21.800

Greta-Kritik: Dieter Nuhr ist quasi wie Hitler und Stalin

von | Nov 24, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt

Vergleiche, die Nuhr machen kann, kann ich auch

Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet, habe Dieter Nuhr bei einem jüngsten Auftritt Greta Thunberg in „gewisser Weise“ mit Hitler und Stalin verglichen. Hat er nicht wirklich, aber er hat ihr einen derartigen Totalitarismus unterstellt. Aber ich kann auch solche wahnwitzigen Vergleiche machen, um Aufmerksamkeit zu bekommen*.

Mit dem Unterschied, dass Dieter Nuhr (mal wieder) so gar nicht verstanden hat, was Greta Thunberg und Fridays For Future eigentlich wollen. Oder ich sollte sagen: Immer noch nicht. Denn wir drehen uns hier ein bisschen im Kreis. Der einseitige Beef, den Dieter Nuhr anscheinend mit der Klimabewegung hat, dauert ja bereits etwas länger an.

Zuerst fing es mit einem Witz über Greta Thunberg an, der vielleicht für eine gewisse Klientel komisch, jedoch keine kritische Satire war (Mehr dazu), dann hat Dieter Nuhr sich genötigt gesehen, diesen Witz zu erklären – und damit gezeigt, dass er nicht verstanden hat, worum es geht und was Greta Thunberg fordert. Das ist hier erklärt:

Sorry Dieter Nuhr: Du bist kein alter weißer Mann

Und ach ja, um dem obligatorischen Blödsinn, der sich sicherlich bereits in den Kommentarspalten gebildet hat, zuvorzukommen: Natürlich darf Dieter Nuhr Witze über Greta Thunberg machen und sie auch kritisieren. Wenn ich ihn deswegen kritisiere, nehme ich ihm nicht die Meinungsfreiheit, sondern nutze meine eigene. Hier hab ich das ausführlich erklärt. Aber damit wären wir ja bereits beim Totalitarismus.



Hitler, Stalin und Greta Thunbeg?

Zuerst einmal muss ich Dieter Nuhr etwas in Schutz nehmen. Laut Kieler Nachrichten soll Nuhr vor seinem Auftritt in der Stadt noch einmal Stellung zur schwedischen Klimaaktivistin genommen haben. Er betonte, dass er nichts gegen Greta Thunberg persönlich habe, und auch Klimaaktivismus (eine „saubere Umwelt“) an sich gut und wichtig findet. Auch die „Proteste an sich“ begrüße er.

Aber er kritisiere die „Institution“ (?) und die „Hysterie“ ihrer Anhänger. Ihr „Fundamentalismus“ würde viel „Elend verursachen“ und er findet das „ständige Verbieten“ nicht sinnvoll. Ihre Forderungen hätten das Zeug, die „wirtschaftlichen Grundlagen der Menschheit zu zerstören“ und die Problemlösungen seien „naiv und gefährlich“.

Er meint, Wohlstand verursache nun mal viel CO2-Emissionen und falle der weg, bedrohe das Menschenleben. „Aber was sind schon Menschenleben, wenn es um die große Sache geht?“, meinte er und unterstellte er ihr hier Totalitarismus .*

Ok Boomer

Es ist sehr sehr frustrierend, wenn Dieter Nuhr so tut, als hätte seine Position irgendetwas mit Differenzierung oder Rationalität zu tun. Ich befürchte, er hat sich keine einzige Minute mit den konkreten Forderungen von Greta Thunberg oder Fridays For Future auseinandergesetzt und leitet seine gesamte Einschätzung (und seine öffentlichkeitswirksamen Scherze und Vergleiche) ganz allein aus den Strohmann-Argumenten lustiger Facebook-Bildchen ab, die sich in gewissen Kreisen großer Beliebtheit erfreuen.

Wie schon bei der Erklärung des Witzes, warum er seiner Tochter die Heizung abdrehen würde, wenn sie für die Umwelt demonstriert (Haha wie lustig), zeigt sich hier wieder einmal, dass Dieter Nuhr keinen blassen Schimmer von Klimapolitik oder den Forderungen von Greta Thunberg hat. Und dennoch irgendwie zum Gesicht der Kritik an ihr avanciert ist.

Lieber Dieter Nuhr, was fordert denn Greta Thunberg überhaupt, das so „naiv“ und „gefährlich“ sei? Ich verrate es Dir: Sie fordert, dass die Staaten die Pariser Klimaziele einhalten. Die Pariser Klimaziele, die fast alle Staaten der Welt unterzeichnet haben. Deren Ziel es ist, die Klimaerwärmung auf 1,5° zu maximieren, damit kein unaufhaltsamer Teufelskreis entsteht, der die menschliche Zivilisation bedrohen wird. Uff, voll naiv und gefährlich.

Ein Abziehbild von Humor und Weltbild

Um das zu erreichen, muss z.B. die Bundesregierung bis 2035 eine CO2-Nettonull erreichen. Das Klimapaketchen, das die Bundesregierung da beschlossen hat, wird dabei so gut wie gar nicht helfen, wie die Wissenschaft geschlossen attestiert. Die zweite „naive“ Forderung Gretas? Hört auf die Wissenschaftler*innen.

Es ist geradezu lächerlich, wie verkürzt und falsch die Vorstellungen Nuhrs von den Forderungen Greta Thunbergs sind. Sie hat keine konkreten Maßnahmen ausformuliert, sie will einfach nur, dass man auf die Expert*innen hört.

