2.860

Politik dechiffriert Teil 6: „Umvolkung“ – Die Nazi-Ideologie in der AfD

von | Jan 7, 2020 | Aktuelles, Hintergrund, Politik dechiffriert

Umvolkung – Ein Nazi-Begriff in der AfD

Die AfD ist längst nicht mehr nur rechtspopulistisch. Sie radikalisiert sich immer mehr, sucht – trotz Unvereinbarkeitsbeschlüsse – den Schulterschluss zu Pegida, Identitäre Bewegung und andere Rechtsextreme. Sprache ist im 21. Jahrhundert genauso wichtig wie im 20. Jahrhundert. Was hat Sprache mit einem Begriff wie Umvolkung zu tun?

Wer die Deutungshoheit über die Begriffe hat, wer sie setzt, wer die Narrative setzt und bestimmt, der bestimmt den Diskurs der Gesellschaft und in den Medien. Das nennt man auch „kulturelle Hegemonie“. Begründer: Antonio Gramsci. Adapteur: Götz Kubitschek und weitere neurechte Akteure, wie Höcke, Gauland, Petry, Sellner, von Storch, Kelle oder Jongen und Weißmann.

Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig.

Sprache verrät uns. Sie macht deutlich, wes Geistes Kind wir sind. Mit Worten kann man ebenso Absichten und Hintergründe verschleiern wie man mit Worten einen scharfen Angriff führen oder Klartext reden kann. Worte können besänftigen und schlichten. Sie können aber auch spalten und das Klima vergiften. Wenn wir wissen, wer etwas sagt, welche Sprache er dabei verwendet, können wir seine Absichten auch einordnen.

Neurechte Sprache soll unser Denken formen

Möglich, dass wir die Fähigkeit der Differenzierung verlernt haben, immer wieder wach zu halten und die Sinne zu schärfen. Das neurechte Wörterbuch soll dabei helfen, die Sinne und das Bewusstsein wieder zu schärfen, genau hinzuhören.

Die vielen „(M)Ausrutscher“ und „Einzelmeinungen“ von AfD-Politikern quer durch das Land, diese vielen kleinen Mosaiksteinchen ergeben zusammengesetzt das hässliche Bild des Rechtspopulistischen und Rechtsextremen. Am Ende soll nicht eine Alternative FÜR Deutschland, sondern eine Alternative VON einem anderen Deutschland stehen.

Beispiele sind, wie im aktuellen Fall: – Endkampf (Endsieg) – der Gemütszustand eines „total besiegten Volkes“ – Die Frage lautet heute nicht Hammer oder Amboss, sondern Schaf oder Wolf – entstellte Kunst (entartete Kunst) – den Begriff „völkisch“ wieder positiv besetzen – Stolz sein auf die Leistungen der Soldaten beider Weltkriege – Umvolkung – Altparteienkartell (Systemparteien) – SA-Parolen, die nicht ohne Grund verboten sind usw.

Wir wollen mit dieser Sammlung zeigen, dass es sich keineswegs um „unglücklich formulierte Einzelmeinungen“ handelt. Wenn Björn Höcke als die „Seele der AfD“ gilt, dann ist die zugrunde liegende Ideologie der Ungleichheit und Unwertigkeit ihr Lebenselixier.

 

Neurechtes Wörterbuch: Umvolkung

Klassisches Beispiel der Umdeutung von Begriffen aus dem Nationalsozialismus.
Die Neuen Rechten verstehen unter „Umvolkung“ (auch Bevölkerungsaustausch), dass interessierte Kreise der Hochfinanz von der Ostküste (Chiffre für das Finanzjudentum. oder Weltjudentum) planen würden, das deutsche Volk zu vernichten, in dem es mit Muslimen „ausgetauscht“ werden solle.
Im Nationalsozialismus war Umvolkung (auch Ethnomorphose) ein Begriff der nationalsozialistischen Volkstums- und Siedlungspolitik. Die im Osten eroberten Gebiete sollten mit Deutschen besiedelt werden, um so die einheimische Bevölkerung zurückzudrängen. Dahinter stand die Idee eines „Großgermanischen Reiches Deutscher Nationen“, das sich bis zum Ural erstrecken sollte.
In dieser Kontinuität völkischer Denkmuster (siehe auch Ethnopluralismus) wird der Begriff umgedeutet und zur Kritik an dem steigenden Anteil nicht-deutschstämmiger (Ausländer, Passdeutsche) Bevölkerungsteile und am „Multikulturalismus“ verwendet.

