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Christian Lindner ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit!

von | Okt 23, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Medien, Schwer verpetzt

Lindner, Lucke, Meinungsfreiheit

Ganz Deutschland diskutiert über die Bedrohung der Meinungsfreiheit. Aber nein, natürlich nicht über die offensichtliche Bedrohung der Meinungsfreiheit durch eine Partei, die in großen Teilen von Faschisten kontrolliert wird damit droht, die Grundfeste unserer Demokratie zu erodieren, wenn sie einmal die „Machtergreifung“ (Gauland) schafft. Nicht über die Partei, in der Sätze wie „Wir müssen die Printmedien und den öffentlich-rechtlichen rot-grünen Propagandaapparat angreifen und abschaffen“ bejubelt werden. Nein, „die wahren Feinde der offenen Gesellschaft“ (CSU) sind wohl ein paar (linke) Studierende.

Die AfD jubelt und drescht zusammen mit FDP und Union gegen die „Zensur“ (AfD Fraktion Bundestag) und „linkem Meinungsterror“ (Weidel). Die „Mitte-Extremisten“ wie Christian Lindner, Peter Altmaier („eine unerhörte Missachtung von Recht und Person, die wir nicht hinnehmen dürfen“) oder Wolfgang Kubicki („Antidemokraten“) nutzen AfD-Narrative und -eskalationen, um gleichzeitig ihren Nimbus von vermeintlichem Nicht-Extremismus (Weil ja Linke & Rechtsextreme gleich kritisiert werden) aufrecht zu erhalten und um dem Lieblingsgegner Linke und Grüne eins auszuwischen. Der zufällig aber auch der Lieblingsgegner der AfD ist. Eine Unheilige Allianz. Ich will erklären, wo das Problem liegt.



De Maizière, Lucke und Lindner

Ich muss etwas ausholen und verschiedene Ereignisse unter einen Hut bringen, die von unserer „unheiligen Allianz“ derzeit in einem narrativen Süppchen als Angriff auf die Meinungsfreiheit vermischt werden. Da haben wir einmal die inzwischen zwei gestörten Vorlesungen des AfD-Gründer Luckes. Ich hatte ja hier schon den (absolut gerechtfertigten) Protest behandelt. Kurz: Protest, ja auf jeden Fall, denn Lucke ist kein Feigenblatt. Nazi ist er aber auch nicht. Aber körperliche Angriffe auf Lucke gab es nicht. Mit Papierkügelchen bewerfen ist zwar nicht in Ordnung, aber eben auch keine „Gewalt“. Soll man kritisieren, aber nicht übertreiben.

Der zweite Fall war die friedliche (!) Blockade einer Lesung des Ex-Verteidigungsministers De Maizière, der für seine Verantwortung für Waffenlieferungen an die Türkei und Befürwortung von Kriegseinsätzen protestiert wurde. Die Polizei bestätigte, dass es keine körperlichen Auseinandersetzungen oder Verletzte gab – auch wenn die Veranstalter mit dem Verweis auf vermeintliche „Gewalt“ die Veranstaltung absagten (Quelle). Es war ziviler Ungehorsam, ja, aber entgegen der Vorwürfe weder gewalttätig noch rechtswidrig. Auch hier wieder überzogene Kritik.

Und der letzte „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ war die Ablehnung Lindners bei einer Veranstaltung an der Universität Hamburg. Die liberale Hochschulgruppe wollte Lindner einladen, doch die Uni Hamburg erlaubt einfach keine „Veranstaltungen mit parteipolitischer Ausrichtung“ (Quelle). Anstatt dass die Liberalen stattdessen einfach versucht haben, ihre Veranstaltung als wissenschaftliche Veranstaltung darzustellen, was die Uni mit guter Begründung sicherlich durchgehen hätte lassen, wollte sich Lindner lieber als weiteres „Zensuropfer“ inszenieren. Frau Wagenknecht hat es vorgemacht: Sie trat zwei Tage zuvor auf – aber weil sie als Ökonomin mit einem anderen Ökonom dort wissenschaftlich diskutierte. Ein Auftritt Kevin Kühnerts wurde ohne Wissen der Universitätsleitung veranstaltet (Quelle).

Das mag man kritisierenswert finden, den Vorfall aber damit zu instrumentalisieren, um gegen die grüne Wissenschaftsenatorin, (die mit der Entscheidung nichts zu tun hatte) und das derzeit beliebte Narrativ der „Angriffe auf die Meinungsfreiheit von links“ zu bedienen, ist höchst gefährlich. Ich weiß, ich habe viele Dinge noch nicht angesprochen, bleibt dran.

Die Sache mit Protesten, Blockaden, Absagen

Erst einmal: Nein, die Studierenden „unterdrücken“ nicht Lucke, Lindner oder De Maizière und auch nicht deren Meinung. Das können sie gar nicht. Es sind nur ein paar Studierende, auf der anderen Seite stehen Prominente und einflussreiche Politiker. Egal, was man von einer blockierten Veranstaltung hält, diese Männer haben gigantische Plattformen, Kapital und Einfluss. Es wäre, als würde man dem Floh vorwerfen, den Hund zu unterdrücken. Da ist nichts „Zensur“ (die kann doch nur vom Staat ausgehen!!), „Diktatur“ oder sonst irgendetwas. Kann man kritisieren, wenn man möchte. Aber übertreibt doch nicht so extrem.

