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Wie Rechte mit Social Media eure Meinungsfreiheit zerstören wollen

von | Sep 2, 2022 | Aktuelles

Die Sicht der neuen Rechten auf Social Media – in ihren Worten

Gastbeitrag Lea Richter

Die Neue Rechte ist auf Social Media sehr aktiv. Was für uns als Nutzer:innen zufällig und beliebig erscheinen mag, wird jedoch ganz bewusst herbeigeführt. Es gibt aufwändige, koordinierte Troll-Aktionen, neurechte Influencer:innen und vielfältige popkulturelle Angebote wie Musik oder Games. Aber wozu dieser ganze Aufwand? Heute betrachten wir einmal Social Media durch die Brille der Neuen Rechten – und das in ihren eigenen Worten. Netterweise sprechen deren Vertreter:innen nämlich recht offen über ihre Pläne. Man muss ihnen nur zuhören.

Das Ziel: Der politische Umsturz

Der Aufwand, den das rechtsextreme Spektrum inklusive der darin beheimateten, vermeintlich intellektuell orientierten Neuen Rechten, im Netz betreibt, ist immens. Schließlich hat jeder rechtsextreme Kommentar, jedes Meme und jedes produzierte Format irgendwo irgendwem Arbeit verursacht. Das macht man nicht zum Spaß. Es stellt sich also die Frage: Welchen Gegenwert verspricht man sich davon? Dazu sagt der neurechte Kommunikationsstratege Götz Kubitschek:

„Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.”

Kubitscheks Website Sezession, 2006

Das Bild ist klar: Den aktuell von Meinungsfreiheit und dem Austausch unterschiedlicher Perspektiven geprägten, gesellschaftlichen Diskurs will Kubitschek beendet sehen. Es geht ihm nicht darum, neurechte Perspektiven in die gesellschaftliche Debatte zu integrieren, sondern um das Beenden des freien Austauschs als solches.

Die Strategie: Erst in die Köpfe, dann an die Macht

Das rechtsextreme Spektrum strebt nach politischer Macht. Da das als radikale Minderheit schwer umsetzbar ist, behilft man sich mit der „Metapolitik“, der Arbeit im vorpolitischen Raum, um an Ressourcen zu kommen. So wird angenommen, dass bestimmte Ideen erst über kulturelle Vermittlung in unseren Köpfen verankert werden müssen, bevor man in der Wahlkabine Tatsachen schaffen kann. Das hört sich im O-Ton des neurechten Vordenkers Alain de Benoist wie folgt an:

“Die Wahrheit ist, dass keine Revolution, keine Veränderung in der Ordnung der Macht möglich ist, wenn die Transformationen, die man im politischen Bereich herbeiführen will, nicht schon in den Geistern Wirklichkeit geworden ist.”

Alain de Benoist, Kulturrevolution von Rechts, S. 42; Jungeuropa Verlag, 2017.

Wichtig ist dabei laut de Benoist das verdeckte Einschleichen der politischen Inhalte:

Hinzu kommt die wachsende Bedeutung der Freizeit, die (…) die Verbreitung bestimmter Themen und bestimmter Werte erleichtert. Und auch die (…) Anfälligkeit der öffentlichen Meinung für eine metapolitische Botschaft, wobei letztere um so wirkungsvoller ist und umso besser aufgenommen wird, als ihr direktiver und suggestiver Charakter nicht klar als solcher erkannt wird und folglich nicht auf dieselben rationalen und bewussten Widerstände stößt wie eine Botschaft mit einem direkt politischen Charakter.”

Alain de Benoist, Kulturrevolution von Rechts, S. 78f; Jungeuropa Verlag, 2017.

Es geht also darum, rechtsextreme Ideen im vorpolitischen, kulturellen Raum zu verbreiten, und das am besten so, dass sie nicht gleich als politische Botschaften erkennbar sind. Wenn nicht auffällt, dass man gerade Rechtsextremist:innen zuhört, dann schaltet man auch nicht ab, sondern lässt sich weiter beschallen. Deshalb braucht es harmlose Deckmäntelchen, unter denen die Menschenverachtung transportiert und sorgsam dosiert verabreicht werden kann. Soweit der Plan.

Die Methoden: Soziale Medien als Instrument

Das rechtsextreme Spektrum nutzt für die Umsetzung seines Plans zunehmend soziale Medien, da sich dort viele Menschen erreichen lassen, ohne dass einem Gatekeeper:innen mit lästigen journalistischen Standards Steine in den Weg legen. Insbesondere unsere Verhaltensmuster im digitalen Diskurs spielen ihnen dabei in die Hände. Zur medialen Verbreitung hören wir noch einmal Kubitschek, der bereits 2006 darauf hinwies, wie bestimmte gesellschaftliche Verhaltensmuster für die eigenen Zwecke eingespannt werden könnten:

„Wer keine Macht hat, (…) studiert die Reflexschemata des Medienzeitalters und erzwingt durch einen Coup öffentliche Wahrnehmung.“

Kubitscheks Website Sezession, 2006

Mit Knalleffekten soll trotz Minderheitenstatus also unsere Aufmerksamkeit gebunden und gewisse Reaktionsreflexe ausgelöst werden. Das lässt sich sowohl auf klassische Medien als auch auf Social Media anwenden. Empörungsdebatten auf Twitter sind dafür das beste Beispiel: Man will empört auf eine skandalöse Aussage hinweisen – und schenkt ihr damit nur umso mehr Reichweite.

