26.370

Weimar: Wie dich Pandemie-Leugner über die Bedeutung des Urteils täuschen

von | Jan 24, 2021 | Aktuelles, Allgemein, Corona, Corona-Fake

Verfassung schützt auch die, die in geistig schlechter Verfassung sind

Der klage- und crowdfundingfreudige Rechtsanwalt Füllmich berichtet in einem in Querdenker-Kreisen viel geteilten, 10-minütigem Youtube-Clip über ein Urteil vom 11.01.2021 zu einer Klage gegen ein Ordnungswidrigkeitenverfahren am Amtsgericht Weimar – Aktenzeichen 6 OWi – 523 Js 202518/20 – (Urteilstext und Begründung hier).

Update (24.01.2021, 21:00 Uhr):

Uns erreichte im Nachgang noch die Information, dass der Richter in diesem Verfahren, ein Richter am Amtsgericht mit dem Namen Guericke, bereits im August selbst als Privatperson über die Kanzlei ckb-Anwälte Klage gegen die Maskenpflicht am Oberverwaltungsgericht Thüringen (OVG Thüringen) einreichen ließ.

Im verlinkten *.pdf hingegen ist der Name zwar entfernt, das Internet (und der Google Cache) belegt das jedoch noch. Das OVG Thüringen hat die Klage im August jedoch abgewiesen, hier der Volltext inklusive Name: THURINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT.

ckb Anwälte sind im Bereich Coronaklagen sehr umtriebig. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie befangen der Richter am Amtsgericht bei der Urteilsfindung des „Weimar-Urteils“ war.

Es macht stutzig, dass eine Privatperson (von Beruf Amtsrichter) im Sommer noch erfolglos gegen die Corona-Maßnahmen klagt, um dann knapp ein halbes Jahr später mit einer ähnlichen Begründung einen Bußgeldbescheid eines Klägers zu „kassieren“. Wann genau beginnt noch einmal Befangenheit?

Update Ende

Bevor wir jetzt auf Füllmichs Video eingehen und dem mehr Sendezeit geben als er verdient hat, checken wir lieber die Fakten und lassen den Desinformationsverbreiter und Pandemie-Leugner Füllmich außen vor.

Nur vorab: Füllmich behauptet, dass der Richter darauf hinweist, dass die Demokratie ins Wanken geraten sei (Minute 3:10f). Im Urteilsspruch findet sich diese Aussage nicht. Füllmich verbreitet somit falsche Tatsachen. Auch findet sich im Urteilsspruch keine Aussage darüber, dass der Lockdown „die Grundpfeiler der Demokratie gefährde“. Diese Aussage entstammt ebenfalls dem Kreativzentrum von Füllmich, nicht jedoch dem Richter am Amtsgericht Weimar.

Der Pandemie-Leugner und Desinformationsverbreiter Fuellmich steht bereits seit längerem im Verdacht, mit juristisch fragwürdigen und wissenschaftlich falschen Behauptungen zu täuschen:

Alles Täuschung? US-„Sammelklage gegen Drosten“ entpuppt sich als heiße Luft

Die Tatsachenbehauptung von Füllmich, dass der Richter beklagen würde, dass der „Ausnahmezustand schon fast zu einem Normalzustand“ geworden wäre, lässt sich ebenfalls nicht finden. Wir haben daher am Freitag Nachmittag eine Anfrage an die Pressestelle des Amtsgerichts Weimar, gestellt, bislang jedoch noch keine Antwort erhalten können. Sobald diese vorliegt, erhält der Artikel ein Update.

Der Anlass: Eine begangene Ordnungswidrigkeit

Eine Person wurde am 24.04.2020 im Hinterhof eines Hauses in Weimar in einer Gruppe von insgesamt acht Personen, bestehend aus sieben Haushalten, angetroffen. Anlass dieser Zusammenkunft war die Geburtstagsfeier eines dieser Gruppenmitglieder.

Die herbeigerufene Polizei stellte in dem Zusammenhang Verstöße gegen die geltende Corona-Schutzverordnung vom 18.04.2020 in der Fassung vom 23.04.2020 (hier: CoV-2-EindmaßnVO) fest, konkret:

Verstoß gegen § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 der Dritten Thüringer Corona-Verordnung:

§ 2 Abs. 1:

Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur allein, im Kreise der Angehörigen des eigenen Haushalts und zusätzlich höchstens mit einer weiteren haushaltsfremden Person gestattet.

