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Energie-Emissionen steigen – ist aber wirklich Habeck Schuld?

von | Mrz 29, 2023 | Faktencheck

Gastbeitrag von Stefan Holzheu

Das Verkehrsministerium verfehlt 2022 erneut die Klimaziele. Verkehrsminister Volker Wissing wäre nach dem geltenden Klimaschutzgesetz verpflichtet, Sofortmaßnahmen zur Einhaltung der Klimaziele vorzulegen. Doch bereits auf die Zielverfehlung im Vorjahr hat Wissing mehr oder weniger mit Arbeitsverweigerung reagiert. Der Expertenrat Klima erklärte damals, dass das Programm „zwar eine emissionsmindernde Wirkung entfaltet, aber nicht die Anforderung an ein Sofortprogramm gemäß Bundesklimaschutzgesetz erfüllt.“ Und weiter: „Von einer vertiefenden Prüfung der Annahmen des Sofortprogramms für den Verkehrssektor hat der Expertenrat für Klimafragen daher zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen.“

Jeder weiß, dass die einfachste Sofortmaßnahme im Verkehrssektor ein Tempolimit wäre. In den Niederlanden wurde in einem vergleichbaren Vorgang sogar ein Tempolimit von 100 km/h (von zuvor 130 km/h) eingeführt. Doch Tempolimit ist wohl eine wahre Horrorvorstellung für die FDP. Entsprechend aufgeregt reagierten viele FDP MdBs und nutzten eine schon bei kleinen Kindern beliebte Methode: „Aber die anderen sind ja noch viel schlimmer!“ Da traf es sich gut, dass neben den Emissionen im Verkehrssektor eben auch das erste Mal seit Jahren die Emissionen im Energiesektor gestiegen waren. Und zwar sogar noch deutlicher als im Verkehrssektor.

Doch kann man für diesen Anstieg wirklich Robert Habeck und sein Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) verantwortlich machen?

Es ist einfach festzustellen, was die Emissionen im Energiesektor erhöht hat: Entscheidend war die gesteigerte Stromproduktion durch Steinkohle (+9,0 TWh) sowie Braunkohle (+5,2 TWh). Aber niemand verbrennt Kohle einfach nur zum Spaß. Interessant ist also das „warum?“ Und hier sind vor allem zwei Ursachen zu nennen.

Eigene Berechnung auf Basis von Stundenwerten von Agora Energiewende

Atomausstieg – Unter Regierung von CDU und FDP

Am 31.12.2021 wurden in Deutschland drei AKWs abgeschaltet. Grundlage war das Atomausstiegsgesetz. Der entscheidende Gesetzentwurf dazu wurde am 06.06.2011 als Drucksache 17/6070 [PDF] öffentlich gemacht. Am 30.06.2011 wurde dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.

Der Entwurf stammt jedoch aus der Feder der damaligen Regierungskoalition Union und FDP, also exakt von den beiden Parteien, die sich jetzt plötzlich so besorgt über den Anstieg der CO₂-Emissionen äußeren. Dabei muss jedem schon 2011 klar gewesen sein, dass es unmöglich sein wird, 4 GW AKW-Erzeugung sofort im Folgejahr durch Wind und PV zu ersetzen.

Dass es überhaupt zu dieser wenig sinnvollen Abschaltfestlegung (drei AKWs am 31.12.2021 und drei AKWs am 31.12.2022) kam, dürfte seine Gründe in populistischer Symbolpolitik haben. Insbesondere der jetzige bayerische Ministerpräsident Söder hatte daran einen erheblichen Anteil.

