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Lucke, AfD & Antifaschismus: Offener Brief an „Ankerherz“

von | Okt 22, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt, Social Media

Liebe Freunde von Ankerherz,

Nachdem die Antrittsvorlesung von AfD-Gründer Bernd Lucke von Studierenden gestört wurde, entbrannte leider die völlig falsche Diskussion in Deutschland. Wir haben kaum darüber geredet, wie groß die Verantwortung Luckes an der AfD ist, und ob so ein Mensch wieder zum normalen Universitätsbetrieb zurückkehren kann und so tun, als wäre nichts geschehen. Abgesehen davon, dass man seine fachliche Kompetenz auch grundsätzlich in Frage stellen muss nach so steilen Thesen vom Untergang des Euro-Raums, die sich bis heute nicht bewahrheitet haben. Wir hatten damals mal etwas aufgeklärt dass Lucke alles andere als unschuldig ist.

Bernd Lucke ist mitschuldig am Rechtsextremismus der AfD

Doch nein, dann diskutierte man darüber, ob „Linksextreme“ (WELT) oder „die Antifa“ (BILD) undemokratisch gewesen seien, als sie die Antrittsvorlesung mit ihren Protesten störten. Gar von „Nazi-Methoden“ war die Rede. Und diese Vorwürfe kamen nicht nur von der Springer-Presse oder aus der wirren AfD-Ecke oder, die bei Studenten-Protesten von „Terror“ (AfD Heidelberg) spricht, aber den Halle-Terroristen als „Bandit“ (Gauland) verharmlost. Nein, das kam zum Beispiel von den Piraten.



Und natürlich von euch, Ankerherz

https://www.facebook.com/Ankerherz/posts/2784957408195170?__xts__%5B0%5D=68.ARDApo6Egvix0-CkrH2AV7gCDiPbbZmCzrOlJj6s1gvB7nbXnuhIb9_lnJtEHLYwq3WSOFFxPuwVTQapOsZVSO26EZK6PEwGyaRV_zb6zHHo5T4ozIEYLVO3-nwkdHYw-GNd3UtrW7hOM6VAHRmebHTL_e-vPXHfO-pbKtA8b34VE1ox8OFdwAKkTUKUsfJQvJlRUxjNLpZqSOUEjX0059KhGVUYttjOAm0xicDBLaFf6oDa4lS5wRbMyvEay0M6zsULGCQx7abGspH7b8d27KdeK5j7t28uV1kfL7k0DnXPv5OIungHeoZUniszbuf3vL-jX9fAUTdSluXCkKlSiA&__tn__=-R

Versteht mich nicht falsch. Wie ich vor ein paar Tagen bereits schrieb, gingen Teile der Proteste etwas zu weit. Nicht alles, was im Namen des Protestes passiert ist, ist gutzuheißen, auch wenn der Protest selbst gerechtfertigt ist. Nein, Lucke ist kein „Nazi“. Das hatte ich bereits Artikel bereits deutlich festgestellt. Aber er trägt Verantwortung für die inzwischen offen rechtsextreme AfD und auch für deren Rassismus. Er hat bewusst rassistische Stimmen fangen wollen – Dass seine Partei vollends rassistisch wurde, ist seine Schuld. Wenn wir den Begriff „Nazi“ zu lose verwenden, verliert er wirklich seine Schlagkraft und wird ineffektiv gegen diejenigen, die diese Bezeichnung verdient haben. Als solcher Nicht-Nazi hat er auch nicht das Bewerfen mit Papierkügelchen verdient, oder gar Rempler. Das geht natürlich ein bisschen zu weit. Aber „bisschen zu weit“ ist halt nicht gleich „Nazi-Methoden“.

Natürlich darf Lucke juristisch gesehen wieder an die Uni zurückkehren. Und inzwischen hat er auch wieder (ungestörte) Vorlesungen gehalten. Natürlich darf er seine Meinung äußern und auch an der Uni lehren. Lucke ist Rechtspopulist, und hat eine Verantwortung an der AfD, von der er sich nicht reinwaschen darf, aber er bewegt sich immer noch innerhalb des demokratischen Spektrums. Er hat Kritik definitiv verdient und auch Protest, dass er wieder „ganz normal“ lehren soll. Und ja, Niederschreien mit „Nazi-Schwein“ ist unseriös. Ich weiß, ihr von Ankerherz wolltet das auch kritisieren. Und da habt ihr ja natürlich auch Recht. Aber…

Überzogener Hass und Kritik

In eurem jüngsten Video bezieht ihr noch einmal Stellung, und gebt auch zu, dass eure Reaktion etwas über die Stränge geschlagen hat. Gut, dass euch das bewusst ist. Ich verstehe auch vollkommen, dass der Ärger groß ist und die vielen Vorwürfe treffen. Ihr seid natürlich keine AfD-Unterstützer*innen oder so einen Blödsinn. Und ihr habt auch richtig viel Mist zu lesen bekommen, der menschlich und auch inhaltlich überhaupt nicht in Ordnung ist. Ich habe da nur ein paar Beispiele gesehen.