Modernes Marketing: Rechtsextreme Influencer:innen

Wie spricht man heute ein junges Publikum an, baut emotionale Bindung auf und nutzt diese für eine wiederholte Platzierung der eigenen Message? Richtig: Mit Influencer:innen. Was im Vertrieb von Produkten funktioniert, hat auch die Neue Rechte für die Umsetzung ihrer metapolitischen Strategie für sich entdeckt. So sieht das der neurechte Aktivist Patrick Lenart:

„Metapolitik besteht nun darin, neue Influencer aufzubauen und etablierte Influencer zu überzeugen, um letztlich eine Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas zugunsten der eigenen Ideen zu erreichen.“

Stegemann & Musyal, Die Rechte Mobilmachung, S. 69; Econ-Verlag, 2020.

Den Hintergrund dazu liefert der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner:

Der patriotische Widerstand braucht Gesichter und Geschichten, die unsere Intention nachvollziehbar machen. (…) Diese Einladung zur Empathie ist der schlimmste Feind der medialen Dämonisierung

Martin Sellner, Identitär!, S. 219; Verlag Antaios, 2017.

Während es wie so oft um die Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas durch Einschleichen rechtsextremer Ideen geht, verspricht man sich von der Influencer:innen-Kommunikation noch mehr: Die Protagonist:innen werden von ihrer jungen Zielgruppe bewundert und imitiert, man nimmt sie wahr wie gute Freund:innen. So sind ihre Follower:innen dann auch schwerer für rationale Argumente erreichbar, selbst wenn die bewunderten Held:innen längst menschenfeindliche Konzepte verbreiten. Das Kappen der emotionalen Bindung verspricht Schmerz und Desorientierung – und das nimmt man ungern auf sich.

Unter dem Deckmantel: Musik und Games

Auch popkulturelle Inhalte wie Musik und Games werden eifrig in sozialen Medien geteilt. Dabei gehört es schon fast zum angestaubten Werkzeugkasten des rechtsextremen Spektrums, menschenverachtende Positionen in Form von Musik zu verbreiten. Wo früher noch physische CDs auf Schulhöfen verteilt wurden, lassen sich diese Inhalte inzwischen deutlich aufwandsärmer über Streaming-Plattformen und soziale Medien verbreiten. Dass dahinter keineswegs unpolitische Motive stecken, machte der (inzwischen ehemalige) neurechte Rapper Chris Ares 2019 in einem Interview mit einem AfD-Politiker auf dessen YouTube-Kanal deutlich:

„Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, metapolitisch zu wirken, sprich mit meiner Musik nach vorne zu treten, um die Köpfe der Jugend zurückzuergattern. Ich nenne es Reconquista der Jugend.“

Chris Ares: YouTube Interview mit AfD-Politiker Dubravko Mandic auf dessen Kanal, 2019; Timestamp 2:17

Wir haben dazu schon mal einen Gastbeitrag veröffentlicht:

Doch wer Jugendliche in ihren vielfältigen Interessen erreichen will, der kann bei Musik nicht aufhören. Und so finden sich in der Gaming-Szene nicht nur in Chats und Foren problematische rechte Inhalte, sondern gleich gänzlich neurechts gestaltete Spiele. Die neurechte Gaming-Firma Kvltgames bezeichnet ihre Arbeit auf ihrer Webseite so:

“Wir möchten mit unseren Spielen (…) nicht nur unterhalten, sondern auch patriotische Werte vermitteln und damit zu einem neuen Bewusstsein innerhalb der Gamingszene beitragen.“

kvltgames.com

Fazit: Soziale Medien sind für die Neue Rechte ein Schlachtfeld im Kampf um die Macht

Etablierte Formate sollen niedrigschwellig Anschluss herstellen, menschenverachtende Ideen normalisieren und insbesondere Jugendliche in die Szene locken. Letztlich soll der Umsturz des demokratischen Systems verwirklicht werden, nach dem man das Land nach rechtsextremen Vorstellungen umgestalten will. Für unsere vielfältigen Freiheiten ist darin kein Platz vorgesehen.

Wir sollten der Neuen Rechten glauben, wenn sie vom demokratischen Diskurs als Party spricht, die sie beenden will. Unsere Freiheit ist mit gemeint.