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Querdenker-Urteile der Woche (KW 51): Ein „Die Basis“-Vorstand verurteilt

von | Dez 25, 2022 | Serie

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, in Bezug auf Prozesse gegen Querdenker spüren wir das aber noch lange nicht. Ganz im Gegenteil. Es gab gleich sechs Urteile in nur einem einzigen Prozess. Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen „Querdenker“ – es gibt auch immer mehr Urteile. Da es mittlerweile so viele sind, fassen wir die Urteile regelmäßig in einem Sammelartikel zusammen. Den Artikel der letzten Woche findet ihr hier:

Gleich der ganze Osnabrück-Vorstand von „die Basis“ verurteilt: Erstellung von Feindeslisten

Manche Prozesse möchte man sich nicht nehmen lassen und fährt lieber gleich zum Amtsgericht Osnabrück um sie verfolgen zu können. So auch in diesem Fall. Der Vorstand der Partei „die Basis“ verschickte Ende Februar 2022 Schreiben an die Mitglieder des Stadtrates Osnabrück, sowie an die Mitglieder des Kreistags. Darin wiesen sie nicht nur auf die absurden Aussagen vom Verein MWGFD hin. Der Verein war bei uns schon einmal Thema:

Der Vorstand der „Querdenker“-Partei forderte die Mitglieder auch noch auf, ihre Coronapolitik zu überdenken. Die Tatsache, dass man auf kommunaler Ebene in erster Linie für die Umsetzung der Bundes- und Landesgesetze zuständig ist – und das auch noch durch die Verwaltung nicht Politik erfolgt, kann man dabei dezent verpeilen. Man hätte das Schreiben also direkt löschen bzw. entsorgen können, wenn dort nicht auch folgender markanter Absatz gestanden hätte:

(…) Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie mit der Zustellung dieser Informationen in einer Liste erfasst werden, die dokumentiert, dass Sie diese Informationen erhalten haben. Möglicherweise werden Ihre Namen auch auf der Website des MWGFD veröffentlicht.

Kein Empfänger soll bei einer juristischen Aufarbeitung durch die Aussage „Ich habe das nicht gewusst“ vor möglichen Konsequenzen geschützt werden.

Schreiben die Basis vom 21./22.2.2022

Der Ratsherr Andre Klekamp (SPD) machte dieses Schreiben umgehend öffentlich. Nach einem vollen Arbeitstag und einer Fraktionssitzung, die auf kommunalpolitischer Ebene als Ehrenamt ausgeübt wird, checkte er noch kurz seine Mails und fand um kurz nach 22 Uhr zwei Mails der „Querdenker“ vor, einmal sogar mit erhöhter Priorität und der Anforderung einer Lesebestätigung.

Nach den Morden an der Tankstelle in Idar-Oberstein und an Walter Lübcke fühlte auch er sich im Hinblick auf sich und seine Familie bedroht. Die aktuelle Studie der Heinrich Böll Stiftung aus Dezember 2022 bestätigt die gestiegene Bedrohungslage für Kommunalpolitiker:innen: Studie. Couragierte Twitter-User markierten den Verfassungsschutz und die Polizei Osnabrück meldete sich direkt am nächsten Tag bei ihm. Der Vorfall wurde ernst genommen und auch die Staatsanwaltschaft wurde umgehend eingeschaltet. Am Ende wurden am 22.12.2022 vor dem Amtsgericht 55 Fälle verhandelt. Vorwurf: versuchte Nötigung (§ 240 StGB), sowie gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten, auch bekannt als Erstellung von Feindeslisten (§ 126a StGB).

Die Verhandlung hätte es gar nicht gebraucht

Den Aufwand und die Sitzung hätte man sich im Übrigen sparen können: es ergingen bereits im September Strafbefehle gegen die Vorstandsmitglieder, die sich jedoch weigerten diesen zu bezahlen und Einspruch einlegten. Der Strafbefehl lautete: 20 Tagessätze a 40€. Die 40€ wurden geschätzt, auch hier im Prozess wollte niemand Angaben zu den persönlichen (und damit finanziellen) Verhältnissen machen. Dass „Querdenker“ Schwierigkeiten haben, für ihre Vergehen gerade zu stehen, ist für uns kein neues Thema. Den Staat, den sie oft so sehr ablehnen, fordern sie immer mehr ein, indem sie solche Einsprüche einlegen und den Ritt durch die Instanzen antreten. Dadurch verursachen sie meist mehr Kosten als es ursprünglich gewesen wären, aber das kommt ihnen gelegen, da sie so weiter das Narrativ von „der Staat ist Schuld an meinem Elend“ aufrecht erhalten können.

Nur zwei der sechs Angeklagten hatten einen Verteidiger

Vor dem Amtsgericht gibt es keine Pflicht auf einen Verteidiger, in dem Fall hier wäre es aber durchaus angebracht gewesen. Einer wurde vom szenenbekannten Rechtsanwalt (siehe Screenshot unten) vertreten.

