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Warum du diese gefälschte Tagesschau-Wetterkarte jedes Jahr wieder siehst!

von | Jul 3, 2023 | Faktencheck

Alle Jahre wieder: Klimaleugner:innen ist bekanntlich viel daran gelegen, Desinformation und Misstrauen zu streuen – anders könnten sie ihre kruden ‚Thesen‘ auch schlecht belegen. So kommt es vor, dass wir in Social Media jedes Jahr von Neuem auf eine Tagesschau-Wetterkarte stoßen, die angeblich als großer Beweis gegen die Klimakrise angeführt wird. Aktuell wieder im Programm: Der Vergleich zweier Wetterkarten der Tagesschau, eine aus dem Jahr 1997 und eine aus 2023, fabriziert von einem AfD-Politiker. Der Trick: Die Tagesschau hat unterschiedliche Farbskalen je Jahreszeit. Vergleicht man die Karten vom jeweils gleichen Tag, sieht man: 1997 war die Karte tatsächlich eher sogar mehr rot als heute!

So wollen dich rechte verarschen

Die Behauptung der rechten Betrüger: Die Tagesschau hätte ihre Farbgebung über die Jahrzehnte so angepasst, dass gleiche Temperaturen heute viel heißer aussehen würden. Auf diese Art manipuliere die Tagesschau die Zuschauenden. Weil – so implizit – die Temperaturen in Wahrheit gar nicht heißer geworden seien, sondern nur die Berichterstattung diesen Eindruck erwecken wolle. Natürlich alles gelogen. Ein Blick über den Tellerrand der Verschwörungsbrühe hinaus sowie ein bisschen mehr Kontext machen schnell klar: Dem ist nicht so. Die Temperaturen werden lediglich zu unterschiedlichen Jahreszeiten in Einklang mit den erwarteten Temperaturen unterschiedlich dargestellt. Denkt daran: Die letzten 9 Jahre waren die heißesten 9 Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Das ist die Wahrheit, vor der euch die rechten Lügner ablenken wollen:

Klimaleugner vergleichen Frühlings- mit Sommerkarte

Auf Facebook kursierte ein Post – der mittlerweile, womöglich aufgrund der offensichtlichen Fehlinformation, gelöscht wurde – in dem es ironisch heißt: „Offensichtlich sind 26° Celsius heute viel heißer als noch vor 26 Jahren.“ Abgebildet sind eine Wetterkarte der Tagesschau von 1997 neben einer weiteren Wetterkarte der Tagesschau von 2023. 1997 reichen die Temperaturen quer durch Deutschland verteilt von 22 bis 28 Grad, 2023 von 15 bis 28. 1997 ist die Farbgebung zum größten Teil in Gelb-, Grün- und Orangetönen gehalten, lediglich rund um Hamburg, Kiel und Berlin geht es ins Rötliche. 2023 sieht das etwas anders aus, beinahe ganz Deutschland scheint von einem hell- bis dunkelrötlichen Schleier überzogen.

Warum also sieht die Wetterkarte 1997 so viel milder aus als 2023? Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die linke Wetterkarte stammt vom 13. Juli 1997. Zu diesem Zeitpunkt sind die abgebildeten 22 bis 28 Grad im Vergleich zu den erwarteten Temperaturen eher mild. Für den 4. Juni 2023 sind jedoch Temperaturen bis zu 28 Grad vergleichsweise hoch – und werden rot dargestellt. Das liegt daran, dass die Tagesschau verschiedene Farbskalen für verschiedene Jahreszeiten verwendet. Mit ihrem Datum vor der Sommersonnenwende am 21. Juni gilt die Karte von 2023 als Frühlingskarte. Die Temperaturen sind demnach für den Zeitraum eher hoch und werden rot dargestellt. 1997 handelt es sich jedoch um eine Sommerkarte.

Die rechten Sharepic-Teiler belügen euch!

Tatsächlich werden die Karten mittlerweile sogar häufiger als zu den wechselnden Jahreszeiten angepasst. Der Grund: Würde man sie nicht häufiger anpassen, wäre laut Silke Hansen, Leiterin der Wetter-Redaktion beim Hessischen Rundfunk die ganze Karte rot. Denn mittlerweile wird es häufig schon früher im Jahr wärmer. Wolle die Tagesschau also wirklich manipulieren und mit roten Farben schocken, würde sie dann weitere Abstufungen einführen? Vermutlich nicht.

Übrigens: Das Recherchezentrum Correctiv war mal so frei, einen faireren Vergleich anzustellen. Dafür tauscht es die Wetterkarte vom 13. Juli 1997 mit der vom 04. Juni 1997 aus. Nebeneinander liegen nun also Wetterkarten des gleichen Tags mit 26 Jahren Abstand. Und siehe da: Die Wetterkarte von 1997 sieht mit nicht wesentlich wärmeren Temperaturen fast noch rötlicher aus als die aktuelle.

4. Juni 1997 und 4. Juni 2023

Farben der Tagesschau wurden über die Jahre intensiver – zur besseren Erkennbarkeit

Zugegeben, die Tagesschau hat die Intensität der Farben seit 2002 zweimal angepasst, einmal 2005 und dann erneut 2014. Das bestätigte die NDR-Pressesprecherin Barbara Jung gegenüber Correctiv. Allerdings handelt es sich hier bei um technischen Fortschritt, nicht irgendeine Aluhut-Verschwörung. Aufgrunddessen sind alle Farben der Wetterkarten der Tagesschau und anderer Wettererzeugnisse des NDR intensiver geworden – nicht nur das Rot. Das hat übrigens viele Vorteile: „Je größer das Farbspektrum, desto größer der Kontrast, desto besser lässt sich der Inhalt der Grafik für die Zuschauerinnen und Zuschauer erkennen“, so Jung.

Der zusammenhanglose Wetterkarten-Vergleich ist nichts Neues

Klimaleugner:innen bedienen sich dem zusammenhanglosen Wetterkarten-Vergleich leider immer wieder. Die Tagesschau hat sich bereits im Sommer 2022 in einem Hintergrund schriftlich zu Vorwürfen der Manipulation geäußert. Damals warf AfD-Rechtsextremist Georg Pazderski den Tagesthemen vor, 2022 für ähnliche bzw. niedrigere Temperaturen rote Farben zu verwenden, während 2017 noch die ganze Wetterkarte grün gewesen sei. Auch hier gibt es für Interessierte eine einfache Erklärung: Seit 2020 wird das Wetter für die Tagesthemen vom ARD-Kompetenzzentrum gestaltet, während es zuvor noch von unterschiedlichen Redaktionen und Firmen stammte. Mit diesem Schritt ging eine Vereinheitlichung des Designs einher – die verschiedenen Wetterprogramme passten sich der Gestaltung der Tagesschau an.

Auch der Vergleich einer Wetter- mit einer Temperaturkarte sorgt regelmäßig für Verwirrung. Darüber berichtete der Volksverpetzer bereits 2019. Auch sie werden als ‚Beweis‘ der vermeintlichen Manipulation angeführt. Zur Desinformation eignen sich die beiden Karten daher so gut, weil Temperaturen mithilfe verschiedener Farben (bei vergleichsweise hohen Temperaturen nun mal rot) dargestellt werden, das Wetter jedoch nicht. So heißt es dann schnell, die Tagesschau würde manipulieren, wenn eine grüne Wetterkarte von 2009 mit einer roten Temperaturkarte von 2019 verglichen werden. Fakt ist aber, dass Wetterkarten bei der Tagesschau stets ohne Einfärbungen sind. Einer roten Temperaturkarte gehört also durchaus eine grüne Wetterkarte an.

Klimaleugner hoffen auf möglichst weit verbreitetes Misstrauen – Lass dich nicht manipulieren!

Es ist wie so häufig: Klimaleugner:innen setzen gar nicht unbedingt darauf, dass alle ihren Fakes glauben. Es geht vor allem darum, auch bei Menschen, die ihrer Desinformation nicht direkt zum Opfer fallen, Misstrauen zu säen. Die Tagesschau ist tatsächlich eines ihrer liebsten Ziele – denn sie steht nicht nur für die viel verhassten „Mainstream-Medien“, sondern zugleich auch noch für die Öffentlich-Rechtlichen. Und die wollen Klimaleugner:innen diskreditieren, wo sie können. Gerade erst kürzlich versuchten sie mit ähnlich verqueren ‚Beweisen‘ zu zeigen, dass die Tagesschau lügt und das Niedrigwasser im Rhein die Schifffahrt gar nicht einschränkt. Mal wieder weit gefehlt, denn wie der Volksverpetzer berichtete, stand nicht nur die Bedrohung einer zukünftigen Einschränkung im Raum, die Schifffahrt war bereits eingeschränkt.

Völlig ohne Zusammenhang Fake News in den Raum zu stellen, ist einfach und geht schnell. Man nehme eine aktuelle Wetterkarte und vergleiche sie mit einer – völlig zusammenhanglosen – veralteten Wetterkarte. Kontext? Fehlanzeige. Sinn? Ebenfalls, Fehlanzeige. Worauf Klimaleugner:innen also setzen (müssen), ist die Leichtgläubigkeit und Verschwörungsfreude ihrer Leser:innen. Und: Dass die so leicht gestreuten Fakes sehr schwer aus den Köpfen zu bekommen sind. Sind die Zweifel erst da, gelten sie nicht nur den vorliegenden Wetterkarten, nicht nur der gesamten Tagesschau oder den Öffentlich-Rechtlichen, sondern im schlimmsten Fall direkt sämtlicher Berichterstattung über die Klimakrise sowie der Klimakrise selbst. Klimaleugner:innen ziehen auf diese Weise Menschen auf ihre Seite, die nicht nur un- bzw. desinformiert bleiben, sondern dem Klima – und damit ihren Mitmenschen – direkt schaden.

Artikelbild: Screenshot correctiv.com