Ziviler Ungehorsam und Proteste sind ebenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt. Und diese waren doch auch gut begründet. Warum reden wir nicht über die rassistischen Aussagen Luckes, über die deutschen Waffen, die jetzt in Nordsyrien zum Einsatz kamen? Klar, man muss nicht alles gut heißen, was bei diesen Protesten passiert. Körperliche Angriffe wären (wenn es sie denn so gegeben hätte) natürlich zu verurteilen. Gab es denn irgendwelche Anzeigen? Aber die „Unheilige Allianz“ dreht sprachlich gleich voll auf Faschismus. Von der AfD sind wir so einen Unsinn gewohnt. Aber von der FDP und der Union?

Die CSU ließ sich bei der De Maizière-Vorlesungsstörung zu einem Vergleich mit der NS-Bücherverbrennung hinreißen und bezeichnete die Studierenden gleich als „die wahren Feinde der offenen Gesellschaft“. Die wahren Feinde? Im Unterschied zu wem denn? Die mögliche Antwort lässt Böses erahnen. Kubicki forderte die LINKE auf, sich von den Demonstrierenden, die er „Antidemokraten“ nannte, zu distanzieren. Wegen eines friedlichen Protests? Sagt mal, wo ist diese Unerbittlichkeit und diese harte Verurteilung denn bei der drohenden Gefahr des Faschismus? Warum kann man Kritik nicht angemessen üben und muss gleich eine Nazi-Keule auspacken, die bei echten Nazis zu oft ungenutzt bleibt?

Zwei Wochen nach Halle jubelt die AfD

Vor vier Monaten wurde Walter Lübcke von einem Neonazi erschossen. Vor zwei Wochen erschoss ein Neonazi bei einem antisemitischen Terroranschlag zwei Menschen. In Thüringen ist bei der Wahl am Sonntag der Spitzenkandidat der womöglich zweitstärksten Partei ein echter Faschist, der gerne mal Journalisten droht. Nicht bei linken Studierenden findet man alle paar Wochen unzählige Waffen. Nicht linke Gruppen bereiten sich auf „Tag X“ vor und schicken Drohfaxe und massenhaft Morddrohungen an Politiker*innen. Merkt ihr, was ihr da tut?

Ironischerweise ist diese Überreaktion der Liberalen und Konservativen die wahre Bedrohung für die Meinungsfreiheit. Nein, nicht alles, was Linke oder Grüne tun ist automatisch richtig oder über Kritik erhaben. Einige Ausfälle und Aussagen können und müssen kritisiert werden. Aber wenn wir nicht im Maßstab bleiben und nicht jeden falschen Huster eines Linken zum „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ verschreien, dann gewinnt die AfD. Dann gewinnt ausgerechnet die Partei, die wirklich Meinungsvielfalt unterdrücken möchte.

Denn nicht nur wird ihr Rassismus und ihr Rechtsextremismus von Liberalen und Konservativen auf eine Stufe gestellt mit linken Protesten (oder gar weniger hart verurteilt), man wiederholt genau die irren Narrative, die Vorwürfe, die die AfD seit Jahren verbreiten und etablieren will. Dass Kritik gleichzusetzen sei mit Einschränkung der Meinungsfreiheit. Dass jeder Protest, der antifaschistisch oder links ist, automatisch autoritär ist. Sie denken, sie können hier gut gegen politische Gegner*innen punkten, aber sie geben der AfD indirekt Recht. Und zeigen Millionen Menschen: So falsch ist nicht, was die AfD sagt. Das darf auf gar keinen Fall passieren!

Und wenn die AfD dann später wieder gegen die SPD, Linke und Grüne, aber auch CDU und FDP wettert, und davon faselt, dass kritische Fragen an sie undemokratisch seien, dann klingt das für viele wieder ein klein wenig glaubhafter. Konservative und Liberale sägen auf dem demokratischen Ast, auf dem wir alle sitzen.

Der Feind steht rechts!

Wenn sie sich hier sprachlich mit der AfD verbünden, dann erodieren sie die Grundlage des demokratischen Konsens. Von CSU bis Linke mögen wir alle unterschiedliche Meinungen haben, aber wir dürfen nicht auf die Rhetorik und Narrative von Faschisten zurückgreifen in irgendwelchen Grabenkämpfen. Kritisiert euch gegenseitig, so lange ihr wollt. Aber macht immer klar, dass das der demokratische Diskurs ist und dass die „wahren Feinde der offenen Gesellschaft“ an genau einer Stelle stehen und nirgendwo anders.

Wenn man (und da machen einige Medien durchaus mit) linke Proteste überdramatisiert, sie als gewalttätig und illegal darstellt, wenn sie es nicht sind, wenn Lindner so tut, als sei die Ausladung politisch motiviert, dann spielt man das Spiel der Rechtsradikalen. Erst Recht, wenn man linke Proteste (selbst wenn es einige körperliche Auseinandersetzungen gab!) sprachlich genau so kritisiert wie rechtsextreme Mörder! Wenn man schon zu NS-Vergleichen und der „Zerstörung der Meinungsfreiheit“ gegriffen hat, wenn es um eine blockierte Vorlesung geht, was will man dann noch zu Halle oder Lübcke sagen?

Jana L. und Kevin Sch. sind gerade einmal zwei Wochen tot und wir diskutieren ernsthaft, ob die bösen Linken unsere offene Gesellschaft bedrohen? Lucke und De Maizière können ihre Meinung noch in alle Mikrofone sagen. Die beiden tragischen Opfer aus Halle nicht mehr. Und genau das ist das Problem. Klar kann man auch linke Proteste kritisieren. Soll man auch. Aber wenn Liberale und Konservative das rechtsextremen Gewäsch der AfD nachplappern, dann gewinnt nicht die offene Gesellschaft. Dann bedroht das auf lange Sicht wirklich die Meinungsfreiheit.

Artikelbild: photocosmos1, shutterstock.com