Gastbeitrag Carsten Wolf
Die Verbotspartei AfD würde gern viele wichtige Forschungsprojekte stoppen, wie Forschungen gegen Krebs, Rheuma oder Alzheimer. Weil sie was mit “Gender” zu tun haben. Das ist das Problem: Wie viele „Gender-Professuren“ es gibt und was jene wirklich erforschen, interessiert sie nicht.
Um welche Forschungen geht es bei den angeblichen 200?
Es geht um Forschungen gegen Krebs, gegen Rheuma oder Alzheimer oder wie man Kinder vom Rauchen abhält. Die rechtsextreme AfD verlangt seit Jahren ein Ende einer “Genderforschung”. Sie will nicht, dass erforscht wird, warum Frauen von ihren Partnern geschlagen werden. Oder warum Pflegebedürftige sexuell missbraucht werden. All das würde die AfD gern stoppen, zumindest teilweise. Denn das wäre die Folge, wenn man ihre Parolen zu „Genderforschung“ ernst nehmen würde.
Wer Verbote oder einen Finanzierungsstopp fordert, weiß ja bestimmt, was er da verbieten will. Sollte man hoffen. Also schauen wir mal: Die über 200 Gender-Professuren, auf die sich die Partei bezieht, widmen sich zum Beispiel der Frage, warum Frauen häufiger Rheuma oder Demenz bekommen. Warum sie öfter Opfer von häuslicher Gewalt werden, besonders bei Frauen mit Behinderungen. Warum queere Menschen bei der Krebsvorsorge benachteiligt sind oder Frauen in Mathe schlechter unterrichtet werden. Es geht darum, wie man Kinder vom Rauchen abhält. Oder warum Pflegebedürftige sexuell missbraucht werden. All das sind Beispiele aus einer online verfügbaren Datenbank zu Projekten der Genderforschung – und all das würde die AfD gern stoppen.
Weiß die AfD überhaupt, was sie da fordert?
Der Hass der AfD auf eine „Gender-Forschung“ ist uferlos. Im Programm zur letzten Bundestagswahl hieß es: „Alle Fördermittel für die auf der Gender-Ideologie beruhende Lehre und Forschung sind zu streichen.“ In einer Bundestags-Anfrage von 2020 sprechen AfD-Abgeordnete von „213 Professuren zur Gender-Forschung“, für die sie gern alle Mittel streichen würde. Die AfD NRW würde sie gern „auf 0 reduzieren.“ Sicher hat sich die AfD vorher informiert, welche Forschungen das genau betreffen würde – bevor sie so etwas Radikales fordert. Oder sie hat keine Ahnung und versucht mit falsch interpretierten Zahlen Stimmung zu machen?
Wie kommt die AfD auf diese Zahl?
Grundlage für die verzerrenden Statements bieten die „Datensammlungen Geschlechterforschung“ des Margherita-von-Brentano-Zentrums der Freien Universität Berlin. Eine online verfügbare Datenbank zum Thema Genderforschung, die regelmäßig aktualisiert wird. Hier sind Professuren erfasst, bei denen „Gender“ oder „Geschlecht“ in der Beschreibung der Professur vorkomme, der sogenannten „Denomination“, so die FU.
Dabei könne es sowohl das Hauptthema sein – oder nur eine von vielen Facetten. Oder anders gesagt: Hier sind alle Forschungsprojekte in Deutschland erfasst, in denen irgendwie das Wort “Gender” oder “Geschlecht” vorkommt. Mehr auch nicht. Das sind Forschungsprojekte in allen Bereichen, von Rechts- und Wirtschaftswissenschaften über Medizin, Soziologie bis Mathematik. Nur ganz selten geht es dabei allein um Gender-Studies-Themen, meistens ist das nur ein Aspekt.
Wie viele Gender-Professuren es wirklich gibt: 29
Solche Details sind der AfD egal. Je größer das Feindbild Gender-Forschung erscheint, desto besser poltert es sich am Stammtisch. Fünf Punkte, warum das falsch ist und gefährlich:
- Nein, es gibt nicht mehr als 200 „Professuren zur Gender-Forschung“ in Deutschland (auch nicht 213 und nicht 173), sondern nur 29. Die aktuelle Zahl 210 bezieht sich auf alle Professuren in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in ihren Forschungszielen irgendwo Gender- oder Geschlechterthemen erwähnen. Das geht aus der Datenbank hervor, auf die sich auch die AfD bezieht. Bei den 29 Voll-Professuren zu Gender-Themen in Deutschland handelt es sich auch häufig um befristete Juniorprofessuren, keine “Lehrstühle” mit Mitarbeitenden.
