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Warum ich als Klimaaktivist in einer Großstadt einen Anhänger besitze. Aber kein Auto.

von | Nov 5, 2020 | Aktuelles, Kommentar, Umwelt/Klima

Das Auto, der Anhänger und Ich

Es ist eine Geschichte, wie man sie sich nicht ausdenken kann: Ein kleiner Anhänger demaskiert unser völlig devotes Verhältnis zum Auto. Er offenbart, in welcher Unmündigkeit wir die Einnahme öffentlichen Raumes durch motorisierte Blech-Klötze hinnehmen – ohne das wirklich zu hinterfragen. Was ist passiert?

Gastbeitrag von Maurice Conrad

Warum ich – als 20 Jahre alter Klimaschutzaktivist – in einer Großstadt einen Anhänger besitze, nicht aber ein Auto, ist eine längere Geschichte. Fridays For Future ist schuld. Ich habe gemeinsam mit anderen Aktivist:innen aus meiner Heimatstadt einen Lautsprecherwagen gebaut. Das „Lauti“ genannte Gefährt stellt einen Teil unserer Infrastruktur als Klimabewegung dar und wird in Mainz auch allen anderen linken und progressiven Gruppen auf solidarischer Basis zur Verfügung gestellt.

Die Grundlage für den „Lauti“ ist ein kleiner Kastenanhänger – zugelassen, versichert und straßentauglich. Also zusammengefasst: Auf mich ist ein Anhänger zugelassen, aber kein Auto. Dass das schon allein rechtlich ein Fehler im System ist, habe ich spätestens gemerkt, als ich versuchte, eine Überführungsversicherung zu erwerben und die Inexistenz eines bestehenden Versichertenverhältnisses meiner Wenigkeit gegenüber einem Versicherungsunternehmens den Sachbearbeiter der Allianz an die Grenzen des Denkbaren brachte – darum soll es hier aber nicht gehen.

Müde und erschöpft vom Globalen Klimastreik am 25.09.2020 kommend stellte ich den „Lauti“ wie gewohnt auf einen der freien Parkplätze in unserer Straße. Einordnenderweise muss man sagen, dass der Anhänger mit einer Länge von insgesamt unter 2,5 m ungefähr 2/3 eines gewöhnlichen Parkplatzes einnimmt. Das ist für ein zugelassenes Fahrzeug mit amtlichen Kennzeichen und Versicherung nun eigentlich nichts Ungewöhnliches. Eigentlich. Denn das Abstellen dieses Anhängers auf einem öffentlichen Parkplatz wurde an diesem Tag nur unter dem äußerst kritischen Blick meines Nachbarn gestattet. Die ständige Nachfrage, wie lange der da jetzt stehen würde, ob das normal sei und die Betonung der maximalen Standzeit von 14 Tagen, offenbarten den sichtlichen Unmut des älteren Ehepaars, mit dem ich mich bisher immer gut verstand.

die unmoral, kein auto zu besitzen

Nicht, dass sich der ältere Herr irgendeiner Beleidigung bedient oder das Abstellen nicht akzeptiert hätte – er machte aber seinen Unmut deutlich: Moralisch ist das nicht in Ordnung. Man könnte diese Erzählung nun an dieser Stelle beenden, ist ja nichts weiter passiert: Niemand kam zu Schaden und auch ein nächtlicher Anschlag auf den Hänger seitens eines im Untergrund agierenden Spießbürgertums blieb aus. Die Geschichte nur bis hierhin zu erzählen, wäre aber schade – denn dann würde uns verborgen bleiben, was hinter der offenkundigen Unzufriedenheit steckt. Es ist nämlich eigentlich nicht das Verhältnis zum Anhänger selbst, sondern zu dem, was sonst dort stünde: Dem Auto.

Fangen wir von vorne an: Ich stelle einen Anhänger auf eine öffentliche Parkfläche. Rechtlich ist das nicht weiter erwähnenswert – keine Frage. Aber das moralische Unrechtsempfinden meiner Nachbarschaft hatte ja einen Grund: Der Parkraum bei uns ist begrenzt. Immer wieder finden Anwohner*innen keinen Parkplatz und müssen zwei, drei oder vier Straßen weiter parken. Was tue ich in diesem Augenblick? Ich nehme diesen (begrenzten) öffentlichen Raum ein. Raum, genau genommen, der potenziell anderen fehlt. Und ich nehme diesen Raum mit etwas ein, das nicht auf den ersten Blick sinnvoll, verständlich oder gar moralisch richtig ist. Denn ein Anhänger ist nunmal kein Auto. Ihm fehlt ein ultimativer Sinn oder anders gesprochen: Er muss sich seine Daseinsberechtigung in unserer Verkehrswelt durch harte Fakten erarbeiten. Beim Auto ist das anders. Dem Auto wohnt eine Grundberechtigung inne, Städte vollzustellen und Parkflächen einzunehmen.