Ein anderer ließ sich von einem anderen Anwalt aus Hamburg vertreten. Dieser teilt auf seinem Twitteraccount unzählige impfkritische Tweets, stellt u.a. die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands in Frage (Moment, er ist aber schon Rechtsanwalt in Deutschland und verdient sein Geld u.a. mit Gerichtsprozessen, oder?!) oder retweetet Verharmlosungen bezüglich der Reichsbürger-Razzia und Festnahmen. Man kann sagen, er passt in die Szene.

Ein weiterer Verteidiger erschien gar nicht erst, da er die Akte erst zu spät erhalten habe. Kurze Erinnerung: es geht um eine simple Ablehnung eines Strafbefehls. Kein hochkomplexer juristischer Vorgang wenn man mich fragt. Eine Verteidigerin ist eine „alte Bekannte“ von den „Anwälten für Aufklärung“.

Die „Anwälte für Aufklärung“ vertreten durchaus radikale und extrem irreführende Impfgegner-Positionen und unterstellen Impfungen, tödlich zu sein. Das sind reine Verschwörungsmythen, die jeglichen Fakten entbehren. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für diese Behauptungen (Quelle). Diese Positionen konnten am Donnerstag von der Anwältin allerdings nicht vertreten werden, da sie sich kurzfristig krank gemeldet hatte.

Zwei der Angeklagten mussten sich also spontan selbst vertreten. Beide beantragten daher die Aussetzung des Prozesses, worauf sich der vorsitzende Richter jedoch nicht eingelassen hat. „Sie sind alle politisch aktiv und engagiert, ich gehe davon aus, dass Sie so einen einfachen Sachverhalt auch verstehen werden.“

Antragsfieber bei der Vorsitzenden

Auch sonst beantragte eine Angeklagte noch, dass der Zeuge Andre Klekamp gar nicht erst gehört werden soll. Begründung: „Ich wurde nach seinem Tweet von anderen Usern diffamiert.“ Ja gut, das hat genau nichts mit dem Tatvorwurf zu tun, dass sie diese Briefe abgeschickt hat, aber versuchen konnte man es ja mal.

Nach der glaubwürdigen Zeugenaussage des SPD-Stadtrates und eines Journalisten der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) war dann auch für den „Querdenker“-Anwalt klar, dass der Prozess so nicht mehr zu gewinnen sein dürfte und bot dann doch recht spontan ein Rechtsgespräch an, um sich eventuell außerhalb des Prozesses einigen zu können.

Rechtsgespräch ohne Erfolg

Der Richter und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stimmten zu, kamen aber ohne Einigung wieder aus der Kammer hervor. Der Prozess ging also weiter, weitere Zeugenaussagen und Beweise folgten, u.a. ein Video einer Kundgebung, auf welcher eine der Angeklagten noch einmal klar und deutlich ihre Motivation für die Tat darlegte (das ging ordentlich nach hinten los) und nach kurzen Plädoyers (Staatsanwaltschaft 40 Tagessätze a 40€, Gegenseite: Freispruch) fiel dann das Urteil. Und das, obwohl eine Querdenkerin in ihrem „letzten Wort“ bekräftigte, dass ein Gericht sie nicht verurteilen könne, das könne nur Gott. Naja, was soll ich sagen? Der Richter sprach das Urteil, Gott erschien (zumindest mir) nicht.

Recht seltenes Urteil wurde gesprochen

Das gesprochene Urteil ist in Deutschland recht selten, es lautet: Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB). Allerdings, und das ist hier der große Mehrwert im Vergleich zum Strafbefehl: ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Sollte es wider Erwarten weitere Straftaten oder ähnliches geben, werden die 20 Tagessätze zu je 40€ dennoch wieder fällig. Fallen die Vorstandsmitglieder von „die Basis“ zwei Jahre nicht mehr auf und kommen ihren Auflagen (Wohnortwechsel mitteilen) nach, ist auch die Geldstrafe vom Tisch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine kündigte schon an, die nächste Instanz bemühen zu wollen, da dies einer Einschränkung der Meinungsfreiheit gleichkäme, wenn man nicht einmal mehr offenbar strafrechtlich relevante Dinge tun dürfe.

Jetzt kann man sich ärgern, dass die 800€ nicht gezahlt werden müssen, doch die zwei Jahre Bewährung sind eigentlich „pädagogisch wertvoller“.

Randnotizen:

Als einzige Person mit Maske im Gerichtssaal unter lauter „Querdenkern“ war der Tag für mich definitiv nicht vergnügungssteuerpflichtig. In sämtlichen Sitzungsunterbrechungen wurde auf mich eingeredet, dass „der Lappen“ doch „eh nichts taugt“, man den mal langsam abnehmen solle etc. und natürlich wurde gegen die Impfung gehetzt. In der Reihe vor mir unterhielt sich ein Zuschauer mit einem anderen darüber, dass er seit zwei Wochen richtig doll erkältet sei und kaum Luft bekäme, aber er würde damit nicht zum Arzt weil: „die erzählen einem dann am Ende noch, dass man Corona hat, haha!“.

