Aufschrei von Tierärzt:innen
Mein Name ist Anke Meeuw, ich bin Teil des ehrenamtlichen Team von Volksverpetzer, aber vor allem Tierärztin. Daher diesmal ein Thema, was sich zwar „hinter verschlossenen Türen“ im monatlich erscheinenden „Deutschen Tierärzteblatt“ abgespielt hat, aber dennoch von großer Bedeutung für die Gesellschaft ist.
Das Deutsche Tierärzteblatt, auch umgangssprachlich „Grüner Heinrich“ genannt, veröffentlichte in der aktuellen Februarausgabe einen Artikel über Regulationsmedizin in der Veterinärmedizin, in dem Homöopathie als sinnvolle, sogar segensreiche Alternative zur „Schulmedizin“ dargestellt wird.
Der Effekt war, dass ein regelrechter Aufschrei durch die Tierärztecommunity ging. Die Reaktionen reichten von Unglauben über Empörung bis hin zu blankem Entsetzen.
Zurecht, denn Behandlungsmethoden, die unseren Patienten schaden können, weil dann oft genug echte Medizin ausbleibt, gehören niemals in ein öffentliches Organ der Bundestierärztekammer, die als Standesvertretung die Tiermedizin in Deutschland vertritt. „Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus“, für diese Aussage hat seinerzeit die Firma Hevert einen Rechtsstreit begonnen und versucht, faktenbasierte Aufklärung zu unterbinden. (Spoiler: Sie waren nicht erfolgreich.)
Was genau ist eigentlich das Problem mit der Homöopathie? Es heißt doch „wer heilt, hat Recht“?
Dieser oft gehörte Ausspruch mit dem Heilen und dem Rechthaben hat leider einen Haken, den man dabei oft nicht bedenkt. Natürlich hat der- oder diejenige Recht, wenn eine Heilung nachweislich durch die Therapie eingetreten ist. Aber ist sie wegen der Therapie eingetreten, oder nur einfach zeitlich nach der Therapie? Man nennt das „Post hoc ergo propter hoc“-Fehlschluss (Mehr Infos dazu hier).
Aber wenn es mir danach besser ging, muss doch etwas gewirkt haben!
Ja, das hat es auch. Aber das waren nicht die Zuckerkügelchen, in denen kein einziges Molekül der Ursubstanz mehr enthalten ist. Die Homöopathie hat es in über 200 Jahren ihrer Geschichte bislang nicht fertiggebracht, zu beweisen, dass sie wirkt, geschweige denn, wie sie das täte. Was in der Tat wirkt, ist der Placebo-Effekt. Hinzu kommen körpereigene Heilung durch das Immunsystem, wellenförmiger Krankheitsverlauf, Regression zur Mitte, Stressabbau, Änderung anderer Lebensumstände wie Nahrung oder Sport. Ggf. noch andere Medikamentengabe.
All diese Dinge können dafür sorgen, dass sich eine Krankheit bessert. Wenn man vorher Homöopathie gegeben hat, dann wird das gerne der Homöopathie zugeschrieben, aber es wäre auch ohne Homöopathie aufgrund der oben beschriebenen Effekte passiert. Bei kleinen Kindern oder Tieren, die die Gabe von Homöopathika nicht begreifen können, wirkt der sogenannte „Placebo by Proxy“-Effekt. Der Placeboeffekt ist in der Medizin bekannt, sehr gut erforscht, und auch oft wichtig bei Therapien. Aber es ist eben nicht die Homöopathie, die da wirkt. (Zum Placebo-Effekt gibt es hier auch weitere Infos)
Aber wie schade ich denn mit Homöopathie? Und wem?
In der Humanmedizin zunächst mal mir selbst, wenn ich zugunsten von Zuckerkügelchen auf eine nachweislich wirksame Behandlung verzichte. Wenn ich meine Kinder mit Homöopathie „behandle“, statt wirksame Therapien zu verwenden, schade ich diesen.