Warum ich ein Auto abstellen darf, aber keinen Anhänger

Aber, ab wann hat ein Klotz Metall eigentlich das „Recht“, unseren öffentlichen Raum einzunehmen? Warum empfinden wir einen geparkten SUV von dreifacher Größe des Lautis als völlig legitim, ganz gleich ob seine Größe in irgendeinem Verhältnis zur Nutzung des Fahrzeuges im Alltag hinsichtlich Qualität und Quantität steht, empfinden einen abgestellten Anhänger von der Größe 1,2 x 2,4 m als ungerecht? Diese Ambivalenz ist die eigentliche Frage – denn hier wird es interessant:

In der Causa Anhänger hinterfragen wir ganz selbstverständlich die Kosten/Nutzen-Bilanz bzw. wir fragen, ob das Fahrzeug in Größe und Nutzung in Relation zum Raum steht, den es kostenlos in unseren Städten einnimmt. Wie oft und für was wird dieser Hänger benutzt? Wie groß ist er? Steht dieser Anwendungsfall im Verhältnis zu der Einnahme öffentlichen Raumes? Wie wir diese Frage konkret in meinem Fall beantworten, ist an dieser Stelle nebensächlich. Viel interessanter hingegen ist, dass wir diese Frage überhaupt stellen. Beziehungsweise: Dass wir sie sonst nicht stellen.

Die Wahrheit ist nämlich:

Hätte ich dort ein Auto hingestellt, hätte niemand irgendetwas hinterfragt. Völlig egal, ob ich dieses Auto brauche, nutze oder nur alle Schaltjahre fahren würde. Niemand aus meiner Nachbarschaft hätte ein ähnliches Unrechtsempfinden entwickelt, denn das Auto ist wie ein heiliges Stück Kulturgut. Es gehört zur Identität unserer Straßen und Städte, dass es Raum einnimmt. Niemand würde sich ernsthaft erlauben, dieses Raum-Einnehmen im Einzelfall zu hinterfragen.

Für ein Auto darf öffentlicher Raum eingenommen werden: Egal wie und ob dieses Auto tatsächlich benutzt wird. Dieses Naturgesetz ist das, was sich hinter der Geschichte mit dem Anhänger verbirgt. Die Empörung über die Einnahme öffentlicher Fläche durch den Anhänger und die kritische Betrachtung des Kosten/Nutzenverhältnis ist ein völlig verständlicher und logischer Vorgang, denn ja: Ich nehme Raum ein. Und vielleicht steht diese Einnahme nicht im Verhältnis zum Nutzen.

Die empfundene moralische Ungerechtigkeit meiner Nachbarschaft ist also richtig und verständlich

Die Ambivalenz zu der völligen Selbstverständlichkeit, mit der wir eine Einnahme unseres städtischen Raumes durch stehenden Vekehr, auch Autos genannt, hinnehmen, jedoch ist das interessantere Phänomen. Denn zur Wahrheit gehört auch dazu: Unsere Innenstädte sind nicht voll, weil Fridays For Future sie mit selbstgebauten Lautis vollstellt. Sie sind voll, weil wir sie mit unseren Autos vollstellen. Und niemand wird ernsthaft widersprechen, wenn ich die These aufstelle, dass das Kosten/Nutzen-Verhältnis wohl kaum für alle Autos gut ausfallen würde. Autos stehen häufig monatelang herum und blockieren damit öffentlichen Raum in einem erheblichen Ausmaß.

Wir haben das Auto zu einem Objekt kultureller Identität erhoben und uns damit ganz erheblich von ihm abhängig gemacht. So abhängig und so unfehlbar, dass wir nicht mehr die selben Regeln anwenden, die wir normalerweise anwenden würden und beim Abstellen eines Anhängers zum Vorschein kommen. Das Resultat ist ein devotes, fast schon para-religöses Verhältnis. Das Auto dient nicht einfach als Gebrauchsgegenstand, sondern ist sinnstiftend, Statussymbol und definiert den Begriff „Wohlstand“ der Bundesrepublik zugleich. Wenn es öffentlichen Raum einnimmt, dann ist das so. Dieser Prozess ist ultimativ in Ordnung, völlig gleich welches tatsächliche Anwendungsmuster dahinter steht.

Autokorrektur

Wenn wir uns diese Ambivalenz zum Anhänger als Vorbild nehmen, sollten wir viel häufiger hinterfragen, ob die Dimension in der Autos unseren öffentlichen Raum einnehmen, wirklich in einem gesunden Verhältnis zum Nutzen des selbigen steht. Millionen Tonnen Blech stehen die längste Zeit sinnlos herum und nehmen dabei Flächen ein, die sonst Radfahrer:innen, Fußgänger:innen und der Gastronomie zur Verfügung stehen würden. Das zu hinterfragen, bedeutet die öffentlichen Räume, vor allem in den Städten, neu zu ordnen. Es braucht im wahrsten Sinne des Wortes eine Autokorrektur.

Text: Maurice Conrad. Artikelbild: NadyGinzburg


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