§ 3 Abs. 1:

Veranstaltungen, Versammlungen im Sinne des § 1 des Versammlungsgesetzes in der Fassung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789) in der jeweils geltenden Fassung, Demonstrationen, Ansammlungen und sonstige Zusammenkünfte mit mehr als zwei Personen sind verboten mit der Ausnahme, dass es sich um Angehörige des eigenen Haushalts handelt und zusätzlich höchstens eine haushaltsfremde Person hinzukommt. Dies gilt auch für Zusammenkünfte in Kirchengebäuden, Moscheen und Synagogen sowie in Kulträumen anderer Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften.

§ 2 Abs. 2

3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO regelte Ausnahmen vom Verbot nach § 2 Abs. 1 für die Berichterstattung durch Medienvertreter, die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten im Freien und die Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs und von Kraftfahrzeugen, § 3 Abs. 2-4 regelten Ausnahmen vom Verbot nach § 3 Abs. 1 für bestimmte Arten von Veranstaltungen, (öffentliche) Versammlungen in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel, Gottesdienste und sonstige religiöse Zusammenkünfte, Trauerfeiern und Eheschließungen. Keine dieser Ausnahmen ist vorliegend einschlägig.

Das Gericht stellte im Urteilsspruch fest:

Dieser Verstoß stellt eine Ordnungswidrigkeit gem. § 14 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO i. V. m. §73 Abs. 1a Nr. 24 i. V. m. §32 Satz 1 IfSG dar.

Die Ordnungswidrigkeit wurde somit begangen und die Person hat gegen das Infektionsschutzgesetz (IfSG) verstoßen, das ist selbst vor dem Gericht unstrittig.

Wie kam es dennoch zum Freispruch?

Das Gericht urteilte weiter:

Der Betroffene war dennoch aus rechtlichen Gründen freizusprechen, weil § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO verfassungswidrig und damit nichtig sind.
§ 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO sind aus formellen Gründen verfassungswidrig, da die tief in die Grundrechte eingreifenden Regelungen von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Infektionsschutzgesetz nicht gedeckt sind.

Bedeutet:

Das Grundgesetz und die damit einhergehenden Grundrechte wiegen angeblich schwerer als Verordnungen oder Gesetze, unabhängig davon ob sie auf Kommunal-, Länder- oder Bundesebene beschlossen wurden. Das Gericht sah die Einschränkungen des persönlichen Lebensbereiches zur Eindämmung einer Pandemie als unverhältnismäßig hoch an und hat den Bußgeldbescheid daher aufgehoben.

Die Urteilsbegründung – nur für die Lage im April in Thüringen

In der Urteilsbegründung und der Beweisführung konzentrierte sich der Richter darauf, die Schutzverordnung auf Grundlage des bundesweit geltenden Infektionsschutzgesetzes und des Grundgesetzes zu prüfen und führte dazu Paragraphen und Absätze an, die für die Thüringer Verordnung in Frage gekommen wären. So findet sich in der Urteilsbegründung auch folgender Absatz:

(Die Verordnung) stellt „(…) einen schweren Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG, darüber hinaus aber auch in die Versammlungs-, Vereinigungs-, Religions-, Berufs- und Kunstfreiheit dar, nicht nur, weil es alle Bürger adressiert und zwar unabhängig von der Frage, ob sie Krankheits- oder Ansteckungsverdächtige i. S. v. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG sind oder nicht.

Indem allen Bürgern untersagt wird, mit mehr als einer haushaltsfremden Person zusammenzukommen, wobei dies vorliegend nicht nur für den öffentlichen Raum (§ 2 Abs. 1 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO), sondern gem. § 3 Abs. 1 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO auch für den privaten Raum galt, sind die Freiheitsrechte im Kern betroffen.“

Bedeutet:

Die Thüringer Verordnung wäre zu allgemein und tiefgreifend im Verhältnis zu den Freiheitsrechten der Bevölkerung formuliert und stellte sämtliche Personen quasi unter „Generalverdacht“.

Weiter wird in der „Beweiswürdigung“ die Reproduktionsrate als Begründung herangezogen, die aufgrund der bestehenden „Lockdown“-Maßnahmen zum Zeitpunkt des vermeintlichen Verstoßes unter dem Wert von 1 lag. Laut RKI ist erst der Wert 1 ein kritischer Wert für eine pandemische Lage, so dass die Verordnung nicht „angemessen“ gewesen sei und eben am 24.04.2020 statistisch gesehen keine Pandemie-Situation zutreffend gewesen sei.

Das heißt nicht, wie jetzt die Querdenker behaupten, dass es grundsätzlich keine Pandemie-Lage gäbe oder dass andere (, neuere) Gesetze nicht angemessen sind! Es geht um den konkreten Einzelfall. Anwalt Jun, der sich eingehend mit dem Quatsch-Jura der Querdenker beschäftigt, kritisiert es darüber hinaus und erklärt, dass er eine Bestätigung Teile des Weimar-Urteils wegen der schwachen Begründung in höherer Instanz für unwahrscheinlich hält.

