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Jetzt offener Antisemitismus: Hildmann hängt die Hundepfeife an den Nagel

von | Mrz 9, 2021 | Analyse

Hildmann und die Hundepfeife

Jan Skudlarek

Eine Hundepfeife ist eine Pfeife, die außerhalb des menschlichen Frequenzbereiches liegt. Ein Hundeführer kann seinem Vierbeiner so akustische Signale geben, die nur er hören kann; Menschen hingegen hören nichts.

Kommunikationswissenschaftlich gesehen ist eine Hundepfeife (dog whistle) eine sprachliche Anspielung, d.h. ein Code, eine Chiffre. In der politischen Kommunikation bezeichnet man mit „Hundepfeifen-Politik“ eine Weise zu kommunizieren, die durch ihre Offenheit einen Mehrwert erzeugt. Du sagst etwas, ohne es zu sagen. Indem ein Sprecher seine Aussage in Suggestivsprache kodiert, verstehen ihn seine Hörer – aber nur die, die es hören sollen. Die anderen hören nix (oder etwas anderes). Wie bei der Hundepfeife. Zum Beispiel kann ein Politiker „traditionelle Werte“ sagen und damit „christliche Werte“ meinen, ohne damit seine nicht-christlichen Hörer vor den Kopf zu stoßen (immerhin haben die auch Traditionen).

Der Faschist Björn Höcke zum Beispiel, den ich gemäß Gerichtsentscheidung direkt so benennen darf, bezeichnete das Holocaust-Mahnmal als ein „Denkmal der Schande“. Die von ihm adressierten Hörer hörten, was sie hören sollten – nämlich dass in den Augen des AfD-Mannes nicht die Verbrechen der Nazis, sondern unsere Gedenkkultur eine Schande sei. Darauf angesprochen konnte Höcke abstreiten: „Das habe ich so nie gemeint!“. Meister dieser Andeutungssprache ist und bleibt Donald Trump. Er formuliert seine Sätze stets so, dass auch seine radikalsten Hörer die Ohren spitzten. Sein „Make America Great Again!“ war für viele schlicht ein kodiertes „Make America White Again!“.

Sorry AfD: Höcke darf weiter „Faschist“ genannt werden – Unbedeutender „Erfolg“

Attila Hildmann hat seine Hundepfeife an den Nagel gehängt

Am letzten Donnerstag hat Attila Hildmann seine Hundepfeife an den Nagel gehängt. Jener (rechts-)radikale Tierfreund, der seit Beginn der Corona-Pandemie nicht als veganer Koch, sondern vor allem als Endgegner unter den doch mittlerweile zahlreichen Promis[1] Schlagzeilen macht; der bereits so lange unbehelligt in seinem Telegram-Kanal beleidigt und hetzt, dass man sich fast schon daran gewöhnt hat. Corona-Impfung? Massenmord. Bill Gates? Kriegsverbrecher. Angela Merkel, die Hildmann u.a. „Mao-Merkel“ nennt, sei in Wahrheit die polnische Jüdin Aniela Kazmierczak.

Die seit Sommer 2020 gegen ihn laufenden Ermittlungen inklusive Hausdurchsuchungen und seine jetzige Suche mit Haftbefehl haben nichts, wirklich gar nichts an seinem konspirativen Dauerfeuer geändert. Hildmann bleibt der tägliche, ja eigentlich stündliche Verschwörungstheoriegarant, der seinen konspirativen Unfug mit niveaulosen Beleidigungen garniert und ganz präzise auf sein Publikum abschmeckt.

Antisemitismus war dabei immer ein Thema. Nicht zuletzt, weil viele Verschwörungserzählungen einen antisemitischen Subtext haben, ohne direkt „Die Juden sind schuld!“ zu sagen. Verschwörungserzählungen gegen George Soros, Mark Zuckerberg und allgemein gegen „die Finanzelite“ sind indirekte Angriffe auf alle Juden. In Hildmanns Chat war regelmäßig die Rede von „dem einen Feind aller Völker“. Jeder, der einen Mittelstufengeschichtsunterricht hinter sich hat, war im Bilde, wer gemeint ist.

