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Diese Studie zeigt, warum Menschen die AfD wählen & was man dagegen tun kann

von | Okt 24, 2019 | Aktuelles, Bericht, Hintergrund

Es ist amtlich, was wir schon lange wissen (Studie)

Es kommt wenig überraschend, doch jetzt ist es offiziell bestätigt: Die Alternative für Deutschland ist vor allem dort erfolgreich, wo es viel Arbeitslosigkeit und vor allem einen niedrigen Ausländeranteil gibt. Eine Studie der Universitäten Bielefeld und Münster kommt zu diesem Schluss. Schon der Titel der Studie fasst zusammen, welcher Fakt dabei besonders wichtig ist:

Climate of Hate: Similar Correlates of Far Right Electoral Support and Right-Wing Hate Crimes in Germany

(Frei übersetzt: „Klima des Hasses: Enge Korrelation von rechten Wahlergebnissen und rechten Hassverbrechen in Deutschland“)



Um was ging es?

Die Wissenschaftler verglichen Wahlergebnisse der AfD sowie rechte Hasskriminalität mit soziostrukturellen Variablen wie eben dem Ausländeranteil und der Arbeitslosenrate in bestimmten Gebieten. Die Studie war damit die erste, die diese Zusammenhänge bis auf kommunale Ebene zurückverfolgte mit dem Ziel, empirische Aussagen über diese Zusammenhänge treffen zu können.

Grobe Zusammenfassung: Desto mehr Arbeitslosigkeit und desto geringer der Ausländeranteil, desto höher ist im Schnitt das Ergebnis der AfD. Gleichzeitig fanden sie übrigens auch heraus, dass die Variablen „Arbeitslosigkeit“ und „Ausländeranteil“ keinen eindeutigen Zusammenhang haben. Damit kann also ausgeschlossen werden, dass z.B. die AfD nur wegen der hohen Arbeitslosigkeit gewählt wurde und der Ausländeranteil nicht mit der AfD, sondern der Arbeitslosigkeit korreliert.

Eine Besonderheit gab es aber diesbezüglich doch: Während Arbeitslosigkeit und AfD überall in Deutschland zusammenhängen, ist der Zusammenhang zwischen einem niedrigen Ausländeranteil und AfD-Erfolgen vorrangig in Ostdeutschland zu beobachten.

Die Hintergründe

Natürlich ist klar, dass wir nicht erst seit der Bundestagswahl 2017 ein Problem mit Rechtspopulisten haben. Und dass eigentlich auch die Ermordung von Walter Lübcke nicht der erste rechte Terrorakt war. Die Studie stellt nämlich klar fest, dass es einen Anstieg von rechter Hassgewalt schon seit vielen Jahren gibt – besonders in Westeuropa. Erster trauriger Tiefpunkt: Das Massaker von Utoya 2011. Doch überraschenderweise wurde von vielen außerhalb des linken Spektrums dieser eigentlich offensichtliche Zusammenhang von rechten Wahlerfolgen und rechter Gewalt lange totgeschwiegen oder kleingeredet.

Der lange bekannte Zusammenhang: Arbeitslosigkeit.

Dabei ist genau dieser Zusammenhang schon seit langer Zeit bekannt. Bereits 1948 erkannte und untersuchte eine Studie die Zusammenhänge zwischen den Wahlergebnissen radikaler Parteien und der Arbeitslosigkeit gegen Ende der Weimarer Republik. Auch die Autoren der „Climate of Hate“-Studie zitierten sie. Ging man anfangs noch pauschal davon aus, dass Arbeitslose eher radikale Parteien wählen, ist man mittlerweile dazu übergegangen, genauer zu analysieren, was wie zusammenhängt. Dabei kam heraus: Der Faktor „soziale Isolation“ hat einen besonders engen Zusammenhang mit rechtsradikalem Wahlverhalten. Allerdings ist er als alleiniger Grund unzureichend. Denn es erklärt zum Beispiel nicht, wieso in Ostdeutschland so deutlich mehr Menschen rechtsradikal wählen als in den „alten“ Bundesländern.

Das Problem des geringen Ausländeranteils

Diese Frage lösen die Autoren mittels der Kontakthypothese von Gordon Allport. Diese besagt vereinfacht gesagt: Verschiedene soziale Gruppen werden eher miteinander klar kommen, wenn einzelne Mitglieder untereinander Kontakte knüpfen. Das heißt: Damit „Einheimische“ und „Flüchtlinge“ im sozialen Frieden miteinander leben können, muss es viele einzelne Kontakte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen geben.