PEGIDA

In den Reden auf den Pegida-Demonstrationen in Dresden wurde der Begriff der Umvolkung von Akif Pirinçci  und Lutz Bachmann verwendet. Pirinçci hat darüber sogar ein Buch geschrieben, das im Antaios-Verlag von Götz Kubistschek, dem Vordenker der Neuen Rechten, erschienen ist.

NPD

Die rechtsextremistische NPD Fraktion im Schweriner Landtag nutzte das Parlament als Bühne, um Vorurteile gegen Asylbewerber zu schüren und ihren Anhängern die eigenen, radikalen Positionen zu verdeutlichen. Dafür hatte sie eigens den Antrag „Konkrete und wirksame Maßnahmen gegen die Asylflut einleiten – der Umvolkung in unserer Heimat konsequent begegnen“ auf die Tagesordnung setzen lassen.
Egal, ob Udo Pastörs US-Präsident Barack Obama einen „schwarzen Messias“ nannte, von „Kulturbereichern“ schwadronierte oder der „politische Klasse“ unterstellte, sie verfolge das Ziel, „billige Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen“. Er unterstellte der „noch-Kopftuch-losen Bundeskanzlerin“, sie „rufe den Islam nach Deutschland“. Die „politische Klasse“ treibe „die Überfremdung“, so Pastörs […] mit „krimineller Energie voran“.

CDU

Die sächsische Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla hatte am 24.9.2016 mit der Verwendung des Begriffs für Aufsehen gesorgt:

„BK #Merkel streitet es ab, #Tauber träumt. Die #Umvolkung #Deutschlands hat längst begonnen. Handlungsbedarf besteht!“

Erika Steinbach ging da schon subtiler vor, als sie ihren Tweet im Februar 2016 absetzte mit dem Bild eines blonden Kindes, das von „Ausländern“ umringt war: Deutschland im Jahr 2030 „Und wo kommst Du her?

Der Ökonom Peter Boehringer (1969) gründete die Deutsche Edelmetall-Gesellschaft und eine Bürgerinitiative zur Rückführung des deutschen „Auslandsgolds”. Boehringer ist Anhänger von Verschwörungstheorien: Unter anderem der, dass eine geheime, global agierende Elite an einer neuen Weltordnung arbeitet – diese steuere auch die Bundesregierung.

Er glaubt außerdem an eine gesteuerte Invasion durch Flüchtlinge, mit dem Ziel Europa zu islamisieren. Er sieht die Gefahr einer „Umvolkung“ Deutschlands durch Muslime. Peter Boehringer sitzt heute für die AfD im Bundestag und ist Vorsitzender des Haupt- und Finanzausschuss.

Heiko Hessenkemper (1956) war bislang für die AfD Mitglied im Mittelsächsischen Kreistag. Er schimpft auf die „linksfaschistoide“, „politisch-medialen Klasse“. Die Einwanderung ist für ihn ein Versuch der „Umvolkung“. Er glaubt, dass die Flüchtlingspolitik darauf ausgerichtet sei, „Deutschland als Zivilisation zu vernichten.“ Hessenkemper ist für einen Schulterschluss mit Pegida. Hessenkemper ist für einen Schulterschluss mit Pegida.

Bevölkerungsaustausch und Flüchtlingskrise

Der Diplom-Volkswirt Hans-Jörg Müller (1968) teilt und verfasst Hetz-Postings auf Facebook. So schrieb er etwa, dass ausländische, deutschlandfeindliche Islamisten über die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz den deutschen Staat bis in die Bundesregierung hinein unterwandert hätten.  Auf Kundgebungen spricht Müller von einem Bevölkerungsaustausch, der im Gang sei: „eingeborene Deutsche gegen angeblich Schutzsuchende aus Syrien“.

Dieser Bevölkerungsaustausch, ereiferte sich Müller, werde von der Bundesregierung vorangetrieben, „die deklariert das als sogenannten Familiennachzug (…)

(…) Da könnt ihr gar nicht so viel fressen, wie ihr dann kotzen wollt. Wie wir zum Abschuss freigegeben sind von den eigenen Politikern.“

Die AfD hatte Ralph Weber nicht auf die Landesliste stellen wollen. Aus gutem Grund: Anders als der zukünftige Fraktionsvorsitzende Holm tritt Weber wahrlich nicht moderat auf. Der Professor für Arbeitsrecht und Rechtsgeschichte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald erscheint in Thor-Steinar-Kleidung, der beliebten Modemarke der rechten Szene. Er ließ Maik Bunzel von der Rechtsrock-Band „Hassgesang“, promovieren, erklärte, Deutschland müsse „auch in Zukunft deutsch“ bleiben und dürfe „nicht multikulturalisiert“ werden und beklagt eine „Umvolkung“.

