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Kampf für den Kreml: Allianzen von Linke & AfD in der Ukraine-Politik

von | Jan 29, 2023 | Aktuelles

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen lässt sich aus Havanna zum US-amerikanischen TV-Kanal Democracy Now! zuschalten, um die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern aus Deutschland an die Ukraine als „historische Fehlentscheidung“ zu brandmarken. Die Vertraute der Linken-Rebellin und früheren Fraktionschefin Sahra Wagenknecht spart in dem Interview nicht mit Halbwahrheiten sowie Verschwörungstheorien verschiedener Art.

Es sei Ziel „einer Elite“ und eines „militärisch-industriellen Komplexes“ in den USA, „die deutsch-russischen Beziehungen zu zerstören“ und Deutschland an die Front gegen Russland zu drängen, behauptet sie. Diese „Elite“ nehme Europa so ans Gängelband wie in den 70er-Jahren Lateinamerika, wolle einen Kontinent, in dem die Vereinigten Staaten ungehindert schalten und walten können.

Die „Eliten“

Und so wie die MDR-Kommentatorin Rommy Arndt vor ein paar Tagen Russland und die Sowjetunion mutmaßlich absichtlich verwechselte („Deutschland, das Land, das in Russland im Zweiten Weltkrieg so viel Leid und Zerstörung angerichtet hat“) unterschlägt auch Dağdelen, was die Nazi-Wehrmacht in der Ukraine angerichtet hat, und spricht bei Democracy Now! bloß über die Schlacht um Stalingrad: „Jede Familie in Russland hat in dieser Schlacht in Stalingrad geliebte Menschen verloren. Und man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass das Entsenden deutscher Panzer gegen Russland in diesem Stellvertreterkrieg eine viel größere Mobilisierung in der russischen Gesellschaft in diesem Krieg bewirken wird.“

Die Atmosphäre in Deutschland sei „wirklich extrem bellizistisch“, sagt die Linken-Politikerin. Weil die Ukraine sich nicht kampflos ergibt? Und schon kommt als Erklärung die nächste Verschwörungserzählung: Verantwortlich für das Spiel mit dem Dritten Weltkrieg seien neben Grünen und FDP laut Dağdelen „neokonservative Parteien“ und „die deutsche Mainstream-Presse“. Viele Redakteure bis hin zu Chefredakteuren seien eingebunden in transatlantische Think Tanks.

Linke Verschwörungsmythen

Die SPD-Politikerin Christine Lambrecht ist laut solcher Dağdelen-Logik auch nicht etwa wegen Überforderung vom Amt der Verteidigungsministerin zurückgetreten, sondern weil eine politisch-mediale Allianz, angeführt von den USA, „einen noch transatlantischeren Kriegstreiber“ gewollt und mit Boris Pistorius auch bekommen habe. Klar verurteilt die Linken-Politikerin die Sanktionen gegen Russland – und nimmt dafür einen Begriff von Wagenknecht vom „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland“ auf: Bei Dağdelen heißt es nun, Sanktionen würden „zu einem Wirtschaftskrieg gegen unsere eigene Bevölkerung“ in Deutschland führen.

Doch nicht nur Dağdelen und Wagenknecht ziehen an einem Strang: „Eliten“, „Mainstream-Presse“, Deutschland von den USA „an die Frontlinie“ gedrängt – mit einer solchen Tonlage unterscheidet sich die Linke kaum noch von der AfD. Von einem „Zusammenrücken der Altparteien zu einem politischen Meinungskartell“ spricht die AfD in ihren Leitlinien zum Thema Medien, mit Wirkung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und „private Mainstream-Medien“. Und im März gab, nur beispielsweise, der AfD-Bundestagsabgeordnete Eugen Schmidt dem russischen Radio Komsomolskaja Prawda ein Interview, in dem er beklagte: „Es gibt keine Demokratie in Deutschland.“ Eine „regierende Elite“ dränge eine einheitliche Meinung auf „und alle anderen politischen Meinungen werden mit allen möglichen Mitteln unterdrückt“.

Linke Politikerinnen, Sound und Anfragen à la AfD?

Antiamerikanismus, Kritik an politischen und medialen „Eliten“, Entspannungskurs gegenüber Moskau – und auch immer häufiger verblüffend ähnliche parlamentarische Initiativen im Bundestag: Auch wenn es bisher keine formelle Zusammenarbeit zwischen AfD und Linksfraktion gibt, so wirkt doch vieles wie eine strategische Allianz.