Wahrscheinlich dachte man damals, 2021/22 ist noch lange hin. Keine einzige Partei hat in den Jahren seit 2011 irgendeinen Versuch unternommen, diese Abschaltfestlegung sinnvoller zu gestalten. Auch Union und FDP haben bis zur Bundestagswahl 2021 an diesem Atomausstieg festgehalten. Entsprechend haben sich die Betreiber darauf eingestellt:

Die Personalplanung ist auf dieses Ausstiegsdatum ausgerichtet, Brennelementbestellung wurden entsprechend geplant, Rückbauverträge geschlossen. Vielleicht mit Ausnahme von Isar2 schließen daher alle Betreiber eine erneute Laufzeitverlängerung sehr deutlich aus. EnBW-Vorstand Georg Stamatelopoulos lässt sich mit „ein Atomkraftwerk ist keine Märklin-Eisenbahn“ zitieren und macht damit klar, dass es eben nicht geht wie von einigen Politikern und selbsternannten Twitter-AKW-Experten gefordert, die AKWs einfach mal ein paar Jahre weiterzubetreiben.

Französische AKW-Ausfälle

Die geplante Abschaltung der drei deutschen AKWs allein hätte jedoch nicht zwangsläufig zu diesem Anstieg der Emissionen geführt. Durch die gesteigerte Wind und PV-Erzeugung (+22,0 TWh) sowie den reduzierten Verbrauch (-26,2 TWh) wäre die wegfallende AKW-Erzeugung (-33,7 TWh) sogar überkompensiert worden. Dazu muss man jedoch anmerken, dass die Steigerung der EE-Erzeugung nicht nur dem Zubau, sondern auch einem insgesamt besseren EE-Jahr zuzuschreiben ist. Der Zubau wurde ja leider, wie allgemein bekannt, von der vorherigen Bundesregierung stark eingebremst. Und selbstverständlich ist auch der geringere Verbrauch ein Sondereffekt der hohen Energiepreise im Zuge des Ukraine-Kriegs. Dass die Kohleverstromung trotz dieser beiden Effekte dennoch zugenommen hat, liegt am europäischen Stromhandel.

Eigene Berechnung auf Basis von Stundenwerten von Agora Energiewende

Insbesondere das traditionelle Stromexportland Frankreich hat durch seine AKW-Ausfälle eine erhebliche Stromnachfrage generiert. Netto hat Deutschland 2022 15,3 TWh nach Frankreich exportiert – nach „nur“ 6,5 TWh 2021. Damit entspricht die Zunahme des Exports nach Frankreich (+8,8 TWh) fast der Zunahme der Steinkohleverstromung (+9,0 TWh).

Fazit

Es ist verständlich, dass die FDP von den klimapolitischen Mängeln des Verkehrsministers ablenken möchte. Doch Habeck für den Anstieg der CO₂-Emissionen im Energiesektor verantwortlich zu machen, ist reichlich albern. Wer eine AKW-Abschaltung ins Gesetz schreibt, sollte sich eigentlich nicht wundern, wenn diese dann auch umgesetzt wird.

Überhaupt sollte man bei der ganzen AKW-Diskussion nicht vergessen, dass die Emissionen im Energiesektor innerhalb des ETS (EU-Emissionshandelssystem) stattfinden. Die Emissionsmenge ist damit grundsätzlich gedeckelt. Mehremissionen jetzt müssen in Zukunft durch stärkere Senkungen der Emissionen ausgeglichen werden. Das ist ein fundamentaler Unterschied zum Verkehrssektor. Emissionen, die dort jetzt zu viel stattfinden, haben bisher keine großen Konsequenzen. Entsprechend verhält sich auch das Verkehrsministerium.

Dr. Stefan Holzheu ist Umweltwissenschaftler an der Universität Bayreuth. Arbeitsschwerpunkte sind Sensordatenerfassung, Datenbanken und Statistik. Bekannt wurde er durch die Aufdeckung des Rechenfehlers der BGR bei Infraschall von Windenergieanlagen. Privat engagiert er sich bei Scientists4Future und betreibt Wissenschaftskommunikation zu den Themen Klimawandel, Energie- und Wärmewende auf Twitter.

Artikelbild: Klaus Feurich