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Sie glauben einfach alles: Diese Verschwörungsmythen waren in Wahrheit Satire

von | Mai 11, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona, Social Media

Warum Verschwörungsmythen unseriös sind

Die Corona-Pandemie ist für alle anstregend – und viele leiden unter ihren Folgen. Sei es psychisch, finanziell oder aus welchen Gründen auch immer. Doch wenn Virologen und Politiker*innen (teilweise auch unzureichend) erklären, dass das alles noch lange andauern wird, sehnt man sich nach der einen Meldung, die einen endlich bestätigt: Es ist endlich vorbei! Das können falsche Versprechungen und Corona-Verharmlosungen sein, wie dass der Virus angeblich gar nicht gefährlicher sei als eine Grippe (, was falsch ist mehr dazu) oder gar, dass das Virus komplett erfunden worden sei. Und hier kommen wir zu Verschwörungsmythen.

An dieser Stelle überschreitet (berechtigte oder nicht) Kritik die Grenze hinein zur Verschwörungsideologie. Und die Grenzen sind leider heutzutage fließend. Die Sehnsucht nach Meldungen, die die Hoffnung befriedigen, dass wir wieder zu unserem normalen Leben zurückkehren können, wird gerne von vielen Leuten ausgenutzt. Seien es Boulevardmedien, die es nicht so genau nehmen, seien es Politiker einer Partei, die gerade an der 5%-Hürde kratzt oder Betrüger*innen und professionelle Verschwörungsideolog*innen, die auf Youtube und anderswo „alternative Wahrheiten“ buchstäblich verkaufen – und Klicks und Geld damit verdienen.

Verschwörungsmythen

Nein, „Corona Rebellen“ und Verschwörungsideologen werden behaupten, man würde pauschal einfach alles als Verschwörungstheorie abtun, was „kritisch“ sei – natürlich sagen sie das, damit niemand ihr Geschäftsmodell in Frage stellt. Dabei ist der Unterschied zwischen sachlicher Kritik und Verschwörungsmythos sonnenklar: Letzteres besteht auf vielen unbestätigten Annahmen, vereinfacht komplexe Sachverhalte bis zur Unkenntlichkeit und basiert auf Übertreibungen und Logiksprüngen.

Nur weil man sich eine Erklärung für Umstände ausdenken kann, heißt das nicht, dass sie wahr sind, nur weil sie einem logisch vorkommen. Nur weil jemand ein paar Dinge behauptet, die vermeintlich einen roten Faden spinnen, heißt das nicht, dass hier alle Fakten auf dem Tisch liegen. Oder auch alles Tatsachen sind. Und ganz besonders auffällig: Verschwörungsmythen sind Zirkellogik. Man kann sie nicht widerlegen. Das heißt nicht, dass sie richtig sind, sondern dass sie Logikfehler besitzen. Man kann die Nicht-Existenz von Behauptungen nicht beweisen.

Und wenn jede*r, der Kritik übt, „ganz bestimmt“ auch ein bezahlter Agent ist, der das nur sagt, um „die Wahrheit“ zu vertuschen, dann kann per Definition niemand Kritik üben. Diese Denksysteme sind bequem, eben weil man nichts hinterfragen muss. Man kann auch alle Gegenbeweise entweder ignorieren oder auch zum Teil der Verschwörung basteln. Irgendeine Erklärung kann jeder mit genug Fantasie finden. Muss nur nichts mit der Realität zu tun haben.

Satire

Verschwörungsideolog*innen bauen alles mögliche irgendwie in ihre Weltanschauung mit ein. Entweder belegt es den Mythos, oder wenn es ihn widerlegt, dann ist es ein Beleg dafür, dass jemand „die Wahrheit“ vertuschen will und das ist ein Beleg, dass der Verschwörungsmythos wahr sein soll. Ihr seht, dass Diskussionen da sinnlos sind. Zwischen den ganzen fantastischen Erklärungen, die sich teilweise selbst widersprechen, hat sich aber auch die ein oder andere Satire geschlichen, wie wir herausgefunden haben.

Die Verschwörungsmythen sind so absurd und sie reagieren nur noch unkritisch auf gewisse Buzzwörter, teilweise wurden Satire-Artikel massenhaft in diesen Kreisen geteilt. Ein Beispiel ist der Blog „der Störenfried“. Bereits im März veröffentlichte der Blog einen deutlich erkennbaren Satire-Artikel („Satire“ ist eines der Keywords des Artikels). Man sieht Trump im „Todesstern“ aus „Star Wars“, wie er angeblich die „Order Y380“ unterzeichnet hat. Ich weiß nicht, wie man die Satire auf den Verschwörungsmythos um „Defender2020“ (mehr dazu) nicht erkennen kann.

Der Inhalt ist eigentlich relativ egal, es ist lauter Unsinn. Wer Lust hat, kann sich natürlich gerne HIER amüsieren. Wichtig ist jedoch: Der Artikel wurde anscheinend über 100.000 mal gelesen. Wir stießen auf den Artikel, als er in den diversen Telegram-Verschwörungsgruppen geteilt wurde, mit der Aufforderung, die Inhalte abzuspeichern.

#Code274

Die „GGUltras“ haben sich vergangene Woche ebenfalls einen Scherz erlaubt und es tatsächlich geschafft, dass ihre Fake-Verschwörungstheorie in die Twitter-Trends kam:

Den genauen Ablauf hat die anonyme Autorin HIER auf dem Blog dokumentiert, aber die Kurzfassung: Nach dem Melden 274 rechtsextremer Tweets wurde ein Screenshot dazu veröffentlicht, der das dokumentierte.

