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Gastbeitrag eines FDP-Wählers: „Ich halte die Wahl in Thüringen für eine Katastrophe“

von | Feb 5, 2020 | Aktuelles, Gastkommentar

Gastbeitrag eines FDP-Wählers

Als Thomas, Chefredakteur von Volksverpetzer, mich fragte, ob ich eine Stellungnahme zu Thüringen abgeben soll war ich zögerlich. Denn als FDP Wähler gehört man nicht unbedingt zu denen, die der Leserschaft des Volksverpetzers entsprechen. Allerdings verbindet uns eine lange Freundschaft, in der wir viel diskutiert gestritten und uns auch wieder vertragen haben.

Das gilt aber nicht nur für Thomas. Ich habe selber einen Freundeskreis aus Konservativen, Linken und natürlich Liberalen, wobei ich mit den ersten beiden oft aneinander gerate. Das finde ich nicht schlimm, Diskussionen halte ich für gewinnbringend. Für die Leserschaft des Volksverpetzers: Nein, Liberale wollen nicht nur die Interessen von Unternehmen umsetzen. Im Gegenteil sind wir der Meinung, dass der Staat sich nur dann einmischen soll, wenn es notwendig ist. Beispiel gefällig?

Ich bin kein Freund des Mindestlohns. Nicht weil ich möchte, dass Unternehmen viel verdienen und Arbeitnehmer ausgebeutet werden. Nein, weil ich es für falsch halte, dass jemand, der zum Beispiel in Köln oder München wohnt, dasselbe verdient wie jemand im Ruhrgebiet oder auf dem Land. Denn die Lebenskosten unterscheiden sich massiv und es sollte Aufgabe von Gewerkschaften und Betriebsräten sein, Löhne auszuhandeln, die angemessen sind, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Ich könnte weitere Beispiele bringen, wichtig nur: Wir wollen Dinge anders regeln und den Menschen selber die Möglichkeiten in die Hand geben, die Gesellschaft zu gestalten – und sie auch dazu befähigen.



„Eine Katastrophe“

Nun zu Thüringen und dem Wahlausgang. Was nun genau zu dem Wahlergebnis geführt hat, ist für mich erstmal unklar: Zwischen Absprachen im Geheimen bis zu völliger Überraschung, dass die AfD für einen stimmte, halte ich auch alles für möglich. Kemmerich war bislang Provinzpolitiker und auf Landesebene unbekannt. Da ich natürlich der FDP eher wohlgesonnen bin, halte ich folgendes für denkbar: Die AfD hat ohne Absprachen mit der FDP für Kemmerich gestimmt nach dem Motto „Lieber ein Liberaler als ein Linker“. Dass das von Anfang an der Plan der AfD gewesen ist, haben sie ja schon hämisch zugegeben.

Unanständig dabei ist jedoch, dass die FDP mit der CDU auch das Ziel verfolgt hat und daher dieses Wahlergebnis in Kauf genommen hat. Wenn man denn nachsichtig wäre. Denn es kann wie erwähnt schlimmer gewesen sein und Absprachen gegeben haben. Anständig wäre es gewesen, die Wahl nicht anzunehmen, da der Preis für eine Verhinderung eines Ministerpräsidenten der Linkspartei zu hoch war. Wohlgemerkt: Ramelow ist ein gemäßigter Politiker, der auch in den Parteien der Mitte genau so vorkommen könnte – während die Thüringer AfD von Höcke geführt wird. Einem Mann, der auch durch richterliche Instanzen bestätigt als Faschist bezeichnet werden kann.

Gerichtlich bestätigt: Man darf Höcke als „Faschist“ bezeichnen

Und damit komme ich zu meinem Fazit: Natürlich finde ich das Ergebnis eine Katastrophe und ich freue mich, dass die FDP außerhalb Thüringens dies ähnlich sieht. Denn Faschisten bedrohen uns alle, nicht nur Linke. Sie bedrohen unsere gesamte Demokratie.