- Ihr Anteil an der Gesamtzahl aller Professuren in Deutschland beträgt weniger als ein Promille, nämlich 0,06 Prozent. Selbst wenn man die (falsche) Zahl 210 nehmen würde, wären es 0,4 Prozent (Gesamtzahl aller Professuren: 51.161, Link).
- Es gibt mehr Professuren zu „Forstwissenschaft und Holzwirtschaft“ (66), zu „Bergbau- und Hüttenwesen“ (37) oder zu – jetzt ganz stark sein, AfD – „Islamischer Theologie“ (34) (Destatis, Link, ab S. 110) als zu Gender-Themen.
Auch ein Bericht des Wissenschaftsrats von 2023 hat sich mit der „Geschlechterforschung in Deutschland“ beschäftigt. Die Fachleute gehen von einer „geringen“ Anzahl von Professuren aus, davon der Großteil mit geringen Mitteln für die Forschung („C3- bzw. W2-Professuren mit geringer oder ohne Ausstattung“). An Universitäten gab es damals 18 Professuren mit Hauptthema Gender („Volldenomination“), heute sind es 20.
Am Anfang stand der Zeit-Kolumnist Martenstein
Das Gerücht von den hunderten Gender-Professuren geistert schon seit Jahren durch die Medien. Als einer der ersten war es der Kolumnist Harald Martenstein 2013 in einer Kolumne für die Zeit. Schon damals interpretierte der provokante Autor die Daten der FU sehr verzerrt und sprach von der Genderforschung als der „wahrscheinlich (…) am schnellsten wachsende Wissenschaftszweig in Deutschland“. Bereits im Jahr 2013 sprach Martenstein übrigens von „173 Genderprofessuren“. Und die AfD tut es heute wieder. Die richtigen Zahlen und Fakten spielen dabei kaum eine Rolle. Zum Beispiel, dass sich die Zahl der Lehrstühle für Genderforschung in dieser ganzen Zeit kaum geändert hat.
Worüber regen sich die Kritiker auf?
Trotz der überschaubaren Größe der eigentlichen Genderforschung kocht die Wut darüber regelmäßig hoch. Zuletzt war es die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann Im September letzten Jahres, die dem muffigen Gerücht neuen Schwung verlieh. In einem Interview mit der WELT sprach sich die CDU-Abgeordnete stattdessen für mehr Forschung zur Atomenergie aus: „Ich habe dazu mal Folgendes recherchieren lassen: In Deutschland gibt es derzeit noch acht Lehrstühle für Kernforschung, aber 173 Lehrstühle für Genderforschung.“
Die WELT sparte sich wie so oft den Faktencheck und nahm diese Falschbehauptung in die Schlagzeile. Mit Schnappatmung griffen es die einschlägigen rechten Desinformations-Autoren auf, wie Nius, Reitschuster oder WELT-Chef Poschardt auf Twitter. Wird man ja wohl noch sagen dürfen. Joah. Darf man. Ist dann halt eine Falschdarstellung.
Herzinfarkte bei Frauen? Für die AfD kein Thema
Wenn die AfD allen „Professuren zur Gender-Forschung“ das Geld entziehen will, und für ihre Fake News Rückendeckung aus der rechten Empörungs-Presse bekommt, will sie damit faktisch jede Forschung stoppen, die Unterschiede zwischen Geschlechtern untersucht: Zum Beispiel, wenn es darum geht, ob sie von Krankheiten unterschiedlich betroffen sind. Oder ob Medikamente bei Frauen und Männern unterschiedlich wirken. Sie würde damit – vermutlich ungeplant – die „natürlichen“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern verwischen, auf die sie sonst immer pocht.
Eine der Professuren, bei denen die AfD gern kürzen würde, ist die für „Geschlechterforschung in der Medizin“ an der Berliner Charité. Auf Volksverpetzer-Anfrage erklärt die dortige Leiterin: „Wenn wir auf Geschlechterunterschiede eingehen, kann das einen konkreten Nutzen für die Gesundheit bringen“, sagt Professorin Gertraud Stadler von der Berliner Charité.
„Wenn Frauen zum Beispiel mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus gehen, wird das oft nicht richtig erkannt. Deshalb sterben sie häufiger daran. Das müssen wir ändern. Deshalb ist es wichtig, auch in der Medizin die Geschlechterunterschiede zu berücksichtigen. Wir wollen hin zu einer personalisierten Medizin, bei der wir die Unterschiedlichkeit der Menschen ernst nehmen.”