In der Veterinärmedizin schade ich meinen Schutzbefohlenen, meinen Lieblingen. Und auch im größeren Maßstab sorgt die Homöopathie für Leid und Probleme: Bio-Schweine müssen nach EU-Verordnung zuerst mit „alternativmedizinischen Mitteln“ behandelt werden, bevor echte Medizin zum Einsatz kommen darf. Die Folge sind verschleppte Lungenentzündungen, die dann mit noch mehr Antibiotika behandelt werden müssen, als wenn man direkt sinnvoll therapiert hätte.
Und das ist auch einer der vielen Punkte, wo ich nur ungläubig den Kopf schütteln kann: Der Autor dieses Artikels ist Fachtierarzt für Fleischhygiene. Er kennt die Schlachtung, Zerlegung und Lagerung von Tieren und ihm müsste es geläufig sein, dass man die durch Homöopathie herausgezögerte Behandlung von Lungenentzündungen wirklich sehen kann, weil das Lungengewebe durch die fortgeschrittene Krankheit sichtbar geschädigt ist.
Homöopathie ist in der Gesellschaft leider als „sanfte Alternative“ bekannt – völlig zu Unrecht, da sie weder eine Alternative zu nachweislich gut wirkenden Medikamenten ist, noch ist das Leid, was durch Ausbleiben einer Therapie entsteht, sanft. Sie ist von ihrer Grundlage ganz und gar unwissenschaftlich, kann keinen Beleg für ihre Wirksamkeit liefern (schon seit Jahrhunderten nicht), und wird es auch niemals tun können, da sie dem Wissen, wie unsere Welt funktioniert, komplett widerspricht.
In kompletter Länge und Breite darüber aufzuklären und alle Argumente pro, plus der Widerlegung hier zu vertiefen, würde den Rahmen mehr als sprengen. Viele Fragen und Antworten, Argumente und Informationen rund um das Thema finden sich auf den Seiten des Informationsnetzwerk Homöpathie (INH), welches sich zur Aufgabe gemacht hat, neutral und faktenbasiert über die Homöopathie aufzuklären.
„Alternativmedizin“ versus „Schulmedizin“
Leider gibt es hier sogar noch eine dunklere Seite, denn wer von „Schulmedizin“ redet, der sieht sich in eine Reihe gestellt mit dem NS-System, das sich besonders die Homöopathie und die Gegnerschaft zur „verjudeten Schulmedizin“ auf ihre Fahnen schrieb und wenn ich mich heute auf den Demonstrationen der Querdenker und Coronaleugner umsehe, hat sich daran wenig geändert. Auch wenn der Begriff der „Schulmedizin“ nicht ursprünglich von den Nationalsozialisten erfunden wurde, war er ein gebräuchliches Stilmittel zur Diskreditierung.
Und auch auf den heutigen „Hygienedemos“ und Anti-Corona-Protesten wird noch von der jüdischen Weltverschwörung und anderen Verschwörungserzählungen schwadroniert, teilweise wird die Shoa in diesen Kreisen auch noch verhöhnt, über das Tragen von „Judensternen“ mit dem Schriftzug „ungeimpft“ darin. (Zu Homöpathie im Nationalsozialismus siehe auch hier)
Natürlich ist nicht jeder Homöopath oder begeisterter Anwender der Homöopathie ein Nazi oder macht sich solches Gedankengut zu eigen. Aber es wird an so vielen Stellen, teilweise ohne das Wissen darum, mit diesem Wort um sich geworfen, welches in seinem früheren Gebrauch zutiefst antisemitisch ist (Quelle). Und einer Bundestierärztekammer, die Standesvertretung einer ganzen medizinischen Zunft, sollte durchaus so viel historisches Verständnis haben, diesen Begriff nicht zu verwenden.
Im Bereich der Humanmedizin hat das Deutsche Ärzteblatt sich bereits 1984 (!) klar positioniert. So schrieb in Heft 3 vom 20.01.1984 Rudolf Gross in einem Vorwort zu einem Artikel von Karl E. Rothschuh, emeritierter ordentlicher Professor und Dozent für Geschichte der Medizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Begriff:
„Schulmedizin“ bzw. „Außenseiter-Methoden sind Kampfworte des 19. Jahrhunderts, die fortschrittliche Ärzte möglichst vermeiden sollten.”
