18.840

Die Lektion aus der Brandenburg-Wahl, über die kaum wer spricht

von | Sep 23, 2024 | Aktuelles, Demokratischer Herbst

Die AfD hat in Brandenburg wieder zugelegt, das leidige Grünen-Bashing half niemandem. Jetzt ist die Wahl vorbei – und können jetzt alle demokratische Parteien aus ihren Fehlern lernen oder taumeln wir weiter schlaftrunken in den Faschismus? Die Lösung könnte aber einfacher sein, als es scheint.

Die Ergebnisse der Landtagswahl in Brandenburg zusammengefasst: Die SPD gewinnt mit knappem Vorsprung (30,9 % der Stimmen) die Wahl, im Vergleich zu 2019 legte sie um 4,7 Prozentpunkte zu. An zweiter Stelle steht die AfD, rechtsextremistischer Verdachtsfall in Brandenburg, mit 29,2 %. Das populistische BSW landet auf dem dritten Platz und dahinter, schwächer als noch 2019, die CDU. Grüne, Freie Wähler und Linke werden nicht in den Landtag einziehen. Damit sieht die Sitzverteilung wie folgt aus: SPD 32 Sitze, AfD 30 Sitze, BSW 14 Sitze und CDU 12 Sitze. 

Rechnerisch mögliche Koalitionsbildungen (Zusammenarbeit mit AfD von allen ausgeschlossen) bestehen zwischen SPD und BSW oder SPD und CDU als Minderheitsregierung, toleriert vom BSW. Eine gute Nachricht ist, dass die Wahlbeteiligung bei 73 % lag. Im Vergleich zu 2019 ist sie deutlich gestiegen. Auch in Thüringen und Sachsen war die Wahlbeteiligung zuletzt hoch. 

Zwei wichtige Erkenntnisse der Wahl

Doch welche Wahltendenzen können wir in verschiedenen Bevölkerungsgruppen beobachten? Natürlich können wir an dieser Stelle keine abschließende Wahlanalyse für Brandenburg liefern, das können andere besser. Zwei Aspekte wollen wir jedoch trotzdem hervorheben.

Erstens: Die SPD erhielt auffallend viele Stimmen von der Ü70-Generation. Die AfD schnitt in dieser Bevölkerungsgruppe sehr schlecht ab. 

Screenshot Tagesschau 

Zweitens: Lohnenswert ist auch ein Blick auf die Stimmenverteilung bei den verschiedenen Geschlechtern. Hier ist der Unterschied bei den Stimmen für die AfD am markantesten. Während nur 24 % der Frauen für die AfD abstimmten, waren es bei den Männern 35 %:

Alle sprechen nur über die Wahlergebnisse “der Jugend” – obwohl die AfD bei allen unter 60 stärkste Kraft wurde. Viel deutlicher ist aber die Diskrepanz zwischen Männern und Frauen. Mehr als “die Jugend” sind Männer das Problem, über das wir sprechen sollten.

Und was bedeutet BRandenburg für die Zukunft der demokratischen Parteien?

Die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Wahlergebnissen in Brandenburg also: Die SPD hat die Wahl – genau wie die CDU in den Wahlen in Sachsen zuvor – überwiegend wegen “Leihstimmen” gewonnen. 75 % der SPD-Wähler:innen gaben an, die Partei zu wählen, um eine starke AfD zu verhindern. Die CDU hat trotz (oder wegen?) ihres rechtspopulistischen Kurses und trotz (oder wegen?) der Merz-Nominierung stark Stimmen eingebüßt. Zum wiederholten Mal hat die FDP mit ihrem Anti-Ampel-Kurs nicht nur ihren Regierungspartnern geschadet, sondern vor allem sich selbst.

Die meisten geben der FDP die Schuld für den Streit in der Koalition und strafen sie dafür ab. Und das viele Grünen-Bashing der CDU und FDP  – und die fast apathische Performance und das hilflose Jammern der Grünen – hat sie den Verbleib im Landtag in Brandenburg gekostet. Was eine Regierung ohne das populistische und offensichtlich pro-russische BSW unmöglich macht und auch die CDU hat keinen Platz in der Regierung mehr sicher, und wenn nur in einer Minderheitsregierung. Auch hat Wagenknechts Partei offensichtlich die AfD nicht wirklich im großen Stil Stimmen gekostet.

In den letzten Wochen vor der Brandenburg-Wahl waren die Debatten der demokratischen Parteien vor allem geprägt durch eine völlig unverhältnismäßige Migrationsdebatte, voller Desinformation, rechtspopulistischer Forderungen und völlig aufgeblasener Dämonisierung der Grünen. Kein Wunder, dass das nicht die AfD geschwächt hat – falls das das Ziel gewesen sein sollte. Die Wissenschaft zeigt seit langem, dass das ständige Sprechen über die Lieblingsthemen der Rechten nur die Rechten stärkt. Eine Lektion, der sich die Parteien bis heute stur verweigern. Auch das unfaire Grünen-Bashing hat sich weder für die CDU, noch für die FDP ausgezahlt.