Und das ist nun einmal im Osten Deutschlands schwieriger. Da hier der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund viel geringer ist als im Westen der Republik. Deswegen können Ostdeutsche weniger einzelne Kontakte mit Migranten knüpfen. Die Beziehung zwischen „Einheimischen Ostdeutschen“ und „Flüchtlingen in Ostdeutschland“ tendiert deswegen immer zu Spannungen.

Ein wichtiges Zitat aus der Studie:

However, according to intergroup contact theory, hate-crimes should be most frequent in areas with low rates of outgroup individuals, that is, for example, foreigners and refugees.

Eigene Übersetzung: „Jedenfalls ist, nach der Kontakthypothese, zu erwarten, dass Hasskriminalität in Gebieten mit wenigen Fremdgruppenindividuen (z.B. Fremden und Flüchtlingen) besonders hoch ist.“

Was ist neu an der Studie?

Inhaltlich ist tatsächlich relativ wenig wirklich überraschend. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Radikalismus ist ja hinlänglich bekannt. Auch die Tatsache, dass in Ostdeutschland eher Ressentiments gegen Flüchtlinge herrschen, obwohl dort kaum Flüchtlinge leben, haben wir ja schon vor langer Zeit festgestellt. Tatsächlich neu ist, dass das alles jetzt endlich einmal wissenschaftlich zusammengefasst wurde.

Viele Leser unseres Blogs haben vermutlich schon länger das Gefühl, dass die Ostdeutschen tendenziell eher Angst vor einem Phänomen haben, das bei ihnen gar nicht stattfindet. Wer sich dafür konkreter interessiert, kann übrigens gerne zumindest mal die Einleitung lesen (Englisch). Diese Korrelation ist jetzt mit Zahlen und Fakten belegt, auch die Kausalität dahinter wurde herausgearbeitet.

Doch es gibt auch noch einen anderen, praktischen Wert, den die Studie hat: Sie stellt auf wissenschaftlicher, möglichst objektiver Basis klar, dass Walter Lübcke, das Attentat von Halle, der NSU und wie sie alle heißen, keine Einzelfälle waren. Dahinter steckt ein automatisiertes System der stufenweisen Eskalation.

Die Neue Rechte weiß, dass sie vor allem in Ostdeutschland ihr Potenzial ausschöpfen kann. Die Studie belegt das und analysiert die Hintergründe. Damit ist es möglich, die sozio-strukturellen Probleme in Deutschland und besonders in den neuen Bundesländern nüchtern zu betrachten. Ohne, dass gleich alle Ostdeutschen pauschal als „radikal“ und „Nazis“ dargestellt werden. Ich bin immerhin selbst auch Ostdeutscher. Aber auch ohne, dass die AfD immer das Totschlagargument bringt, das habe „ja alles nichts miteinander zu tun“.

Rolle der AfD

Aber diese Studie sagt eigentlich nicht direkt etwas über die AfD aus. Die AfD wird eher als Indikator der zunehmenden Radikalisierung nach rechts verwendet. An der AfD erkennt man diese Radikalisierung. Doch die AfD ist auch selbst Teil des Problems.

Immerhin zeigt sie ja den potentiell Rechtsradikalen auf, dass es einen Weg gibt, diesen Rechtsradikalismus mindestens am Rande der Verfassung zu verwirklichen. Gäbe es die AfD nicht, die dieses Potential der Radikalisierung gnadenlos abschöpft, dann wären diese Probleme immer noch vorhanden – doch sie hätten keine Chance, derart organisiert aufzutreten und sich untereinander zu verknüpfen. Aber vielleicht hat die AfD ja doch was Gutes.



Fazit

Denn sie ist zwar der organisierte Arm zunehmender rechter Gewalt. Doch „dank“ ihr beschäftigen sich Wissenschaft und Politik intensiver mit der Problem der sozialen Struktur. Falls das eure Aussageabsicht war, liebe AfDler: Danke. Wir wissen es jetzt. Ihr könnt wieder abtreten.

Falls das nicht der Fall war, wovon ich ausgehe, steht uns aber noch ein weiter Weg bevor. Wir müssen den schwierigen Spagat schaffen, einerseits die realen, sozialen Probleme beheben, andererseits die AfD davon abhalten, ihre überdrehten, fanatischen Feindbilder und Horrorszenarien in echte Politik umzusetzen. Deswegen: Teilt diesen Artikel und noch viel wichtiger diese Studie! Sie sollte noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, denn sie kann entscheidend zur Rückkehr zum Rationalen beitragen.

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Artikelbild: Aaron Amat, shutterstock.com