Aber solange in dem Fachblatt der Bundestierärztekammer auch Lehrgangsangebote für „Anthroposophische Tiermedizin“ offiziell abgedruckt werden, wundert es ehrlich gesagt nicht, dass auch hier solche Hintergründe augenscheinlich egal sind. Zur Erinnerung: Rudolf Steiner, dem Begründer der anthroposophischen Lehre, war Antisemit. Sein Zitat: „Dass das Judentum als Volk einfach aufhören würde, das ist dasjenige, was ein Ideal wäre“ scheint heute leider zu sehr in Vergessenheit geraten zu sein. Und nicht nur das Zitat, sondern auch eine zutiefst von Rechtsradikalismus geprägte Weltanschauung mit der „arischen Rasse“ als Krone der Schöpfung. Zum Weiterlesen.
Rechtsradikales und esoterisches Gedankengut mit einer gehörigen Schnittmenge der „Alternativmedizin“ gehen Hand in Hand. In den letzten Monaten auch weithin sichtbar auf den Straßen im Rahmen von Hygienedemos, Querdenken-Veranstaltungen, etc.
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Umso wichtiger wäre es zu dieser heutigen Zeit und an dieser Stelle, sich als Standesvertretung der deutschen Tierärzteschaft sich eindeutig zu positionieren. Aber nein, genau in dieser Zeit der Pandemie steht dann so ein Artikel im Deutschen Tierärzteblatt, in einer Zeit, in der man wirklich sehen kann, wie wichtig evidenzbasierte, wissenschaftliche Medizin ist. In dieser Zeit fühl sich dieses Stück Papier an wie ein Schlag ins Gesicht.
Ist unsere Kammer nicht überzeugt von evidenzbasierter Medizin, gilt Wissenschaft nichts für die Bundestierärztekammer? Denn an der Unwirksamkeit der Homöopathie besteht ebenso wenig Zweifel, wie an der Tatsache, dass die Erde keine Scheibe ist. Keine einzige Studie, die nicht widerlegt wurde, konnte die Wirksamkeit der Homöopathie nachweisen. Ich wiederhole, keine einzige seit über zwei Jahrhunderten! Und das wird sich auch nicht ändern, auch wenn man noch so viele Studien durchführt, noch so viel forscht.
„Homöopathie zu untersuchen, das ist vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens fast so, als wollte man sicherstellen, dass sich hinter dem Mond kein Pumuckl versteckt.“
(Prof. Dr. med. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, nachzulesen hier)
Leider darf ich den Artikel aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht online stellen, aber ein Link zur Webseite, des „Kollegen“ reicht, um sich ein allumfassendes Bild zu machen. Alleine bei den umfassenden Studien, die es zur Homöopathie gibt ist der erste Satz schon eine Frechheit, gleichzeitig der erste Satz des Artikels (und Eingangssatz auf seiner Webseite):
„Veterinärmediziner sind heute mehr denn je gefordert, sich den neuen diagnostischen und therapeutischen Herausforderungen zu stellen und durch sie zu einem neuen medizinischen Verständnis von Krankheit und Gesundheit zu gelangen. Homöopathie ist das von Samuel Hahnemann (1755-1843) entwickelte Therapieverfahren. Nach dem Ähnlichkeitsprinzip (Simileregel) werden nach einem vorgeschriebenen Verfahren potenzierte (verdünnt + geschüttelt oder verrieben) Arzneien therapeutisch individuell für das kranke Tier (oder eine Tiergruppe) eingesetzt. Homöopathie ist eine bedeutende Therapiemethode in der Regulationsmedizin.“
Ja, wir Tierärzt:innen stehen vor neuen Herausforderungen, wir müssen einer Pandemie begegnen, die ursprünglich vom Tier kam und somit auch in unseren Bereich fällt. Wir müssen evidenzbasiert nach besten Wissen und Gewissen arbeiten, denn so steht es in unserer Berufsordnung, hier die Fassung der Kammer Berlin.
Wir sind verpflichtet Schäden und Leiden von Tieren abzuwenden.
Wenn ich ein Tier mit einem nachweislich unwirksamen Mittel behandele, stelle ich mich also außerhalb dieser Berufsordnung.