Führende AfD-PolitikerInnen

Beatrix von Storch, bekannt für ihre „seltsamen“ und provokanten Tweets, vermied bisher den Begriff der Umvolkung zu vermeiden. Dass sie aber keine Probleme damit hat, zeigt ihre Reaktion auf das Entsetzen in der CDU zu Bettina Kudla. Beatrix von Storch bot Kudla für ihren Umvolkungs-Tweet „politisches Asyl“ in der AfD an. Kommen wir zu Alexander Gauland, dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag und ex Vorsitzender der AfD: Auf dem Bundesparteitag der AfD Ende Juni 2018 in Augsburg kritisierte Gauland die beim EU-Gipfel vereinbarten Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik als „totale Luftnummer“.

Die Beschlüsse seien nichts wert und führten nur in eine weitere „Warteschleife“. Dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer bleibe noch eine Chance, sich um Deutschland verdient zu machen, indem er Bundeskanzlerin Angela Merkel stürze. Gauland warnte vor einem „Bevölkerungsaustausch“ durch die Aufnahme von Asylbewerbern.

Last but not least darf natürlich Björn Höcke nicht unerwähnt bleiben. Er vermeidet zwar die Worte Bevölkerungsaustausch und Umvolkung, was ihn aber nicht daran hindert, die dahinterstehende Idee zu beschreiben oder zu umschreiben.

Auf seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2018 sagte er: „es ist nicht auszuschließen, dass in 50 Jahren fremde Völkerschaften durch unsere verlassenen Bibliotheken, Konzertsäle, Universitäten und Parlamentsgebäude streifen werden und sich die Frage stellen könnten, wie es möglich war, dass eine so hochstehende Kultur sich einfach aus ihnen hat hinwegfegen lassen.“

Niedergang des deutschen Volkes

Er bedient sich eines Topos, den schon Adolf Hitler in seinen Hammer-und-Amboss-Reden nutzte, um vor dem Niedergang des deutschen Volkes zu warnen. Höcke geht dabei allerdings zu weit, als er die angedeutete Auslöschung des deutschen Volkes durch Bevölkerungsaustausch als einen „Kultur- und Zivilisationsbruch“ bezeichnete, der schlimmer sei als alles bisher gewesene:

„Kombination aus weltdemografischer Lage, aus sich immer weiter und immer schneller entwickelnder Kommunikationstechnologie, Mobilität und vor allen Dingen, wie ich das immer wieder betone, Unzeitgleichheit der menschlichen Entwicklung machen es tatsächlich möglich, dass wir schon in Kürze einen Kultur- und Zivilisationsbruch erleben werden, wie wir ihn wahrscheinlich und unsere Vorfahren in ihrer Geschichte niemals erlebt haben.“

Auch in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ greift er ethnopluralistische Ideen auf und spricht von raumfremden Völkern.

Chrupalla: Was wirklich hinter dem Nazi-Begriff „Umvolkung“ steckt

Bewegung und Götz Kubitschek

Der Begriff der Umvolkung, des Bevölkerungsaustausch ist eine der zentralen Ideen des Ethnopluralismus, wie ihn die Identitäre Bewegung propagiert. Zum Begriff des Ethnopluralismus kommen wir in einem anderen Artikel ausführlich zu sprechen.

Der Ethnopluralismus ist die moderne Bezeichnung für die zugrunde liegende Blut- und Boden-Ideologie. Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung in Österreich ist regelmäßiger Gast und Referent im Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek, dem Vordenker der Neuen Rechten und Höckes Vertrauter. Die strategischen Sitzungen des Flügels, des völkisch-nationalistischen Teils der AfD um Höcke, finden bei Kubitschek in Schnellroda statt.

Die Verwendung abgewandelten oder umgedeuteten Nazi-Vokabulars entlarvt die Gesinnung der AfD. Und sie werden nicht als „gezielte Provokationen“ benutzt, um sich mediales Gehör zu verschaffen, sondern sie werden verwendet, um einerseits den rechtsextremen Bodensatz in Deutschland hinter sich zu versammeln. Andererseits die Grenzen des Sagbaren zu verschieben und den Diskurs in Gesellschaft und Medien zu bestimmen. Sie sind keine Provokation. Sie sind ein Bekenntnis.Artikelbild: knipsdesign, shutterstock.com