2.140

Panikmache & Fakes: Häuser-Enteignung durch EU ist erfunden!

von | Mrz 6, 2023 | Faktencheck

Mit dem Paket „Fit for 55“ möchte die EU ihre Klimaziele erreichen. Im Rahmen dessen ist momentan eine Richtlinie in Arbeit, die Maßnahmen zur Gebäudesanierung einleiten soll. Damit soll unter anderem die Energieeffizienz unserer Wohnhäuser verbessert werden. Auf YouTube gehen zu diesem Thema Fake News um, die wahrheitswidrig behaupten, die EU plane Enteignung, wenn man sich Sanierungen nicht leisten könnte. Das ist Unsinn und dient der Panikmache. Tatsächlich hält die EU Enteignungen grundsätzlich für nicht verhältnismäßig und plant finanzielle Hilfen für diejenigen, die sich Sanierungen wirklich nicht leisten können.

Klima: Eines der beliebtesten Themen für Fake News

Die Klimakatastrophe ist eine existentielle Gefahr, vor der wir als Gesellschaft stehen. Wenn wir nicht schnell ernsthafte Maßnahmen ergreifen, drohen katastrophale Zukunftsszenarien. Politische Maßnahmen sind dagegen chronisch langsam oder nicht weitreichend genug. 2021 wurde zum Beispiel das wenig ambitionierte Klimaschutzgesetz der Großen Koalition vom Bundesverfassungsgericht einkassiert, da es die Freiheit zukünftiger Generationen unverhältnismäßig einschränkt. Man könnte also meinen, dass es viel Protest und Empörung gegen die unzureichenden Klimamaßnahmen gibt. Und den gibt es natürlich auch, z.B. von Klimaaktivist:innen, Wissenschaflter:innen und auch politischen Blogs.

Doch gleichzeitig gibt es auch Menschen, die das katastrophale Ausmaß der Klimakatastrophe ignorieren oder bewusst verharmlosen. Mit Methoden wie dem „Derailing“, dem künstlichen Entgleisen-Lassen von Diskussionen, wird vom Thema abgelenkt oder Klimaschutz sogar in den Dreck gezogen. Diese basieren in aller Regel auf Lügen und Desinformation, auf fehlendem Kontext und Falschdarstellungen. Solche Fakes sind schnell gemacht und auch finanziell ist es durchaus lukrativ, sie zu verbreiten. Die Faktencheck-Arbeit dagegen ist langwierig und anstrengend, sie erfordert viel Zeitaufwand. Darum wollen wir beispielhaft zwei solche Fake-Videos für euch debunken und auch aufzeigen, warum hier gelogen wird. Vielleicht lässt sich so ein gesund-kritisches Bauchgefühl entwickeln, wie diese unseriösen Fake-News funktionieren. Gönnt euch einen Tee und was zum Knabbern, es wird ein wilder Ritt.

Fake-Video 1: Angst, Empörung, Enteignung?!

Das erste Video stammt von „Oli investiert“. Hinter dem Kanal steckt ein gewisser Oliver Haas. Er verkauft sich als „IT-Beratung“, doch sonderlich viel über IT redet er in seinen letzten Videos nicht. Stattdessen viel Populismus, reißerische Clickbait-Titel und apokalyptische Bilder. Buzzwords wie „unfassbar“, „es eskaliert komplett“ und aller paar Wochen irgendwer, der „komplett ausrastet“. Wer diese Videos regelmäßig konsumiert, läuft definitiv Gefahr, in eine Spirale von Angst und Hass zu geraten. Passend dazu kann man in der Videobeschreibung krisensicher in Gold, Silber oder Kryptowährungen investieren. Natürlich über affiliated Links, damit „Oli“ auch mit verdient.

Gut in dieses Bild passt das Video „EU plant die Enteignung von „alten“ Häusern„. Die lang geschürte Angst vor übergriffigen „denen da oben“ gipfelt hier darin, dass nun angeblich sogar die eigenen vier Wände in Gefahr seien! Das ist auch auf gar keinen Fall ein Fake, denn er sagt ja direkt zum Anfang „Der Titel ist kein Fake“! Okay gut, wenn es da kein Fake gäbe, würden wir keinen Faktencheck dazu schreiben. Aber im Video von „Oli“ ist, selbst ohne Faktencheck, die Richtung von Anfang an klar. Die böse EU zwingt die armen Hausbesitzer:innen, für viel Geld ihre Wohnungen energetisch zu sanieren. Die Emotion des Tages heißt: Angst!

