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Wie Nazi ist der neue Vorstand der AfD-Jugend?

von | Okt 26, 2022 | Aktuelles

Beim Kongress der Jungen Alternativen am vergangenen Wochenende in Apolda wird offen der Schulterschluss mit der neofaschistischen Identitären Bewegung vollzogen. Die AfD-Jugend hat den halbherzigen Unvereinbarkeitsbeschluss der Mutterpartei längst hinter sich gelassen – dem Kongress vernetzen sich außerparlamentarische und parlamentarische extrem rechte Szene. Der neu gewählte Vorstand der Jungen Alternative ist als Extremist eingestuft. Dort hat man lange nicht mehr Berührungsängste mit der Nazi-Szene. Man ist Teil davon.

SO RECHTSEXTREM IST DIE AFD-JUGEND

Wie sollte man über eine Normalität berichten, die nicht Normalität sein dürfte? Es überrascht schon lange nicht mehr, dass waschechte Nazis und Rechtsextremisten in der AfD das Sagen haben. Trotzdem sehen wir es als unsere Aufgabe, jeden neuen Fall zu berichten. Weil es eben nicht normal ist, nicht normal werden darf

Der jüngste Fall: Die Junge Alternative (JA) hat bei ihrem Bundeskongress in Apolda in Thüringen gerade Hannes Gnauck zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Der Ex-Soldat wurde vom Militärischen Geheimdienst (Militärischer Abschirmdienst, MAD) als Extremist eingestuft. Beim Kongress sind zahlreiche Mitglieder der Identitären Bewegung (IB) vertreten. Der Identitäre Martin Sellner feiert die Annäherung als vollen Erfolg.

Hier geben wir Euch einen kurzen Überblick darüber, wie extremistisch die AfD-Jugend aktuell unterwegs ist. 

EIN EXTREMIST AN DER SPITZE DER JUNGEN ALTERNATIVE

»Wenn ihr Führung wollt, dann bin ich euer Mann!« Mit diesem Satz war Gnauck zur Wahl angetreten. Der frische Vorsitzende der Jungen Alternative ist 31 Jahre alt, Brandenburger und seit 2021 Bundestagsabgeordneter für die AfD. Im Bundestag sitzt er im Verteidigungsausschuss. Und das, obwohl der ehemalige Soldat vom Dienst bei der Bundeswehr suspendiert wurde. Der Militärische Abschirmdienst, also der Geheimdienst der Bundeswehr, zu dessen Aufgabe die Überwachung extremistischer Tendenzen in der Armee gehört, hatte ihn als Extremist eingestuft. Die Aufgabe des Verteidigungsausschusses im Bundestag ist unter anderem die parlamentarische Kontrolle des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr. (Ähm korrigiert mich, wenn ich falsch bin, aber es kommt mir irgendwie ungünstig vor, wenn da erklärte Verfassungsfeinde drin sitzen?)

Die Bundeswehr hatte 2020 ein Uniform- und Dienstverbot gegen Gnauck verhängt. Durch seinen Einzug in den Bundestag über die Brandenburger Landesliste 2021 wurde er schließlich vom Dienst freigestellt.

Bundeskongress der AfD-Jugend: Nazis unter sich

Der Bundeskongress der jungen Alternative war ein Netzwerkevent der rechtsextremen, verfassungsfeindlichen Szene in Deutschland und darüber hinaus. Auffällig war vor allem die massive Präsenz der Identitäten Bewegung, einer neofaschistischen Gruppierung, gegen die die AfD als Mutterpartei der JA eigentlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss hat.

Die Junge Alternative selbst ist schon extremistisch genug. Zahlreiche Verfassungsschutzbehörden der Länder (Bremen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Berlin und Hessen) sehen Anhaltspunkte für den Verdacht des Extremismus und überwachen die jeweiligen Landesverbände deswegen als Verdachtsfall. Auf Bundesebene und in Bayern gilt die Junge Alternative als erwiesen extremistische Bestrebung. Im Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz zur AfD heißt es zur Einstufung der AfD-Jugend als extremistische Bestrebung:  

“Eine gründliche politikwissenschaftliche und juristische Analyse der Aussagen der JA legt nahe, dass sie die Würde des Menschen als obersten Wert der Verfassung nicht respektiert. Sie zielt auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs und macht die, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehören, in eindeutiger Weise verächtlich.”

