3.090

Faktencheck: Machen Migranten unsere Freibäder sicherer?!

von | Jul 26, 2023 | Faktencheck

Freibäder sind sicherer geworden

Die Anzahl der Gewaltdelikte in Berliner Freibädern ist gesunken, dasselbe gilt für Bayern und Baden-Württemberg. Und in Nordrhein-Westfalen, in Brandenburg, Hessen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt. Eine SPIEGEL-Datenanalyse der Kriminalstatistiken ergab einen Rückgang der Schwimmbad-Straftaten in 11 von 12 untersuchten Bundesländern im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Gleichzeitig ist im vergangenen Jahr der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund um 5,2 % gestiegen, 28,7 % der Bevölkerung in Deutschland haben jetzt einen Migrationshintergrund. Die Schlussfolgerung muss für AfD-Wähler und BILD-Leser ja auf der Hand liegen: Migrant:innen machen unsere Freibäder sicherer! Schließlich ist ja deren Anteil gestiegen und die Gewalt gleichzeitig gesunken, da muss es ja einen Zusammenhang geben! Zumindest wird dieser Zusammenhang ständig impliziert oder direkt behauptet, wenn es (angeblich) anders so wäre. Natürlich ist das eine komplett unsinnige, wissenschaftsfeindliche und reißerische Argumentation. Doch genau so funktioniert rechte Propaganda im Netz – nur eben mit umgekehrten Vorzeichen.

Die Facts: Gewalt in Freibädern sinkt nach Corona

Ja, es ist Sommer, die Corona-Beschränkungen sind Geschichte und ihr könnt wieder ins Freibad gehen. Tut das! Nicht nur, weil es eine angenehme Erfrischung ist und die Pommes dort doppelt so gut schmecken, sondern auch, weil Freibäder immer sicherer werden, ihr euch also um Gewaltdelikte weniger Sorgen machen müsst. Nehmen wir das Beispiel Bayern: Laut bayrischer Polizeistatistik sank die Anzahl der Gewaltdelikte in bayrischen Freibädern von 1636 im Jahr 2019 auf 1287 im Jahr 2022. Oder Baden-Württemberg: Hier sank die Anzahl der Gewaltdelikte von 2019 bis 2022 um 14,9 % auf 1174. Und wir sprechen hier von einem seit längerem anhaltenden, positiven Trend: Vor acht Jahren lag die Zahl noch bei 1888! Weitere Zahlen findet ihr in der großen Auswertung des SPIEGEL. Auch die Tagesschau hat eine Liste über den Rückgang der Straftaten aufgestellt.

Screenshot

Das sind eigentlich gute Nachrichten, und solche sind in der aktuellen Zeit nicht gerade häufig. Darum erscheint es auf den ersten Blick auch unerklärlich, wieso in der aktuellen Debatte plötzlich das Bild von scheinbar massiv eskalierender Gewalt in Freibädern dominiert. Vom Merz-Mann und neuen CDU-Generalsekretär Linnemann, der plötzlich von schnellen Strafen für Taten im Freibad spricht. Sicherlich haben doch alle deutschen Leitmedien verstanden, dass der angebliche „Anstieg“ der Gewaltdelikte von 2020 oder 2021 auf 2022 natürlich „außer der Wertung“ ist. Denn in diesen Jahren der Corona-Pandemie war eben auch fast niemand im Freibad – und wenn niemand da ist, kann auch niemand Gewaltdelikte begehen. Das ist so trivial, dass wir eigentlich gar nicht darauf hinweisen müssen sollten – oder? ODER??

Keine Überraschung: Springer-Presse hetzt trotz sicherer Freibäder

Natürlich kann die Axel-Springer-Presse, allen voran die BILD-Zeitung, nicht differenziert über die Fakten berichten. Tut sie ja selten. Selbstverständlich könnte sie auch schreiben: „Gewalt in Freibädern geht seit Jahren zurück – genießt eure Sommerferien!“. Aber das wäre ja seriöser Journalismus, würde sich nicht so schön klicken und außerdem ließe sich damit doch nicht gegen Menschen mit Migrationshintergrund hetzen und der Rassismus im Land stärken. Ist also bei der BILD unmöglich. Und wenn die Fakten nicht hergeben, was die BILD-Redakteure hetzen wollen – dann müssen die Fakten eben direkt mal auf den Kopf gestellt werden! Und dann kommt eben auch mal eine Fake-Behauptung dabei raus wie „Immer öfter werden Freibäder in Deutschland auch Schauplatz ungehemmter Gewalt!“ Das ist – wie ständig bei der BILD – halt gelogen.