Schock-Rechnung zur angeblichen „Enteignung“

Dann die Schock-Rechnung gleich hinterher: 50-60.000€ sollen es sein, „das können viele nicht leisten!“ Für Wohnungen, die vor 1948 gebaut wurden, sind es sogar angeblich 200.000€! Also sagt er halt einfach mal so, als seine private Schätzung vom IT-Experten. Und angeblich gibt es sogar eine komplette Enteignung für 3 Millionen Häuser! Denn es steht ja in diesem Spiegel-Artikel, in dem ein (ganz bestimmt nicht befangener!) Verband der Hauseigentümer „Haus & Grund“ das eben mal so sagt. Man könnte diesen Fakt natürlich nachprüfen, aber gleichzeitig regen wir uns doch gerade so schön auf. Hinterfragen und überprüfen? Wo bleibt denn da der Spaß? Viel lieber endet „Oli“ dann mit Robert Habeck, „denn Robert Habeck steckt meiner Meinung nach da irgendwie mit drin“! Denn was wären denn rechte Verschwörungserzählungen, ohne, dass „die Grünen!“ am Ende Schuld sind?

Okay, genug Spaß. Offensichtlich ist dieses Video, dessen Kernaussage auf einer einzigen Quelle beruht, die noch dazu mindestens einen Interessenskonflikt hat, nicht seriös. Wir kommen auch gleich zum Faktencheck (Spoiler: Fast alles im Video ist Falschdarstellung oder Verschwörungsmythos), doch davor müssen wir leider noch feststellen: „Oli“ ist nicht der einzige, der das Lügenmärchen der Enteignung durch die EU pusht.

Fake-Video 2: Dasselbe jetzt mit Medienverschwörung!

Ja, wenn ihr dachtet, solche unwahren Schauergeschichten sind Einzelfälle, dann müssen wir euch leider enttäuschen. „Skandal: EU plant gezielte Enteignung von Häusern“ – so schreit es den Followern von Pascal, laut eigener Angabe „ehemaliger Banker und leidenschaftlicher Privatanleger“ auf seinem Kanal „PlantMoney“ entgegen. Auch er redet vom „fitfor55“ Gesetzesentwurf, auch hier geht es um angebliche Enteignung durch die EU, auch hier wird eine emotionale, fiktive Geschichte von Menschen, die aus ihren Fachwerkhäusern rausfliegen, erzählt. Flüchtlinge aus der Ukraine haben angeblich auch irgendetwas damit zu tun, was genau, wird nicht verraten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird hier als die Schuldige ausgemacht, denn schließlich hat das ja alles etwas mit der EU zu tun und dann wird da schon eine böse Absicht im Spiel sein – so sollen es die Zuschauer:innen zumindest sehen.

Besonders amüsant ist die Behauptung, über den EU-Plan „Fit for 55“ würde man in den Medien „kaum etwas hören“. Ein häufiger Vorwurf von Demagog:innen am Rande des Verschwärungsmythos. Offenbar hat der Produzent da aber einfach diesen Spiegel-Artikel, auf dem sein ganzes Video basiert, vergessen. Und diese Pressemitteilung der Bundesregierung, die er selbst zitiert, genauso wie diese Mitteilung vom Rat der EU. Dann wäre da noch ein Spiegel-Artikel vom Juni 2022, einer vom Dezember 2022 und einer vom Juli 2021. Oder dieser Bericht der Tagesschau vom Dezember 2021. Gerne auch vom Juni 2022. Oder Deutschlandfunk vom Juli 2021. Aber offensichtlich passt „die Medien berichteten regelmäßig darüber“ nicht so schön ins Panik-Narrativ.

Okay, aber das nur am Rande. Offensichtlich verbreiten diese Videos Implikationen, mit denen Menschen Angst eingeredet werden soll. Diese Implikation ist, dass einfach Menschen aus ihren Wohnhäusern fliegen könnten. Die böse EU zwinge sie, bis 2030 zu machen, was sie sagt, oder sie werden obdachlos. Doch wie ihr mittlerweile sicherlich ahnt, hat das mit der Realität nicht viel zu tun. Wir schauen für euch drauf.

