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Wie aus 12.400 auszutauschenden Heizungen Vier Millionen wurden – Faktencheck

von | Jun 10, 2023 | Faktencheck

Gastbeitrag von Malte Kreutzfeldt

„Vier Millionen Öl- und Gasheizungen erreichen Alter der Austauschpflicht“ – so oder ähnlich lauteten in der vergangenen Woche die Überschriften zahlreicher Medien von Focus über Bayerischen Rundfunk bis zum Spiegel. Das klingt durchaus dramatisch. Denn dass Heizungen nach 30 Jahren ausgetauscht werden müssen, ist zwar seit vielen Jahren gesetzlich vorgeschrieben. Doch wenn das Gebäudeenergiegesetz GEG wie geplant in Kraft tritt, dürften sie vom nächsten Jahr an in der Regel nicht mehr gegen eine neue, rein fossile Heizung ausgetauscht werden, sondern nur gegen eine Alternative, die zu 65 Prozent erneuerbare Energien nutzt.

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Und das soll im nächsten Jahr wirklich für 4 Millionen Heizungen gelten?

Schon wenn man nur kurz über diese Zahl nachdenkt, scheint sie wenig glaubwürdig. Und tatsächlich zeigt die Statistik: Die 84 Millionen Menschen in Deutschland leben in 43 Millionen Wohnungen (inklusiven Einfamilienhäusern). Weil sich in Mehrfamilienhäusern meist mehrere Wohneinheiten eine Heizung teilen, ist deren Zahl nochmal geringer: Insgesamt gibt es in Deutschland laut jüngster Schornsteinfeger-Statistik (ohne Kaminöfen) rund 20 Millionen Heizungen. Weil eine Heizung in der Regel 25 Jahre hält, müssten bei einigermaßen gleichmäßiger Verteilung in Bestandsgebäuden nicht 4 Millionen Heizungen pro Jahr installiert werden, sondern etwa 800.000.

Dass vor 30 Jahren, also im Jahr 1994, auf einen Schlag 4 Millionen Heizungen installiert wurden, ist also kaum vorstellbar. Und es trifft auch nicht zu. Aber wie ist die falsche Zahl zustande gekommen?

Die Schuld dafür trifft nicht nur die Medien, sondern auch die Bundesregierung. Die Artikel beruhen nämlich zum Großteil auf einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa. Die wiederum bezieht sich auf einen Text der Augsburger Allgemeinen, und der hat als Quelle eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Unionsfraktion (die der Zeitung zunächst exklusiv vorlag, inzwischen auch online steht, und zwar hier).

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Bundesregierung hat Fake selbst in die Welt gesetzt

Darin heißt es in der Antwort auf Frage 7 wörtlich: „Im Jahr 2024 werden circa 1,9 Millionen Ölheizungen und 2,1 Millionen Gasheizungen ein Alter von 30 Jahren erreichen.“ Gemeint war aber offenbar, was auch in der dazugehörten Frage stand, nämlich „ein Alter von über 30 Jahren“. Die vier Millionen Heizungen sind also nicht jene, die im nächsten Jahr 30 Jahre alt werden, sondern alle, die dann älter als 30 Jahre sind.

Wenn man sich an die 800.000 Heizungen erinnert, die im Schnitt pro Jahr installiert werden, und zudem bedenkt, dass ein erheblicher Teil der vor 30 Jahren eingebauten Heizungen schon erneuert worden sein dürfte, ist klar, dass der weit überwiegende Teil der 4 Millionen Heizungen nicht exakt vor 30 Jahren eingebaut wurde, sondern vor mehr als 30 Jahren. Und weil die Austauschpflicht nach 30 Jahren auch bisher schon gesetzlich vorgeschrieben war, kann das nur heißen: Für diese Heizungen gilt die Austauschpflicht offenbar nicht.

Doch für die existieren bereits Ausnahmen

Denn, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort schreibt: „Bei den Austauschverpflichtungen nach GEG existieren vielfältige Ausnahmen.“ Dieser Hinweis hat es auch in viele der oben genannten Artikel geschafft. Wer mehr als Überschrift und Vorspann gelesen hat, hat also zumindest erfahren, dass nicht vier Millionen Heizungen unter die Austauschpflicht fallen, sondern weniger – weil es Ausnahmen gibt.

Im allgemeinen Sprachgebrauch geht man allerdings davon aus, dass eine Regel für die Mehrzahl der Fälle gilt und eine Ausnahme nur für einen kleinen Teil. Doch beim Heizungstausch ist das Gegenteil der Fall.