Plötzlich spekulierten Nutzer*innen, dass es sich dabei um einen medizinischen Code handeln könnte, andere, dass es sich dabei um einen Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch handeln könnte.

Am Ende twitterte die ganze Verschwörungsmythen-Blase (mit ein bisschen Unterstützung der Initiator*innen, die dazu Satire-Beiträge produzierten) über den „Code274“ und spekulierte, wer dahinter stecken könnte: Gates, QAnon, die Illuminaten. Sogar Jan Böhmermann machte sich darüber lustig.

Die Initiator*innen schreiben zwei Tage nach der Aktion auf ihrem Blog:

„Wie gefährlich ist also eine Fake- oder eben Spaß-Verschwörung? Wie gefährlich sind Tweets, Videos, Telegramgruppen von echten Verschwörungstheoretikern? Während facebook bereits QAnon Inhalte löscht, ist auf Twitter von solchen Maßnahmen noch nichts zu spüren.

Nach 2 Tagen als Teil einer Spaß-Verschwörung, muss ich sagen, ist es sowohl beängstigend, wie schnell sowas an Kraft gewinnt und eskaliert als auch grandios, was wenige Menschen mit etwas Spaß bewirken können. Mir wird #code274 jedenfalls als ein Erfolg über rechte Hetzer, Aluhutträger und Anhänger in Erinnerung bleiben. Und wenn man die Tage auf Twitter nach dem # Ausschau hält, bin ich sicher, dass er noch lebt, da draußen.“

Auch unsere Satire wird ernst genommen

Vergangene Woche wurde unser Engagement gegen Fake News auch missbilligend von Verschwörungsideologen aufgegriffen. Der Verschwörungs-Blog KenFM verbreitete eine Verschwörungstheorie über uns Volksverpetzer auf Twitter, wo angedeutet wurde, dass auch wir von Bill Gates bezahlt werden würden. Als Reaktion darauf haben wir uns einen Spaß erlaubt und gezeigt, dass man mit der exakt gleichen Logik auch behaupten könnte, KenFM werde von Bill Gates bezahlt, was natürlich Unsinn ist. Und haben uns einen Scherz mit diesem Artikel erlaubt:

Enthüllungs-Skandal: KenFM wird von Bill Gates finanziert! Wacht auf!

Und – leider sehr schade – viele haben die Satire-Überschrift ungelesen geglaubt. Viele haben sie nicht geglaubt, aber dennoch ernst genommen. Wir haben viele wütende Mails und Morddrohungen erhalten. In den Verschwörungsgruppen wurde einer unserer Screenshots geteilt, als „Beweis“. Ironisch, wenn sich Verschwörungsideologen gegenseitig als unseriös bezeichnen.

Sogar KenFM reagierte darauf – und offenbarte, ganz offensichtlich ebenfalls nicht den Artikel gelesen zu haben. Auch in den Telegram-Gruppen wurde der Wahrheitsgehalt heiß diskutiert – und wohl kein einziges Mal der Inhalt gelesen.

Hier sieht man: Es geht nicht um Wahrheit, sondern um reine Meinung. Ob KenFM von Bill Gates bezahlt wird, könnte man herausfinden. Es gibt nur eine Wahrheit in dem Fall (Nämlich nein). Ob unser SATIRE-Artikel wahr ist oder nicht, könnte man auch durch das Lesen desgleichen herausfinden. Aber nein, es wird darin darüber abgestimmt. Eine Abstimmung. Über Fakten, die man herausfinden könnte!

Fazit

Und ja, es gibt noch viele weitere Beispiele. Nur diese sind aktuell und konnten wir abschließend nachweisen. Verschwörungsmythen sind Märchen. Es sind Narrative und Logikfehler, die einem ermöglichen, alles zu glauben, was man möchte. Und hier liegt der Punkt. Was man möchte. Genau deshalb wird darüber abgestimmt, ob KenFM gekauft ist – weil die Wahrheit keine Rolle spielt. Wichtig ist, ob es zur Geschichte passt.

Es wird jedoch gefährlich, wenn diese Verschwörungsmythen auf der Straße landen. Wenn Leute sich in einen Wahn hineinsteigern, und wirklich glauben, in einer „Diktatur“ zu leben. Das wäre unter normalen Umständen schlimm genug, aber während einer globalen Pandemie gefährden sie auch zusätzlich noch unser aller Gesundheit auf „Hygiene-Demos“.

Das sind die Menschen, die auf den Hygiene-Demos gegen eine „Diktatur“ demonstrieren

Nein, wer an der offenen Diskussion über die Maßnahmen teilhaben will (, die es ganz offensichtlich gibt), kann das sehr gerne machen. Nur braucht man dazu Fakten und sachliche Argumente. Und muss auch bereit sein, auf Gegenargumente zu hören. Wer am Ende wirre Märchen glaubt und mit Faschisten und Verschwörungsideologen aufmarschiert, der ist kein ernstzunehmender Kritiker. Der verteidigt nicht das Grundgesetz. Der bedroht es. Und dass es keine Rolle spielt, dass manche Teile der Theorien nachweislich Satire sind, sollte zeigen, wie wenig oft wirklich dahinter steckt.

Zum Thema:

Hey, ihr Corona-Schwurbler: Ihr seid nicht „kritisch“, ihr seid peinlich!



Artikelbild: Suzanne Tucker