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Verkehrsminister Wissing will mit AKW-Debatte von eigenem Versagen ablenken

von | Jan 4, 2023 | Faktencheck

Bundesminister Volker Wissing hatte bislang kein sonderlich glückliches Händchen, das ihm unterstehende Verkehrsministerium mit den Anforderungen an den Klimaschutz in Einklang zu bringen. Erst im Juli 2022 kritisierten verschiedene Fachleute die Pläne des Ministers als unzureichend. Von einer gigantischen Umsetzungslücke war die Rede und mangelndem Willen, klimaschädliche Privilegien und Subventionen abzubauen. Das neue Jahr beginnt mit einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, laut dem er gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes verstößt.

Die Lösung von Wissing: Atomkraft

Zeitgleich hat Wissing der FAZ nun ein Interview gegeben, in dem er „fachliche Antworten“ dafür fordert, wie wir „unsere Klimaschutzziele erreichen“. Ach, auf einmal. Und wie möchte Volker Wissing die Klimaziele im Verkehrssektor einhalten? Na mit Atomkraftwerken natürlich, wie denn sonst:

„Wir organisieren gerade den Hochlauf der Elektromobilität. Wenn die Menschen erleben, dass die E-Autos nicht nur teuer sind, sondern schlecht für das Klima, wird die Transformation zum Fiasko“

Wer als Werkzeug nur Uranbrennstäbe hat, sieht in jedem Problem zu wenig Atomstrom. Nun kann Atomstrom tatsächlich die CO2-Emissionen senken, das ist recht unstrittig, aber dazu braucht man auch einen Sektor, der nennenswert Strom verbraucht. Das Problem an Wissings Verantwortungsbereich ist jedoch, dass er als fossiles Monster daherkommt und mit Atomstrom aktuell ähnlich wenig anfangen kann wie die deutsche Luftwaffe.

Wer als Werkzeug nur Uranbrennstäbe hat, sieht in jedem Problem zu wenig Atomstrom

Das liegt auch an Wissings Vorgängern, die maximal ängstlich agierten und sich seit Jahrzehnten nur hinter den Effizienzsteigerungen von Verbrennungsmotoren versteckten: Sowohl die CO2-Emissionen pro Personenkilometer im PKW als auch die CO2-Emissionen pro Tonnenkilometer im LKW sind seit 1995 leicht gesunken.

Diese Erfolge verpufften jedoch angesichts den immer weiter steigenden Fahrleistungen einer immer größer werdenden Fahrzeugflotte. Egal wie effizient die Hersteller die Motoren machten, sie kamen nicht gegen die politische Idee an, dass 80 Millionen Menschen sich nur noch mittels Auto fortbewegen sollten. Auch Wissing traut sich nicht, dieses Problem zu benennen, nun also soll es die Atomkraft richten.

Problem 1: Auch 100 in Deutschland laufende Kernreaktoren würden die Emissionen der 46 Millionen Benzin- und Diesel-PKW nicht um ein Gramm CO2 verringern.

Problem 2: Selbst für die in Deutschland fahrenden E-Autos spielt die Kernkraft kaum eine Rolle:

Gehen wir mal davon aus, dass die deutsche E-Auto-Flotte trotz Herrn Wissings orientierungslosem Herumgestolpere die Zahl von 2 Millionen erreicht, jedes davon im Jahr 15.000 km unterwegs ist und 20 kWh pro 100 km verbraucht. All diese PKW bräuchten dann zusammen 6 Terawattstunden Strom jährlich. Deutschland verbraucht im Jahr um die 500 Terawattstunden, der E-Auto-Stromverbrauch wird innerhalb von Wissings Amtszeit also erst mal nur ein Huster in der Statistik sein.

