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Ich mag Ziemiak auch nicht, er hat bei seiner Greta-Kritik aber leider Recht

von | Feb 11, 2019 | Aktuelles, Kolumnen

Warum Ziemiak trotz aller berechtigten Antipathie in Bezug auf Greta Recht hat

Was wurde nicht schon über Paul Ziemiak gespottet, als er Generalsekretär wurde? Ein abgebrochenes Studium, keine Berufserfahrung, obwohl er für PricewaterhouseCoopers arbeitete – ein Berufspolitiker, der von der echten Welt keine Ahnung haben soll. Dabei haben andere Politiker (z.B. Andrea Nahles) keinen besseren Werdegang, aber das scheint nicht zu interessieren. Wichtiger dagegen, dass nun Ziemiak es gewagt hat, das über alle Zweifel erhabene Idol der Umweltbewegung in einem Tweet anzugreifen: Greta Thunberg.

Der Shitstorm folgte auf dem Fuß. Natürlich wurde nicht auf den Inhalt eingegangen, stattdessen entweder in berufsbetroffener Empörung seine Empathielosigkeit oder sein Unverständnis für Nachhaltigkeit usw. kritisiert. Oder eben Tonfallkritik geübt, was eben getan wird, wenn man auf den eigentlichen Inhalt glaubt nicht eingehen zu müssen. Oder es eben nicht kann.

Dass die Diskussion um Greta inzwischen Wellen schlägt, die völlig abstrus sind, ist festzustellen, wenn ihr Asperger zum Auslöser der Diskussion wird. Die einen finden es schlimm, dass ein junger Mensch mit einer solchen Diagnose in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Anderen, wie der Hetzschrapnelle Tatjana Festerling reicht es als Vorwand, in ihrer gewohnt asozialen und empathielosen Selbstgerechtigkeit ihre Abfälligkeiten über Greta abzusondern. Andere versuchen ihr Aspergersyndrom ins positive umzudeuten, wieder andere kritisieren ihre Instrumentalisierung zur Emotionalisierung.



Greta wird größer gemacht, als sie ist

Aber egal, wie man zu ihr steht. Festzuhalten ist, dass Greta größer gemacht wird, als sie ist. All jene, die sie auf einen Podest stellen, sollten sich bewusst sein, dass Greta letztendlich vor allem symbolische Funktion hat. Ein junger Mensch, der auf die nachfolgenden Generationen verweist, deren Lebensgrundlage durch die jetzige Generation zerstört wird. Im Grunde ist sie damit die verschärfte Version der auf Eisschollen treibenden oder schon ertrunkenen und in jedem Fall verhungerten Eisbären, die unser schlechtes Gewissen triggern sollen.

Dies mag wohl auch der Grund sein für die Anfeindungen, die Greta so ins Kreuzfeuer von jenen bringt, die ihre Mitverantwortung an negativen Veränderungen des Weltgeschehens sonst ignorieren wollen. Gleichzeitig sollte ihren Anhängern auch bewusst sein, dass ihre Präsenz ausschließlich emotionale Wirkung erzeugt, die bei realpolitischen Maßnahmen keine Rolle spielen.

Aus welchem anderen Grund soll denn sonst auf der Klimakonferenz kaum jemand dem Vortrag der „Jeanny d’Arc des Klimas“ beigewohnt haben? Weil es dort um wichtigere Fragen ging. Aber dazu später mehr. Kommen wir zurück zu Ziemiaks Aussage. Was genau twitterte er denn als Reaktion auf einen Welt.de Artikel?

“Greta Thunberg findet deutschen Kohlekompromiss „absurd“ – Oh, man… kein Wort von Arbeitsplätzen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit. Nur pure Ideologie Arme Greta!”

Beurteilen wir nun die einzelnen Aussagen:

Ist der Kohlekompromiss absurd?

Dieser wird unterschiedlich bewertet. Die Arbeitnehmerverbände und Industrie sind zufrieden, denn für sie ist günstige Energieversorgung, die diese auch benötigen, sichergestellt Als unzureichend bezeichnen ihn dagegen Klimaaktivisten. Die Seite Energiezukunft dagegen zählt Vor- und Nachteile des Kompromisses auf. Deutlich bleibt hierbei: Es bleibt ein Interessenausgleich, mit dem niemand völlig zufrieden ist, aber alle Beteiligten dann leben können. So geht Politik eben. Der Ausstieg aus der Kohle ist beschlossen, aber dies geht eben nicht ohne Übergangsphasen. Sofort Kohleverstromung einzustellen hat mehr Nach- als Vorteile, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

Was ist mit Arbeitsplätzen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit?

