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Diese 3 Verschwörungsmärchen werden euch Aluhüte 2021 noch erzählen

von | Aug 16, 2021 | Analyse

Winter is coming

Albert Einstein soll gesagt haben: „Ich denke niemals an die Zukunft. Sie kommt früh genug“. Damit dürfte er, nehmen wir dieses Zitat mal beim Wort, zu einer absoluten Minderheit gehört haben. Die meisten von uns denken regelmäßig an das, was uns bevorsteht. Sei es voller Vorfreude oder voller Sorge oder, im Optimalfall, mit einer ausgewogenen, in sich ruhenden Haltung.

Eine Gruppe von Menschen ist besonders intensiv der futuristischen Betrachtung zugeneigt: Verschwörungsideologen. Prognosen sind ihr Kerngeschäft. Während andere sich aus Unsicherheit nicht festlegen oder sich, quasi dem Einsteinschen Credo folgend, einfach unvoreingenommen in die eh kommende Zukunft hineinleben, verlagern Querdenker und ganz allgemein unsere konspirativ gestimmten Zeitgenossen einen Großteil ihrer Energie in die Vorhersage einer meist düsteren, gefährlichen, dystopischen Zukunft. Einer Zukunft, die alles andere als Science-Fiction ist, sondern kurz bevorsteht oder, vielleicht, oh Schreck!, noch heute beginnt.

Das konspirative Glas ist nicht nur halb leer – es ist ein halb leeres Glas auf dem Tisch einer Diktatur

Das konspirative Glas ist nicht nur halb leer – es ist ein halb leeres Glas auf dem Tisch einer Diktatur. Und Schuld sind, wie immer, wir Schlafschafe, die das mit sich machen lassen.

Ich finde, wir sollten die Vorhersagen, die Prognosen und das diffuse Zukunftsgeraune nicht einzig und allein unseren alubehüteten Mitbürgern überlassen. Anstatt zu sagen „Ich denke nicht an Verschwörungsmythen von morgen, sie kommen früh genug“, werde ich in diesem Artikel ein paar Verschwörungserzählungen besprechen, welche im Wahljahr 2021 an Relevanz gewinnen werden. Wagen wir einen Blick in die Glaskugel.

Wie Querdenken funktioniert: Beispiel Flutkatastrophe

Bleiben wir davor kurz in der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit. In den letzten Wochen sahen wir nämlich, dass Verschwörungsideologen sich nicht nur der Vorhersage verschreiben, sondern dynamisch auf das tatsächliche Tagesgeschehen reagieren. Faktenfrei und menschenfeindlich, aber: sie reagieren. Als vor Kurzem die schlimmste Flutkatastrophe seit Jahrzehnten ganze Dörfer zerstörte, Landstriche verwüstete und allein in Deutschland fast zweihundert Menschen tötete, waren die Verschwörungsideologen schnell zur Stelle.

Zunächst online, wo sich zur konspirativen Umdeutung des Wettergeschehens ein Telegram-Kanal gründete, der schnell über 20.000 Abonnenten hatte. Der Tenor: Die Flutkatastrophe sei keine Naturkatastrophe, also kein (passives) Ereignis, sondern eine (aktive) Regierungskatastrophe, absichtlich herbeigeführt durch die Wettermanipulation dunkler Eliten. Anschließend fuhren Querdenker in die Katastrophengebiete, um sich als Helfer zu inszenieren, Polizei zu spielen, Spenden zu sammeln – und die Bevölkerung sowie die eigentlichen Helfer zu terrorisieren.

Querdenker instrumentalisieren Flut: Sie kassieren ab, verhöhnen Flutopfer & verbreiten Lügen

In Beiträgen wie diesen zeigt sich die Grundhaltung des konspirativen Weltbilds. Es läuft immer auf ein „Wir werden belogen und getäuscht von mächtigen Eliten“ hinaus, entweder reaktiv mit Verweis auf die Gegenwart oder mit nostradamischem Fingerzeig in die Zukunft. Und immer wird jede Gelegenheit genutzt, um einerseits das eigene konspirative Programm abzuspulen (geheime Mächte, unfassbarer Einfluss, naive Öffentlichkeit). Aber andererseits auch einzugreifen und selbst finanziell oder politisch zu profitieren. (Womit auch die Cui-Bono-Frage ein weiteres Mal geklärt wäre.)

Skudstradamus prophezeit: Das könnte schlimmer werden.

Ich sehe drei konspirative Großbaustellen, die uns über die nächsten Monate begleiten werden. Sie alle hängen zusammen und sollten sowohl gemeinsam wie getrennt voneinander betrachtet werden.

Zunächst ist da, wie könnte es anders sein, die Impfung. Impfverschwörungsmythen sind kein Novum der Pandemie, sie begleiten uns seit Jahren bzw. Jahrzehnten. Und während wir jetzt einen halbwegs unbeschwerten Sommer erleben, ist die Tatsache, dass uns ein Herbst bevorsteht, noch sicherer als das Amen in der Kirche. Danach heißt es, um ein dramatisches Schwert-Epos voller Gewalt, Täuschung und Diktatur zu zitieren: Winter is coming. Ebenfalls kommend, im Einsteinschen Sinne früh genug, sogar viel zu früh: Die 4. Corona-Welle. Und die damit verbundene Diskussion um Impfpflicht, Maskenpflicht und Corona-Regeln.

