Am Ende zog die Studienstiftung des deutschen Volkes dann doch die Notbremse: Nach interner Diskussion entschied sich die maßgeblich aus dem Bundeshaushalt geförderte Institution zur Begabtenförderung, eine Grenze zu ziehen zu Viktor Orbáns Kaderschmiede Mathias Corvinus Collegium (MCC). Die Einladung an deren Brüsseler Forschungsdirektor Werner Patzelt, emeritierter Politik-Professor an der Technischen Universität Dresden, und einen seiner MCC-Kollegen zur Sommerakademie im August im schleswig-holsteinischen Plön wurde zurückgenommen. Patzelt sollte ursprünglich in einer mehrtägigen sogenannten „Arbeitsgruppe“ über „Konservatismus“ dozieren.
Die Einladung: eine Fehleinschätzung
Eine Sprecherin der Studienstiftung sagte auf Anfrage, der Vorstand habe sich am vergangenen Freitag mit der Einladung an Prof. Patzelt und seinen Kollegen beschäftigt. Er sei „zu dem Schluss gekommen, dass die Einladung auf einer Fehleinschätzung fußt und nicht hätte erfolgen dürfen“. Die Arbeitsgruppe unter der geplanten Leitung werde nicht stattfinden. Es sei „zwingend, dass die Arbeitsgruppenleitungen Inhalte aus unterschiedlichen Perspektiven ausgewogen und unabhängig von eigenen politischen Überzeugungen oder Zielen vermitteln und dabei unterschiedliche Perspektiven und Dimensionen einbeziehen“.
Ganz offensichtlich sah die Studienstiftung das vor allem bei Patzelt als nicht gegeben an. Aber warum fehlte ihr zunächst das Sensorium dafür?
Das MCC ist ein rechtsreaktionärer Thinktank, in Ungarn üppig finanziell ausgestattet, und eng verbunden mit den Netzwerken der Neuen Rechten. Im August vergangenen Jahres hielt dort beispielsweise der US-amerikanische Journalist Tucker Carlson eine Rede. Jener Carlson, der gerade Schlagzeilen machte, weil er Russlands Präsident in einem Interview Gelegenheit gab, ungehindert Desinformationen zu verbreiten.
Zum Konzept des MCC gehört die Berufung sogenannter „Visiting Fellows“ – auch Patzelt war mal einer, bevor er für das Collegium nach Brüssel ging. Aktuell nimmt zum Beispiel Ralph Schöllhammer diese Rolle ein, Assistenzprofessor an der Wiener Privatuniversität Webster. In Postings auf X äußert sich Schöllhammer regelmäßig provokant und mit klarem Rechtsdrall. So forderte Schöllhammer von der Bundesregierung, sich beim deutschen Volk zu entschuldigen und zurückzutreten. Er äußerte Verständnis, dass AfD-Chefin Alice Weidel behauptete, dass die Ampelkoalition das eigene Land hasse. Anfang Februar schrieb er, Deutschland habe den Zweiten Weltkrieg zwar militärisch verloren, aber auf lange Sicht mental gewonnen. „Das Nazi-Regime existierte zwölf Jahre lang, aber in unseren Köpfen könnte Hitlers tausendjähriges Reich durchaus Realität werden.“
Türöffner zur AfD
Es ist dies das Umfeld, indem sich auch Patzelt als führender MCC-Kader nun bewegt. Er ist Mitglied der sächsischen CDU, war zeitweilig in der „Werte-Union“ organisiert – 2019 trat er gemeinsam mit dem heutigen „Werte-Union“-Chef Hans-Georg Maaßen ein. Er ist Türöffner zur AfD und wohlmeinender Interpret der rassistischen Pegida-Bewegung. „Der einzige Weg, die AfD zu bändigen, ist sie einzubinden“, riet Patzelt beispielsweise im August 2023 in einem Gastbeitrag für das rechtspopulistische Portal „Nius“ von Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt. Die rechtsextreme Radikalisierung der AfD war damals längst in vollem Gang, der Flügel um Björn Höcke eindeutig dominierend. Immer wieder hatte Patzelt auch Maaßen, der die Partei dann zuletzt verließ, gegen Kritik aus der CDU verteidigt.
