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Affenpocken-WHO-Notstand: Was stimmt & was Querdenker euch erzählen

von | Jul 28, 2022 | Aktuelles

Was Sache ist und wie Querdenker wieder lügen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief aufgrund der Affenpocken eine „Notlage von internationaler Tragweite“ aus – die höchstmögliche Alarmstufe. Unter Expert:innen gilt die Entscheidung als umstritten. Indes steigen die Fallzahlen – und die Fake News von Querdenker:innen.

Nach zweieinhalb Jahren Pandemie sind Wissenschaftler:innen sowie Bürger:innen hochsensibilisiert für ansteckende Viruserkrankungen. Mit Spannung erwartete man daher das Ergebnis des WHO-Notfallkomitees vom letzten Donnerstag. Am Samstag verkündete WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus schließlich eine „Notlage von internationaler Tragweite“ (Quelle). Diese höchste Alarmstufe meint ein „ernstes, plötzliches, ungewöhnliches und unerwartetes“ Gesundheitsproblem, das mehrere Länder betreffen kann.

Nur „ein Aufruf, tätig zu werden“

Konkrete Maßnahmen folgen darauf erst einmal nicht. „Das ist ein Aufruf, tätig zu werden“, zitiert die Tagesschau den WHO-Experten Mike Ryan. Die Einstufung soll den Ernst der Lage verdeutlichen. Regierungen, Ärztinnen und Ärzte und Kliniken sollen sensibilisiert werden. Sie sollen rechtzeitig Schutzmaßnahmen bei Verdachtsfällen ergreifen und die Bevölkerung über die Ansteckungsgefahren aufklären. So soll der Ausbruch eingedämmt werden. Die Regierungen können über konkrete Maßnahmen jeweils selbst entscheiden.

Seit Mai gibt es in Deutschland Fälle von Affenpocken. Bis Samstag sah die WHO aber noch keine Notwendigkeit, den Gesundheitsnotstand auszurufen. Das hat sich jetzt geändert, denn die Fallzahlen sind stark gestiegen. In mehr als 70 Ländern gab es inzwischen Ausbrüche, weltweit etwa 16.000 Fälle. Das RKI meldet 2.352 Affenpockenfälle aus allen 16 Bundesländern (Stand 25. Juli). Hotspot ist Berlin. Betroffen sind vor allem erwachsene Männer, es gibt aber auch wenige Fälle von erkrankten Frauen (Quelle) und zwei Fälle von betroffenen Kindern (Quelle).

Uneinigkeit unter Expert:innen – WHO Entscheidung gegen die Mehrheit des Komitees

Die Entscheidung gilt innerhalb der WHO als umstritten. Bei ihrer ersten Dringlichkeitssitzung zu den Affenpocken im Juni entschied man sich noch gegen die Ausrufung eines Gesundheitsnotstands. Die stark steigenden Zahlen bewegten den Generaldirektor nach der siebenstündigen Sitzung zum Umdenken. Er setzte die Entscheidung gegen die Mehrheit des beratenden Komitees durch. Sechs Mitglieder stimmten für die höchste Alarmstufe, neun dagegen. Seit es diese Alarmstufe gibt, ist dies das erste Mal, dass die Entscheidung gegen die mehrheitliche die Zustimmung des Gremiums gefällt wird (Quelle).

Einige Expert:innen empfinden Tedros Entscheidung als überfällig. Für Lawrence Gostin, der sich am Georgetown University Law Center auf globale Gesundheitspolitik spezialisiert hat, ist „glasklar“, dass der Ausbruch der Affenpocken alle Kriterien für einen Gesundheitsnotstand erfüllt. Dazu gehört maßgeblich das Risiko einer Ausbreitung auf andere Länder und die Notwendigkeit einer internationalen Koordination. Außerdem „schließt sich das Zeitfenster für die Eindämmung der Affenpocken außerhalb der endemischen Gebiete in Zentral- und Westafrika rapide, wenn es nicht schon geschlossen ist“, meint Gostin (Quelle).

Dass einige Komiteemitglieder trotzdem gegen die Ausrufung eines Gesundheitsnotstands stimmten, liegt daran, dass die Krankheit bisher nur wenige Todesfälle verursacht hat. Weltweit sind drei Menschen während des aktuellen Ausbruchsgeschehens gestorben, keiner davon in Deutschland (Quelle). Außerdem breitet sich das Virus bisher nicht in der Allgemeinbevölkerung aus. Einige Mitglieder befürchteten zudem eine weitere Stigmatisierung von Männern, die Sex mit Männern haben.

Viele LGBTIQ-Gesundheitsexpert:innen und -Aktivist:innen unterstützen aber Tedros Entscheidung, weil sie das Bewusstsein für das Virus schärft und letztlich gefährdete Personen schützen kann. „Obwohl ich einen internationalen Gesundheitsnotstand ausrufe, handelt es sich im Moment um einen Ausbruch, der sich auf Männer konzentriert, die Sex mit Männern haben, insbesondere auf solche mit mehreren Sexualpartnern“, zitiert das Wissenschaftsmagazin Science Tedros. „Das bedeutet, dass dieser Ausbruch mit den richtigen Strategien in den richtigen Gruppen gestoppt werden kann“.

Risiko für die breite Bevölkerung gering

Anders als vielfach erzählt, kommt das Virus aber nicht nur bei sexuell aktiven homosexuellen Männern vor, denn Viren interessieren sich nicht für sexuelle Orientierungen. Auch das RKI macht deutlich: „Das Risiko ist nicht auf Menschen beschränkt, die sexuell aktiv sind oder auf Männer, die Sex mit Männern haben. Jeder, der engen körperlichen Kontakt mit einer ansteckenden Person hat, kann sich infizieren.“ Menschen mit einem schwachen Immunsystem, Neugeborene, Kinder, Schwangere und ältere Menschen sind besonders für einen schweren Verlauf gefährdet.