Vorhersage 1: Impf-Verschwörungserzählungen werden zunehmen

Die Impfgegner werden sagen:

„Schaut her! Millionen Menschen haben sich impfen lassen, dennoch kam die 4. Welle! Ihr Wirkstoff ist wirkungslos, alles ist Bestandteil eines großen Plans!“

Nicht wenige werden darüber hinaus die Corona-Zahlen für inszeniert halten, einige die Impfkampagne für ein flächendeckendes Gen-Experiment, andere werden wieder lauter was von Impfchips schreien und dem „Great Reset“.

Die Zerstörung des „Great Reset“-Verschwörungsmythos – Was wirklich dahinter steckt

So werden Verschwörungserzählungen mitunter zu selbsterfüllenden Prophezeiungen: millionenfache Impfverweigerung, nicht selten konspirativ motiviert, wird gesellschaftliche Einschränkungen erforderlich machen. Welche dieselben Leute dann als diktatorische Repressionsmaßnahme anprangern. Das ist in etwa so logisch, wie wenn man aufhört, Zähne zu putzen, um sich nicht von der Zahnpasta-Diktatur unterdrücken zu lassen. Alles nur ein großer Plan der Zahnärzte. Und Karies ist dann deren Rache oder so.

Vorhersage 2: Querdenker werden alles tun, um Corona zu verbreiten – und sich dann beschweren, dass man härtere Maßnahmen braucht

Die zweite große konspirative Großbaustelle, die ich prophezeie, lautet: Freiheit. Fast ein Jahr nachdem Jana aus Kassel sich wegen nach besten Wissen und Gewissen verordneten, größtenteils gerechtfertigten Pandemie-Schutzmaßnahmen völlig zu Unrecht und peinlicherweise für die neue Sophie Scholl hielt, sind konspirative Unterdrückungsfantasien wohlauf. Während das Leben mit Corona weiterhin Schutzmaßnahmen nötig machen wird (Jens Spahn sagte neulich: wohl bis Frühling ‘22), eben nicht zuletzt wegen Impfskepsis und Maskenverweigerung, so werden auch die Freiheitsberaubungsverschwörungserzählungen zum Herbst und Winter hin wieder aufflammen und so manch ein historisch sowie sozialethisch desorientierter Zeitgenosse wird sich wegen der Maskenpflicht im Supermarkt seine Sophie-Schollhaftigkeit für sich entdecken. Und so führen sie die Situation selbst herbei, die sie bösen Eliten in die Schuhe schieben.

Also haben wir: Impfungen und Freiheit als zwei große querdenkerische Themengebiete, die zwar seit fast 18 Monaten relevant sind und nie ganz weg waren, die allerdings zum Herbst und Winter hin einen Gang hochschalten werden.

Vorhersage 3: Rechtsextreme werden nach der Wahl von „Wahlbetrug“ sprechen – Trump machte es vor

Die letzte und dritte Prognose aus meinem Adrenochromkaffeesatz betrifft die Bundestagswahl nächsten Monat.  Ein Blick nach Übersee genügt, um zu erahnen, womit Ende September die Telegram-Kanäle heiß laufen werden: Politische Verschwörungsmythen im engeren Sinne. Donald Trump, der nachweislich bewusst anordnete, das Wahlergebnis als Fälschung zu deklarieren, macht es vor: Wahlbetrugsvorwürfe und vor allem Briefwahlbetrugsvorwürfe sind uns im Herbst so sicher wie das Nieselwetter (wobei letzteres, angesichts der Klimakrise, nicht mehr ganz gesichert scheint; vielleicht gibt’s auch Grillwetter bis November). Egal, wie der lügendominierte Wahlkampf ausgeht, wird es heißen: Gefälscht, betrogen, fingiert, geht nicht mit rechten Dingen zu. „They stole the election“. Das alles natürlich verbunden mit Pandemie-Verschwörungserzählungen.

Trump streut Dolchstoß-Verschwörungslegende: So chaotisch reagiert QAnon

Man wird sagen, die Pandemie sei inszeniert worden, um eine Briefwahl zu forcieren, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Die falsche Schlussfolgerung, die Abertausende abermals daraus ziehen werden, wird lauten: „Auf die Straße! Ankämpfen gegen die Unterdrückung! Kampf für die Freiheit!“ Dass die Freiheit nicht weg war; dass es keinen Wahlbetrug gegeben haben wird; oder dass Impfungen wirken und die Pandemie existiert – das wird diese Menschen nicht aufhalten. Wie gefährlich solche Bewegungen schlimmstenfalls werden können, sahen wir als am 6. Januar „Man hat uns die Wahl gestohlen“-Trumpisten das US-amerikanische Kapitol stürmten und es zu Toten und Verletzten kam.

Trump sollte zeigen, dass es längst Zeit ist, auch gegen unsere Feinde der Demokratie vorzugehen

Bis dahin können wir nur tun, was wir schon die ganze Zeit tun: Informieren, so gut wir können und Gegenrede leisten, wo es geboten ist. Vor allem aber: Einen kühlen Kopf behalten. Uns nicht anstecken lassen von der Telegram-Panikmache. Aber vor allem den Sommer genießen – der Winter kommt schon früh genug.

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Artikelbild: Koldunov Alexey

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