Quelle: bild.de

Das Ziel der BILD ist es ja eben nicht, differenziert und seriös zu berichten. Der BILD geht es auch nicht um „Frauen, Schwule und Juden“, die sie in der Überschrift als durch die Gewalt gefährdete Gruppen herausstellt. Ihnen geht es einzig allein darum, Menschen mit Migrationshintergrund als „…die Täter“ zu markieren. Als Quelle reicht da ein anonym zitierter Bademeister, der einfach behauptet, 80 % der Gäste hätten einen arabischen Hintergrund und schon ist das ohnehin über Jahre aufgebaute Feindbild ein weiteres Mal bestätigt. Hass und Lügen ist das Geschäft dieses Blattes. Ob der Bademeister das so gesagt und gemeint hat? Können wir nicht überprüfen, ist ja anonym. Ob die Zahlen das wirklich so hergeben? Können wir widerlegen, die Statistiken sprechen wie gesagt eine klare Sprache. Auch in Berlin ging die Anzahl der Körperverletzungen und Sexualdelikte im Vergleich zu 2019 zurück.

BILD-Methode: Gleich auf mehreren Ebenen Unsinn

Nun ist die BILD aber seit Jahren bekannt für ihre Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund (und übrigens auch gegen queere Menschen, wenn die nicht gerade gegen Migrant:innen ausgespielt werden). Ihre Strategie ist dabei auch immer dieselbe: Irgendeine (manchmal echte, manchmal erfundene) Statistik wird mit irgendeiner anderen (manchmal echten, manchmal erfundenen) Statistik auf in aller Regel unzulässige Art und Weise in Verbindung gebracht. Da reicht dann das Bauchgefühl, es sei „irgendwie unsicherer“ geworden, unterlegt mit einigen Einzelfällen für einen faktenwidrig behaupteten „Anstieg der Gewalt“, für den dann die Migrant:innen verantwortlich sein müssen, denn die sind ja jetzt da und früher waren sie nicht da. Das klappt übrigens seit Jahren super, und viele Medien machen aus Taktik oder Unfähigkeit mit: Seit 2017 sinken die Gewalt und die Straftaten in Deutschland immer weiter, aber alle paar Wochen blendet uns BILD mit Lügen, Rassismus und Inszenierungen von Einzelfällen.

Und das ist gleich auf mehreren Ebenen offensichtlicher Unsinn. Wir haben bereits ausführlich gezeigt, dass die Gewalt in Freibädern zurückgeht und dass die Korrelation zwischen mehr Migrant:innen und mehr Gewalt, die nicht mal existiert, selbst dann Unsinn wäre, wenn sie existieren würde. Aber merkt ihr, in was für einen endlosen Strudel an Erklärungen, Faktenchecks und Widerlegungen die BILD uns hier hereinreißen möchte? In der Zeit, in der wir damit beschäftigt sind, jede Ebene des regelrechten Fakenews-Hochhauses, welches die BILD-„Zeitung“ errichtet, einzeln zu widerlegen, bauen sie schon eine ganze Plattenbausiedlung an neuen Fake-Häusern.

Sie berauben uns unserer Energie, bewerfen uns so lange mit Matsch, bis wir darin ersticken. Deswegen lasst uns festhalten: BILD erzählt faktenfernen Müll, um gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu hetzen, alles wie immer. Glaubt ihnen kein Wort, niemals. Beschwert euch, wenn andere Medien dieses Desinformationsblatt zitieren oder Politiker:innen mit dem Blatt reden. Schauen wir jetzt lieber noch einmal auf die seriösen Medien, mit denen man noch konstruktiv reden kann. Denn auch die machen leider einiges falsch.

Sorry, Tagesschau & Co.: Ihr seid oft Teil des Problems

Wir vom Volksverpetzer schreien nicht „Lügenpresse!!1“, wenn wir bei den Öffentlich-Rechtlichen oder auch bei anderen seriösen Medien Dinge sehen, die uns nicht passen. Aber wir müssen kritisieren, wo Dinge schieflaufen. Und die „Freibäder“-Debatte ist mal wieder ein perfektes Beispiel dafür, wie wichtig Framing ist – und wie wenig manche Journalist:innen davon immer noch zu verstehen scheinen. Nehmen wir zum Beispiel diesen Artikel von tagesschau.de, der vom SWR übernommen wurde. Schauen wir einfach nur auf die Überschrift, was fällt uns auf?

Quelle: tagesschau.de

„Freibad-Gewalt: BW-Innenminister Strobl sieht keine Probleme wie in Berlin“ heißt es da. Und das ist schon das erste Problem. Die Überschrift des Artikels impliziert, dass es „Probleme in Berlin“ gebe. Damit werden Konnotationen im Kopf der Leser:innen aufgerufen: „Berlin – Freibäder – Problem“. Egal wie sauber und differenziert man im Folgenden berichtet, diese Verbindung wird sich zumindest bei einigen Leser:innen im Unterbewusstsein festsetzen. Die BILD setzt das Framing, und selbst in einem Text, der dem widersprechen soll, fällt man darauf herein und wiederholt ungeschickt genau dieses Framing.