Daher frage ich mich, fragen wir uns, wie es sein kann, dass eine bewiesenermaßen unwirksame Therapieform in dem Standesblatt der deutschen Tierärzte eine solch unreflektierte Werbung bekommt, samt passendem Vorwort von Frau Dr. Heidi Kübler, 1. Vorsitzende der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin e.V., wo auch noch der Einsatz von Homöopathie in der Massentierhaltung als tolle Alternative dargestellt wird, und – mal wieder – Homöopathie mit Naturheilkunde begrifflich verquarkt wird.
“I’m sorry, ‘herbal medicine’, “Oh, herbal medicine’s been around for thousands of years!” Indeed it has, and then we tested it all, and the stuff that worked became ‘medicine’. And the rest of it is just a nice bowl of soup and some potpourri, so knock yourselves out.“
(“Tut mir leid, ‘Kräutermedizin'”, “Oh, Kräutermedizin gibt es schon seit Tausenden von Jahren!” In der Tat, und dann haben wir alles getestet, und das Zeug, das funktionierte, wurde ‘Medizin’. Und der Rest ist nur eine schöne Schüssel Suppe und etwas Potpourri, also haut rein.”) – Dara Ó Briain, Irischer Comedian
Naturheilkunde, Phytotherapie – hat alles seine Berechtigung, aber dann ist es wissenschaftlich belegt. Und es ist immer noch keine Homöopathie. Homöopathie ist Quacksalberei, schlicht und einfach gesagt. Eine „snakeoil remedy“, für die in der verklärten Western-Welt von Lucky Luke-Comics die Wunderheiler geteert und gefedert aus der Stadt gejagt wurden.
Homöopathie gehört in die Geschichtsbücher, in einem Kapitel über Irrungen der Medizin. Hahnemann selbst wollte vielleicht wirklich Gutes tun, aber wir wissen heute, dass er mit seiner unwissenschaftlichen Lehre nun mal falsch lag.
Ich und auch viele andere kommen da in einen Gewissenskonflikt, der schwer auszuhalten ist: Wie sollte ich einer Kammer vertrauen, die als Fortbildungen selber, „Homöopathie“, „Anthroposophische Tiermedizin- Geistige Ursprünge und goetheanische Planzenbetrachtung“ anbietet? Das ist übrigens Kein Witz; auf Seite 255 findet sich dieser Lehrgang, und als Veranstalter steht dort die deutsche Tierärztekammer, bzw. deren Akademie für tierärztliche Fortbildung (ATF).
Kein Wunder, dass „Kollegoiden“ (mein Gewissen und Berufsethos verbietet mir, hier von „Kollegen“ zu sprechen) keine Zulassungen entzogen werden, auch wenn diese schon seit Jahren auf dem gleichen Niveau und noch viel tiefer, mit vielen tierischen Opfern, hantieren. Zum Beispiel der Kollegoide aus Hamburg, dem im Jahr 2020 für auch völlig verdient der goldene Aluhut verliehen wurde (Quelle, Laudatio dazu ab der Zeitmarke von 1 Stunde und 2 Minuten).
Wenn also schon unsere Kammer nichts tut, um evidenzbasierte Medizin zu unterstützen, an wen sollen wir Tierärzt:innen uns wenden?
An Euch, an die Öffentlichkeit! Helft uns, denn alle internen Gespräche, Petitionen und Briefe haben nichts gebracht. Währenddessen streicht eine Landesärztekammer (der Humanmedizin) nach der anderen die Bezeichnung Homöopathie und bietet keine Fortbildungen dazu mehr an.