Hildmann jetzt mit antisemitischem Klartext

Letzte Woche hatte Hildmann Lust auf Klartext. Genug um den heißen Brei herumgeredet. Zeit, die Ebene des Subtextes zu verlassen und so laut wie möglich ins Antisemitismus-Megafon zu brüllen:

„Bis zu diesem Zeitpunkt lieferte ich ihnen keine echten Gründe und umschrieb den Feind nur! Diese Zeit ist vorbei! Es waren Juden hinter den beiden Weltkriegen und allen Kriegen im Nahen Osten danach! Und es sind Juden hinter der NEW WORLD ORDER (Jewish World Order) und Juden hinter den Giftspritzen und Völkermord an 7 Milliarden Menschen der „niederen Völker“!“

Und so geht es gut fünfhundert Wörter weiter. Juden seien Satanisten, die Vernichtungslager der Nazis seien keine Vernichtungslager, sondern Arbeitslager gewesen, der Holocaust sei eine Lüge, Juden seien keine Opfer, sie seien Täter, das wahre KZ sei Lockdown-Deutschland und und und. Eine neonazistische Widerwärtigkeit reiht sich an die nächste. Ein Text, der geschrieben scheint, um den Jura-Studenten der Zukunft die Erfüllung von Paragraf 130 StGB (Volksverhetzung) aufzuzeigen. Dieser Text atmet Volksverhetzung. Ein großes, langes, widerliches „Ich hasse Juden!“. Immer wieder ist das Ganze durchwirkt von persönlichen Ressentiments und Jammereien über die eigene – natürlich von Juden, wem sonst – zerstörte wirtschaftliche Existenz. Dabei ist dem Beobachter klar, dass es nur einen einzigen gibt, der mittlerweile seit über einem Jahr das Geschäft von Attila Hildmann Schritt für Schritt zerstört: Attila Hildmann.

Nicht „Avocadolf“, sondern „Antisemit“

Schon lange gab es Spottnamen für den Verschwörungsideologen Hildmann. Beleidigungen wie „Avocadolf“ oder „Hirse-Hitler“. „Gemüse-Goebbels“. Solchen Betitelungen konnte ich nie sehr viel abgewinnen. Ich fand sie grundlos humorige Wortspiele für einen Mann, der vor über hunderttausend Followern pausenlos beleidigt, hetzt, droht. Der Wissenschaftlern, die über die Corona-Pandemie informieren, Hass zukommen lässt durch seine Follower. Andererseits sind solche Etiketten selbstverständlich eine Relativierung der Verbrechen Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten. Sie rücken die größten Verbrecher des zwanzigsten Jahrhunderts in die Nähe eines politisch extremen, aufmerksamkeitsgeilen Smartphone-Süchtlings. Einem Mann, der im Jahr 2020 ab und an mal zwei Dutzend Wutbürger zu einer fremdschämigen Kundgebung versammelte. Nun hat Hildmann selbst bewiesen, dass diejenigen mit den Nazi-Spitznamen nicht so falsch lagen.

Ob Geschichte sich wiederholt, ist eine Streitfrage. Die Parolen der Geschichte, selbst die widerwärtigsten, finden offenbar Wiederholung. Das müssen wir nicht nur beachten, sondern bekämpfen, wo es nur geht. Gewaltlos, mit den Mitteln von Rechtsstaat und Demokratie, versteht sich. Aber nichtsdestoweniger: bekämpfen.

Hitler hatte die Schäferhündin Blondi. Hildmann hat den Husky Akira. Beide teilen ihre Verschwörungstheorien und ihren grenzenlosen Hass auf alles Jüdische. Und die Staatsanwaltschaft, welche Hildmann in absehbarer Zeit das Smartphone wegnimmt, hat jetzt einen Anklagepunkt mehr.

[1] * Zu nennen sind hierzulande noch Michael Wendler, selbstverständlich Xavier Naidoo, kurzzeitig Detlef „D!-mokratie“ Soost, der Rapper Sido; internationale Stars wie Robbie Williams, van Morrison, Eric Clapton usw.

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Autor: Jan Skudlarek. Hier zu seiner Website und hier zu seinem Twitter. Artikelbild: dpa-Zentralbild/dpa, Screenshot telegram.com

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