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Denkfehler: Warum manche wegen Covid-19 Kettenbriefe gegen Fridays For Future teilen

von | Mrz 25, 2020 | Analyse

Beliebte Denkfehler – wie unser Gehirn uns manchmal einen Streich spielt

Gastbeitrag von “Faszination Psychologie

Dieter H. ist Unternehmer. Er ist Inhaber der H. Frische Center KG – eine Handelskette von Edeka. Auch die Lebensmittelbranche bekommt die Dimension der aktuellen Covid-19 Entwicklungen mit aller Macht zu spüren. Auch die sozialen Verwerfungen, die sich dieser Tage zeigen. Immer wieder missachten einzelne Personen die eindringlichen Warnungen von Wissenschaft und Politik, die sozialen Aktivitäten auf das Nötigste zurückzufahren.

So beobachtet auch H., wie er auf seiner Facebook-Seite schreibt, derzeit junge Menschen, die „gruppenweise in unseren Märkten ein[kaufen] und kleine Privatpartys [machen]“. In diesen Menschen möchte er die Bewegung Fridays for Future erkannt haben. Mit deutlichen Worten empfiehlt er der „Friday[s] for Future Generation“: „Wenn ihr Euch nützlich machen wollt, dann helft den Menschen in der Risikogruppe und geht für sie einkaufen.“ Der Post enthält weitere kontroverse Aussagen, die Verantwortungslosigkeit und Naivität von Fridays for Future suggerieren sollen. Entsprechend sorgte der Post in sozialen Medien für Aufregung, sowohl bei Klimaschützern als auch bei Klimaskeptikern. Der ganze Text wird inzwischen als Kettenbrief per Whatsapp verbreitet.

Doch wie kommt es, dass Dieter H. und Teile der klimaskeptischen Gesellschaft einen Zusammenhang zwischen verantwortungslosen Jugendlichen im Edeka und Menschen der Bewegung Fridays for Future sehen? Hat er die Jugendlichen und ihr Verhalten in seinem Markt beobachtet und sie daraufhin befragt, ob sie sich für’s Klima einsetzen? Hat er selbst an der letzten Fridays for Future Demo teilgenommen und die Jugendlichen wiedererkannt? Beides wohl eher unwahrscheinlich. Auch H. selbst lässt diese Fragen unbeantwortet.

Wie kann es dann kommen, dass wir fremde Menschen in eine Schublade stecken?

Eine wichtige Rolle spielt unser Kopf und sein Hang zur Faulheit. Oder positiver formuliert: das Streben nach Effizienz und Kontinuität unseres Gehirns. Wenn wir nur einen Bruchteil der Informationen zur Urteilsbildung nutzen und in vorgefertigten Schemata denken, entlasten wir unser Gehirn. Dies gilt insbesondere in der heutigen Zeit, in der wir durch (soziale) Medien eine enorme Reizüberflutung erfahren. Umso mehr strebt unser Gehirn danach, die komplexe Welt zu vereinfachen.

Im vorliegenden Fall haben die beiden Gruppen vermeintlich eine Gemeinsamkeit: das Alter. So werden zwei Schemata zusammengeführt:

• Schema 1: Fridays for Future = junge Menschen
• Schema 2: Verantwortungsloser Umgang mit Covid-19 im Edeka = junge Menschen
• Neues Schema: Fridays for Future = Verantwortungsloser Umgang mit Covid-19 im Edeka

Wie sähe die Situation in unserem Gehirn aus, wenn wir alle Informationen berücksichtigen? Erstmal müssten wir uns tiefgehender informieren. Zum Beispiel dazu, wie sich Fridays for Future zu den Covid-19 Entwicklungen positioniert. Abhilfe leisten hier ein Blick auf die Website und in die sozialen Netzwerke der Gruppierung. Das Bild, das sich hier ergibt, dürfte für Überraschung sorgen. Insbesondere bei Dieter H.

Fridays For Future engagiert sich gegen Corona

Die Bewegung ruft dazu auf, zuhause zu bleiben: „Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, dass sich das Corona-Virus nicht weiter ausbreitet, um die Gesundheitssysteme zu entlasten und Menschen zu schützen. #UniteBehindTheScience gilt nicht nur bei der Klimakrise, sondern auch bei den Empfehlungen von Mediziner*innen zu Corona.“ Auch die Initiative Gegen-den-Virus.de, die Menschen aus Risikogruppen versorgt, wird unterstützt. Das meinte wohl auch H. mit sich „nützlich machen“. Zu guter Letzt werden unter dem Motto #WirBildenZukunft Webinare von Fridays for Future angeboten, damit die Bildung auch bei geschlossenen Schulen nicht zu kurz kommt (Quelle).

Doch wie sieht es auf individueller Ebene aus? Wie gehen die einzelnen Mitglieder der Gruppierung mit Covid-19 um? Auch hier gibt ein Blick auf Instagram Aufschluss. Die Klimaaktivistin Clara Mayer erklärt in ihrer Instagram-Story, dass sie nicht an einer Online-Klima-Demo teilnehmen konnte, weil sie ein Freiwilliges Soziales Jahr auf einer Intensivstation absolviert: „Gerade jetzt ist es mir aber auch wichtig auf Station 110 % zu geben. Gerade jetzt wo die Not groß und die Pflege unterbesetzt ist, ist es auch meine Pflicht meinen Beitrag zu leisten.“

Jetzt wird es für unser auf Effizienz getrimmtes Gehirn schwierig.

Auf der einen Seite junge verantwortungslose Menschen im Edeka. Auf der anderen Seite junge Menschen, die mit großem Engagement nicht nur für‘s Klima, sondern auch gegen Covid-19 kämpfen. Und dann auch noch Bildungsformate im Internet anbieten. Jetzt ist auch noch das Schema „faule Schulschwänzer“ in Gefahr.

Eine weitere Recherche macht es nicht leichter für unser Gehirn. Schnell stellt es fest, dass Fridays for Future nicht nur aus unmotivierten Schülern besteht, die keine Ahnung von der Welt haben: Lehrer, Psychologen & Psychotherapeuten, Ärzte, Studierende, Unternehmer, Eltern und sogar Omas und Opas for Future. Eine schmerzliche Erfahrung, die auch schon Christian Lindner machen musste. Im März 2019 forderte er die Schüler auf, den Klimaschutz den „Profis zu überlassen“. Die meldeten sich wenige Tage später zu Wort – und gaben den Schülern recht. Es war die Geburtsstunde der Gruppierung Scientists for Future, also von Wissenschaftlern, die – wie auch bei Covid-19 – die höchste Expertise in unserer Gesellschaft haben sollten.

Was können wir daraus mitnehmen?

Es ist wichtig, dass wir uns unserer fehlerhaften Denkschlüsse bewusst werden. Die Mehrarbeit wird unserem Gehirn nicht immer gefallen. Aber für eine positive gesellschaftliche Entwicklung ist diese Arbeit wichtig. Auch Dieter H. hat seine Aussagen offenbar durchdacht und sich entschuldigt. Der Facebook-Eintrag wurde inzwischen gelöscht. Nur bei Whatsapp zieht der Kettenbrief weiter seine Kreise – wie ein kleiner Virus, dessen Infektionskette erstmal nicht mehr unterbrochen werden kann. Obwohl die Quelle des „Ausbruchs“ gar nicht mehr existiert.



Autor*innen: Miriam und Michael von Faszination Psychologie (Link), Artikelbild: pixabay.com, CC0