„Fit for 55“: Was ist das überhaupt?

Die Panikmache von Enteignung und drohender Obdachlosigkeit basiert auf Desinformation. Auffällig ist schon die Grundaussage des Videos, nämlich dass die EU angeblich in großem Stil enteignen wolle. Diese Aussage hängt an einer einzigen Quelle, nämlich diesem Spiegel-Artikel und der darin zitierten Aussage des Eigentümerverbandes Haus & Grund. Faszinierend ist, dass offenbar keiner der beiden Video-Ersteller sich mal die Mühe gemacht hat, zu recherchieren, was die EU eigentlich wirklich vorhat. Ihr wisst schon, einfach mal auf den Seiten der EU ein bisschen rumklicken und schauen, was sich zu dem Thema findet. Und das aus „gutem Grund“, denn das Ganze wird gleich viel weniger dramatisch, wenn man sich mal die Hintergründe anschaut. Doch der schöne Clickbait-Titel geht dann nicht mehr.

Schauen wir also zuerst einmal darauf, was diese Kommission, die laut Pascal fürs Klimaziel „eingerichtet“ wurde, eigentlich vorgeschlagen hat. Zuerst einmal ist hier nicht von irgendwelchen bösen „Die da oben“-Eliten eine geheime Kommission eingerichtet worden. Es geht um die Europäische Kommission, ein Organ der EU, welches seit über 60 Jahren existiert. Aber hey, im Vergleich zu dem, was wir jetzt debunken, ist das eher ein kleiner Fehler. Gucken wir also in den Vorschlag der Kommission und ins Paket „Fit for 55“ rein, die „Oli“ und Pascal so empört in ihren Videos behandeln.

Tatsächlich geht es beim Paket „Fit for 55“ um relativ ehrgeizige Klimapläne der EU. Bis 2030 sollen die Emissionen der gesamten EU um 55 % gesenkt werden. Das ist nicht nur ein vages Ziel, sondern eine rechtliche Verpflichtung der EU aus dem Klimagesetz von 2021. Laut einem UN-Bericht waren 2019 38 % der globalen CO₂-Emissionen der Bau- und Gebäudewirtschaft zuzurechnen. Das heißt, dass in diesem Bereich große Anstrengungen notwendig sind, um unsere Klimaziele zu erreichen.

Faktenlage: Wohnraum-Enteignung rechtlich ausgeschlossen!

Genau hier setzt der Vorschlag der EU-Kommission an: Es soll eine neue Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden geben. Darin soll unter anderem verpflichtend festgelegt werden, dass Gebäude mit besonders niedriger Energieeffizienz bis 2030 bzw. 2033 eine höhere Energieeffizienzklasse erreichen sollen. Denn so werden sie weniger klimaschädlich. So weit, so richtig. Doch wo in der Richtlinie tauchen nun die Enteignungen auf, vor denen wir in den Videos so emotional und empört gewarnt werden? Tatsächlich: Gar nicht. Was passiert, wenn man diese Ziele nicht einhält, ist keineswegs so katastrophal, wie es im Video suggeriert wird. Es findet sich lediglich Folgendes in Artikel 31 des Vorschlages:

Die Mitgliedstaaten legen fest, welche Sanktionen bei einem Verstoß gegen die innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und ergreifen die zu deren Durchsetzung erforderlichen Maßnahmen.

Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung)

Das heißt zuerst einmal: „Die Europäische Union“ enteignet gar nichts. Wem man sich ein bisschen mit Europarecht beschäftigt, versteht man das auch schnell. Denn was die Kommission hier vorschlägt, ist eine Richtlinie. Diese legt laut Art. 288 AEUV zwar das „zu erreichende Ziel“ fest, aber überlasst den „innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“. Das heißt: Wie genau die Staaten die Richtlinie der Kommission umsetzen, können sie selbst entscheiden.

