Der Protest gegen Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungsmythen und false balance hat gewirkt: Am Freitag demonstrierten überwiegend Studierende an der Uni Witten gegen “Querdenken” und dagegen, der Bewegung dort eine Bühne zu bieten, um Desinformation und Verschwörungsmythen zu verbreiten. Die Konferenz wurde bereits abgesagt, die Universität distanzierte sich letztlich doch.
“Querdenker” Homburg & Guérot sollten sprechen
Wie Volksverpetzer berichtete, war für dieses Wochenende an der anthroposophisch geprägten Privatuniversität Witten/Herdecke in Nordrhein-Westfalen eine Tagung geplant. Eine Konferenz, welche laut Programm die „Perspektivenvielfalt in Wissenschaft und Gesellschaft“ in der Corona-Debatte widerspiegeln sollte. Die dann aber unter dem Motto „Die Würde des Menschen – (un)antastbar?“ vor allem zu einer Bühne für Hetzer und Verschwörungslügner Stefan Homburg oder die Bonner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot zu werden drohte, beides Ikonen der “Querdenker”-Szene.
Die Kontroverse an der Universität um die Tagung „Die Würde des Menschen – (un)antastbar?“ sorgte für große Aufmerksamkeit, als der für eine Teilnahme angefragte Rechtswissenschaftler Stefan Huster, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Vorsitzender des im Sommer aufgelösten Corona-Sachverständigenrates, absagte (wir berichteten).
“völlig abwegige und polemische Positionen“
Huster kritisierte Frau Guérot und Herrn Homburg heftig für deren “völlig abwegige und polemische Positionen“. Er attestierte ihnen „Querdenkertum, das unsere gesamte politische Ordnung diskreditiert“. Huster wolle kein Feigenblatt sein, sagte er zur Begründung. Er denke beim besten Willen nicht daran, mit „Figuren“ wie Frau Guérot und Herrn Homburg zu diskutieren, die spätestens in der Pandemie völlig falsch abgebogen seien. „Das wertet völlig abwegige und polemische Positionen unnötig auf.“ In seiner Begründung für die Absage per Mail, die Volksverpetzer vorliegt, zitierte er aus dem Buch von Frau Guérot und schrieb dazu:
„Das ist – mit Verlaub – einfach schlimmste verschwörungstheoretische Hetze. Soll sie ,zum Schweigen bringen und ,sich kümmern‘, um wen sie will – ich finde das auf keiner Ebene mehr diskussionswürdig. Wer diesen Leuten und Positionen Gehör und Publikum verschafft, übernimmt Mitverantwortung für schlimme politische Fehlentwicklungen und muss sich daher auch Kritik gefallen lassen.“
Homburg hat sich mit Beginn der Pandemie ins Abseits begeben. Mit Äußerungen wie „Sklaven-Masken“, „Das hier IST 1933“ und „Bundeskristallnacht“ kritisierte er die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus, verharmloste den Holocaust und das Dirtte Reich. Er ist bekannt dafür, regelmäßig bei dreisten Manipulationen und blanken Lügen erwischt zu werden, mehrfach wurde juristisch gegen ihn vorgegangen. Er musste bereits auf gerichtliche Anweisung dreiste Lügen löschen, mit denen er politische Gegner diskreditieren wollte.
Viele redner:innen sagten ab und kritisierten
Bekannt ist indes, dass Husters Absage nicht die einzige ist. Auch die im Programm angekündigte Heidelberger Wissenschaftlerin Beate Ditzen, die sich mit Berührungsforschung beschäftigt, wäre nicht nach Witten gekommen – offiziell wegen „einer Terminkollision“ und weil sie den offenbar nur telefonisch vereinbarten Auftritt gar nicht in ihrem Kalender finde. Auch Uni-Vizepräsidentin Petra Thürmann unterzeichnete wie alle anderen Präsidiumsmitglieder die Erklärung der Universität vom Freitag, sie sagte jedoch ebenfalls ihre Teilnahme an der Tagung ab. Gründe nannte sie keine.