Wir als Tierärzt:innen haben anscheinend keine Chance etwas zu verändern, als Antwort auf unsere Anfragen an die BTK kam also nur das:
„Sehr geehrte Frau Meeuw, vielen Dank für Ihr Feedback zum genannten Artikel im Deutschen Tierärzteblatt. Mit den Zusatzbezeichnungen Akupunktur, Homöopathie und Biologische Tiermedizin ist die Regulationsmedizin in den Weiterbildungsordnungen aller 17 Landes-/Tierärztekammern enthalten. Laut Statistik der Deutschen Tierärzteschaft führten 2019 insgesamt 415 Tierärztinnen und Tierärzte in Deutschland diese Bezeichnungen. Solange die Möglichkeiten für diese fachlichen Spezialisierungen bestehen, hat diese Gruppe der Berufsausübenden auch das Recht, ihre Disziplin vorzustellen. Sollten Sie noch weitere Anmerkungen haben, können Sie sich gern per E-Mail ([email protected]) direkt ans DTBl. wenden. Viele Grüße Katharina Klube BTK-Pressereferentin.“
Da beißt sich die Katze ja dann wohl in den Schwanz: Solange es das gibt, sollen die sich vorstellen dürfen und deswegen ist das okay? WTF?!? Und das obwohl wir dazu verpflichtet sind „Leiden, Schäden und Schmerzen“ zu lindern – aber Homöopathie ist völlig okay? Nur mal angemerkt: Es sind 415 Tierärzt:innen, die diese Zusatzbezeichnung tragen – von 12.019 niedergelassenen Tiermediziner:innen in ganz Deutschland (Stand 31.12.2019).
Zusätzlich zu dem Aufschrei haben sich viele unserer Kolleg:innen dazu entschlossen, die Februarausgabe des Deutschen Tierärzteblatts mit dem fraglichen Artikel an den Herausgeber mit entsprechendem Kommentar zurückzuschicken. Der goldene Aluhut hat auch bereits einen offenen Brief an die Bundestierärztekammer verfasst (Quelle), und auch weitere Stellungnahmen von anderen Stellen werden folgen.
Hier ist nun ein Brief der Tierärzteschaft, unterschrieben von über 100 Kolleg:innen. Der Ton mag vielleicht etwas „direkter“ sein, aber aus unserer Sicht ist die Tatsache, dass Quacksalberei ganz unverhohlen im Fachblatt der Bundestierärztekammer eine Bühne bekommt ein Unding sondergleichen. Es torpediert in jedem Maße jegliche unser Aller Bemühungen um eine sachliche Aufklärung über evidenzbasierte Medizin und sorgt in letzter Konsequenz für unnötiges Leid.
Anke Meeuw,
Tierärztin
Der offene Brief
Sehr geehrte Damen und Herren Standesvertreter unseres medizinischen Heilberufes, liebe Hintergrundschwurbler, hochgeachteter Herr Dr. Tiedemann,
mit wenig Wohlwollen haben wir den Artikel in der Februarausgabe des Deutschen Tierärzteblattes über die sog. Regulationsmedizin gelesen und ein Potpourri an Affekten kam in uns auf. Einige dieser möchten wir gerne an Sie weitergeben, quasi zur Kenntnisnahme. Andere sind bereits mit einer guten Ladung Vomex® [Antibrechmittel] wieder in den Griff bekommen worden.
Zunächst möchten wir unser Entsetzen darüber äußern, dass Sie sich als Institution vor den Karren spannen lassen, etwas so unethisches wie die Anwendung von Homöopathie und anderer Scharlatanerie überhaupt eine Bühne zu geben. Regelmäßig erleben wir es in der tierärztlichen Praxis, dass Patienten durch Kurpfuscherei vermeintlich „ausgebildeter“ Tierheilpraktiker oder homöopathisch arbeitender tierärztlicher Kollegen mit eben solchen Präparaten anbehandelt werden. Natürlich tragen viele dieser Kollegen auch noch eine durch die Tierärztekammern höchstoffizielle Zusatzbezeichnung die sie als Experten in diesem Feld ausweisen soll. Bessern tut sich am Patienten – richtig – nichts. Leider zu oft wird mit besagten Mittelchen herumexperimentiert, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist und wir, die auf wissenschaftlich fundiertem Fuß arbeitenden Tierärzte, schlicht nichts mehr verrichten können. Das ist alles, aber kein Tierschutz!
Exakt dasselbe erleben Sie, wenn Sie in der Fleischbeschau stünden. Sie würden sofort die Partie Bioschweine mit Ihren Lungenentzündungen erkennen, die zu allererst mit Homöopathie behandelt werden müssen (vgl. EU Bio VO). Erst wenn die Pseudotherapien versagen, kann und darf mit echter Medizin therapiert werden. Dadurch verstreicht Zeit und entsprechend verstärken sich die pathologischen Veränderungen in den Lungen. Diese dann wieder zu heilen dauert nicht nur länger, sondern verbraucht zurückbetrachtet auch mehr antibiotische Ressourcen, da oft länger behandelt werden muss. Meinen Sie nicht, dass dies den Tierschutz auch tangiert?