Weimar-Urteil ist KEIN Präzdenzfall

Sichtbar wird in der Urteilsbegründung aus Weimar auch, dass der Richter dort eher nicht seine eigene private Meinung niedergeschrieben hat, viel mehr hat er sich mehrfach auf bereits rechtskräftige Urteile anderer Gerichte aus anderen Verfahren (bundesweit) berufen. Er schafft hiermit also keinen Präzedenzfall. Wieso dieses Urteil als eines von vielen nun so gehyped wird – wir wissen es nicht. Sowohl Füllmich als auch Fake-News-Blogs, die diese Story verbreiten, gehen nur auf Teilaspekte der Urteilsbegründung ein und erfinden einige andere Aspekte hinzu, um sie in ihre Narrative einzupassen.

Vergessen Sie etwa (un-?)bewusst die Nennung der rein formaljuristischen Fehler dieses Bußgeldbescheids? Man könnte annehmen, sie suchen sich gezielt nur die Aspekte raus, die für die Stabilität ihrer normativen Grundlage ihrer Demokratiekritik zuträglich sind. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Wichtig: Urteil hat KEINE Auswirkungen auf aktuelle Rechtssprechung

Das Weimar-Urteil ist zwar vom 11.01.2021, die zu prüfende Bußgeldsache ist jedoch vom 24.04.2020. Thüringen hat seitdem mehrere Neufassungen der Verordnung veröffentlicht und diese überarbeitet. Die aktuelle Verordnung findet sich hier.

Hier ist auch zu sehen, dass §3 nur noch aus einem Absatz besteht, der Absatz a) wurde gestrichen weitere geändert. Dies geschieht einerseits auf Grundlage von neuen Entwicklungen und Erkenntnissen bzw. Vorschriften durch Bund und Länder, aber auch als Folge von Klagen und damit einhergehenden Urteilssprüchen.

Ein Urteil von vielen

In anderen Bundesländern wurden ebenfalls Bußgeldbescheide aufgehoben, da sie im Vergleich zum Grundgesetz und den damit einhergehenden Freiheitsrechten als unverhältnismäßig angesehen wurden, es handelt sich bei dem oben behandelten Thema also nicht um einen „Vorzeigerichter“ mit besonderer Gesetzbarkeit, sondern um eines von vielen Urteilen (SWR-Bericht und der Bericht bei rbb24) zu Schutzverordnungen, die sozusagen mit der „heißen Nadel“ gestrickt wurden, da die Länder und Kommunen zum schnellen Handeln gezwungen waren.
Viele Menschen, gerade Menschen, die Corona oder dessen Gefährlichkeit leugnen, erwägen den Klageweg, da die Chance auf „Gnade“ durch die urteilenden Personen bundesweit recht hoch liegt, wie der Bericht im ZDF zeigt.

Dies ist also nicht nur ein Zeichen von einem „unfähigen“ Staat, sondern auch von einer sehr nachsichtigen Justiz. Die selbe Justiz, der sonst immer vorgeworfen wird, sie würde zu lasche Urteile gegen „Kriminelle“ verhängen. Wenn man jedoch selbst davon profitiert, ist das schon ganz okay und man nutzt diese staatlichen Infrastrukturen doch ganz gerne.

Und jetzt?

Nicht alle dieser Richter:innen sind damit automatisch Pandemie-Leugner:innen, sondern sie überprüfen als Judikative die Legislative und Exekutive auf geltendes Recht, Gesetz und Verhältnismäßigkeit. Sie bewahren sowohl den Querdenkern und Fake-News-Verbreiter:innen, als auch den Verantwortungsvollen ihre freiheitlichen Grundrechte des Staates, in welchem sie leben.

Man könnte auch sagen: die Verfassung schützt auch die, die diese immer wieder untergraben wollen. Der Rechtsstaat funktioniert also auch für die Leute, die der Meinung sind, sie würden in einer „Merkel-Diktatur“ leben, und jede noch so absurde Fake News glauben und verbreiten, die ihnen ihr falsches Weltbild bestätigt.

Klar ist, dass auch Pandemieleugnende nun ein Problem haben: der Rechtsstaat, den sie so kritisieren, da er sie so einschränke, bewahrt sie nun vor der Zahlung von Bußgeldern. Braucht es also künftig neue Hassfiguren, gegen die man den eigenen Frust (worüber eigentlich?) projizieren kann? Keine Sorge, Widersprüche in der eigenen Logik haben diese Menschen bisher auch nicht abgehalten.

Polizei löst als „Parteigründung“ getarnte illegale Querdenker-Versammlung auf

Artikelbild: Screenshot youtube.com

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI: