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Irreführend! WHO warnt NICHT vor Lockdown-Folgen – erklärt sie nur zur letzten Option

von | Nov 1, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona, Corona-Fake

WHO warnt nicht vor „Lockdowns“

Es ist sehr befremdlich, wenn plötzlich auch seriöse Medien ein Framing verbreiten, welches vor zwei Wochen noch in der faktenfreien Pandemie-Leugner-Szene als Fake News umhergegeistert ist. Zumindest entsteht dieser Eindruck bei den meisten Leser:innen. Eine Fake News besagte, dass die WHO eine „Kehrtwende“ vollführt habe und sich „plötzlich gegen Lockdowns“ aussprechen würde. Fakt ist aber: Die WHO hat ihre Position dazu nie geändert und sprach sich stets für Lockdowns als letztes Mittel gegen die Ausbreitung der Pandemie aus. Mehr dazu:

Pandemie-Leugner lügen weiter: KEINE “Lockdown Kehrtwende” bei der WHO

Mehrere Schlagzeilen in auch seriösen Medien ließen in den letzten Tagen jetzt Anschein erwirken, als hätte die WHO explizit vor Lockdowns gewarnt. Die Pandemie-Leugner-Szene sieht sich in ihren Fake News bestätigt. Hier ein paar Beispiele aus den Medien: „WHO Europa-Chef warnt vor negativen Folgen kompletter Lockdowns“:

Und es geht weiter:

DER KONTEXT WURDE WEGGELASSEN!

Das große Problem: Technisch gesehen sind die Überschriften nicht ganz falsch. In einer aktuellen Pressemitteilung werden wirklich auf negative Auswirkungen von „kompletten Lockdowns“ hingewiesen. ABER die Pressemitteilung dreht sich nicht darum, Staaten vor den „negativen Lockdown-Folgen“ zu warnen! Der Europa-Direktor der WHO hat in seiner Pressemitteilung angesichts der verschärften Pandemie-Lage lediglich die Optionen für die europäischen Staaten durchgesprochen:

„Europa steht wieder einmal im Epizentrum dieser Pandemie. Auch auf die Gefahr hin, alarmierend zu klingen, muss ich unsere sehr große Besorgnis zum Ausdruck bringen und Ihnen unsere unerschütterliche Entschlossenheit vermitteln, Ihnen zur Seite zu stehen und Sie so gut wir können zu unterstützen.“

Darin wird auch erklärt, wann und ob ein „Lockdown“ notwendig wird. Hier ist übrigens ganz wichtig, dass es keine einheitliche Definition von „Lockdown“ gibt. Einen wirklich strengen Lockdown gab es in Deutschland bisher nicht und in jedem Land kann ein „Lockdown“ auch anders aussehen. Aber zurück zur WHO: Dort schreibt sie, dass Lockdowns ein wichtiges Instrument sind, um diese Pandemie zu stoppen:

„Die Schlüsselfrage, die sich viele Länder stellen, ist die Frage, ob eine Abriegelung erfolgen soll oder nicht, und wann wird eine Abriegelung notwendig? Wir wissen, dass eine Abriegelung in der Größenordnung der Anfang des Jahres beobachteten Abriegelungen die Übertragung von Krankheitserregern auf die Bevölkerung einschränken und dem Gesundheitssystem den dringend benötigten Raum geben wird, sich zu erholen und sich zu vergrößern, damit es sich um schwere COVID-19-Fälle kümmern und grundlegende Gesundheitsdienste bereitstellen kann.“

Es wird nur erklärt, dass Lockdowns die letzte Option sein sollten!

Lesen wir am besten das ganze WHO-Statement im Original:

„Wir wissen aber auch, dass die vollständige Abriegelung die Nachfrage nach psychosozialer Versorgung steigern und zu einem Anstieg der häuslichen Gewalt führen wird, während die Zahl der Krankenhausaufenthalte bei chronischen Erkrankungen abnehmen wird, was zu vorzeitigen Todesfällen aufgrund dieser Erkrankungen führen wird.

Die indirekten Auswirkungen, die damit verbunden sind, dass Menschen in finanzielle Notlagen geraten und sich der sozialen Sicherheit zuwenden, würden zu weiteren wirtschaftlichen Auswirkungen führen und die wirtschaftliche Erholungszeit verlängern. Angesichts dieser Realitäten erachten wir nationale Abriegelungen als letzte Möglichkeit, da sie die noch immer bestehende Möglichkeit umgehen, alle in grundlegende und wirksame Maßnahmen einzubeziehen.

Sogenannte „Lockdowns“ müssen nicht das bedeuten, was sie im März oder April bedeuteten. Während wir gemeinsam neu definieren, was wir unter diesem ziemlich unglücklichen Begriff verstehen, möchte ich einige Überlegungen und Punkte beisteuern, die unsere Diskussion anregen könnten.“

Nachfolgend werden Strategien diskutiert, wie man mit den „Lockdown-Folgen“ umgehen kann und noch viel wichtiger mit der Pandemie selbst. Das ist keine „Warnung“ vor „Lockdown-Folgen“, es ist eine realistische Erklärung, dass „Lockdowns“ (was man auch immer darunter konkret versteht) auch negative Folgen haben, die wir abwägen müssen.

Irreführende Medienschlagzeilen sorgen für Fake News

Die auch seriösen Medien haben hier nicht direkt Fake News verbreitet, denn eine Hervorhebung von negativen „Lockdown-Folgen“ ist in dem WHO-Statement durchaus vorhanden. ABER es ist ein unverantwortliches Framing, das Pandemie-Leugner und Corona-Verharmloser-Narrative bedient. Und genau den gleichen Effekt hat wie Querdenker-Fake-News. Denn nicht nur muss den Medien klar sein, dass der/die durchschnittliche Leser:in auf den ersten Blick nicht den Unterschied zwischen „WHO warnt vor Lockdowns“ und „WHO warnt vor Lockdown-Folgen“ sofort begreift.

Zum anderen ist die Hervorhebung der „Warnung“ auch willkürlich. Man hätte genau so gut schreiben können: „WHO erklärt Lockdowns für sehr effektiv“ oder dergleichen. Medien, die am rechten Rand der Pandemie-Leugner fischen, mögen das mit Absicht ausgeschlachtet haben, aber wenn auch seriöse Medien diese Schlagzeile nach einer dpa-Meldung reproduzieren, dann nur, weil sie wissen, dass so eine missverständliche Überschrift zu vielen Diskussionen, Klicks und damit Werbeeinnahmen führen wird. Für die eigene Reichweite werden damit in einer unverantwortlichen Weise irreführende Narrative bedient.

Hier handelt es sich um irreführendes Framing, das nur technisch gesehen richtig ist, aber bei den Leser:innen einen falschen Eindruck zurücklässt. Es ist kein Geheimnis, das sich die meisten Menschen ausschließlich über Schlagzielen informieren. Und in den Händen von Hetzern und Pandemie-Leugner:innen werden solche Titelzeilen gefährliche Munition im Desinformationskampf.

Wir hatten vor wenigen Tagen einen ähnlichen Fall:

Irreführendes Framing: Warum der Lauterbach-Fake so extrem erfolgreich ist

Artikelbild: pixabay.com, CC0


Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI: