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Analyse Kantholz vs. Lübcke: Warum über Lübckes Tötung weniger berichtet wird als über Magnitz

von | Jun 4, 2019 | Aktuelles, Analyse, Medien

Analyse Kantholz vs. Lübcke

Viele bemerkten, dass über die Tötung Lübckes zurückhaltender berichtet wurde als beispielsweise über den Angriff und Sturz des AfD-Politikers Magnitz im Januar. Wir wollen das überprüfen und erklären, warum unterschiedlich berichtet wurde. Und nicht kritisieren, dass bei Lübcke journalistische Vorsicht angewendet wurde, sondern in anderen Fällen nicht.

Kassels Regierungschef Dr. Walter Lübcke (65), CDU, wurde von Samstag auf Sonntag Nacht getötet. Die Todesursache war ein Kopfschuss aus nächster Nähe, die genauen Umstände sind jedoch unklar. Eine Mordkommission ermittelt derzeit in alle Richtungen (Quelle). In seinem Umfeld und auch öffentlich wird viel Trauer und Entsetzen geäußert. In den rechtsextremen Facebookgruppen, die die Recherchegruppe #DieInsider beobachtet, wird allerdings hämisch gejubelt. Wir haben darüber berichtet:

Grausam: So widerlich feiern Rechtsextreme den Mord an Lübcke

Lübcke setzte sich in der Vergangenheit für das Menschenrecht Asyl ein und verurteilte Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Bei einer Bürgerversammlung zu einer Erstaufnahmeeinrichtung 2015 entgegnete er empörten Zwischenrufern, die zum Teil aus dem Pegida-Umfeld stammten, Deutschland beruhe auf christlichen Werten wie der Hilfe in Not und fügte hinzu: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Seit dem war er ein beliebtes Hassobjekt der extremen Rechten.



Hat keiner über Lübcke berichtet?

Viele unserer LeserInnen berichteten, sie hätten von dem Vorfall erst durch uns erfahren. In Social Media wurde mehrfach kritisiert, dass der Vorfall medial kaum behandelt wurde:

Auch der Vergleich mit dem Fall Magnitz wurde mehrfach gebracht. Zur Erinnerung: Als der AfD-Politiker Magnitz im Januar angegriffen wurde, verletzte er sich bei einem unglücklichen Sturz in Folge des Angriffs. Die AfD sprach von einem “Mordanschlag” von “Linksextremen” – Doch wer die Täter waren und deren Motive sind bis heute unklar. Die Staatsanwaltschaft und Augenzeugen widersprachen der völlig falschen Behauptungen der AfD:

Fall Magnitz: Helfender Handwerker widerspricht der AfD-Darstellung

Und an dieser Stelle soll noch einmal deutlich gesagt sein: Dass sich die Medien mit Spekulationen und Panik, Überdramatisierung und politischer Ausschlachtung im Fall Lübckes zurückhalten ist genau so, wie sie sich verhalten sollten. Im Gegenteil, dass sie das bei Magnitz und in anderen Fällen nicht getan haben, ist das, was wir kritisieren wollen.

Über Magnitz mehr und dramatischer berichtet als über Lübcke

Also fragten wir uns, ob wirklich unterschiedlich über die beiden Fällen berichtet wurde und wird. In einer Analyse Mittels Mediacloud stellten wir fest, dass am ersten Tag nach der jeweiligen Tat über Magnitz 24 Berichte veröffentlicht wurden, zu Lübcke 19. Am zweiten Tag (der 8.1. und der 3.6. respektive) gab es zu Magnitz 138 Berichte, zu Lübcke hingegen nur 58. (Hier Nachweis der Daten)

Doch auch die Art und Weise der Berichterstattung war eine ganz andere. Die meisten Berichte zum AfD-Politiker lauteten in den ersten Tagen “Bremens AfD-Chef angegriffen und verletzt” oder ähnlich, sie verwendeten Begriffe wie  “schwer verletzt”, “Attacke”, “Überfall” und am häufigsten “angegriffen” und “Angriff”. Mehrmals wurden die Lügen der AfD wiederholt. Hingegen ist die Tötung Lübckes zurückhaltender thematisiert worden.

Die meisten Medienberichte sprachen davon, dass Lübcke “tot/verstorben” war und am häufigsten, dass man ihn tot “gefunden” hätte. Die Worte “erschossen”, “Kopfschuss” und kommen seltener vor und dann erst am zweiten Tag. “Getötet” sehr selten, und dann meistens als Frage. “Mord” nur einmal bis zum zweiten Tag. Man sieht also, bei der Tötung Lübckes gab es nicht nur weniger als halb so viele Berichte, viele waren sehr zurückhaltend und gaben keinen Hinweis auf die gewaltsame Natur und Art der Todes – eine Tötung wohlgemerkt.

So extrem unterschiedlich berichten rechte Medien

Bei den rechten Medien und rechtsextremen Blogs ist die Sache naturgemäß noch extremer. In den ersten zwei Tagen wurde dort über Magnitz 46 mal berichtet, über Lübcke ganze 8 mal.

Sie sprachen bei Magnitz von “Attentat”, “Mordanschlag”, “Weimar 2.0”, “Brutaler Mordanschlag” usw. Bei der Tötung von Lübcke, zu welcher die meisten rechten Medien (außer RT Deutsch und EpochTimes) im Übrigen völlig schwiegen, hieß es hingegen nur “unter unklaren Umständen gestorben”, lediglich “Tod” und ansonsten war von “erschossen” und “Kopfschuss” die Rede. Wenn man bedenkt, dass in beiden Fällen die Motive und Täter unklar waren, könnte man fast denken, nicht Lübcke wäre getötet worden.

