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Umweltsau-Shitstorm: WDR wurde Opfer der Hysterie, die sie parodieren wollten

von | Dez 28, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt, Social Media, Umwelt/Klima

Vollkommen am Thema vorbei

Und wieder wird die nächste (Umwelt-)Sau durch’s Dorf getrieben: Der heutige Aufreger ist die Umweltsau – Satire des WDR. Versteht mich nicht falsch – Ich finde das Lied ziemlich ermüdend. Ohne den Hashtag „Umweltsau“ hätte ich ihn niemals angesehen. Ich halte weder umgedichtete, parodistische Liedtexte noch einen Kinderchor für den Gipfel der Unterhaltung. Weder humoristisch noch in der Botschaft ist der Clip ein Meisterwerk der Satire. Es ist eigentlich nur ein Klamauk. Doch der nächste irrationale Shitstorm zwingt mich trotzdem dazu, diese Satire – oder besser: Scherz – jetzt auch noch zu verteidigen.

Es ist ein etwa 1-minütiges Video, in welchem eine Gruppe Kinder eine umgedichtete Version des Lieds „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ mit „Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau“ singt. Darin fährt „die Oma“ SUV, isst Discounterfleisch und fährt Kreuzfahrten. Die Pointe ist, dass sie jedoch nicht mehr mit dem Flugzeug fliegt, sondern dafür Kreuzfahrten macht. Was natürlich nicht besser ist. Haha, Ironie und so. Das mag dumm sein, das so genau zu erklären, aber warum das nötig ist, erkläre ich nachher.



Absurde Vorwürfe an das Video

Vor allem von rechter und konservativer Seite hagelte sofort ein Shitstorm los: Die Kinder werden „instrumentalisiert“, Beleidigungen (Umweltsau) könne man nicht ernst nehmen und seien eine Grenzüberschreitung. Und dann alle möglichen überzogenen Versionen davon: „Staatspropaganda“, DDR-Vergleiche, das gleiche übertriebene Repertoire wie bekannt. Doch die Kernvorwürfe sind folgende: a) Kinder werden „instrumentalisiert“, b) die „Beleidigung“ geht zu weit und c) Gerade „die Oma“ lebe viel nachhaltiger als die „heutigen Generationen“.

Doch bevor wir darauf eingehen: Dieser ganze, schlechte Clip wird viel zu ernst genommen. Ist bei allen angekommen, dass das Satire sein sollte? Oder zumindest ein Scherz? Auf Twitter schrieb mir jemand, er könne niemanden ernst nehmen, der andere beleidige. Hey, du sollst das doch auch gar nicht ernst nehmen! Ich weiß, das mag merkwürdig klingen von einer Seite, die nicht nur einmal Dieter Nuhr analysiert und kritisiert hat. Aber die ganze Aufregung hätten wir uns sparen können, wenn alle den Clip nicht so absurd ernst nehmen würden.

Natürlich darf und soll man eine Satire wegen der dahinterstehenden Botschaft/Moral kritisieren können und dürfen. Wie gesagt, machen wir auch regelmäßig. Es ist aber falsch, den zu analysierenden Text, der als Satire intendiert ist und funktionieren soll, wörtlich zu nehmen und dies dann als ernste Botschaft zu kritisieren. Man kann die dahinterstehende Botschaft herausinterpretieren und kritisieren. Aber entweder man nimmt es wörtlich oder eben nicht. Der mäßige Clip hätte unbeachtet in der Versenkung verschwinden können, aber so einige vergaloppieren sich jetzt in „Ökodiktatur“ und „Staatsfernsehen“-Narrativen, um politisches Kapital aus einem müden Witz zu machen. Doch gehen wir einmal die Vorwürfe einzeln durch.