Besonders die Kritik von Janosch Dahmen war relevant. Der Arzt und gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag ist nicht nur Alumnus der Uni Witten, sondern sitzt auch in deren Aufsichtsrat. Er sagte dem Volksverpetzer:
„Ich war und bin immer ein Verfechter des offenen, auch streitenden wissenschaftlichen Diskurses gewesen, aber der gemeinsame Nenner von Stefan Homburg und Ulrike Guérot ist offensichtlich die Delegitimierung von seriöser Wissenschaft, freier Presse und dem Staat beziehungsweise der freilich-demokratischen Grundordnung einschließlich der Menschen und Institutionen, die für sie stehen.“
Es gehe um die „gezielte Diskreditierung all jener, die ihre kruden Ansichten und unseriösen Methoden nicht teilen“. Dahmen wirft Guérot und Homburg gezielte Angriffe auf Wissenschaftler:innen, Hetze und das Verbreiten von Hass und Desinformation vor. „Auch Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob solche Menschen weiter mit ihnen assoziiert bleiben sollen und ob es richtig ist, ihnen eine Bühne zur Aufwertung ihrer skurrilen Thesen zu bieten.“
UNI WITTEN HATTE EINLADUNG ZUVOR VERTEIDIGT
Wie Gastautor Matthias Meisner bei Volksverpetzer kürzlich erst berichtete, hatte die Universität Witten/Herdecke die heftig kritisierte Einladung der beiden zunächst verteidigt. In der Stellungnahme der Hochschule von Freitag wurde die Veranstaltung und die Einladung der Personen im Namen der Wissenschaftsfreiheit verteidigt. Man gab zu, dass es vielen als „pure Provokation“ erscheine, wenn an der Universität eine Tagung organisiert werde, bei der voraussichtlich „grundlegende Aspekte“ der gemeinsamen Arbeit gegen die Corona-Pandemie in Frage gestellt würden.
Aber: „Vielleicht ist es daher verständlich, dass mehrere Stimmen in der Universitätsgemeinschaft laut werden, die ein Verbot der Tagung fordern.“ Von einem Veranstaltungsverbot aber werde erst Gebrauch gemacht, wenn Recht verletzt werde, persönlich angegriffen werde „oder wenn die Universität unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit missbraucht wird, um nachweislich widerlegten Aussagen eine Bühne zu geben“.
Protest und viele Absagen führten zu Umdenken
Die Veranstalter der Tagung, eine Initiativgruppe an der Universität Witten mit dem Namen „Das Ich im Wir“, äußerten sich nicht zu der inhaltlichen Auseinandersetzung. Diese Absagen und dass offenbar kein Ersatz gefunden werden konnten, waren dann offiziell der Grund für die Absage der Veranstaltung. Stefan Huster kommentierte die Absage auf Twitter:
Auch die Universitätsleitung machte letzte Woche einen Rückzieher. Sie distanzierte sich von „Querdenken“ und auch den Veranstalter:innen in einem offenen Brief. Die Universitätsleitung weist den Vorwurf der Nähe zur „Querdenker-Szene“ zurück und distanziert sich von der Veranstaltung. Außerdem untersagt die Uni Witten jetzt die Nutzung der Räumlichkeiten auf dem Campus der Hochschule.
Sie sehe den geforderten Punkt nicht mehr erfüllt, laut dem kein Missbrauch der Hochschule unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit stattfinden dürfe, um nachweislich widerlegten Aussagen eine Bühne zu geben. Mehrere der eingeladenen wissenschaftlichen Expert:innen hätten abgesagt bzw. sich von der Tagung distanziert. Die Initiative „Das Ich im Wir“ habe „keinen adäquaten wissenschaftlichen Ersatz finden“ können.
Am Freitag Protest der Uni Witten gegen Verschwörungsdenken
Trotz der Absage protestierten etwa hunderte Studierende dagegen, dass Verschwörungsideologien an ihrer Universität eine Bühne geboten werden soll. Mit Redebeiträgen wurde erläutert, warum Personen, die kein Interesse an der Wahrheit haben und lediglich eine politische Agenda verfolgen, keine konstruktiven Teilnehmenden für wissenschaftliche Diskussionen sein können. Sie haben schließlich kein Interesse an einem konstruktiven Austausch und der Wahrheit, wie ein Homburg beispielsweise fast täglich auf seinem Twitter-Kanal beweist. So heißt es in einem Redebeitrag:
“Eine Diskussion war von Anfang an nicht möglich, denn die eingeladenen Personen sind nicht offen, sich auf wissenschaftliche Standards zu berufen, sondern vertreten ihre Meinung allein aufgrund ihres Bauchgefühls, und ihrer egoistischen Angst, sich im Sinne der Solidarität einzuschränken.”