Und im Vorwort zur Februar-Auflauge des Deutschen Tierärzteblattes geben Sie einer Dame das Wort, die alles ins Gegenteilige verkehrt! Hier wird Homöopathie und Alternativgeschwurbel als Heilsbringer vor allem in der bösen Massentierhaltung gefeiert. Als der heilige Gral, der böse Resistenzen von Bakterien aus dem Stall verdrängt. Das ist hart am Abgrund segeln, in unseren Augen. So etwas erwartet man nicht von einer medizinischen Standesvertretung. Das ist unethisch und steht im eklatanten Kontrast zu unserem Ethikkodex, den wir nach langem Ringen uns Tierärzten auf die Fahne schreiben.
Unser Unglauben müssen wir Ihnen ebenfalls bekunden, denn das Zulassen einer solchen Publikation zeigt nicht nur, dass Ihnen die Welt der Wissenschaft scheinbar fremd geworden ist, sondern zeigt auch, dass Sie auch den Tenor im öffentlichen Raum nicht korrekt zu vernehmen in der Lage sind. Milliardenschwere Krankenkassen wenden sich von der Erstattung homöopathischer und anderer „Aluhut-Verfahren“ ab. Eine Landesärztekammer nach der anderen streicht die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ aus Ihren Katalogen. Parodien – ellenlang, geistern durch Kunst und Kultur zur Homöopathie, allen voran die des Jan Böhmermann. Diverse Journalisten, ob Print oder TV, haben zur Thematik bereits unzählige Beiträge verfasst, welch ein Elend und Geldaussaugen durch solche Verfahren und Anwendungspraxis stattfinden. Eine Vielzahl von Fachgesellschaften legen in ihren Statements nahe, sich von solchen mittelalterlichen Verfahren zu distanzieren. Jetzt kommen Sie als Standesvertretung und geben allen Ernstes solchen Kurpfuschern eine Plattform, um ihre geistigen Ergüsse zu präsentieren?
Wir sind zudem wütend und traurig zugleich ob des Fehlens an Qualität des Artikels und dass dieser dennoch publiziert wird. Natürlich spielt hier auch Geld eine Rolle, denn schließlich werden Sie und der „Grüne Heinrich“ durch unsere Beiträge finanziert. Und es schmerzt wirklich sehr, dass unser gutes Geld für solch einen Schund ausgegeben wird.
Abgesehen vom monetären Aspekt, so sind Sie als Standesvertretung dazu angehalten unseren Stand zu vertreten. Aber wenn Sie einen solchen Kick-Ass-Begriff wie „Schulmedizin“ in Ihrem hoch offiziellem Standeslautsprecher dulden, machen Sie sich eines Übergriffs an dem Großteil der durch Sie vertretenden Kollegenschaft schuldig. Der Begriff „Schulmedizin“ ist nicht nur aus der Entstehungsgeschichte heraus mehr als fragwürdig, sondern konterkariert alles, was die Kollegen in ihrem Werdegang leisten mussten, um dort zu stehen wo sie heute sind (jahrelanges universitäres Studium, fachliche Spezialisierung, etc.). Und das alles wird mit dem Begriff der Schulmedizin in die Tonne gekloppt. Der Autor, die Redaktion aber auch die Standesvertretung möge doch wenigstens einmal Wikipedia bemühen, um eine Vielzahl alternativer Begrifflichkeiten dafür zu finden und zur Anwendung zu bringen.