Erst vor ein paar Tagen rezensierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Patzelts 2023 erschienenes Buch „Ungarn verstehen“. Die Besprechung erschien unter dem Titel „Verständnis für Orbán“. Patzelt äußere verhaltene Kritik, liefere aber „insgesamt regierungsfreundliche PR“, hieß es. Der Rezensent schrieb über das Patzelt-Buch: „Manche Gegenüberstellungen sind – man muss dies in der Klarheit aussprechen – schlicht hanebüchen. So etwa bei der Korruption, über die Patzelt schreibt: ,Niemand bestreitet, dass es sie in Ungarn gibt.‘
Patzelt: „insgesamt regierungsfreundliche PR“ für Ungarn
Für die einen sei das ,verwerflicher Missbrauch öffentlicher Gelder‘, und zwar ,zum Zweck privater Bereicherung‘. Doch es gebe auch eine andere Sichtweise: Um sich nicht von ausländischem Geld abhängig zu machen, könne ein ,Netzwerk von wohlhabenden und einflussreichen Ungarn‘ nötig sein. Welche der beiden Bewertungen man sich zu eigen mache: auch hier ,die persönlich zu treffende Entscheidung‘. Dass dies, ganz gleich, welcher Sichtweise man anhängt, das von den europäischen Steuerzahlern aufgebrachte EU-Geld zweckentfremdet, macht den Relativismus, den der Autor auf die Spitze treibt, umso fragwürdiger.“
Der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk nannte das Buch eine „Propagandaschrift“ über ein Thema, bei dem Patzelt nicht als Experte bekannt sei. Kowalczuk zog den Schluss: „Manche Wissenschaftler sind käuflich.“
„Manche Wissenschaftler sind käuflich.“
Die Studienstiftung hatte all das offenbar zunächst übersehen – oder empfand es nicht als problematisch. Auf Anfrage der „Frankfurter Rundschau“ versicherte eine Sprecherin noch Mitte vergangener Woche, es finde im Rahmen der Frühjahrs- und Sommerakademien – insgesamt sind es 22 – „keine Vernetzung mit dem MCC oder vom MCC geförderten Personen statt“. Das gesamte Veranstaltungsprogramm der Studienstiftung zeichne sich durch „Breite und Vielfalt der dort behandelten Themen sowie der mitwirkenden Persönlichkeiten“ aus. „Auch dass die institutionelle Affiliation der an den Sommerakademien mitwirkenden Dozent:innen in unserem Programmkalender vermerkt wird, ist kein Hinweis auf eine etwaige Kooperation, sondern eine Information für Interessent:innen, wie sie bei derartigen Ausschreibungen und Programmen üblich ist.“
Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung als wichtigster Geldgeber der Studienstiftung sagte, das Ministerium nehme „grundsätzlich keinen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung der ideellen Förderprogramme der Begabtenförderungswerke“.
Patzelt zeigte sich ob des Rückziehers der Studienstiftung beleidigt. In seinem Blog schrieb er, es handele sich um einen „kruden Versuch, (…) die Integrität des deutschen Bildungssystems zu sichern“. Man habe ihn am Wochenende angerufen, als er gerade auf der Heimkehr vom Skiurlaub in den Dolomiten gewesen sei, und ihm mitgeteilt, dass er „umstritten“ sei. Darüber hinaus gedenke er nicht, das Verhalten der Studienstiftung zu kommentieren, teilte Patzelt auf Volksverpetzer-Anfrage mit.
Artikelbild: Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa (Patzelt); Gints Ivuskans (Orban)