Bei den Arbeitsplätzen wäre zu argumentieren, dass bereits vor Jahren Zusagen aus der Politik kamen, was die Sicherheit der Arbeitsplätze angeht und diese schon zum Teil gebrochen wurden. Unabhängig davon, ob man Kohleförderung sinnvoll findet oder nicht, stehen Menschen, die sich bei ihrer Lebensplanung auf die Zusagen von Unternehmen und Politik verließen, quasi vor dem Aus.

Wer da nur höhnisch wird und behauptet, niemand war gezwungen, in der Branche zu arbeiten, entlarvt letztendlich nicht sein Umweltbewusstsein, sondern seinen Zynismus und ist in der Tat ideologisch. Wer Umweltpolitik ohne Rücksicht auf das Schicksal von 300.000 Menschen stellt, muss nicht nur mit dem Unmut dieser Personen rechnen.

Zusätzlich zeigt sich, dass eine solche Person nicht daran interessiert ist, einen Kohleausstieg sozialverträglich zu gestalten. Dass Umweltpolitik und Sozialpolitik eben harmonieren können, unabhängig voneinander, ist auch richtig. In diesem Fall steht sich aber beides konträr gegenüber und es muss ein Ausgleich gefunden werden. Gleichzeitig wird ein anderer wesentlicher Punkt übersehen. Kommen wir nun zur Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit.

Wird das öl knapp?

Wer sich an Filme wie Mad Max erinnert, der weiß, dass dort der Zusammenfall der Zivilisation durch das zur Neige Gehen von Öl geschah. Derzeit sind derartige Szenarien wegen neuerer Ölförderungstechniken und günstigem Sprit nicht mehr so präsent. Allerdings zeigen diese Filme eines: Es gibt Grundlagen, auf denen unsere Gesellschaft steht, ohne die ihr Fortbestand gefährdet ist. Aber relevanter als Öl ist Strom. Ohne diesen funktioniert weder Licht, Kühlschrank oder – durch die Digitalisierung – auch das Internet nicht.

Man kann dies als Abhängigkeit sehen, gleichzeitig hat diese aber enorme Leistungen hervorgebracht. Und Strom billig und ständig zur Verfügung zu haben, daran haben sich Menschen gewöhnt und durch diese Tatsache waren erst technologische Fortschritte in unzähligen Bereichen möglich.

Atomausstieg

Nun hat man in Deutschland für 2020 aber den Atomausstieg beschlossen. Damals kamen etwa 15% des Stromes aus Kernkraft, der Anteil aus Kohle betrug 18%. So mussten zunächst 15 % Atomenergie durch andere Formen der Stromerzeugung kompensiert werden. Ggleichzeitig stieg der Stromverbrauch von 2000 bis 2016 um 20 Terrawattstunden. Heute kommen über 30% des Stromes entweder aus Stein- oder Braunkohle. Woher soll ein solches Defizit, der durch den Kohleausstieg kommen wird, kompensiert werden, wenn dieser noch schneller gehen soll? Das sind immerhin ca. 180 Terrawatt.

Es gäbe natürlich Optionen: Atomstrom aus Frankreich zum Beispiel. Dass es aber absurd wirkt, selber aus der Atomkraft auszusteigen, um dann Atomstrom aus anderen Ländern liefern zu lassen, sollte jedem klar sein..

Zwar könnte Deutschland selber wieder in die Atomenergie einsteigen. Es gäbe auch durchaus Möglichkeiten, Kernkraft zu nutzen und gleichzeitig auf die negativen Aspekte der Uranverstromung zu verzichten. Die Antwort wären Thorium-Salzreaktoren. Allerdings wäre damit politisch keine Mehrheit zu gewinnen. Selbst wenn alle Chancen und alle nicht mehr vorhandenen Risiken sachlich besprochen würden, so würden zu viele all das für Propaganda der Atomindustrie halten. Ideologie geht hier leider über Fakten.

Erdgas

Eine andere Option wäre Gas zu verstromen, welches aber dann aus Russland geliefert werden müsse. Aber wer will das derzeitige totalitäre System in Russland noch durch Gasnachfrage unterstützen? Und sich in eine Abhängigkeit von diesem System bringen?

Letzter Punkt wäre die Bezahlbarkeit. Auch wenn Ökostrom nicht ausschließlich für Preissteigerungen verantwortlich ist, so hat er dennoch seinen Anteil durch die EEG Umlage. Auch andere Steuern erhöhen den Preis.

Tatsache ist jedoch, dass Kraftwerke, die sich amortisiert haben, weniger Kosten bei Stromproduktion haben und dies spiegelt sich dann auch in KWH Preisen wider. Natürlich geht dies auf Kosten der CO2-Bilanz, aber auch hier muss eben ein Ausgleich geschaffen werden. Der Konflikt zwischen Umweltschutz, Kosten für Verbraucher usw. muss berücksichtigt werden. Offensichtlich ist sich niemand bewusst, dass Windkraft sich zwar in einigen Monaten amortisiert, andere jedoch deutlich länger brauchen, z.B. Solarenergie braucht über zehn Jahre.