Unnötige Vorlage
Der Hass der AfD ist maßlos. Aber die Genderforschung hat ein Stück weit selbst die Angriffsfläche dafür geschaffen. So waren es Forschende der Berliner FU selbst, die eine Datenbank der deutschsprachigen Genderforschung anlegten und darin alle Professuren als „Genderprofessuren“ bezeichneten, die sich – sei es auch nur zu einem winzigen Teil – mit Gender-Themen oder Geschlechterunterschieden beschäftigten. Sicher sollte damit die Bedeutung des neuen Forschungszweigs betont werden.
Aber: Journalist:innen sollten wissen, dass sie so eine PR-Sprache nicht einfach übernehmen dürfen. Wer neutral und sachlich angemessen berichten will, sollte sowohl seine Begriffe als auch die angebotenen Zahlen gegenchecken. Das sollte das Mindeste sein. Und die FU hat dazu ja auch extra Hinweise online gestellt.
Viele der Betroffenen würden ihre Stelle gar nicht als „Gender-professur“ bezeichnen
Auch ist fraglich, ob der Begriff „Gender“ oder „Geschlecht“ tatsächlich in den „Denominationen“ der oben genannten Professuren vorkommt. Mehrere Befragte waren sich auf unsere Nachfrage nicht bewusst, dass sie in der Datenbank auftauchen – und mehrere würden ihre Stelle selbst nicht als „Genderprofessur“ bezeichnen.
Ein Professor schrieb uns, er habe „das Wort Genderforschung nur aus historischen Gründen noch in der Denomination. Müsste eigentlich längst entfernt sein.“
Aber das Auftauchen in der Datenbank ist freiwillig. Alle verzeichneten Professorinnen und Professoren haben mindestens einmal zugestimmt, bevor sie in die Datenbank aufgenommen wurden, wie die TU auf Volksverpetzer-Anfrage bestätigte. Und bis heute werden sie einmal im Jahr angeschrieben. Wenn sie nicht widersprechen, bleiben sie in der Datenbank.
Die CDU-Abgeordnete Connemann bleibt bei ihrem Statement, wonach es zu wenige „Lehrstühle für Kernforschung“ und zu viele für „Genderforschung“ gebe. Die AfD wollte sich auf unsere Anfrage nicht dazu äußern, ob sie weiter wichtige Forschungsprojekte wie zur Krebsforschung verbieten will.
Die Folgen der Hetze: Gewaltdrohungen
Auch wenn die AfD nicht die Macht hat, über wissenschaftliche Forschung zu entscheiden – ihre Hetze hat schon heute handfeste Folgen für Forschende. „Ich bekomme regelmäßig Post von erbosten Bürgern, mal als Mail, mal auch als Brief“, berichtet zum Beispiel die Geschlechterforscherin Sabine Hark im Telefonat mit uns, „Oft wird mir darin Gewalt angedroht. Ich werde beleidigt oder meine Entlassung gefordert.“ Der Kampf gegen die Geschlechterforschung gehöre schon seit etwa 20 Jahren zur Strategie der extremen Rechten und der AfD. „Sie nutzen das als Schlachtfeld für ihren Kulturkampf“, so Hark.
Fazit: Nein, es gibt nicht 200 oder mehr Professuren, die zu Gender Studies forschen, das ist eine rechte Fake News. Die Falschbehauptung hält sich seit mehr als zehn Jahren hartnäckig – auch weil Journalist:innen sie nicht kritisch genug überprüfen. In Wirklichkeit ist die Genderforschung nur ein winziger Zweig der Wissenschaft, mit nur wenigen Professuren, nämlich 29 aktuell. Die rechtsextreme AfD will sie größer machen als sie ist – und verbreitet deshalb übertriebene Zahlen.
In ihrem Hass will die AfD allen Forschungsprojekten das Geld streichen, die sich überhaupt mit Geschlechter-Themen befassen. In der Konsequenz wäre das das Ende für wichtige Forschungsprojekten zu Krebs, Alzheimer oder der Wirksamkeit von Medikamenten oder zu Fragen, wie man sexuellen Missbrauch oder Gewalt gegen Frauen verhindern kann. Das ist die Konsequenz von Desinformation und Populismus. Ein Problem wird künstlich erzeugt und einfache Lösungen werden versprochen. Würde sich die Politik danach richten, würde das am Ende allen schaden.
Carsten Wolf ist freier Journalist und schreibt über Migration und Brasilien. Auf Twitter: @zeitungsboy. Artikelbild: canva.com/ Screenshot welt.de