Fridays For Future wird dabei nur ein bisschen konkreter und fordert einfach eine Nettonull für 2035, einen endgültigen Kohleausstieg bis 2030, einen sofortigen Stopp klimaschädlicher Emissionen und einen CO2-Preis von 180€/Tonne. Letzteres ist die eigene Berechnung des Umweltbundesamtes, aber Experten würden einen niedrigeren Einstiegspreis empfehlen, wie 40€ oder 50€. Alles nicht wirklich Forderungen, sondern die logischen Voraussetzungen dafür, die unterzeichneten (!) Pariser Klimaziele einzuhalten.

Was man konkret tun muss, um diese Dinge zu erreichen, das soll die Politik ausmachen. Das ist keine Naivität, sondern im Gegenteil die Erkenntnis, dass die Kids eben nicht die „Profis“ sind. Und daran ist doch echt nichts auszusetzen, oder?

Wo Nuhr-Hitler ins Spiel kommt

Was ich nicht sehe: Fundamentalismus, das ständige „Verbieten“ (A propos, Verbote sind sehr oft eine gute Sache, die zu mehr Freiheit führen, siehe „Du sollst nicht töten“ zum Beispiel). Ihre Forderungen hätten das Zeug, die „wirtschaftlichen Grundlagen der Menschheit zu zerstören“, sagt Dieter Nuhr über Greta Thunberg.

Da musste ich laut auflachen. Sie fordert, die Pariser Klimaziele einzuhalten. Also das Programm, das buchstäblich dazu da ist, die „wirtschaftlichen Grundlagen der Menschen zu zerstören“. Wie lächerlich falsch kann man eigentlich liegen? Hat Dieter Nuhr eigentlich überhaupt eine Ahnung, was der Klimawandel ist? Dass er davon spricht, die „Umwelt sauber“ zu halten, klingt ehrlich gesagt nicht danach.

Dass Dieter Nuhr anscheinend jede (sinnvolle) Maßnahme ablehnt, die die Klimaerwärmung auf maximal 1,5° begrenzt, und unter der Illusion des „Wohlstandes“ in Kauf nimmt, dass hunderte Millionen Menschen ihre Heimat verlieren werden und Nahrungsmittelerzeugung gravierend erschwert wird, heißt, dass ihm Menschenleben wohl nicht so wichtig sind.

Aber was sind schon Menschenleben, wenn es um die große Sache geht, nicht? Da muss ich natürlich an Totalitarismus denken. Hey, Dieter Nuhr hat auch unzählige, blindwütige Follower, die alles verteidigen, was er sagt. Siehe Kommentarspalte zu diesem Artikel. Voll hysterisch und religiös verblendet. Voll naiv und gefährlich. /Satire Ende.

Es geht nur um eines

Natürlich ist ein Hitler-Nuhr-Vergleich völlig schwachsinnig. Aber es sollte zeigen, wie schnell man ohne Grundlage Totalitarismus unterstellen machen kann.

Dieter Nuhr mag es vielleicht gut meinen, doch leider hat er keinen blassen Schimmer davon, was Greta Thunberg fordert, was die Klimakrise ist oder ihre Folgen. Und um schlechte Witze darüber zu machen, muss er das bei seinem Publikum anscheinend auch gar nicht. Es reichen ein paar Klischees und die Selbstbestätigung, dass man im Recht ist.

Es ist schade, dass Dieter Nuhr inzwischen Greta Thunberg nur noch erwähnt, um eine provokante Aussage zu machen, um wieder Schlagzeilen zu machen. Jede PR ist gute PR. Dazu muss dann sogar eine buchstäbliche Nazi-Keule herhalten. Dass er und vor allem sein Publikum sich damit einer vernünftigen Diskussion darüber, wie wir sinnvoll Klimamaßnahmen umsetzen können, vollkommen verweigern, ist ihnen dabei nicht einmal bewusst.

Außer Nazi-Keulen nichts

Ich bin jetzt wirklich nicht in die Tiefe gegangen bei der Problematik der Klimakrise. CO2-Preis, Kohleausstieg, erneuerbare Energien. Da gäbe es viel zu sagen. Aber wenn es reicht, Greta Thunberg und Fridays For Future mit „Hysterie“-Sprüchen und Totalitarismus-Vergleichen abzuspeisen, ist das wohl auch so genug, nehme ich an.

Ja, die Klimabewegung ist „radikal“, aber wer das mit Totalitarismus verwechselt, begeht einen gravierenden Fehler. Die Klimakrise braucht nun mal drastische Maßnahmen. Nicht, um abgewendet zu werden, sondern um das Schlimmste zu verhindern. Man hätte ja vor 30 Jahren schon etwas unternehmen können. Hey, es gab schon Klimakonferenzen, als ich auf die Welt kam.

Niemand will unseren eigenen Wohlstand abschaffen oder Menschenleben gefährden. Genau genommen will Greta Thunberg genau das Gegenteil davon, deswegen appelliert sie daran, auf die Wissenschaft zu hören. Wenn wir allerdings die ganze Zeit nur gegen die Klischees voneinander diskutieren, bringt uns das auch nicht weiter.

*Anmerkung 25.11 19:00: Dieter Nuhr kritisiert auf seiner Facebook-Seite die Berichterstattung und erklärt, keinen Hitler-Vergleich gebracht zu haben. Uns war vollkommen bewusst, dass die Darstellung einiger Medien überzogen waren, nicht, jedoch, dass er Hitler gar nicht erwähnt hatte. Für unseren Artikel spielt es jedoch keine Rolle, denn unsere Überschrift sollte ja auch überzogen sein, als Parodie. Unsere Kritik bleibt natürlich unverändert, da Nuhr eigentlich nur den vermeintlichen Totalitarismus und Verblendung Gretas kritisieren wollte – und daran richtet sich unsere Kritik, nicht an den „Hitler-Vergleich“, den Nuhr nicht gemacht hat.

Artikelbild: Euku, CC BY-SA 3.0