Weder hilft Kernkraft bei Verbrennern, noch viel bei E-Autos

Und dann laufen in Deutschland ohnehin nur noch 3 Kernkraftwerke. Wie viel klimaschädlicher wird unser Strom, wenn wir sie abschalten? Das ist eine nicht ganz triviale Frage, denn das kommt stark darauf an, mit welchem Strom sie ersetzt werden und das hängt wiederum an Überschüssen im Ausland, Gas- und CO2-Preis.

Aber selbst wenn wir die Kernkraftwerke nur mit klimaschädlichem Strom aus neuen Steinkohlekraftwerken mit 740 g CO2/kWh ersetzten, so erhöhten sich die Emissionen um etwa 25 Gramm/kWh und damit der Ausstoß für 2 Millionen E-Autos um 150.000 Tonnen CO2 (und auch das nur, sofern die alle deutschen Strommix laden und nicht zu Hause/bei der Arbeit an der eigenen PV-Anlage).

Puh, wir sollen die Kernkraftwerke weiterbetreiben, weil der Verkehrssektor sonst niedliche 150.000 Tonnen CO2 mehr ausstößt? Das entspricht den Emissionen einer deutschen Kleinstadt mit 15.000 Einwohner:innen. Zum Vergleich: Ein Tempolimit könnte auf einen Schlag und ohne Mehrkosten für Brennstäbe 1,9 bis 5,4 Millionen Tonnen CO2 einsparen, also das 12-fache. Von diesem sagt Wissing jedoch, dass es „wirksamere Maßnahmen“ geben würde.

Tempolimit bringt hier ca. 12-mal mehr CO2 als Weiterbetrieb der AKW

Abgesehen davon, wie populistisch dieser Vorstoß ist und dass es ziemlich übergriffig und plump daherkommt, wie Wissing hier von seinem eigenen chaotischen Ressort abzulenken versucht, tut er mit seinem Statement auch noch genau das, wovor er selbst warnt: Die Transformation zur Elektromobilität gefährden.

Wer wirklich anteilig mehr E-Autos, E-Busse und E-LKW auf deutschen Straßen sehen will, sollte dringend vermeiden, die beliebtesten Scheinargumente aus der Benzinlobby zu wiederholen:

„Wir können im Verkehrsbereich mit der Elektromobilität nichts für den Klimaschutz tun, wenn wir Kohlestrom zum Laden nutzen“

Sorry, aber wer so was sagt, hat keine Ahnung vom deutschen Strommix. Wissing versucht hier anderen Ministern ihren Job zu erklären, den er selbst wirklich nicht kapiert hat: Wir werden in Deutschland noch mehrere Jahre Kohle verstromen, selbst bei schnellstem Hochlauf der Erneuerbaren und mit allen verbliebenen Kernkraftwerken.

Rückgang der Kohleverstromung

Wissing wiederholt Lobby-Fake News

Es wird glücklicherweise immer weniger, aber wenn wir erst mal warten wollen, bis das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet ist, dann hieße das, noch Jahre auf E-Autos zu verzichten. Das wäre natürlich ausgemachter Humbug, denn aufgrund ihrer sensationellen Effizienz emittieren E-Autos auch heute schon trotz des Kohleanteils im deutschen Strommix viel weniger CO2 als ein Diesel- oder ein Benzin-PKW.

Ach ja, und dann böten E-Autos auch noch das riesige Potential, ihren zusammengenommen enormen Batteriespeicher netzdienlich einzusetzen: Wir könnten E-Autos besonders dann laden, wenn viel Wind- oder Solarstrom im Netz ist und so Abschaltungen von EE-Kraftwerken vermeiden. Und wir könnten den Strom bei Flaute wieder zurück ins Netz speisen und so weiter.

Ein visionärer Minister für Verkehr und Digitales (!) könnte hier ja vielleicht mal was anleiern. Stattdessen versucht Wissing hier maximal unkreativ und eher konservativ als innovativ, mit Rezepten der Vergangenheit Probleme der Zukunft zu lösen.

Artikelbild: Britta Pedersen/dpa; Canva