Tötung eines demokratischen Politikers weniger skandalös als Sturz eines AfDlers?

Die Ungleichbehandlung wird umso problematischer, wenn man bedenkt, dass beide Politiker eher an unterschiedlichen Enden des politischen Spektrums (zumindest was Asyl betrifft) anzusiedeln sind und erst Recht, dass eines eine Tötung war und das andere ein Sturz, eine gefährliche Körperverletzung. Während die AfD den Sturz mit Lügen und Falschbehauptungen erst zu einem “politischen Mordanschlag” hochstilisierte, wurde auf der anderen Seite ein Kopfschuss beinahe verharmlost.

Noch einmal: Es wird nicht das Verhalten im Fall Lübcke kritisiert. Im Gegenteil, dass sie journalistische Standards bei Magnitz und in anderen Fällen fallen lassen, ist der Punkt. Dass sie unkritisch den Lügen der AfD eine Bühne bieten und sie verbreitet haben, ist das Problem.

Natürlich können die Medien nicht über jede Straftat und jedes Ereignis berichten, aber Studien zeigen, dass sie überproportional oft über die Straftaten von Ausländern und Migranten berichten. Es gibt den Glauben, dass Verbrechen von Deutschen weniger interessant sind. (Hier)

Studie zeigt: Deutsche Presse stellt Nicht-Deutsche und Flüchtlinge krimineller dar, als sie sind

Noch einmal: Wie sich die demokratischen Medien jetzt verhalten ist richtig. Sie tun es aber sonst nicht. Warum?

Medien berichten überproportional über die AfD und ihre Themen

Ein wesentlicher Aspekt der Außenkommunikation und des Selbstverständnisses der Rechtsextremen ist die Opferdarstellung. Wie wir bereits öfter berichtet haben (Hier, hier und hier), dient die Präsentation als unfair behandeltes Opfer dazu, die eigenen Wähler stärker zu motivieren und immer drastischere “Gegenmaßnahmen” als Reaktion zu rechtfertigen. Dass die Opferdarstellungen oft übertrieben oder erlogen sind, spielt dabei keine Rolle.

Die Darstellung sieht so aus: Immer würden AfD-Politiker unfair behandelt werden, nicht eingeladen, die “Lügenpresse” würde alles totschweigen und vertuschen. Es wird wirklich eine Verschwörung konstruiert, die die Medienlandschaft als politisch gesteuert darstellt und gegen die AfD verschworen. Jede Kritik wird als Beweis dafür hergenommen, anstatt als Anlass zur Selbstreflexion. Die rechten Medien befeuern dieses Narrativ auch immer weiter. Und ironischerweise sind genau diejenigen es, die Dinge verschweigen, die ihnen nicht passen, wie die Tötung Lübckes, und massiv mit Lügen arbeiten. Was ist hier die wahre Lügenpresse?

Die wahre Lügenpresse

Daran ändert auch nichts, dass das Narrativ der “Lügenpresse” einfach nicht stimmt. Studien und KritikerInnen zeigen immer wieder, dass genau das Gegenteil der Fall ist und die AfD (und ihre Themen) oft überproportional viel Aufmerksamkeit erhält.

Das heißt nicht, dass der Umkehrschluss wahr ist, dass die Presse “rechts” sei oder eine heimliche rassistische Agenda pusht. Das ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die unzähligen Beleidigungen, Drohungen und “Lügenpresse”-Vorwürfe an den JournalistInnen und Medienmachern nicht spurlos vorübergehen. Durch Bots, Shitstorms und Fake-Accounts gaukelt man in den Kommentarspalten den Journalisten nicht nur vor, viel mehr Menschen würden sich für diese Themen interessieren, sie bekommen dadurch auch mehr Traffic und haben auch wirtschaftliche Anreize, mehr darüber zu berichten.

Journalisten lassen sich von Rechten manipulieren

Doch das tragischste ist vielleicht: Sie möchten ihren Kritikern von rechts eben zeigen, dass sie nicht voreingenommen sind. Dass sie die AfD eben nicht ausschließen. Dass sie fair sind und ausgewogen berichten. Doch das hat eine fatale Folge: Die Rechtsextremen werden sich immer als Opfer darstellen, selbst wenn sie die Mehrheit der Berichterstattung dominieren. Man kann sie niemals zufrieden stellen. Die Kritik wird auch kommen, wenn man zu viel über sie berichtet – was der Fall ist.

Die Medien fallen auf einen Trick der Rechtsextremen herein, die sie ködern wollen, sie in Talkshows einzuladen und mehr über ihre Feindbilder zu berichten. Um ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, die Medien würden den Angriff auf Magnitz verschweigen, war es tagelang das Thema Nummer 1. Und letztlich wurde ein unglücklicher Sturz nach einem Angriff zu einem politisch motivierten Anschlag hochstilisiert, obwohl man nicht weiß, wer die Täter waren. Und die AfD bekam, was sie wollte.

Wer hinter der Tötung Lübckes steckt, ist noch unklar. Auch ob es politisch motiviert war. Und die Medien hielten hielten sich angemessen zurück, noch einmal: Die Medien haben sich hier richtig verhalten. Diese Lektion sollten sie allerdings lernen, wenn das nächste Mal die AfD erneut von “Anschlägen” redet und gleichermaßen sauber berichten.

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Autor: Thomas Laschyk. Datenaufbearbeitung & Co-Autor: Philip Kreißel. Artikelbild: pixabay.com, CC0