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Emcke: Jüd:innen verurteilen BILD-Fake, Ziemiak (CDU) nimmt Vorwürfe zurück – BILD schweigt

von | Jun 16, 2021 | Aktuelles

BILD-Fake über Emcke ging nach hinten los

Rechte Desinformationskampagnen funktionieren meistens darüber, Aussagen von ihren jeweiligen Feindbildern bewusst misszuverstehen, aus dem Kontext zu reißen und ihnen somit in der Öffentlichkeit zu schaden. Kürzlich hatte jemand diese Methodik und diese Feindbilder gut beschrieben – die Autorin Carolin Emcke auf dem Grünen-Parteitag. Sie erklärte in einem 7-minütigen Video, wie Hetze, rechte Fake News und antiwissenschaftliches Denken immer mehr Einfluss gewinnen und es gewisse Gruppen gibt, die gezielt damit die Gesellschaft spalten wollen.

Sie erklärte, dass die sozialen Medien nur noch mit Fragmenten verbreiten, die mit Vorurteilen aufgeladen seien und dadurch Desinformation entstünde, die den „legitimatorischen Kern einer Demokratie“ untergräbt. „Aber in der Gegenwart ist die öffentliche Kommunikation faktisch privatisiert und in die ungefilterte Macht der Plattformökonomie überführt worden, die kein Interesse an der Unterscheidung von richtig und falsch hat.“ Sie zählte dabei auch, wer zur Zeit Ziel dieser Angriffe mit Fake News von rechts werde: „Eliten“, „Juden und Kosmopoliten“, „Feminist:innen oder die Virolog:innen“ und in Zukunft insbesondere „Klimaforscher“. Wen sie in dieser Aufzählung ergänzen hätte können: Autorinnen auf Grünen-Parteitagen. Die ganze Rede ist hier im SPIEGEL-Artikel, da kann sich jede:r selbst davon überzeugen.

BILD startet Fake-Kampagne gegen Emcke – viele sprangen auf

Ihre Aussage war im Kontext nicht missverständlich oder zweideutig, die BILD, die seit vielen Jahren bekannt dafür ist, mit Desinformationskampagnen und Fake News rechte Feindbilder zu bedienen, riss ihre Aufzählung (!) der Opfer von Fake News jedoch aus dem Kontext und tat mit Absicht so, als hätte die Publizistin die „verfolgten Juden“ im Dritten Reich mit Klimaforscher:innen verglichen, was faktisch falsch ist. BILD erfand damit eine „Entgleisung“. Diese offensichtliche Lüge ging jedoch viral, da es vielen gut in das derzeitige Grünen-Bashing passte.

Nochmal zum Mitschreiben: Emcke sprach nicht von „verfolgten“ Jüd:innen und nicht vom Dritten Reich, wer das behauptet, lügt einfach. Sie verwendete sogar dezidiert mit ihren Fingern Anführungszeichen in ihrer Rede an der Stelle, um deutlich zu machen, dass sie von dem (modernen) Feindbild der antisemitischen Verschwörungsmythen spricht. Die antisemitische Hetze, besonders, aber nicht nur von Rechts, verbindet oft Grüne oder Linke und auch Klimaforscher:innen. Dennoch verbreitete sich die Lüge durch die Auslassungen und die (falsche) Neukontextualisierung massiv im Netz und führte entsprechend zu viel Hetze.

Viele Medien sprangen auf den Zug auf und verbreiteten die Fake News unkritisch weiter und wiederholten die falschen Unterstellungen. Auch CDU-Politiker:innen, vor allem CDU-Generalsekretär Ziemiak verbreiteten den Fake weiter und empörten sich auf Twitter. Besonders das BILD-Schwesterblatt WELT, das in letzter Zeit vermehrt rechte Desinformationskampagnen betreibt (mehr dazumehr dazu), veröffentlichte mehrere Artikel und Kommentare, die diese Lüge kolportierten. Ein WELT-Kommentar hatte das Emcke-Zitat sogar sinnentstellend verzerrt, um es in das falsche Narrativ zu pressen. Unter anderem nach Hinweisen von Volksverpetzer wurde das Zitat korrigiert, der Autor pochte jedoch offensichtlich fälschlicherweise darauf, dass es nichts am Inhalt ändern würde. Unser Faktencheck und Einordnung:

Emcke: Wie dich BILD über ihre Rede belügt – und viele Medien die Lüge abschreiben

Gemeinsame Erklärung von jüdischen Intellektuellen und Korrektur von Ziemiak

Dem Autor der WELT widersprechen nicht nur die Fakten und wir, als Reaktion auf die Fake News gab es viel Empörung über diese offensichtliche Lüge. Jüdische Intellektuelle und Künstler:innen verteidigen in einer gemeinsamen Stellungnahme die Autorin Carolin Emcke gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Unter anderem der Pianist Igor Levit, die Philosophin Susan Neimann, der Autor Max Czollek, die Autorin Eva Menasse und der Comedian Shahak Shapira unterzeichneten die gemeinsame Erklärung (Quelle).