Na gut, könnte man jetzt sagen. Dann kann vielleicht die EU uns nicht enteignen, aber die Staaten basierend auf dieser EU-Richtlinie könnten es dann schon? Doch auch das ist nicht richtig, die Sorge ist unbegründet. Natürlich müssen die Staaten sich Sanktionen überlegen, denn sonst hält sich ja niemand an die Gesetze und man könnte es auch gleich sein lassen. Doch diese Sanktionen müssen nicht nur wirksam und abschreckend, sondern laut Artikel 31 des Vorschlags auch verhältnismäßig sein. Einer Person ihr Haus zu enteignen, weil sie Energieeffizienzmaßnahmen nicht einhält, ist definitiv keine verhältnismäßige Maßnahme, wie auch die EU-Kommission der Deutschen Presse-Agentur erklärte.

Auch über „Hintertür“ Finanzen keine Enteignung absehbar

Rechtlich ist also alles klar: Die EU kann Hausbesitzer:innen durch diese Richtlinie nicht enteignen – und auch die einzelnen Mitgliedsstaaten können das nicht. Doch ein weiterer, unbelegter Vorwurf steht im Raum, nämlich dass über Strafzahlungen oder Steuererhöhungen „durch die Hintertür“ enteignet würde. Was ist mit den Hausbesitzer:innen, die sich die Renovierung nicht leisten können und durch Strafzahlungen pleite zu gehen drohen? „Wie sollen die Betroffenen das bezahlen?“, fragt Oli im Video.

Auch dabei verschweigt er jedoch, dass die EU hier mitdenkt. Neben dem Argument, dass nach der energetischen Sanierung die Energiekosten enorm sinken, wodurch es sich langfristig sowieso lohnt, gibt es auch finanzielle Mittel für diejenigen, die sich die Sanierung ad hoc nicht leisten können. In einem „Q&A“ der Kommission heißt es, dass bis zu 150 Milliarden Euro aus der EU-Kasse für die Sanierung bereitgestellt werden sollen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der vorgeschlagene Klima-Sozialfond. In diesen Fonds steckt die EU all das Geld, welches sie durch die CO₂-Zertifikate einnimmt. Daraus können die Mitgliedstaaten dann wiederum Geld für einkommensschwache Haushalte und Kleinunternehmen bekommen, für die die Sanierungen zu teuer wären. Im Dezember wurde eine vorläufige Einigung getroffen, es sieht also gut aus, dass der Fond auch umgesetzt werden kann.

Fazit: Keine Enteignung, unbegründte Panikmache soll Angst und Misstrauen streuen

Halten wir erst einmal fest: Die EU plant keine Enteignung, die EU-Kommission hat diese sogar explizit als unverhältnismäßig abgelehnt. Die EU hat vor, ihre Klimaziele zu erreichen und setzt dafür Maßnahmen um, aber stellt auch finanzielle Mittel bereit, sodass der Klimawandel sozial gerecht bekämpft werden kann. Umweltorganisationen kritisieren sogar, dass diese Maßnahmen noch nicht weit genug gehen. Wenn man also die EU sinnvoll kritisieren will, dann findet man durchaus Ansatzpunkte. Doch der springende Punkt ist: Reißerische YouTube-Kanäle mit Clickbait-Thumbnails wollen das oft gar nicht.

Ja, Leute wie Oli wollen gar nicht wirklich etwas politisch verändern; sie wollen, dass ihr Angst habt, dass ihr das Vertrauen in die Demokratie verliert – und letztlich, dass sie Macht über euch haben, die sich dann über affiliate Links in Geld ummünzen lässt. Sie wollen, dass ihr euch aus Angst und Unsicherheit an ihre Heilsversprechen klammert. Und ganz ehrlich: Wir können diese Ängste verstehen. Corona, Ukraine, Klima, Energiekrise und so weiter – es kann einem schon manchmal so vorkommen, als wäre die Welt in einer ständigen Abwärtsspirale.

Es stimmt, dass viele Dinge gerade schieflaufen. Davor Angst zu haben, ist okay, wirklich. Davon überfordert zu sein, auch. Aber die Gefahr, in die Fänge von Verschwörungsmythen zu geraten, sollte einem immer bewusst sein, wenn man scheinbar einfache Antworten im Internet präsentiert bekommt. Bleibt wachsam, lasst euch nicht von denen vereinnahmen, die aus eurer Unsicherheit Kapital schlagen wollen. Hinterfragt schlecht recherchierte Videos mit emotionalen Titeln. Und schickt diesen Artikel gern an Freund:innen weiter, damit sie nicht Gefahr laufen, in den Teufelskreis aus Hass, Angst und Hetze zu geraten!