Es ist mal wieder so weit, die BILD macht Stimmung gegen Klima-Aktivist:innen und verbreitet im Zuge dessen Desinformation. Wie immer eben. Zuerst einmal, was wirklich vorgefallen ist: Ein Klima-Aktivist der Letzten Generation wurde während einer Sitzblockade in Berlin unter Anwendung eines Schmerzgriffs durch zwei Polizisten von der Straße getragen. Die Letzte Generation legte vor dem Verwaltungsgericht Berlin Beschwerde im Eilverfahren ein. Das Gericht hat aber NICHT entschieden, ob die Schmerzgriffe angebracht waren oder nicht. Diese Beschwerde wurde nur abgewiesen, da kein Eilverfahren nötig sei. Die Aktivisten sollen stattdessen den Weg über das Oberverwaltungsgericht gehen, was sie auch angekündigt haben. Also wurde entschieden, eine “vorbeugende Unterlassung” nicht zu verhängen – also der Polizei solche Schmerzgriffe vorläufig im Eilverfahren untersagen. Aber NICHT, ob sie grundsätzlich rechtmäßig waren.
Die BILD titelt daraufhin wie immer irreführend „Gerichts-Klatsche für Klima-Kleber!“. Obendrüber: „SCHMERZGRIFFE RECHTMÄSSIG“. Das ist halt einfach nicht richtig. Aber wer erwartet noch ehrlich Berichterstattung von BILD? Dass der dazugehörige Text beinahe selbst darauf hinweist, dass das so nicht stimmt, ist in Anbetracht der Dimension der BILD-Überschriften dann auch schon hinfällig.
Ablehnung des Eilantrags – keine Entscheidung über Schmerzgriffe
Das Video ging durch sämtliche soziale Plattformen und schockierte. Aufgenommen am 20. April in Berlin zeigt es einen Polizisten, der einem Klima-Aktivisten Schmerzen androht, wenn dieser nicht tut, was der Polizist möchte. Daraufhin wird der Klima-Aktivist mit Schmerzgriffen an Kinn und Arm von zwei Polizisten aus der Straßenblockade getragen. Diesen Übergriff nahm die Letzte Generation zum Anlass, Beschwerde im Eilverfahren einzureichen. Er wurde abgelehnt – aber entgegen der falschen Darstellung von BILD nicht etwa, weil die Schmerzgriffe rechtmäßig wären. Das Berliner Verwaltungsgericht hat den Antrag vielmehr aus formellen Gründen abgelehnt. Denn laut eigener Aussage könne das Gericht im Eilverfahren nicht entscheiden, ob der Schmerzgriff durch die Polizei rechtmäßig war. BILD lügt also wieder mal.
Auch der Forderung der Letzten Generation auf die Verhängung einer vorbeugenden Unterlassung könne das Gericht demnach nicht nachkommen. Dafür müsste zunächst die konkrete Gefahr gegeben sein, dass die Polizei in Zukunft weitere Schmerzgriffe anwende. Zwar werden Aktivist:innen nach Ansicht des Gerichts häufig im Rahmen von Straßenblockaden weggetragen, aber es gebe laut Gericht keine Hinweise darauf, dass dies regelmäßig unter der Anwendung von Schmerzgriffen stattfindet. Über den Inhalt der Beschwerde sagt der Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts also nichts aus – und ganz sicher nicht, wie von BILD behauptet, dass Schmerzgriffe rechtmäßig seien.
Letzte Generation strebt ein Hauptverfahren an
Stattdessen besteht für das Anliegen der Letzten Generation weiterhin Hoffnung. Das Berliner Verwaltungsgericht hat im Rahmen seines Beschlusses darauf hingewiesen, dass über die Rechtmäßigkeit von Schmerzgriffen lediglich in einem Hauptverfahren entschieden werden könne. Diesen Weg wolle die Letzte Generation laut Sprecherin Carla Rochel nun auch einschlagen. Demnach sagte sie gegenüber rbb24:
„Damit wollen wir endlich inhaltlich klären, ob eine solche Anwendung von Schmerzgriffen verhältnismäßig ist oder ob es nicht einfach Folter ist, einen Menschen durch das Zufügen von Schmerzen zu einer Handlung zu bewegen.“
Darüber hinaus ist auch die Polizei gezwungen, sich dem Thema zu widmen. In Berlin wird aktuell wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt.
BILD heizt wachsende Gewaltbereitschaft gegen Aktivisten an
Die BILD scheint derweil kein Interesse an einer Richtigstellung ihrer Falschinformation zu haben. Bereits am 12. Mai wies Anwalt Jun auf Twitter auf die falsche Überschrift hin. „Bild kann oder will einen Beschluss des VG Berlin nicht richtig verstehen“, schreibt er. „Das Gericht sagte, dass die Feststellung nicht im Eilverfahren erfolgen kann. Die Bild macht daraus eine Rechtmäßigkeit von Schmerzgriffen.“ Sie zieht diese Desinformation seither nicht zurück. Noch sechs Tage nach Veröffentlichung des Artikels und fünf Tage nach Anwalt Juns Tweet prangt „SCHMERZGRIFFE RECHTMÄSSIG“ in roten Lettern auf bild.de
Weder Desinformation noch tendenziöse Meinungsmache sind bei BILD sonderlich überraschend. Verachtungswürdig und gefährlich sind sie dafür umso mehr. Letzteres insbesondere deshalb, weil die BILD eine wachsende Gewaltbereitschaft gegen Klima-Aktivist:innen aus der Zivilgesellschaft aufgreift und mit ihrer vermeintlichen „Klatsche“ noch anheizt. Denn nicht nur Polizist:innen wenden im Umgang mit Protestierenden-Gewalt an – wie neben Berlin auch mehrfach in Lützerath zu beobachten.
Eine Vielzahl an Ermittlungsverfahren macht seit geraumer Zeit darauf aufmerksam, dass auch die Zivilbevölkerung gewalttätig wird. So zerren Autofahrer:innen Blockierende eigenhändig von der Straße, fahren sie an oder treten und schlagen auf sie ein. Und auch Passanten, denen durch die Straßenblockaden keinerlei Nachteil entsteht, beteiligen sich an den gewalttätigen Übergriffen. BILD setzt sich mit seinen reißerischen und falschen Überschriften also ins gemachte Nest. Oder aber: Es zieht die gewalttätige Zivilbevölkerung mithilfe der hetzerischen Artikel selbst heran.
Vielleicht versteht man die Motivation, Hass mit Lügen gegen Klimaaktivismus zu erzeugen, deutlicher, wenn man weiß, dass BILD zum Axel-Springer-Verlag gehört, der Mathias Döpfner gehört, die Zeitungen für gezielte Beeinflussung der Öffentlichkeit im Wahlkampf nutzen (“Please stärke die FDP”) oder auch zu Teilen KKR, eines der weltweit größten private equity Firmen, die noch in fossile Energie investieren.
Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Schmerzgriffen steht noch aus
Nein, Schmerzgriffe wurden nicht für rechtmäßig erklärt. Übrigens auch keine andere Form von Gewalt gegenüber Klimaaktivist:innen. Aufpassen dazu auch vor Desinformation zu “Notwehr” gegen Klimakleber. Gewalt ist zutiefst zu verurteilen und darüber hinaus strafbar (wenn sie von der Polizei kommt, nur bei unverhältnismäßiger Anwendung). Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Schmerzgriffen durch die Polizei steht derweil noch aus, auch wenn die Lügen-BILD wieder mal etwas Falsches erzählt.
Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa