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Von QAnon zu Gesara: Rechte satteln auf neues Verschwörungsmärchen um

von | Jan 18, 2023 | Analyse

QAnon, der rechtsextreme Verschwörungsmythos aus den USA, scheint seine Anhänger:innen in Europa immer weniger zu interessieren: GESARA ist der neue Stern am Himmel der Verschwörungsmärchen. Durch die Pandemie in Auftrieb geraten, spinnen die Macher:innen von GESARA die Absurdität wirtschaftlicher „Ideen“ nicht nur immer weiter, sondern nutzen die Existenzängste vieler Anhänger:innen dabei auch gezielt aus. Und man sieht: Den Märchengläubigen ist relativ egal, welcher Verschwörung sie jetzt hinterher laufen.

Gesara: Der neue heiße Scheiß in der Welt der Verschwörungsmythen

Die beiden Verschwörungsmythen, um die es in diesem Artikel geht, sind nichts Neues und zugleich brandgefährlich: Zum einen QAnon, seit 2017 im Netz aktiv. Und zum anderen GESARA, ein Finanzverschwörungsmythos, der auf der Publikation von Harvey Francis Barnard, einem US-amerikanischen technischen Berater und Lehrer, aus den 1990er Jahren beruht – auch bekannt als NESARA innerhalb der USA. „G“ im Akronym steht für „Global“, „N“ für „National“, daher die Unterscheidung, später mehr zur Bedeutung. Da wir uns im Artikel vor allem auf den europäischen Zuwachs konzentrieren, wird meist von GESARA die Rede sein.

Seit neuestem erfreut sich GESARA unter europäischen QAnon-Anhänger:innen an breitem Zulauf, wie das Investigativportal bellingcat analysiert hat. Obwohl viele Verschwörungsanhänger:innen nachweislich beiden Verschwörungsmythen anhängen oder Begriffe beider Mythen verwenden, werden in letzter Zeit immer mehr GESARA-Inhalte geteilt. Wieso das so ist und was so gefährlich daran ist, erfährst du in diesem Artikel.

Screenshot bellingcat.com

Wie GESARA entstand und mit den Ängsten der Menschen spielt

Alles begann mit Barnards Publikation in den 1990er Jahren, dem damals noch sogenannten National (später Global) Economic Security and Recovery Act (NESARA/GESARA). Übersetzen könnte man es mit „Gesetz für nationale/globale wirtschaftliche Sicherheit und Aufschwung“. Dies war sein Vorschlag zu ökonomischen Reformen, die beispielsweise den Rückkehr zum Goldstandard beinhalteten. Man kann über die ökonomische Sinnhaftigkeit von Barnards Reformvorschlägen streiten, fest steht jedoch, dass seine Publikation an sich noch nichts mit Verschwörungsmythen zu tun hatte. Erst Jahre später hat Verschwörungs-Bloggerin Shaini Goodwin über GESARA geschrieben. Sie stellte unter anderem Querverbindungen zu 9/11-Verschwörungserzählungen her. Mit ihren wahrheitswidrigen Behauptungen hat sie Barnards Ideen so sehr ins Absurde verdreht, dass GESARA im Internet zum Verschwörungsmythos mutierte. Barnard selbst distanziert sich mittlerweile von GESARA.

Die Idee des GESARA-Verschwörungsmythos ist, dass es bald einen globalen wirtschaftlichen Reset gäbe, der alle Schulden wie aus dem nichts verschwinden ließe und wirtschaftlich wertlose oder abgewertete Währungen auf mysteriöse Weise aufwerte. Besitzer:innen dieser Währungen würden sich demnach über einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung freuen können. Was natürlich nie der Fall war – bisher wurde jedes Datum des angekündigten Resets verschoben. Wenig verwunderlich – leider aber kein Ausschlusskriterium für Verschwörungsanhänger:innen, trotzdem weiter an GESARA zu glauben.

Seitdem entwickelte sich GESARA immer mehr zum ultimativen Finanzverschwörungsmythos, der mit einer Kombi aus Versprechen nach schnellem Geld und religiösem Kult zum Go-To-Verschwörungsmythos während der Pandemie wurde. Wie alle Verschwörungsmythen versucht auch GESARA komplexe politische, wirtschaftliche und soziale Phänomene einfach zu „erklären“ und bedient sich dabei an den wirtschaftlichen Existenzängsten vieler Menschen, die während Krisen wie der Covid-19-Pandemie unweigerlich auftreten. Schon bei 9/11 verdrehten GESARA-Anhänger:innen wild alle Fakten und behaupteten, dass die Anschläge auf das World Trade Center von Präsident Bush inszeniert worden seien, um den laufenden finanziellen Reset zu stoppen.

Pandemie befeuerte Drang nach einfachen Antworten – QAnon nicht mehr genug?

Mit der Pandemie veränderten sich viele Variablen, die dazu führten, dass GESARA aus der zwischenzeitlichen Vergessenheit nach dem Tod von Goodwin erwachte. Viele Menschen konnten weltweit aufgrund von Lockdowns nicht zur Arbeit gehen, da sie beispielsweise im informellen Sektor arbeiteten oder ihre Stelle gekürzt oder gestrichen wurde. Mit Beginn der Ukrainekrise stiegen weltweit auch Energie- und Lebensmittelpreise an, die weltweite Inflation (und keine gleichzeitige Anpassung der Löhne) stieg an: all das sind weitere Gründe, weshalb mehr Menschen in finanzielle Nöte geraten sind. Da kommen Verschwörungserzählungen, die eigentlich zu schön sind um wahr zu sein, sehr gelegen.

Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen eine Neigung haben, Verschwörungsmythen anzuhängen, fielen durch die weltweite pandemische Krisenlage, hinter der komplexe Gründe und Entstehungsmuster stecken, in das Netz solcher Verschwörungsmythen. Diese bieten einfache Lösungen an, wälzen die „Schuldfrage“ auf „Sündenböcke“ ab. Klassisches Beispiel: Die Lüge vom angeblichen pädophilen Kartell, das Kinder gefangen hält, die Donald Trump retten müsse – ein QAnon-Klassiker.

Märchen und Finanz-Scam

GESARA knüpft daran an und verspricht über einfache „Erklärangebote“ hinaus auch vermeintliche Auswege aus prekären Finanzsituationen. Damit spielen die Schaffer:innen dieser Mythen nicht nur mit den Ängsten und Sorgen der Menschen, sondern nutzen diese auch finanziell aus. Ob sie selbst daran glauben, dass der Simbabwische Dollar (der übrigens von Simbabwe selbst 2009 außer Kraft gesetzt wurde und seitdem nur eine von vielen kursierenden Währungen in Simbabwe ist) bald so viel wert sei wie der US-Dollar, sei mal dahingestellt.

Während der Lockdowns waren viele Leute zuhause, haben mehr Zeit im Internet verbracht und gleichzeitig trat ein neuartiges Virus auf, das vielen Menschen Angst einjagte. Während QAnon sich zwar auch auf die Suche nach Bösewichten begibt und seinen Anhänger:innen ein Freund-Feind-Denken indoktriniert, hat GESARA darüber hinaus einen vermeintlichen „Ausweg“ aus finanziellen Notlagen erschaffen, gepaart mit der Aussicht, dass klassische globale „Kontrollmächte“ bald abgeschafft würden. Es wurde den Leuten also Hoffnung ins Gehirn gepflanzt, wohl wissend, dass dies gerade das ist, was die Menschen am meisten brauchen. Und womit sie am leichtesten zu manipulieren sind.

Der Handel mit wertlosen Währungen – absurd, aber leider erfolgreich

Im GESARA-Online-Shop werden zuweilen Währungen wie der genannte Simbabwische Dollar, der irakische Dinar und der vietnamesische Dong zu horrenden US-Dollar-Preisen gehandelt, obwohl jene Währungen nur einen Bruchteil davon wert sind. Ungefähr ist das so, als würde man alte D-Mark-Scheine für 500 Euro das Stück kaufen, in der Hoffnung, Deutschland würde seine alte Währung bald wieder einführen. Diese Absurdität hält GESARA-Anhängerinnen aber nicht davon ab, die wertlosen Währungen fleißig zu erwerben. Bereits Donald Trump meinte, man solle doch alle Währungen auf einem „ebenen Level“ führen, das sei „das einzig Faire“. Und wenn Trump das sagt, klingt das doch sehr zuverlässig, oder? Oder??

Quelle: Screenshot by Bellingcat

In diesem Post kündigt GESARA-Influencer Nicholas Veniamin die Aufwertung von Währungen an, in die seine Anhänger:innen investierten. Das populärste Beispiel ist der irakische Dinar: seit Jahren versuchen Betrüger:innen im Netz Menschen mit wenig ökonomischem Wissen dazu zu überreden, in die abgewertete Währung zu investieren. Doch nicht nur in irakische Dinar: 2022 pries Veniamin den Kauf von einer Billion Simbabwischer Dollar an – für damals 428 US-Dollar! Ein praktisch nutzloser Kauf, denn, kurzer Reminder, Simbabwe leidet unter einer der krassesten Hyperinflationen in der modernen Geschichte und, obwohl eine Billion viel erscheint, ist die Währung im Land fast nichts wert.

Vertrauen in Verschwörungsmythen & wirtschaftliche Instabilität: eine tödliche Kombi

2021 überzeugten zwei QAnon-nahestehende Influencer Tausende ihrer Follower:innen, in eine Kryptowährung zu investieren, die offenkundig als betrügerisch eingestuft wurde. Verluste im Millionenbereich waren die Folge dieses abgekarterten Spiels. Und damit nicht genug: ein Mann aus den USA nahm sich bereits das Leben, da er Unsummen in die Kryptowährung investierte und angesichts seines wachsenden Schuldenberges keinen anderen Ausweg mehr sah. An Verschwörungsmythen zu glauben, kann dich also nicht nur einen Batzen Geld, sondern sogar das Leben kosten.

Fazit: Verschwörungsmythen sind austauschbar, aber immer manipulativ

Die Abkehr von QAnon hin zu GESARA zeigt, wie austauschbar Verschwörungsmythen sind – Hauptsache, sie erklären die aktuelle Weltlage möglichst simpel. Man kommt fast zu dem Schluss, dass es vielen Leuten egal ist, woran sie glauben. Traurig, aber leider, wie das Beispiel von GESARA zeigt, wahr. Was ist das Learning aus der Geschichte? Leute, glaubt nicht einfach irgendwelchen dubiosen Influencer:innen, die schnelles und unkompliziertes Geld in hohen Beträgen versprechen. Klingt eigentlich logisch, aber das ist ja meistens die Krux an der Sache: oftmals sind die Anhänger:innen von Verschwörungmythen schon so tief drin im Sumpf und derart manipuliert worden, dass gesunder Menschenverstand nicht mehr weiterhilft.

Wie absurd und verzweifelt die QAnon-Verschwörungserzählung ist, zeigt diese Episode von vergangenem Jahr: Friedrich Merz leistete sich einen Versprecher im Bundestag, QAnon machte daraus gleich eine neue Verschwörung. Wir berichteten. Falls euch das mit dem „Reset“ und den Lügen und Verschwörungsmythen schon bekannt vorkam: Ja, das ist quasi das gleiche Schema wie beim „Great Reset“:

Artikelbild: Orlowski Designs LLC