Das bestehende Gebäudeenergiegesetz sieht zwei Ausnahmen von der Austauschpflicht nach 30 Jahren vor: § 72 Absatz 3 nimmt „Niedertemperatur-Heizkessel und Brennwertkessel“ aus, § 73 regelt, dass Ein- und Zweifamilienhäuser ausgenommen sind, die am 1. Februar 2002 vom Eigentümer selbst bewohnt wurden und seitdem nicht verkauft worden sind. Über die Frage, ob diese Ausnahmen auch in Zukunft bestehen bleiben, gab es etwas Verwirrung – auch wegen eines Fehlers im jüngsten Gesetzentwurf (über den ich hier berichtet hatte). Inzwischen hat das Bundeswirtschaftsministerium aber klargestellt, dass die bisherigen Ausnahmen auch weiterhin gelten sollen.

Für die meisten Heizungen gelten „Ausnahmen“

Die entscheidende Frage ist also, wie viele Heizungen darunter fallen. Für die zweite Ausnahme, also die mit den Ein- und Zweifamilienhäusern, beantwortet die Bundesregierung in der gleichen Anfrage, aus der auch die „vier Millionen Heizungen“ stammen: Das sind 1,55 Millionen Heizungen, also schon mal mehr als ein Drittel. Zur ersten Ausnahme, also den Niedertemperatur- und Brennwertkesseln, findet sich darin keine Zahl. Man kann diese aber abschätzen, wenn man die technische Entwicklung der Heizungen und die Statistik der Schornsteinfeger zusammen betrachtet. Dazu muss man zunächst etwas technisch werden.

Lange Zeit wurde bei fossilen Heizungen nur die Wärme genutzt, die direkt beim Verbrennen des Öls oder Gases entstand. Diese sogenannten Heizwertkessel werden unterteilt in Konstanttemperaturkessel, die stets mit 70 bis 90 Grad betrieben werden, und Niedertemperaturkessel, bei denen die Temperatur an den jeweiligen Wärmebedarf angepasst wird, wodurch sie 20 bis 30 Prozent weniger Energie verbrauchen. Brennwertkessel können ebenfalls die Temperatur regeln; sie nutzen zudem durch Wasserdampf-Kondensation einen Teil der Energie, die sonst mit dem Abgas durch den Schornstein entweicht, und sind dadurch noch einmal deutlich effizienter.

Weil sowohl Niedertemperatur- als auch Brennwertkessel von der Austauschpflicht ausgenommen sind, gilt diese somit nur für Konstanttemperaturkessel. Die wurden aber nur bis Mitte der 80er-Jahre in relevanter Zahl verbaut, heißt es etwa auf der vom größten deutschen Hersteller Viessmann betriebenen Seite heizung.de. Tatsächlich unter die Austauschpflicht fallen somit vor allem Heizungen, die älter als 40 Jahre sind.

Unter eine „Ausnahme“ fallen somit 39 % der Heizungen, unter die andere 89 %

Wie viele das sind, lässt sich der oben genannten Statistik der Schornsteinfeger entnehmen: Aus den Tabellen auf Seite 7 geht hervor, dass von den im Jahr 2022 betriebenen Heizungen insgesamt rund 300.000 Öl- und 140.000 Gaskessel vor dem 31.12.1984 installiert wurden – insgesamt also nur gut 440.000 der 4 Millionen Heizungen.

Unter die eine „Ausnahme“ fallen somit 39 Prozent der Heizungen, unter die andere 89 Prozent. Wie groß der Anteil ist, der unter keine der beiden Ausnahmen fällt, lässt sich anhand der Zahlen nicht exakt sagen. Wenn man davon ausgehen würde, dass selbstgenutzte Ein- und Zweifamilienhäuser bei den Konstanttemperaturkesseln den gleichen Anteil ausmachen wie insgesamt, blieben rund 170.000 Heizungen übrig (39 Prozent von 440.000). Der reale Wert ist aber sehr viel geringer, denn es erscheint logisch, dass es vor allem Selbstnutzer mit geringem Einkommen sind, die eine Heizung mehr als 40 Jahre lang nicht austauschen.

Es sind in Wahrheit nur 12.400

Und tatsächlich nennt das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage eine konkrete Zahl, wie viele Heizkessel im nächsten Jahr aufgrund der Altersgrenze ausgetauscht werden müssen: Es sind genau 12.400 – also 0,3 Prozent der 4 Millionen. Und zumindest die Größenordnung hätte man auch direkt der Antwort an die Unionsfraktion entnehmen können, die die Grundlage für die ganzen Artikel über die 4 Millionen möglicherweise auszutauschenden Heizungen war. Dort war bereits der entsprechende Wert für 2023 angegeben, nämlich 17.500.

Doch diese Zahl fand sich weder in der Ursprungsmeldung der Augsburger Allgemeinen noch in einem anderen Bericht über die drohende Austauschpflicht. Denn dann wäre es ja keine Nachricht mehr gewesen.

Malte Kreutzfeldt ist Redakteur bei Table.Media. Berechnungen zu den auszutauschenden Heizungen hat er zuerst für den täglichen Newsletter Berlin.Table erstellt, der hier abonniert werden kann.

Artikelbild: canva.com/Screenshots