(Die Plattform Netzpolitik hat das Gutachten hier vollständig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht)

AfD-Jugend und Identitäre Bewegung – es kommt zusammen, was zusammen gehört

Der Hauptredner beim Kongress in Apolda war Faschist Björn Höcke, der erklärte, die Junge Alternative müsse “mehr IB wagen und niemals JU werden” (Quelle). Identitäre Bewegung statt Junge Union? Die Identitäre Bewegung gilt als klar rechtsextremistisch und darf mit allen dem Verfassungsschutz zur Verfügung stehenden Mitteln überwacht werden. Gegen diese Zuordnung hatte sie versucht sich gerichtlich zu wehren, doch das Gericht betätigte die verfassungsfeindliche Bestrebung. Vertreten wurde die Identitäre Bewegung von einem Anwalt, der bei der AfD ist.

Teile der AfD versuchen, sich zumindest strategisch von der Identitären Bewegung zu distanzieren. Die Organisation steht etwa auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei, also der Liste mit jenen Organisationen, bei denen man nicht Mitglied sein darf, wenn man Mitglied der AfD sein will. Wenn Höcke also mehr IB fordert, tut er genau das Gegenteil von dem, was die Unvereinbarkeitsliste leisten soll: Statt mehr Distanz strebt er einen massiven weiteren Rechtsruck an und öffnet die Tür für die Extremisten.

Verwunderlich ist das natürlich nicht, immerhin ist Höcke glasklar Faschist, erst scheiterte sogar einmal damit, jemandem zu untersagen, ihn als solchen zu bezeichnen. Seine Aussagen waren für den Verfassungsschutz mit der Anlass, den von ihm angeführten Flügel, eine besonders rechtsextreme Gruppierung innerhalb der AfD, ebenfalls als Verdachtsfall einzustufen. Im Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD heißt es dazu etwa:

“Demokratische Entscheidungen werden nur akzeptiert, wenn diese zu einer Regierungsübernahme durch die AfD führen. Im Falle des Scheiterns der AfD gelte: „Danach kommt nur noch: Helm auf.“”

Der Flügel wurde mittlerweile nominell aufgelöst, aber eine weitere Radikalisierung der Partei ist damit nicht vom Tisch. Er ist immer noch genau so da. Im Gegenteil: Durch die offene Annäherung an die IB scheinen Höcke und Co. schlicht eine neue Strategie gewählt zu haben.

„Mehr IB wagen“: BRAUNES TREIBEN AN DEN MESSESTÄNDEN

Was “mehr IB wagen” heißt, zeigt sich auch an der Wahl Nils Hartwigs als Stellvertretender Vorsitzender. Hartwig war lange aktiv bei der IB – was trotz Unvereinbarkeitsliste nicht zu seinem Ausschluss aus der AfD führte. Er ist nur einer von vielen ehemaligen und aktuellen IBlern, die auf dem Kongress unterwegs waren, wie die Rechercheplattform zur Identitären Bewegung offenlegte:

Zahlreiche weitere Organisationen und Initiativen aus dem rechtsextremen Spektrum waren auf dem Kongress vertreten. Etwa die Zeitschrift Compact, bekannt für Hass und Hetze, die beim Verfassungsschutz als gesichert extremistische Bestrebung gilt. Oder das Hausprojekt Castelle Aurora aus Oberösterreich, eng verbunden mit der Identitären Bewegung. Hier findet ihr mehr Infos zu dem rechtsextremen Hausprojekt:  

Mit dabei waren auch die Computerspiel-Hersteller Kvltgames. Ihr letztes Spiel wurde von der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen und darf entsprechend nicht mehr beworben und öffentlich zum Verkauf angeboten werden. Das Spiel bedient zahlreiche rassistische, antisemitische und queerfeindliche Narrative und hat eine verrohende Wirkung, wie es in der Entscheidung der Bundeszentrale heißt

Mit dem politischen Vorfeld zur rechten Revolution

Zu nennen wäre auch noch das Filmkunstkollektiv. Hinter dem unauffälligen Namen verbirgt sich eine stramm rechte Truppe, die durch eine überästhetisierte Dokumentation rechter Demos und Veranstaltungen zu deren professionellen und emotionalisierenden Erscheinungsbild beiträgt und ihre Radikalität verschleiert. Dahinter steht etwa Simon Kaupert, Mitglied bei Ein Prozent, jenem Verein, der das oben genannte Computerspiel finanziert hat und als Verdachtsfall beim Verfassungsschutz gelistet ist und der zwischenzeitlich bei der NPD war. 

Wer natürlich auf keinem Vernetzungsstreffen der Neuen Rechten fehlen darf, ist Götz Kubitschek. Der Gründer des Instituts für Staatspolitik und des Verlag-Antaios, beim Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt als erwiesen rechtsextrem unter Beobachtung, gilt als intellektueller Stratege der von ganz rechts angestrebten Machtausweitung. Er feiert das Auftreten der zahlreichen rechten Initiativen, passen sie doch perfekt in seinen Plan der Kulturrevolution von Rechts, für die insbesondere das “Vorfeld” der AfD relevant sei, also rechte Organisationen, die in kulturellen Bereichen aktiv auftreten.