Auch wenn es im Artikel eigentlich um Baden-Württemberg und „keine Probleme“ geht, bleibt hängen, dass es in Berlin Probleme gebe. Das geben aber die Zahlen nicht her, wie wir nun wirklich ausführlich genug erklärt haben. Und das Traurige ist: Das ist den Autor:innen offenbar auch nicht bewusst gewesen. Denn sie machen direkt denselben Fehler noch einmal:

Quelle: tagesschau.de

Fast schon verzweifelt möchte man hier rufen: „JA! OFFENSICHTLICH ist Corona der Grund!“. Und das wird im weiteren Text dann auch so aufgelöst (nicht ohne vorher auf einen Anstieg von 166 % seit dem Corona-Jahr 2021 hinzuweisen). Nur ist das Framing, das, was hängen bleibt, da schon durch. „Straftaten steigen – vielleicht (vielleicht aber auch nicht) liegt es an Corona“. Damit wird also auch bei Leser:innen seriöser Medien Unsicherheit gestreut. Selbst Menschen, die eigentlich nicht die BILD lesen, haben dann im Hinterkopf: „Straftaten in Freibädern steigen – wir wissen nicht genau warum“. Und da schlägt die BILD dann zu, denn sie liefert eine scheinbar offensichtliche Erklärung, warum. Nämlich: „Die Ausländer/Araber/Migranten/…!“

Die Lügen werden in Aktivsätzen, mit starken Worten und als Tatsachen formuliert, die Wahrheit versteckt sich ängstlich hinter einem falschen Framing und einer offenen Frage. Genau darum haben es Fake News so leicht und auch genau darum ist die AfD so stark. Auch seriöse Medien sind unfähig, es richtigzumachen. Bis heute. Selbst der gute Faktencheck der Tagesschau schafft es einfach nicht, die Wahrheit auszusprechen. Denkt dran: Die meisten Menschen lesen nur Überschriften. Nur durch Lesen dieser würde nie jemand die Wahrheit erfahren: Freibäder sind sicherer geworden.

Wie es auch geht

Die seriösen Medien müssten also auch in ihren Framings sachlich, faktenbasiert, aber deutlich formulieren. „Straftaten in Freibädern sinken nach Corona-Pause“ wäre ein genauso richtiges, genauso faktenbasiertes Framing. Oder eben noch besser: „Freibäder sind sicherer geworden“. Im Text könnte man dann natürlich die statistische Anomalie der Corona-Pandemie erklären, damit auch das seine Richtigkeit hat. Machen wir ja auch so, siehe oben. Doch so würden wenigstens die seriösen, wenigstens die Öffentlich-Rechtlichen Medien verhindern, auch noch mehr Unsicherheit zu streuen und damit den Nährboden für BILD-Fakes zu erzeugen.

Gewalt gegen Frauen und queere Menschen ist ein unterschätztes Problem

Okay, jetzt haben wir einen sehr weiten Bogen gezogen. An der Stelle ist es uns aber wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass Angriffe gegen die sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Gewalt natürlich kein Thema sind, das wir kleinreden wollen. Jedes Jahr werden allein in Deutschland über 100 Frauen von ihren Partnern getötet. Auch wenn die Tendenz hier nach Corona wieder rückläufig ist, ist das eine fatale Statistik. Tödliche Gewalt gegen Frauen ist die extremste Konsequenz der Kontinuität patriarchaler Strukturen, die wir bis heute erleben. Diese zeigen sich auch in der gestiegenen Hasskriminalität gegen queere Menschen. Über diese strukturelle Gewalt zu berichten, ohne rassistische Narrative zu bedienen, sollte Ziel aller seriösen, demokratischen Medien sein.

Fazit

Es geht uns hier nicht um das eine Problem mit dem einen SWR- oder sonstigen Artikel. Es geht um ein strukturelles Problem im deutschen Journalismus. Während die Medien, die sich der sachlichen, faktenbasierten Berichterstattung verpflichtet sehen, sich mit ihren Framings in guter Absicht zurückhalten und sich nicht mal trauen, die Tatsachen laut auszusprechen, haut die BILD umso mehr Hetze und Lügen raus. Das Konzept des Volksverpetzers ist es, „BILD mit Substanz“ zu liefern. Wir wirken nicht seriös, das ist uns bewusst. Wir bringen reißerische Überschriften, aber eben mit dem Anspruch, Demokratie und Wissenschaft dahinter zu vereinigen.

Uns ist klar, dass das für die Öffentlich-Rechtlichen und andere seriöse Medien keine Option ist. Das ist auch in Ordnung. Deswegen haben wir augenzwinkernd „Machen Migranten unsere Freibäder sicherer?!“ getitelt. Dennoch sollten alle Journalist:innen, denen etwas an einem konstruktiven, faktenbasierten Diskurs gelegen ist, langsam lernen, Framings zu überdenken und die Macht der Narrative zu verstehen. Was spricht dagegen, bei der Tagesschau „Freibäder sind sicherer geworden“ zu titeln?

Sonst bereitet auch ihr den Boden für die Hetze der BILD und der sonstigen von rechten Interessen gelenkten Springerpresse. Und dann wird es weiterhin solche reißerischen Unsinn-Framings geben, wie wir sie hier zu Demonstrationszwecken in der Überschrift geliefert haben.

Artikelbild: Monkey Business Images