Jüngstes Beispiel: Unter Bezug auf eine von den NachDenkSeiten veröffentlichte Aufstellung zu Maßnahmen der Bundesregierung gegen russische Desinformation im Kontext mit dem Krieg gegen die Ukraine stellte die AfD im Oktober eine Kleine Anfrage, Überschrift: „Dokument »Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR«“ , Drucksache 20/4340. Im Dezember zog die Linksfraktion in einer von Dağdelen initiierten Kleinen Anfrage nach: „Die »strategische Kommunikation« der Bundesregierung und der Umgang mit »Desinformation« im Ukraine-Krieg“ , Drucksache 20/5092.

25 Fragen, und an zehn Stellen bezog sich die Linksfraktion so wie schon zuvor die AfD auf die NachDenkSeiten, einen verschwörungsideologischen Blog, der immer wieder durch die Verbreitung von Kreml-Narrativen auffällt und der bereits kurz nach Kriegsbeginn den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine mit dem Argument „Russland handelt auch aus Notwehr“ relativierte. Die Linke fragte unter anderem, warum im Kontext mit Desinformation nur Russland als Akteur in den Blick genommen werde. Und ob die Bundesregierung „Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche) darüber“ habe, „ob neben Russland auch andere Akteure im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg »Desinformation« betreiben“.

Aluhut-Blogs – Gefeiert von Rechtsextremen und Linken

Inzwischen liegt auch die Regierungsantwort auf die Anfrage der Linken vor (20/5250). Russland „führt diesen Krieg nicht nur mit militärischen Mitteln, sondern auch mit Hilfe von Propaganda und Desinformation“, heißt es darin. Daran beteiligt: russische Staatsmedien, russlandnahe Webseiten sowie offizielle diplomatische und Kreml-nahe Accounts in sozialen Medien. Weiter heißt es: „Seit der durch die Sanktionen bewirkten Einschränkung der Reichweite russischer staatsnaher Medien wird pro-russische Desinformation verstärkt über Konten in sozialen Medien verbreitet. Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um Konten staatlicher russischer Akteure.“

Und: „Desinformationsaktivitäten anderer Staaten im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine konnten bislang nicht beobachtet werden.“ Kritische Fragen zu Faktencheckern wie Correctiv pariert die Bundesregierung mit dem Hinweis, dass diese sehr wohl einen Beitrag bei der Bekämpfung von Desinformation leisten könnten.

Dass sich die Argumente von Linke und AfD in der Diskussion über den Ukraine-Krieg kaum unterscheiden, macht ein Detail der Regierungsantwort an die Linksfraktion deutlich: Jeweils zweimal verweist die Regierung in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage auf Bundestagsdrucksachen mit Antworten auf parlamentarische Anfragen der CDU/CSU sowie frühere Antworten der Linksfraktion selbst, einmal auf eine Anfrage der FDP – und achtmal auf Anfragen der AfD. Linke und AfD eint das Ziel, die Regierungsmaßnahmen gegen russische Desinformation zu diskreditieren.

Wagenknecht: Kandidatin „für Links und Rechts“

Verfasst wurde der Fragenkatalog der Linksfraktion außer von Dağdelen auch noch von Andrej Hunko und Żaklin Nastić. Hunko und Nastić gehörten laut einer Spiegel-Meldung zu jenen Wagenknecht-Vertrauten, die kurz vor Weihnachten in einer Zoom-Schalte den Fahrplan für eine mögliche neue Parteigründung um Wagenknecht diskutierten.

Bei diesem Thema kommt wieder die AfD ins Spiel, jedenfalls nach dem Wunsch von Jürgen Elsässer, Chef des Compact-Magazins. „Die beste Kanzlerin – eine Kandidatin für Links und Rechts“, schrieb das rechtsextreme Blatt zu einem Foto von Wagenknecht auf der Titelseite des Dezember-Hefts. Mit einer eigenen Partei könne Wagenknecht bis zu 30 Prozent abräumen, hoffte Elsässer im Begleittext: „Zusammen mit der AfD würde das zu einer Querfront-Mehrheit reichen.“

Artikelbild: photocosmos1