Zu den Symptomen gehören Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen, geschwollene Lymphknoten, Frösteln oder Abgeschlagenheit. Charakteristisch sind zudem schmerzhaften Hautveränderungen, die sich zunächst vor allem im Gesicht und Handflächen und Fußsohlen zeigen. Manchmal sind auch andere Körperstellen betroffen. Meist ist der Verlauf mild und die Erkrankung nach einigen Wochen überstanden. In extrem seltenen Fällen führen Affenpocken zum Tod.

Ein Gesundheitsnotstand wird selten ausgerufen

Zuletzt geschah dies im Januar 2020, als sich COVID-19 rasend schnell ausbreitete. Eine ähnlich dramatische Ausbreitung wie bei dem Coronavirus ist aber nicht zu befürchten. Das Coronavirus verbreitet sich durch Aerosole mit Viruspartikeln, die Infizierte beim Atmen, Singen, Sprechen oder Husten ausstoßen. Nach derzeitigem Wissensstand ist für eine Infektion mit Affenpocken sehr enger Körperkontakt notwendig. „Da die Erkrankung in der Regel von allein ausheilt, wird das Gesamtrisiko für Personen mit mehreren Sexualpartnern (einschließlich einiger MSM-Gruppen) als moderat und für die breitere Bevölkerung als gering eingeschätzt“, so da RKI.

Beachte: Diese 7-Tages-Inzidenz ist auf 1 Million gerechnet, nicht auf 100.000 wie bei Covid-19 gewohnt!

„Eine weitere Verbreitung der Affenpocken sollte jetzt so gut wie möglich verhindert werden – einerseits, um Krankheitsfälle und ggf. auch schwere Verläufe in der aktuellen Situation zu vermeiden, andererseits, um zu verhindern, dass sich Affenpocken als Infektionskrankheit in Deutschland etablieren“, schreibt das RKI. Schutz bietet eine Impfung. Laut Schätzungen der STIKO eignen sich derzeit etwa 130.000 Menschen für eine Impfung gegen Affenpocken. Allerdings sind aktuell nur 40.000 Impfdosen vorhanden. Im 3. Quartal 2022 sollen weitere 200.000 Dosen eintreffen. Besonders wichtig sind daher die Erstimpfungen. Eine Zweitimpfung verlängert den Impfschutz und ist angesichts der knappen Mengen erst einmal zweitrangig. Wenn genügend Impfdosen vorhanden sind, so die STIKO, könne man die 2. Impfung später nachholen (Quelle).

Querdenker:innen tun das, was sie am besten können: Lügen, Verschwörungsmythen & Panik verbreiten

Wo es medizinische Fakten gibt, gibt es leider auch diejenigen, die sie leugnen. Schon als die Affenpocken im Mai unsere Aufmerksamkeit forderten, verbreiteten Querdenker:innen, Coronaleugner:innen und Impfverweigerer:innen massenhaft Fake News. Schon spannen sie die nächsten Verschwörungsmythen, erfanden Märchen über geheime Pläne der WHO und der Regierung (mehr dazu). Und warfen panisch allen „Panikmache“ vor, wo es gar keine gab.

Affenpocken: Experten beruhigen, Querdenker verbreiten Panik und Lügen

Wir kennen es schon aus der Corona-Pandemie: Alles ist angeblich mit allem verbunden. Klima, Ukraine, Corona, Affenpocken – alles nur „Panikmache“, erklären sie panisch. Dass man mit Gruselmärchen über eine große Verschwörung viel mehr Angst schürt als mit der Wahrheit, geht ihnen leider nicht auf.

Quelle: Screenshot Twitter

Andere machen sich über die Situation lustig – weil eine ansteckende Krankheit ja sehr lustig ist. Wie man es von ihnen gewohnt ist, glänzen Querdenker:innen auch aktuell durch peinliche Aktionen. Zum Beispiel befürchten viele einen „erneuten Impfzwang“ (Quelle), obwohl es bisher – auch bei Corona – gar keinen gegeben hat und im Fall der Affenpocken auch erst einmal nicht zu erwarten ist.

Manche Verschwörungsmärchen sind einfach verstörend

Quelle: Screenshot Twitter

Natürlich sind wir auch alle naive Schafe

Quelle: Screenshot Twitter

Auch Lügen-Professor Stefan Homburg nahm die Verkündung der WHO zum Anlass, ordentlich zu schwurbeln. Mit der Wahrheit nimmt er es dabei wie immer nicht so genau (Auflösung folgt):

Wir sind so nett und basteln dem Lügen-Professor ein neues Poster zum Teilen. Damit ihr mal die Wahrheit und nicht die Desinformation des bereits gerichtlich entlarvten Lügners verbreiten könnt:

Fazit: Die Lage ist ernst, aber nicht pandemisch

Der Ausbruch der Affenpocken wird zwar genau beobachtet, gilt aber als geringe Gesundheitsgefährdung für die breite Bevölkerung. Es handelt sich also bisher um keine neue Epidemie und schon gar nicht um eine neue Pandemie (Quelle). Die extremistischen „Querdenker:innen“ lügen nur darüber, weil sie damit ihren weiteren Hass und Verschwörungsmythen aufrecht erhalten können. Das RKI gibt regelmäßig Updates zur Lage in Deutschland und zu etwaigen Maßnahmen. Halten wir uns lieber daran, als an Onkel Stefans Lügen-Twitter.

Artikelbild: Andreas Arnold/dpa

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