murphy, Professor der Practice in International Political Economy in der City University of London erklärt (mehr dazu). Die Ideologie plädiert dafür, so Murphy, die ältere Bevölkerung, die einer Wirtschaft mehr Kosten als Nutzen bringt, als wertlos anzusehen und als zu beseitigen. Die Pandemie und ein gefährliches Virus, dass diese überproportional tötet kommt dieser Ideologie gerade Recht. Ähnlichkeiten zur NS-Ideologie, die schwaches und „unwertes Leben“ beseitigen wollte, sind kein Zufall.

Wenn alle Rentner:innen sterben würden (In Deutschland jede 5. Person!), würde das Regierungsausgaben massiv senken für Rentenausgaben, Gesundheitsausgaben und dementsprechend auch möglich machen, Steuern senken zu können. Profitieren davon würden erneut vor allem Superreiche und Unternehmen. Während ältere und arme Menschen nichts davon hätten – außer eine extrem höhere Sterberate, so Prof. Murphy. Hier haben wir also eine Manipulation der Öffentlichkeit und Täuschung über den wissenschaftlichen Konsens im Interesse von Superreichen. Wer da an die Klimakrise denkt, denkt genau richtig.

Geld der Koch Stiftung

Die Stiftung hinter der „Great Barrington Erklärung“ wird tatsächlich zum Teil vom extrem rechten US-amerikanischen Öl-Milliardär Charles Koch finanziert (Quelle). Der „think tank“ ist eingebettet in das Netzwerk der Koch foundation, welches dafür bekannt ist, mit schmutzigen Tricks die Klimakrise zu leugnen, damit sie weiter in fossile Brennstoffe investieren können und damit auf Kosten des Klimas reich werden. Dokumente zeigen, dass AIER 2018 knapp 70.000 Dollar von Koch bekommen hat. Alle Veröffentlichungen von AIER zur Klimakrise spielen die Folgen herunter oder leugnen den menschlichen Einfluss darauf (Quelle).

Koch und sein inzwischen verstorbener Bruder sind die größten Finanziers der Klimakrisenleugnung und damit massiv mitverantwortlich für die enorme Wissenschaftsfeindlichkeit und Desinformation rund um die Klimakrise. Und nun anscheinend auch rund um Corona. AIER erhält jedoch ebenfalls viel Geld von Investitionen in fossilen Brennstoffen, Tabak, Konsumgütern und viel mehr. Sie besitzen eine Investmentfirma und einen privaten Fond, der Anteile an vielen großen Unternehmen hat, von ExxonMobil, Philip Morris International und One Gas Inc bis zu McDonalds und Microsoft (Quelle).

Fazit: Ihr fallt auf großangelegte Manipulation rein

Das ist keine Erklärung mutiger Wissenschaftler:innen, die gegen den verblendeten „Mainstream“ ankämpft, sondern eine PR-Kampagne einer extrem rechten Lobbyorganisation, die auf keiner wissenschaftlichen Grundlage beruht. Kein Wunder, dass extrem Rechte Influencer:innen und Pandemie-Leugner:innen hierzulande darauf anspringen und das verbreiten. Die „Great Barrington Erklärung“ ist durch und durch ein finanzierter Taschenspielertrick, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Angefangen von den Unterzeichner:innen, über dessen fehlenden wissenschaftlichen Unterbau bis hin zu seinen Hintermännern.

Artikelbild: Charles Koch. Bildrechte: Gavin Peters / CC BY-SA. Screenshots 


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