Auch Erstaunen war uns in der Bewertung der Publikation nicht fremd. Große Namen – sogar teils mit Bildern fanden Eingang in diese, wenn auch von Personen, die zum Teil zwischen 178 und 842 Jahren nicht mehr unter uns weilen. Mag die Auswahl der Portraits noch Sache des Geschmacks und diskutabel sein, so ist die Wissenschaft nicht streit- und verhandelbar. Selbst dann nicht, wenn vom Autor des Pamphlets despektierlich versucht wurde, den Werdegang und die Entstehung eines wissenschaftlichen Konsens zu demontieren und den Konsensus selbst falsch darzustellen. Auf fachlich groteske Art und Weise wurde ein falscher Weg zur Näherung an die Wahrheit beschrieben, nur um den eigenen Glauben in fanatischer Weise in Schutz zu nehmen. Das ist unter aller Sau.
Hahnemanns Anhänger versuchen seit über 200 Jahren zu beweisen, was angeblich wahr an diesem Schwurbel ist. Überstofflichkeit wird da in den Raum geworfen. Überstofflich, das ist der liebe Gott. Dem darf man frönen ganz gleich wie er heißt, wie er aussieht oder ob es vielleicht sogar noch mehrere davon in einem Glauben gibt. Aber das hat nichts aber auch gar nichts in einer Fachzeitschrift, einer medizinischen wohlgemerkt, etwas verloren. Auch Wissenschaftler glauben. Sogar sehr viele. Aber sie sind in ihrer Arbeit säkular. Und so sollten wir es bitte auch beibehalten.
Konkret zum Artikel: Wir können uns gerne auf Hildegard von Bingen besinnen, wie bahnbrechend Ihr Herangehen seinerzeit war. Leider muss man bei geschichtlich korrekter Betrachtung festhalten, dass zur Bingens Zeiten die eigentlich fortschrittliche Medizin nicht in Europa erarbeitet wurde, sondern in den arabischen und muslimisch geprägten Völkern. Ferner liegt zwischen H. v. Bingen und uns heute diverse Epochen. Und wir wollen uns allen Ernstes mit einer vermeintlichen Heilkunst auseinandersetzen und diese stilisieren, die aus einer düsteren Zeit stammt und in verstaubten Bibliotheken überlebt hat? Warum eigentlich? Ein Schelm wer da mal auf das genaue Datum der Einführung des sog. Heilpraktikergesetzes schielt. Der 17. Februar 1939. Wer war da in Deutschland nochmal an der Macht? Wieso finden wir eigentlich ein Bild Samuel Hahnemanns im Dt. Tierärzteblatt, wenn doch der urdeutsche Führer (ja ok, er war Österreicher) doch eigentlich viel bedeutsamer für den Erhalt der noch heute täglich stattfindenden Kurpfuscherei in unserer Republik ist? Stimmt – passt nicht gut in das Image. Und Eigentlich wollten die Nazis ja nur die Kurpfuscherei irgendwie in geordnete Bahnen führen, damit nicht noch mehr Schicksalsschläge an Patienten passieren, wie es damals vor allem bei ärmeren Bevölkerungsteilen vorkam.
Die rational nicht zu erklärenden Vorteile und Vereinfachungen in der Zulassung von Homöopathika gehen auf Erlasse aus der Zeit des Nationalsozialismus zurück, die seinerzeit durch entsprechende Propaganda motiviert verfügt wurden.
Wir sind in Deutschland wahrhaftig mit diesem Gesetz aus 1939 noch so nahe am Mittelalter und dem 18. Jahrhundert dran, dass so ziemlich alle nicht deutschsprachigen Nationen über uns den Kopf schütteln. Nicht nur aufgrund des geschichtlichen Aspekts, sondern schlicht, weil wir mit diesem Schwachsinn, den wir zulassen, in Punkto Volksgesundheit derart rückschrittlich sind. Es gibt fast keine andere Nation im westlichen Format, die auf solch einem gequirlten Mist Medizin zu betreiben versucht. Und selbst in Entwicklungs- und Schwellenländern wäre man froh, echte Medizin in den Händen halten zu dürfen.
Und jetzt sei die Frage nochmals an die hochgeschätzten Standesvertreter gestattet: Was stimmt mit Ihnen nicht? Einerseits werden regelmäßig Publikationen zur NS-Aufarbeitung im Dt. Tierärzteblatt veröffentlicht. Manch einer davon sehr gut und wertvoll, manch ein anderer vielleicht etwas zu kleinlich. Aber dann wird solch eine unreflektierte und selbstverherrlichende Präsentation einer Scheinmedizin, mit des Führers Segen aus 1939 in Ihrer und unserer Zeitschrift veröffentlicht?