In einem anderen Redebeitrag einer Studentin heißt es:
“An unserer Universität wird Wissenschaft neben Pseudowissenschaft gesetzt und gleichgesetzt. Wer zulässt, dass Menschen zu Diskussionen eingeladen werden , die wissenschaftliche Erkenntnisse als Lügen darstellen, wenn Menschen eingeladen werden, die statt mit Fakten mit Emotionen argumentieren, dann ist das in meinen Augen völliges Versagen der Institution.”
Kritik an der Uni Witten
Weiter heißt es:
“Ganz abgesehen von der Unqualifiziertheit der eingeladenen Redner:innen im Bezug auf wissenschaftliche Aussagen, finde ich, dass man niemandem Raum geben sollte, der unsere Demokratie und unsere Solidarität in der Corona-Pandemie mit dem Beginn des dritten Reichs vergleicht. Solche Aussagen zeigen meiner Meinung nach, wie weit weg von der Realität sich solche Personen bewegen!”
Die Initiativgruppe „Das Ich im Wir“, die die Veranstaltung durchführen wollte, hatte sich vor gut einem Jahr gegründet. Eine maßgebliche Rolle spielt Professor Peter Gaidzik, Leiter des Instituts für Medizinrecht und geschäftsführendes Mitglied der Ethikkommission der Hochschule.
Größeres Problem?
Zur Arbeit der Initiativgruppe hier nur eine Kostprobe: Im Mai lud sie den Parapsychologen Harald Walach zu einer Videokonferenz ein, Gaidzik damals mit im Publikum. Es moderierte Bettina Berger vom Lehrstuhl für anthroposophische Medizin. Sie schaltete sich zu von einem Symposium der vom Altbundespräsidenten und seiner Frau gegründeten Karl-und-Veronica-Carstens-Stiftung, laut einem „Spiegel“-Bericht aus dem Jahr 2010 ein Lobbyverein der pseudowissenschaftlichen Homöopathie.
Berger lobt Walach als „Vordenker in vielen komplementärwissenschaftlichen Forschungszusammenhängen“. Der wiederum klagt über einen „Propaganda-Radau“ im Zusammenhang mit positiven Corona-Tests. Was am Abend unerwähnt blieb: 2021 war eine maßgeblich von ihm verfasste „Studie“ zu Maskenschäden bei Kindern vom ARD-Faktenfinder als „Lehrbeispiel für Manipulation und methodische Fehler“ bezeichnet worden. Und schon 2012 hatte die Gesellschaft für Kritisches Denken Walach, damals noch Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, das „Goldene Brett vorm Kopf“ verliehen – als Anerkennung für sein „einzigartiges Bemühen, wissenschaftsbefreite Theorien in die akademische Welt hineinzubringen“.
Protest für die freie wissenschaft wirkt
In seinem Redebeitrag an der Demo an der Uni Witten kritisierte Jonas Redecker:
“Wir haben an dieser Uni ein Problem mit Menschen die sich zu Verschwörungsideologien hingezogen fühlen und sich nicht von Rechtsextremisten und Antisemiten abgrenzen! Es ist ein Tiefpunkt in meinem Glauben an die UWH.”
Er lobte, dass der Protest das Auftreten der “Querdenker”-Ikonen verhindern konnte, er erklärte aber, dass das tiefergehende Problem der Uni Witten gelöst werden solle und dass sie dafür protestieren.
“Und wir zeigen jetzt mit dieser Demonstration, dass wir geschlossen gegen verschwörungsideologische und antisemitische Meinungen an unserer Uni stehen. Durch den Diskus miteinander ist es uns möglich, in so kurzer Zeit so viel zu erreichen. Lasst uns weiter im Diskurs, aber auch laut bleiben, denn so können wir die UWH gemeinsam formen.”
Die Universitätsleitung distanziert sich inzwischen deutlich von der “Querdenken”-Szene. Ob das auch in Zukunft dazu führen wird, dass Verschwörungsideolog:innen dort keine Bühne mehr bekommen, wird sich zeigen. Es dürfte aber klar sein, dass der anhaltende Protest der Studierenden Wirkung gezeigt hat und auch weiterhin Erfolg haben könnte.
Artikelbild: Stefan Borggraefe/Piraten Witten