Screenshot

Screenshot

Klar ist das völlig inakzeptable und ihr im Recht, euch aufzuregen. Aber es ist falsch sich erstens nur auf diese überzogenen Reaktionen zu fixieren und diese als Maßstab der Kritik herzunehmen. Und zweitens ist es auch falsch, davon auszugehen, dass sich in (sogar dieser) Kritik automatisch nicht etwas Wahrheit versteckt. Sicherlich habt ihr doch auch sachliche und seriöse Hinweise bekommen, oder? Warum geht ihr dann nicht auf diese ein? Denn leider habt ihr da offensichtlich ein paar Dinge falsch verstanden. Was zugegebenermaßen nicht nur eure Schuld ist, wenn man sich solche Kommentare ansieht.



Hufeisen, Relativierungen, rechte Narrative

Aber fangen wir mal von vorne an:

Screenshot Post Ankerherz

Hier finden wir ein klassisches Beispiel von Missverständnissen. Wie ich oben gesagt habe, haben die Protestierenden nicht alles richtig gemacht. Aber die meisten haben nur demonstriert und Plakate hochgehalten. Wenn ihr Niederschreien bereits als „Gewalt“ betitelt, dann relativiert ihr echte Gewalt. Und nein, die Uni bestätigt, dass es keine echte Gewalt gab: „Nach Analyse der Sicherheitskräfte bestand zu keinem Zeitpunkt Gefahr für die körperliche Unversehrtheit von Anwesenden.“ Das ist also höchst gefährlich. Das hilft nur denjenigen, die „Alle Seiten sind gleich schlimm“ etablieren wollen, damit pöbelnde Studierende und Rechtsterroristen gleichwertig nebeneinander stehen. A propos:

Screenshot Post Ankerherz

Ihr habt es selbst getan. „Gewalt von Rechts und Links ist NICHT zu unterscheiden“ habt ihr buchstäblich geschrieben. Ja, Gewalt ist (fast!) immer zu verurteilen, aber wenn ihr zuerst protestierende Studierende mit Nazi-Mördern sprachlich gleichsetzt und dann betont, dass diese nicht zu unterscheiden (!) sind, dann ist das höchst fatal. Ihr macht aus der Sache in Hamburg etwas schlimmeres, als es war. Und das gerade mal eine Woche nach Halle! Sprachlich stehen jetzt beide Ereignisse gleichwertig auf einer Ebene. Sind pöbelnde Studierende nicht zu unterscheiden von Amok laufenden Faschisten? Das wolltet ihr doch sicher nicht erreichen, oder?

„Meinungsdiktatur“?

Und ein weiterer Punkt aus dem Screenshot und eurem Video: Ihr befördert aktiv das AfD-Narrativ, dass eine „(linke) Meinungsdiktatur“ dazu führt, dass sich Menschen nicht mehr trauen würden „zu sagen, was sie denken“.

Ihr müsstet es doch besser wissen, dass ihr das nicht einfach so im Raum stehen lassen könnt. Die AfD klatscht begeistert Beifall, wenn sogar Antifaschist*innen ihr Recht geben. Klar, es gab Kommentare und Feedback, die absolut nicht in Ordnung waren. Beleidigungen und haltlose Anschuldigungen. Aber ja, ihr habt rechte Gewalt nicht „gerechtfertigt“, wie ihr behauptet habt, aber ihr habt sie relativiert. Das ist fatal. Wenn ihr eure Kritiker*innen auffordert, eure Bücher zu verbrennen, weil einige davon enttäuscht sind, dann unterstellt ihr ihnen, Nazis zu sein. Und bei aller berechtigten Kritik, das ist Schwachsinn.

Das hilft nur der AfD, die sich als die „neuen Juden“ bezeichnet und jede Gelegenheit nutzt, um sich als Opfer zu inszenieren. Und ihr habt leider in eurem Ärger da mitgemacht. Wie gesagt, ich verstehe den Ärger über beschissene Kommentierende, ihr habt jedes Recht, diese zu verurteilen. Aber doch nicht, indem ihr AfD-Narrative wiederholt! Sie zeigt jetzt auf euch und sagt: Schaut her, wir hatten Recht!