Das geht schneller als bei Kohlekraftwerken oder Atomkraftwerken, richtig. Dennoch haben sich diese längst amortisiert. Ein anderes Problem aber ist die Grundlast: Wie diese durch erneuerbare Energien gelöst werden kann, bleibt abzuwarten. Speichertechnologien sind noch nicht marktreif oder im Falle von Lithium-Ionen-Speichern absolut unbrauchbar, Wasserspeicher nicht überall nutzbar. Hier besteht weiterhin Forschungsbedarf bis Erneuerbare Energien hundertprozentig den Energiebedarf decken. Denn egal ob Wind-, Gezeiten oder Solarkraft: Es gibt immer, je nach Wetterlage, hohe Einspeichungen wie praktischen Stillstand. Beides muss man kompensieren – und soweit sind wir noch nicht.

Egal, ob Energie nun aus Kohle, Atomenergie oder Gas kommt: Wer den Kohleausstieg fordert, soll bitte auch sagen, was das nächstkleinere Übel wäre. Wer das nicht tut, handelt verantwortungslos und ohne das Gesamtbild zu betrachten. Wer nur ein gutes Bauchgefühl haben möchte, kann dies tun, aber möge sich aus lösungsorientierten Debatten heraushalten.

SInd Gretas Aussagen Ideologisch?

Vorweg: Greta ist ein positives Beispiel dafür, dass die Jugend nicht, wie immer geschimpft wird, unpolitisch und apathisch ist. Im Grunde ist sie für ihr Alter ein Teenager, dessen Persönlichkeit im Hinblick auf Moralentwicklung, emotionale Intelligenz usw. den für das Alter üblichen Entwicklungsstand aufweist. Sie hinterfragt die bestehende Ordnung und Moral und möchte eine bessere Welt. Was sie aber nicht tut, ist andere Interessen betrachten, die über die Umweltfrage hinausgehen.

Natürlich denkt Greta ideologisch. Denn jede Maßnahme hat Konsequenzen: Erneuerbare Energien können bestimmte Problemlagen noch nicht lösen, Bezahlbarkeit ist für Private wie Gewerbliche ein wesentlicher Punkt, Umweltschutz genau so. Jede Bewegung in eine Richtung geht Zulasten eines anderen Punktes. All das betrachtet sie nicht. Und wer sollte es ihr verübeln? Sie ist 16 Jahre alt. Ein Alter, in dem die wenigsten Menschen ein politisches Bewusstsein hat, dass die Konflikthaftigkeit von politischen Prozessen und die Multiperspektivität und daraus resultierende Komplexität betrachtet.

Ferner ignoriert sie, dass Wissenschaftler, NGOs und Politiker sich dem Thema widmen. Und auf unterschiedlichen Ebenen, sei es bei Energieeffizienz, erneuerbaren Energien usw. Maßnahmen ergriffen werden und die Forschung sich bereits dem Thema intensiv widmet. War vielleicht kaum niemand bei ihrem oben erwähnten Vortrag bei der Klimakonferenz, weil man genau solche wichtigen Punkte diskutiert hat? Erscheint plausibler, als das angebliche Desinteresse alter weißer Männer an dem, was sie zu sagen hat.

Greta ist auf dem richtigen Weg

Im Grunde ist sie somit auf dem richtigen Weg. Und ich hoffe, dass sie ihre Sichtweisen langfristig ausdifferenziert und auch andere Perspektiven mitberücksichtigt. Davon ist auszugehen, traurig ist nur, dass in diesem Land offenbar zu viele Menschen auf dem geistigen Stand von 16-jährigen stehen geblieben sind. Und auf Ziemiaks Tweet auf eine selbstgerecht-empörte Weise reagieren, wie man es sonst nur auf Filmen kennt, in denen Konservative in den 60-70er Jahren veralbert werden.

Bleibt zu hoffen, dass Greta irgendwann zurückblicken und sagen kann: Ich habe meine Ideale beibehalten, aber berücksichtige auch andere Aspekte. Ihr wäre es, genau wie ihrer Anhängerschaft, zu wünschen. Und trotz der Richtigkeit von Ziemiaks Tweet kann man diesen weiterhin unsympathisch finden. Gründe gibt es auch dafür genug.

Zum Thema: Warum Ziemiak NICHT Recht hat:

Ziemiak: Was die meisten Greta-Kritiker nicht verstanden haben

Artikelbild: Paul Ziemiak: Olaf Kosinsky (wikiberatung.de) Lizenz: CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons,Greta Thunberg: Jan AinaliCC BY-SA 4.0