Der planlose Aktionismus, der Hetze und Lügen der AfD vermeintlich Recht gibt, mit Grenzschließungen und dem Fokus auf Migration, hat offensichtlich keiner der demokratischen Parteien geholfen. Und offensichtlich wird niemand seine Miete besser bezahlen können, wenn wir Menschen an den Grenzen zurückweisen oder jemand mehr Lohn bekommt, wenn wir Leistungen für Schutzsuchende kürzen. Gestärkt hat das nur die AfD, denn niemand wird eine Migrationspolitik machen können, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist, und dem entspricht, was sich die Faschisten wünschen.

Das, was bisher passiert, hilft offensichtlich nicht

Nach drei für die demokratischen Parteien desaströsen Landtagswahlen, nicht nur Brandenburg, sollte klar sein, dass eine Politik, die sich auf Populismus und gegenseitige Angriffe stützt, offensichtlich nicht die Lösung gegen Unzufriedenheit und die AfD ist. Dass eine Politik der Ausgrenzung, der Abschiebungen – in Zeiten von sinkenden Asylzahlen – nicht die Lösung für eine starke AfD ist. Im Gegenteil. Nach Bekanntwerden der Pläne zu Massenvertreibungen, auch in der AfD, Anfang des Jahres gingen mehrere Millionen Deutsche schließlich nicht auf die Straße, weil sie mehr Abschiebungen wollten. Sie gingen auf die Straße, weil sie diesen Rechtsextremismus völlig ablehnten. Und die demokratischen Parteien stellten sich gerne dazu. Das war übrigens die Phase, in der die AfD bundesweit massiv in Umfragen verlor. Kaum sprachen auch alle demokratischen Parteien über Migration, gewannen die Rechtsextremen wieder hinzu.

Die AfD wird sicherlich nicht schrumpfen, wenn alle Parteien und alle Medien ständig nur über ihre Themen sprechen – und ihr helfen, ihre Themen und ihre Probleme (ausgedacht oder real) groß zu machen. Wie man ja sieht. Wenn das Ziel der jüngsten Verschärfung des Asylrechts gewesen sein sollte, die AfD zu schwächen, scheint das ja auch nicht geklappt zu haben. Ein Blick in die rechten Medien und Kommentarspalten zeugte ja nicht wirklich von Zufriedenheit darüber, nicht? Statt ständig über das Lieblingsthema der AfD wie Messer und Migration zu sprechen, warum nicht über Probleme, die den Alltag der meisten Menschen wirklich betreffen?

Der Blick in die Wissenschaft zeigt, was man stattdessen brauchen könnte: Dafür brauchen wir ordentliche Sozialpolitik, die auch den Menschen zugutekommt, die Angst vor Armut und sozialem Abstieg haben. Das erreiche man weder, indem man Lügen der BILD nachplappert, noch, indem man mit der AfD für Genderverbote stimmt. Das würde nicht nur helfen, die AfD zu schwächen, sondern auch langfristig Deutschlands Wirtschaft zu stabilisieren. Es würde auch helfen, einfach mal über die Probleme zu reden, zu denen die AfD nicht mal Scheinlösungen präsentieren kann.

Studien: Gute Sozialpolitik schwächt Rechtspopulisten

Eine Studie zeigt, dass finanzielle Hilfsprogramme die politische Einstellung der Bürger maßgeblich beeinflussen können. Die Untersuchung legt nahe, dass Menschen, die sich wirtschaftlich benachteiligt fühlen und Unterstützung vom Staat erhalten, tendenziell weniger geneigt sind, rechtsgerichtete Parteien zu unterstützen. Die Studie verdeutlicht, dass ein Gefühl des wirtschaftlichen Wohlstands und eine wahrgenommene Fairness in der Verteilung staatlicher Hilfen das Vertrauen in die Regierung stärken und die Unterstützung für demokratische Institutionen erhöhen können.

Die Auswirkungen von Sozialprogrammen auf das Wahlverhalten wurden auch von Forschern der Universität Harvard untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass in Ländern, die mehr für soziale Unterstützung ausgeben und ihre Ausgaben stabil halten, populistische Parteien weniger Unterstützung erhalten. Im Gegensatz dazu haben populistische Parteien dort größeren Erfolg, wo die staatliche Unterstützung für die Einkommenssicherung reduziert wurde.

Diese Erkenntnisse sind auch im Kontext der aktuellen deutschen Politik relevant: Finanzminister Christian Lindner steht in der Kritik, da seine Sparpolitik möglicherweise zu einem Anstieg der Unterstützung für die rechtsextreme AfD führt, insbesondere in wirtschaftlich schwächeren Regionen wie Ostdeutschland. Warum nicht investieren, statt trotzig zu drohen, die Regierung platzen zu lassen?

Man kann keine Migrationspolitik machen, die gleichzeitig verfassungskonform ist und den Faschisten gefällt

Die Studien machen deutlich, dass mehr soziale Unterstützung und der Bau bezahlbaren Wohnraums wichtige Mittel zur Eindämmung populistischer und rechtsradikaler Strömungen sein können. Steigende Mieten und ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum treiben die Unterstützung für Parteien wie die AfD weiter voran, insbesondere unter Wählern mit mittlerem bis niedrigem Einkommen. Angesichts dieser Herausforderungen wird gefordert, dass die Regierung mehr in Sozialprogramme und wirtschaftliche Fördermaßnahmen investiert, um nicht nur die politische Polarisierung zu reduzieren, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands zu sichern.