Sie schreiben, dass man an dieser Fake News gut die „die Verzerrung und Verdrehung von Tatsachen und die Lüge als mediale Methode“ erkenne. Die Vorwürfe, Emcke, die gerade vor Antisemitismus warnte, habe selbst Antisemitismus verbreitet, seien „haltlos und unangebracht“. „Keiner ihrer Sätze ist in irgendeiner Weise als antisemitisch zu werten.“ Auch besonders wendet sich die Erklärung gegen BILD und WELT, beide Axel-Springer-Verlag, die diesen (und zuvor viele weitere) Fakes verbreiteten: Deren Autor:innen hätten mit ihren Angriffen auf Emcke den Antisemitismusbegriff „instrumentalisiert, missbraucht, also entwertet.“ Die Behauptung, die Blätter setzten sich konsequent gegen Antisemitismus ein, sei deswegen „hohl“. Auch der Zentralrat der Juden twitterte dazu:

Zwischenzeitlich ruderte auch Paul Ziemiak mit seinen Vorwürfen zurück. Ohne sich zu entschuldigen erklärte Ziemiak zwei Tage nach seinen Vorwürfen, er habe mit Emcke telefoniert. Und er stellte besser spät als nie fest: „Im Kontext ganzer Rede wird deutlich, dass sie Hass & Lügen gg. Juden nicht vergleicht od. verharmlost.“ [sic] Er schreibt, er wolle es sich „zu Herzen nehmen“, dass das Thema eine „differenzierte Auseinandersetzung“ erfordere.

WELT berichtet vom Fake, BILD schweigt

Und die Medien, die den Fake in die Welt gesetzt haben? WELT, deren mehrere (Meinungs-)Artikel, die den Fake wiederholten, sind unverändert online, viele jetzt hinter Paywall. Allerdings berichtet WELT über die Richtigstellung von Ziemiak (Quelle). Darin wird auch (richtig) erklärt, dass die bewusste Fehlinterpretation ihrer Zitats falsch sei, und dass das auch die gezeigten Gänsefüßchen verdeutlichen. Im Artikel findet sich jedoch kein Hinweis darauf, dass die WELT selbst mehrfach diesen Fake verbreitet. Lediglich, dass die BILD zuerst darüber berichtet hatte.

Bei BILD fehlt bis zum Erscheinen dieses Artikels von einer Richtigstellung oder einem Bericht über die massive Kritik (u. a. von Jüd:innen) und der Rücknahme des Vorwurfs von Ziemiak jede Spur. Nach vier Tagen rechter Kampagne (und die Hetze und Lügen des rechtsextremen Lagers brauchen wir hier gar nicht erst zu behandeln) zeigt sich genau, wie solche Desinformationskampagnen immer wieder funktionieren: Es wird etwas verzerrt, aus dem Kontext gerissen oder dazu gedichtet, um Empörung für das immer gleiche Feindbild zu erzeugen. Es geht nicht um Inhalte, sondern Eindrücke. Besonders die – neben natürlich berechtigter Kritik – vielen Fake-News über die Grünen zeigen offenbar Wirkung.

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BILD sagte mehr über sich als über Emcke

Bestimmte Medien, denen die politische Agenda wichtiger ist als der Bezug zu Fakten und zur Wahrheit, erreichen so dennoch ihr Ziel: Richtigstellungen, wenn sie überhaupt erfolgen, erreichen nie so viele Leute wie die Fakes, und dann wohl auch nicht mehr diejenigen, die es erreichen sollte. Der Schaden ist ohnehin bereits angerichtet, denn performativ und emotional wirkt der „Skandal“ nur als einer von vielen, völlig unabhängig davon, wie berechtigt irgendeiner davon war. Tage später interessiert das Thema auch nicht mehr, und später im (Un)Recht gewesen zu sein, ist keine große Meldung.

Deswegen werden weiter derartige Kampagnen kommen, aus der rechtsextremen Blase natürlich, aber auch von „Mainstreammedien“ wie vom Axel-Springer-Verlag, die offenbar diese Narrative gezielt bedienen wollen, selbst wenn sie die Tatsachen dafür zurechtbiegen müssen. Wir bei Volksverpetzer haben es oft gesehen in den letzten Wochen. Erst kürzlich musste WELT einen Artikel korrigieren, in der sie uns zunächst „linksradikale Methoden“ unterstellte (Quelle). Aber vielleicht ist es letztlich doch ein Eigentor für diese Medien:

Wenn genug Menschen, die noch empfänglich für die Fakten sind, sehen, wie falsch die Kampagnen dieser Medien sein können. Dass man ihnen nicht uneingeschränkt vertrauen kann, dass sie nicht nur Fehler machen, was man ja verzeihen kann, sondern Dinge bewusst verzerren und es ihnen egal ist. Vielleicht ist es eine Lektion, wenn sie die vernünftige Öffentlichkeit denn lernt, die solche Kampagnen mit Vertrauensverlust bestraft. Und damit der nächsten Desinformationskampagne die Reichweite nimmt.

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Artikelbild: pixabay.com, CC0

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