a) Kinder werden „instrumentalisiert“

Ein äußerst merkwürdiger Vorwurf. Gemeint ist wahrscheinlich, dass Kinder für eine politische Agenda „missbraucht“ würden, die sie nicht verstehen und vielleicht nicht gut heißen würden. Sicherlich ist es möglich, Kinder für so etwas zu missbrauchen, wenn diese irgendwelche Propaganda verbreiten oder so etwas. Aber wenn wir den Maßstab schon bei einem Scherz-Video wie Umweltsau anwenden… wann werden Kinder dann nicht missbraucht? Ist nicht jeder Kinderkirchenchor dann Instrumentalisierung? Jedes Wahlplakat mit Kindern? Jede Werbung? Ist Kinderschokolade schon Propaganda? Wirklich, wo ist die Linie, die diese Sachen unterscheidet?

Weil dahinter eine politische Botschaft steckt? Jede Partei und jede politische Bewegung hat doch mal nen Werbespot oder Wahlplakat mit Kindern gemacht. Und ich möchte daran erinnern, dass das hier alles nicht so ernst gemeint ist. Das ist ein Scherz: Die Kinder machen sich über das klimaschädliche Verhalten einer fiktiven Oma lustig. Das war’s auch schon. Wenn wir das durchziehen würden, dürften Kinder nie wieder in Werbungen oder im Fernsehen auftauchen, weil sie immer unmündig sind und nicht 100% selbst ihre Teilnahme entscheiden können! Ein sinnloser Vorwurf voller Heuchelei.

Fail: AfD-Kreisverband instrumentalisiert Kinder-Foto – aus Polen!

b) „Beleidigung“? Echt jetzt?

Also klar, technisch gesehen ist „Umweltsau“ eine Beleidigung. Aber… wirklich? Das ist eine derartig harmlose „Beleidigung“, wer nur fünf Minuten getwittert hat hat schnell schlimmeres an den Kopf geworfen bekommen. Gerade diesen Vorwurf aus der vulgären AfD-Ecke kann man nur mit einem Lachen quittieren. Klar, ich bin nie ein Fan von Beleidigungen. Aber ich wiederhole: Das ist ja alles nicht so ernst gemein. Die ledigliche Verwendung einer Beleidigung in einem satirischen Kontext macht es noch lange nicht verwerflich. Ich könnte unzählige Beispiele von noch viel schlimmeren Beleidigungen heraussuchen, die in einem satirischen Kontext völlig in Ordnung sind.

Und überhaupt: Wer wird denn überhaupt beleidigt?! Die fiktive Oma. Es ist ja nicht mal eine echte Person! Greta Thunberg wird von den meisten, die sich darüber aufregen täglich als „behindert“ und „Göre“ bezeichnet – völlig im Ernst – und sie ist immerhin eine echte, lebende Person. Wer allerdings „Oma“ als Chiffre für die „ältere Generation“ versteht und glaubt, alle Omas würden (doch relativ harmlos) beleidigt werden, der interpretiert definitiv zu viel herein. Ach, „Oma“ muss man nicht wörtlich nehmen, aber „Umweltsau“ schon? Wenn man schon auf die Meta-Ebene wechselt und über die wörtliche Ebene hinweg sieht, dann kann man das doch auch mit der lustig gemeinten, harmlosen „Beleidigung“ machen, oder?

c) Umweltfreundliche Omas?

Und hier kommen wir zu dem Knackpunkt des Clips: Im Kern wirft hier „die jüngere Generation“ der „älteren“ vor, nicht klimafreundlich gelebt zu haben. Das ist die heraus gelesene Botschaft. Und die kann man ja gern kritisieren, wenn man möchte. Genau deswegen gibt es überhaupt diese ganze Empörung. Es wird direkt diese Botschaft heraus gelesen. Genau deshalb echauffiert man sich über Beleidigungen und Instrumentalisierungen: Weil es Whataboutismen sind, um diese inhärente Kritik zu diskreditieren. Punkte a) und b) sind eigentlich nur Ablenkungen. Die „ältere Generation“ denkt, sie lebte „früher“ viel nachhaltiger.

Das lasse ich am liebsten eine 1959 geborene Gastautorin von uns antworten: „Ich beginne mal mit dem Stopfen von Socken und Flicken von Kleidung. Wenn man das doch so gewohnt war und diese Erfahrungen als Kind in der Familie gemacht hat… wieso hat Generation 50/60 denn damit aufgehört? Wieso wurde das nicht beibehalten und später den eigenen Kindern weiter vermittelt? Wer hat also angefangen, gebrauchte, nicht mehr tragbare Kleidung eher zu entsorgen und lieber neue zu kaufen? Musste es in den 70ern nicht auch plötzlich die coole Jeans und der hippe Turnschuh sein, statt der, mit filigraner Häkelarbeit, verlängerte Pulli? Da hatte diese Generation das Teenageralter erreicht oder war in den Zwanzigern.

Während welcher Zeit begann das Aussterben der Einzelhandelsgeschäfte und WER ist in die “neu” entstandenen Supermärkte gerannt, wo alles so schön abgepackt in den Regalen lag? Seit wann gibt es eigentlich Plastiktüten? Oh, welche Überraschung… seit 1961. Also… Frage… WER hat für die Verbreitung gesorgt, wo sie doch über Jahrzehnte völlig umsonst genommen werden konnten? Wo sind denn die hoch gelobten Einkaufsnetze von Mama geblieben? War es diskussionswürdig, dass man plötzlich im Winter Obstsorten bekam, die es eigentlich zu der Jahreszeit nicht geben durfte? Herbei geschafft aus warmen, sehr weit entfernten Ländern… mit Schiffen und Flugzeugen. Hat man das verschmäht, weil man ja aus der Generation kommt, die Nachhaltigkeit und Umweltschutz für sich in Anspruch nimmt? Natürlich nicht!“

Den ganzen lesenswerten Text zum Thema:

Ihr Heuchler! Abrechnung mit diesem Kettenbrief gegen Fridays For Future

Überzogene Aufregung

Wirklich, mir liegt rein gar nichts an diesem Clip. Ich finde ihn nicht witzig. Ich halte auch nicht viel davon, den Generationenkonflikt anzuheizen. Denn Schuld an der Klimakrise sind nicht die Boomer oder die Millenials. Sondern die 100 Konzerne, die weltweit für 71% der industriellen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind. Solange Großkonzerne mit mächtigen Lobbys die eigentlich lange überfällige Energiewende blockieren, um weiter Geld zu scheffeln, ist es völlig egal, ob du mal Fahrrad fährst, weniger Fleisch isst oder auf den Inlandsflug verzichtest.

Ökostromkosten wurden hochgetrieben, die EEG auf die Bevölkerung umgelegt, Investitionskosten für Windparks und Stromtrassen hochgetrieben. Ökostrom aus Norddeutschland ins Ausland als Verlustgeschäft verkauft, Kohlestrom subventioniert, Windkraftneubau durch Regelungen de facto verboten. Das war nicht die Oma, das waren die Lobbys und ihre Politiker*innen. DAS ist das Problem.

Der WDR hat sofort klein beigegeben und ihren Clip gelöscht. Ausgerechnet noch wegen des „Instrumentalisierungs“-Vorwurfes.

https://www.facebook.com/wdr2/posts/2889050427794313

Die milde Kritik hinter dem mäßigen Clip selbst ist eigentlich nur insoweit relevant, dass wir ein Umdenken brauchen. Doch das Einknicken und der Shitstorm an sich zeigt – wir sind anscheinend verdammt weit weg davon. Es geht nicht um einen dummen Kinderchor oder Umweltsau oder Satire. Der WDR wollte sich einfach billig über die „hysterische Klimadiskussion“ lustig machen. Und hat ironischerweise aufgezeigt, wie hysterisch und am Thema vorbei diese Diskussion wirklich geführt wird.

Artikelbild: Paranamir, shutterstock.com / Screenshot WDR