„Mitte-Extremismus“ nicht verstanden

Im Video habt ihr euch über den Begriff „Mitte-Extremismus“ lustig gemacht. Doch ihr habt den Begriff, oder besser, was dieser ausdrücken wollte, leider nicht verstanden. Das ist kein Spott-Begriff sondern ein Konzept aus der Soziologie. Er beschäftigt sich mit dem Mythos, dass Gewalt und extremistische Einstellungen nur an den vermeintlichen „Rändern“ des politischen Spektrums zu finden seien.

Rechtsextremismus kommt auch aus der „Mitte der Gesellschaft“. Und die Position, völlig unterschiedliche politische Positionen und Ereignisse (wie Studierenden-Proteste und Terror in Halle) sprachlich gleichzusetzen ist der „Extremismus der Mitte“. Denn Faschismus ist von der „Mitte“ abhängig, die, im Versuch, in der „Mitte“ zu bleiben, linke Vorfälle ebenso zu verurteilen wie rechte Anschläge, beides gleich setzt. So kommt es, dass über den Schlag von Unbekannten auf Magnitz mehr berichtet wurde als über dem Mord an Walter Lübcke.

Analyse Kantholz vs. Lübcke: Warum über Lübckes Tötung weniger berichtet wird als über Magnitz

Der „Extremismus der Mitte“ ist ein vorauseilender Gehorsam, „die Linken“ (oder was man dafür hält) härter zu verurteilen als Faschisten, um sich nicht den Vorwurf der Voreingenommenheit aussetzen zu müssen. Das ist zwar sehr ehrenvoll, aber wenn eindeutig klar ist, wer die größte Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie ist, darf man nicht auf diesen Trick der Faschisten hereinfallen.

Ihr gebt Kritiker*innen die Schuld an der Afd

Und genau das habt ihr bei Ankerherz auch gemacht. Ihr habt in eurem Versuch, berechtigte Kritik an den Protesten zu üben, rechte Gewalt relativiert und rechte Narrative 1:1 wiederholt. Dass manche euch dann für AfD-Sympathisanten halten ist natürlich überzogen, aber ich hoffe, ihr seht, woher der Eindruck herrührt. Lasst euch von den falschen Schlussfolgerungen der Kommentierenden nicht von der berechtigten Kritik dahinter ablenken. Wenn ihr dann noch erklärt, dass „solche Kritik“ auch „gemäßigte“ AfD-Politiker*innen und -wähler*innen in die Arme der AfD treibt, dann erodiert ihr die Basis, auf welcher auch ihr Kritik an Rechtsextremismus üben könntet.

Wer die AfD wählt, wenn darin Rechtsextremisten und Faschisten bis in höchste Ämter sitzen, der hat keine Entschuldigung dafür. Auch nicht, wenn vermeintlich „Linke“ mal gemein zu ihm waren. Aber ihr bietet ihnen diese Entschuldigung. Denn es wird immer unsachliche, beleidigende und überzogene Kritik in den Kommentaren geben. Aber wenn wir diese als Maßstab für irgendetwas hernehmen, kommen wir nicht weiter. Das ist keine Entschuldigung, Faschisten zu wählen. Aber mit euren Aussagen habt ihr es so dargestellt.

Ruhe bewahren

Klar, so einige Kommentierende in euren Spalten sollten sich mal gefälligst zurückhalten und ihren Ärger nicht unsachlich und mit Beleidigungen auslassen. Das ist unseriös, das ist Scheiße. Und das ist nicht seriöser als Wutbürger, die den gleichen Mechanismen anheim fallen. Aber liebe Freunde von Ankerherz, glaubt deshalb nicht, dass in der Kritik nicht ein Körnchen Wahrheit steckt.

Ich verstehe euren Ärger, und mit ein paar Tagen Abstand könnt ihr sicherlich mit freiem Kopf darüber denken. Aber ihr habt in eurer Wut über die krassen Reaktionen übersehen, dass ihr leider auch gefährliche Relativierung betrieben habt, unmögliche Holocaust-Vergleiche à la Lucke und AfD-Narrative wiederholt und gerechtfertigt. Und daher rührt wohl ein Großteil der Enttäuschung eurer Fans. Beschäftigt euch ein wenig mit der „Hufeisen-Theorie“, mit dem „Extremismus der Mitte“ und eine generelle Empfehlung von Kolleg*innen: Wenn ein Shitstorm kommt, erst mal intern auskotzen und erst reagieren, wenn man die Wut verarbeitet hat.

Und dann können wir uns nicht mehr unter Applaus der AfD, die wir eigentlich kritisieren sollten, gegenseitig bekriegen und unsere berechtigte Kritik an diejenigen richten, die sie auch verdient haben.

Artikelbild: Ankerherz