Verdachtsfall Rechtsextrem – Was heißt das überhaupt?

Die zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, extremistische und terroristische Bestrebungen zu erkennen. Das Ziel dabei ist, das legt der Name nahe, der Schutz der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Auf Bundesebene gibt es das Bundesamt für Verfassungsschutz. Darüber hinaus haben alle Länder eine eigenen Landesbehörde für Verfassungsschutz.

Die Institution des Verfassungsschutz wird regelmäßig kritisiert, denn sie hat relativ viel Macht. Und wo viel Macht ist, kann viel Macht missbraucht werden. Wie gefährlich diese Macht in den falschen Händen ist, wird mit Blick auf den ehemaligen Chef des Bundesamt für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, deutlich. Der teilte nach seiner Amtszeit antisemitische und rechtsextreme Inhalte (darüber haben wir hier berichtet) und ist mittlerweile offenbar vollständig ins rechte Verschwörungsspektrum abgerutscht (mehr von uns zu Maaßen hier).

Der Verfassungsschutz hat eine lange Geschichte der Vertuschung und Relativierung von rechter Gewalt und dem Gefahrenpotential rechtsextremistischer Bestrebungen. Größere Aufmerksamkeit erhält diese Problematik, seitdem die rassistische Terrorserie des NSU durch den Verfassungsschutz nicht verhindert wurde und nach der Selbstenttarnung des Mörder-Trios Akten vernichtet wurden. Die Aufklärung der Frage, was der Verfassungsschutz von der rassistischen Terrororganisation wusste, wird bis heute behindert.

Wie arbeitet der Verfassungsschutz eigentlich?

Der erste Schritt im Verfahren beim Verfassungsschutz ist der sogenannte Prüffall. Hierfür darf der Verfassungsschutz nur öffentlich zugängliche Quellen der fraglichen Organisation verwenden, also etwa Reden, Artikel, Plakate oder öffentliche Kommunikation auf Social Media und allgemein im Internet, aber auch Parteiprogramme und Satzungen. Hier findet eine Vorermittlung statt, es wird also überprüft, ob tiefere Ermittlungen begründet sind. 

Wenn es tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung gibt, wird der Fall zum Verdachtsfall hochgestuft. Dann dürfen zur Informationsbeschaffung auch nachrichtendienstliche Mittel angewendet werden, wie etwa das Abhören von Telefonaten und das Mitlesen von Messenger-Nachrichten. 

Wenn eine Organisation schließlich als gesichert rechtsextreme Bestrebung eingestuft wird – der Verfassungsschutz also keine Zweifel mehr an den extremistischen Bestrebungen einer Gruppe sieht – sind noch einmal weitere nachrichtendienstliche Mittel erlaubt, wie etwa das Anwerben von V-Leuten. 

In der Anwendung der Überwachungsmethoden ist dabei immer die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Es muss immer das mildeste effektive Mittel angewendet werden. Für Abgeordnete gelten noch einmal besondere Regeln, sie dürfen nur in gesondert begründeten Ausnahmefällen überwacht werden (Quelle). 

Wann darf der Verfassungsschutz etwas verbieten? 

Vereine und Gruppierungen können durch die Landes- bzw. das Bundesinnenministerium verboten werden, wenn ihr Handeln gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist. Parteien dagegen genießen einen besonderen Schutz. Sie können nur durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Parteiverbotsverfahrens verboten werden. Das Parteiverbotsverfahren wiederum kann nur durch Bundesrat, Bundestag oder Bundesregierung beantragt werden. Für das Parteienverbot reicht nicht allein die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen, sondern diese muss durch eine “aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung”, begleitet sein. 

gegen die Noramlisierung des Ausnahmezustands

Der Schulterschluss zwischen AfD-Jugend, Identitärer Bewegung und anderen rechtsextremen Organisationen hat nur wenig Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs bekommen. Zu sehr scheinen sich weite Teile der Öffentlichkeit an die neue Realität gewöhnt zu haben. Es ist die unermüdliche Arbeit von antifaschistischen Organisationen wie etwa der Rechercheplattform gegen die Identitäre Bewegung, dem Kollektiv IfS dichtmachen und unzähliger anderer, die dazu beitragen, den Ausnahmezustand nicht zur Normalität werden zu lassen.

Artikelbild: Bodo Schackow/dpa