Aber ich vermute ohnehin, dass diese „Regierung“ nicht lange halten wird. Annegret Kramp-Karrenbauer hat bereits erklärt, dass die CDU keine Minister in einem Kabinett Kemmerich stellen wird, Grüne und SPD ohnehin nicht. Eine Minderheitenregierung wird nicht funktionieren, da die linken Parteien sich die Aktion nicht gefallen lassen werden und eine solche Regierung platzen lassen werden.

„Verrat am demokratischen Konsens“

Und selbst wenn: Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen FDP und AfD? Natürlich sagen manche: Ja, denn beide wollen, dass Reiche reich und Arme arm werden. Ich kenne diese Aussagen, wobei natürlich die Kritik im Hinblick auf Unternehmensfreiheit zumindest diskutiert werden kann. Aber dann doch verkürzt ist, das ist aber ein anderes Thema.

Dazu sollte man die Begriffe „negative“ und „positive“ Freiheit einführen: Negative bedeutet „Freiheit von“. Das bedeutet, dass es wenig Verbote oder Vorgaben gibt, sondern das man selbstbestimmt Handeln kann. Da wäre vielleicht noch eine Gemeinsamkeit mit dem wirtschaftliberalen Flügel der AfD, der aber in Höckeland wenig existent ist. Der bedeutet auch Freiheit für Unternehmen, mit der die FDP gerne in Verbindung gebracht wird. Gehen wir aber einen Schritt weiter und denken an die Gesellschaft so ist sehr schnell Schluss: Liberale fordern diese Freiheiten auch für Homosexuelle und Transpersonen – und da ist natürlich deutlich, dass es hier keine Schnittmengen mit den Faschisten gibt.

Freiheiten AfD vs FDP

Zudem versteht die AfD „Freiheit von“ auch als Freiheit von einem bestimmten Geschichtsverständnis. Dafür möchte sie aber ein ganz anderen den Menschen aufzwingen: Höckes Vorstellung von Deutschland ist eine kitschige Melange aus Wagner und Gebrüder Grimm Märchen, die so nie existiert hat. Die Geschichte wird verklärt zu etwas, was sie nie gewesen ist, um Prinzipien für das hier und jetzt abzuleiten. Diese idyllische Vorstellung hat keinen Platz für Kontroverse, Inkonsistenzen und Kritik. Es geht um Komplexitätsreduktion, die im Chauvinismus endet. Ausgegrenzt gehört alles, was da nicht reinpasst. Auch hier zeigt sich der Gegensatz zum Liberalismus, denn wir wollen Menschen nicht nach Hautfarbe, Religion oder ähnlichem unterteilen, sondern alle Menschen als gleichwertig ansehen.

Aber es gibt noch die Positive Freiheit. Diese bedeutet „Freiheit zu“. Also zu Teilhabe, die Fähigkeit am demokratischen Diskurs teilzunehmen, Mitspracherechte wahrzunehmen und auch Gesellschaft mit zu gestalten. Eine Partei, die vorhat, ein bestimmtes Geschichtsverständnis durchzusetzen, freie Forschung beschneiden will und in der schulischen Bildung die eigene Ideologie durchsetzen will (Verbot von „Genderwahn“ bis „Homosexuellenpropaganda“) hat damit nichts zu tun. Wer Freiheit zu meint, meint auch Teilhabe unabhängig von Geschlecht, Herkunft usw.

„zutiefst unanständig“

Es wird deutlich: Einerseits muss ich das, was in Thüringen grad passiert als zutiefst unanständig bezeichnen, ideologische Schnittmengen zwischen AfD und FDP aber ganz klar auch dementieren. Denn ich frage mich, sollte es zum schlimmsten kommen und eine Koalition aus AfD, CDU und FDP entstehen: Wie soll diese funktionieren? Es kann eigentlich nicht funktionieren. CDU und FDP haben einen Partei der Linkspartei verhindert, aber sich  dabei selbst ins Knie geschossen. Und zwar so tief, dass es so schnell nicht verheilen wird.

Zum Thema:

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Gastautor: Stefan Müller. Artikelbild: pixabay.com, CC0