Der Richter sah vorab anscheinend bereits das „Potenzial“ seines Prozesses und ordnete an, dass keinerlei Gegenstände mit in den Saal geführt werden durften und ordnete zusätzlich Personenkontrollen mit Durchsuchungen via Abtasten an. Selbst meine drei Lutschbonbons gegen die Heiserkeit mussten erst richterlich „abgesegnet“ werden, da sie als Wurfgeschosse hätten dienen können. Dabei war ich offenbar die Einzige, die da absolut keine Lust auf Stress und Provokationen hatte.

Aufgrund der großen Anzahl an Interessierten reichten die Sitzplätze im Saal nicht aus. Die ersten „Querdenker“-Supporter kamen dann auf die Idee, dass der Prozess nicht stattfinden könne, weil ja gar keine Öffentlichkeit hergestellt sei und das Urteil somit nicht im Namen des Volkes gesprochen werden könne. Klar, wer kennt’s nicht. Bei jedem Urteil müssen immer zwangsläufig alle 83,13 Millionen Bürger:innen anwesend sein, sonst ist es ungültig. Denkt euch hier bitte einen augenrollenden Smiley.

Weiterer „Anwalt für Aufklärung“: Ralf Ludwig scheiterte mit seinem Mandanten

Die „Anwälte für Aufklärung“ hatten keine gute Woche. Diesmal traf auch noch Ralf Ludwig am Amtsgericht Rostock in einem anderen Prozess. Den goldenen Aluhut hat er 2021 auch schon nicht erhalten, wir berichteten:

Im hier vorliegenden Fall ging es um eine Person, die in Rostock mehrere „Querdenker“-Demos veranstaltet haben soll. Ihm wurden auch diesmal wieder Verstöße gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen. Auflagen wurden ignoriert oder gar nicht erst umgesetzt.

Nicht nur der „Querdenker“ machte exzessiv von seinem Fragerecht Gebrauch, er kommentierte auch Aussagen von Zeugen als „Bullshit“. Zum Richter, nachdem er Fragen nicht zugelassen hat: „Wer sind Sie denn, so etwas zu entscheiden?“. Eine Zuschauerin musste aufgrund ihrer Zwischenrufe sogar des Saals verwiesen werden, wie endstation-rechts.de berichtet.

Die Staatsanwaltschaft forderte 40 Tagessätze zu je 20€, Ralf Ludwig allerdings Freispruch für seinen Mandanten. Der Mandant erhielt nun das letzte Wort. Und das wurde ganz schön lang. Nach einem 15-minütigen Monolog wurde die Sitzung unterbrochen und am 23.12. weitergeführt. Ralf Ludwig erschien gar nicht erst, dafür der Beklagte mit einem Stapel Papier und weiteren 45 Minuten „letztes Wort“. Obwohl er derzeit angeblich über kein Einkommen verfügt, hat das Gericht folgendes Urteil gefällt: 100 Tagessätze zu je 30€. Ein verhältnismäßig hoher Tagessatz, liegen die gewöhnlichen ALGII-Sätze sonst bei 10-15€ pro Tag. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, ist er somit vorbestraft.

Mit dem Eintritt der Rechtskraft ist jedoch vorerst nicht zu rechnen. Klagte er im Mai bei seinem anderen Prozess noch über einen plötzliche Herzinfarkt (Quelle), ging er auch dort nach dem Urteil in die nächste Instanz. Das selbe Verhalten dürfte auch hier zu erwarten sein. Glück für Jens K.: das Herz schien in Ordnung zu sein. Hätte er dem Prozess also doch beiwohnen können.

Weiteres Querdenker-Urteil: Hatespeech-Paragraph führt zu Verurteilung

Nach der Reform des § 188 StGB, der häufig auch „Hatespeech-Paragraph“ genannt wird und der in der Causa Böhmermann ./. Erdogan damals noch abgeschafft werden sollte, dann aber verschärft wurde, können nun auch Kommunalpolitiker:innen dadurch vor Angriffen geschützt werden. Der Paragraph soll dazu dienen, die „Ehre verunglimpfter Personen“ zu retten. Konkret:

(1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.

https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__188.html

Ein 65-jähriger Schwabe hat auf zwei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen ein Plakat mit Karl Lauterbach im Totenkopf-Stil herumgetragen. Darauf verglich er Lauterbach mit dem damaligen KZ-Arzt und nationalsozialistischen Kriegsverbrecher Josef Mengele. Im Gegensatz zu Josef Mengele war Lauterbachs Ziel jedoch, Menschenleben zu retten. Nicht, Menschen zu ermorden. Da sich der Angeklagte ebenso wie die sechs „die Basis-„Vorstände nicht zu seinen persönlichen Verhältnissen äußern wollte, schätzte das Gericht sein Einkommen. Das Urteil des Amtsgerichts Augsburg lautete auf 90 Tagessätze zu je 30€. Er ist damit nur einen Tagessatz unter einer Vorstrafe geblieben. Das Urteil ist ebenfalls noch nicht rechtskräftig.

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