Weniger Streit, mehr positive Visionen und konstruktive Lösungen täten allen demokratischen Parteien gut. Bisher gibt es innerhalb und zwischen den demokratischen Parteien der Regierung nur eines: Streit und Schuldzuweisungen. Kann jemand seine Miete bezahlen, wenn nach Afghanistan abgeschoben wird? Verdient jemand mehr Gehalt, wenn Leistungen für Schutzsuchende gesenkt werden? Es ist ja nicht so, als würden AfD-Wähler in die demokratische Mitte zurückkehren, wenn man das Leben für Schutzsuchende schwerer macht (oder weniger zu uns fliehen). 

Die sind erst zufrieden, wenn es die “millionenfache Remigration” gibt. Es wird schließlich dort mehr AfD “wegen der Ausländer” gewählt, wo es bereits weniger Ausländer gibt. Wenn die AfD wirklich nur was gegen “illegale Migration” hätte und nicht in Wahrheit Massenvertreibungen auch deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien plant, dann würde sie bei den paar tausend Ausreisepflichtigen nicht zu “millionenfacher Remigration” in Brandenburg tanzen oder bei Straftaten von Deutschen nach Vornamen fragen.

Habt Mut, uns eine bessere Zukunft zu versprechen!

Ich habe das Gefühl, das Beste, was alle Parteien gerade zu liefern haben, ist uns zu versprechen, nur ein bisschen AfD-Politik zu machen, da es die bessere Alternative ist als die rechtsextreme Machtergreifung. Das begeistert offensichtlich niemanden. Man kann kein Land führen, wenn alle nur noch strategisch wählen, um gerade so den Faschismus zu verhindern. Das mag 2024 noch klappen, aber wie lange noch? Wie lange lassen wir die AfD noch den Diskurs vergiften, beobachten sie tatenlos vom Verfassungsschutz, laden sie immer und immer wieder in Talkshows ein, dass sie teilweise sogar die Partei mit der meisten Sendezeit ist, lassen sie unsere jungen Männer in Social Media unwidersprochen und unreguliert (gepusht mit millionenschwerer Propaganda aus Russland) indoktrinieren?

Warum passen sich die demokratischen Parteien nicht an die neue Realität an, wie man in Social Media kommuniziert? Und nein, nicht – wie es jetzt bei der CSU leider Alltag zu sein scheint – durch genau den gleichen Rechtspopulismus wie die AfD die gleichen Narrative und Feindbilder zu bedienen. Das finden mehrheitlich nicht mal konservative Wähler gut. Nein, das heißt: Klare, deutliche Botschaften. Klare Visionen. Setzen auf (positive) Emotionen. Klare Narrative, was man will und wofür man steht. Demokratische Mitbewerber müssen anders behandelt werden als die AfD. Warum nicht so viel Jammern und Bauchschmerzen bei den Grünen und mal das Profil schärfen.

Wir brauchen Optimismus, nicht nur Jammern und Untergang

Identifiziert euch mit einer positiven Zukunft, mit Fortschritt, mit neuen Technologien, mit smarten Investments in Technologien, die auch noch Geld sparen. Wie Miriam Vollmer sagt: “Ihr seid das Angebot für die, die zu clever sind, Scheichs Geld für Öl zu schicken”. Warum nicht von Kamala Harris und Tim Walz lernen? Die düsteren Untergangsszenarien der Rechten ablehnen und für gute Laune, Freundschaft und Optimismus stehen? Mal mit Lachen antworten, statt Jammern? Die Leute brauchen es so sehr. Das war die Hoffnung der “Zukunftskoalition” nach der Wahl 2021. Das könnte die CDU auch verkörpern, wenn sie denn wollte, wie es erfolgreiche CDU-Ministerpräsidenten wie Wüst oder Günther tun – mit Zustimmungswerten, die vielversprechend sind.

Investiert in Bildung, Infrastruktur, die Bahn, Energiewende, in die Menschen. Nein, das Deutschlandticket teurer zu machen, ist nicht der richtige Weg. Was habt ihr zu verlieren? Den Kampf gegen den Faschismus? Der läuft ja so gut gerade mit dem, was ihr bisher macht. Es ist die Alternative zum Abverwalten und zum hilflosen, traurigen Starren auf die AfD. Es ist jetzt die Lektion nach der Brandenburg-Wahl, die ihr alle lernen solltet. Die Wahlen sind vorbei, wir haben ein Jahr bis zur Bundestagswahl. Genug Zeit, anzupacken. Den Deutschen Hoffnung zu geben. Ich sage: Wer das als Erstes tut, kann den nächsten Kanzler oder die nächste Kanzlerin stellen.

Teile des Artikels wurden mit maschineller Hilfe erstellt. Artikelbild: Bernd von Jutrczenka/dpa