Im Gesamtkontext schämen wir uns für diese Veröffentlichung und möchten uns in aller Form davon distanzieren. Wir sind gute, wissenschaftlich fundiert arbeitende Tierärzte, die einen solchen Schwurbel weder brauchen noch dulden.
Anke Meeuw, Alexander Choucair, Dr. Ina Gröngröft (FTÄ für Kleintiere), Anne Wendt, Carolin Stolpe, Elfi Kannengießer, Christine Noga, Pauline Mahlo, Markus Scheibenpflug, Dr. Ralf Michling, Frauke Erhorn, Dr. Petra Wirth, Dr. Kim Peters, Dr. Rolf Wagels, Dr. Birgit Weigl, Dr. Stephan von Berg, Lena Bollinger, Corinna Gocht, Dr. Lena Theile, Dr. Christian Wüst, Karen Grote, Dr. Anna Schilp, Dr. Gudrun Jansen (FTÄ für Kleintiere), Mascha Sauskojus, Nora Brunner, Melanie Möller (FTÄ für Kleintiere), Dr. Katharina Grewe, Anni Maier, Dr. Martina Rufer, Maike Stärk, Gitte Anders, Linda Geske, Dr. Sonja Büttner, Dr. Joachim Hahn, Karen von Trautwitz, Jana Scheffel, Lisa Schäfer, Sieglinde Bauer, Jana Waldmann, Dr. Alyssa Petersen, Christine Rudolph, Ulrike Sydow, Dr. Christina Euler, Anne Stang, Paul Deutschmann, Dr. Nicole Ryba, Louise Barz, Dr. Johanna Pföhler, Dr. Sonja Küster, Theresa Kern, Dr. Joachim Pichler, Claudette Cubillos, Katrin Antes, Dr. C. Brändle, Dr Carsten Plischke (FTA für Kleintiere), Sigrun Klose, Diana Herbrig, Maren Heinrich, Verena Baumgartner, Dr. Sandra Nagler (FTÄ für Kleintiere), Dr. Edith Wagels, Dr. Bettina Teutenberg-Riedel, Georg Petry, Dr. Silke Bartel, Susanne Bachmann, Dr. Silja Laberke (Dipl. ECVIM-CA (Onc), EBVS & RCVS Recognised Specialist in Veterinary Oncology), Cornelia Horch, Malte Kubinetz, Dana Ströse, Dr. Sabrina Ernst, Christine Lührs, Ines Siegl, Claus Meyer (Zusatzbezeichnung Zahnheilkunde der Kleintiere, Nasen- und Ohrenheilkunde der Kleintiere), Dr. Alexandra Riecken (FTÄ für Heimtiere), Ralph Rückert, Dr. Nikola Vorwerk, Maria Francesca Saxler, Berharnd Gühne, Manuela Gühne, Dr. Alexandra Baur, Dr. Caraline Fink, Günter Huppert, Phillipp Schürmann, Dr. Petra Fischer, Ulrike Müller, Hanne Engels, Jochen Engels, Ulrike Müller, Anna Maria Gartner (FTÄ für Wirtschafts-, Wild- und Ziergeflügel), Dr Dániel Szabó, Andrea Brodie (DMV), Prof. Dr. Uwe Gille, Sabine Deuster, Dr. Ralph Deuster, Johanne Bernick, Zete Marton, Franziska Mönning, Andrea Benz, Dr. Monika Reinhold, Sarah Wickenfelder, Christina Wolf, Alexandra Feders, Mitja Malunat, Michaela Meyer, Maren Hellige, Andrea Sinewe (GP Cert Derma), Eddie Berger, Christoph Tenhaven, Dr. Christine Fuchs, Verena Haase, Dr. Gesche Pinke, Ewa Huber, Dr. Vanessa Löbert ( FTÄ für Kleintiere), Bernd Röttcher (FTA für Keintiere). Dr. Iris Kiesewetter-Koch, Dr. Michael Koch, Dr. Guido Wygand, Dr. Anna Draschka.
Artikelbild: Julia Zavalishina
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