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Shitstorm, Terror & Morddrohungen: Kinderarztpraxis Ziel von Querdenkern

von | Okt 26, 2022 | Aktuelles

Hass und Hetze im Netz können Existenzen zerstören und Menschenleben gefährden, das ist hinlänglich bekannt. Den „Querdenker“-Anwalt Haintz hat das nicht davon abgehalten, unüberlegt einen Aufruf zu verbreiten, in dem Behauptungen über eine Arztpraxis aufgestellt wurden und zum Hass gegen die Betreiber:innen aufgerufen wurde. Die behandelnde Ärztin im Beitrag wurde buchstäblich verteufelt – es ist gar von „Teufels-Praxis“ die Rede.

Auf den Beitrag folgte eine regelrechte Terrorisierung der Praxis: Mail und Telefonleitung waren voll mit Drohungen und Belästigungen. Wieder mal ein brutales Beispiel, wie die extremistischen „Querdenker:innen“ Hass verbreiten und die Existenzen unliebsamer Mitmenschen bedrohen. Die, die immer von Meinungsdiktatur und Cancel Culture reden, canceln nun selbst auf mieseste Art und Weise. Erst später löschte „Querdenker“ Haintz seinen geteilten Beitrag und gestand ein, dass er da wohl einen Fehler gemacht habe. Aber auch nur dahingehend, dass er den Beitrag nicht richtig gelesen hatte. Inhaltlich distanzierte er sich nicht davon und er verurteilte auch nicht den Mob, der seitdem loszog um die Praxis zu bedrohen.

Hass im Netz kann töten

Die Folgen von Hass und Hetz im Netz sind real. Spätestens seit dem Tod der Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr darf es hier keine falsche Ahnungslosigkeit mehr geben. Die österreichische Ärztin war massivem Hass ausgesetzt. Immer wieder wurde sie in „Querdenker“-Kreisen an den Online-Pranger gestellt – weil sie sich deutlich für Impfungen ausgesprochen hatte. Aber der Hass blieb nicht im Netz, immer wieder erhielt sie Morddrohungen. Um die Sicherheit ihrer Praxis und ihrer Mitarbeiter:innen zu gewährleisten, gab sie am Ende sechsstellige Summen aus. Mitte Juli 2022 musste sie ihre Praxis schließen, kurz darauf wurde sie tot aufgefunden. Ihr Suizid wurde in Teilen der „Querdenker“-Szene verhöhnt, wie wir dokumentierten.

Aus großen Telegram-Kanälen folgt große Verantwortung

Der „Querdenken“-Anwalt Markus Haintz dürfte von Lisa-Maria Kellermayr und dem Suizid gehört haben. Aber auch unabhängig davon hielt ihn nicht davon ab, eine andere Arztpraxis der Hetze auszusetzen und einen Beitrag zu teilen, welcher diese an den Pranger stellt. In seinem Telegram-Kanal mit fast 100.000 Abonent:innen leitete er eine Nachricht, in der Hass gegen eine Kinderarztpraxis geschürt sowie Website, Bild und Namen verbreitet wurden. Auf der Website der Gemeinschaftspraxis wird die Impfung von Kindern deutlich empfohlen. Übrigens nicht konkret Covid-19-Impfungen, sondern in erster Linie Grundimmunisierungen. Diese Grundimmunisierungen, die dazu führten, dass manche Krankheiten in Deutschland quasi ausgerottet waren.

In dem Post, den Haintz verbreitete, wurde die Praxis als “Teufels-Praxis” bezeichnet, ein Bild einer der Ärztinnen war buchstäblich mit Teufelshörnern versehen und es wurde behauptet, die Ärztinnen würden “gerne Babys das Zeug selbst in den kleinen Arm injizieren”. Es wurde behauptet, die Praxis würde „ungeimpfte Babys“ nicht behandeln. Das Ziel solcher Hetze ist natürlich das Schüren des Hasses und das Aufhetzen ihrer Followerschaft. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass man die Praxis bei Google bewerten könne. Der Link dazu war direkt hinterlegt. 

Und die Followerschaft verstand natürlich, was damit gemeint war. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Google-Bewertung der Praxis mit Beschimpfungen und Drohungen – und negativen Bewertungen – geflutet:

Ironischerweise geht der „Querdenker“ Haintz laut Anwalt Jun selbst gegen negative Bewertungen gegen seine Kanzlei vor:

Terror und drohungen hagelten auf die praxis ein

Nach dem Suizid von Kellermayr wurde nun also die nächste Arztpraxis den aufgehetzten „Querdenker“-Extremist:innen durch einen derartigen Beitrag zum Fraß vorgeworfen. Wohin ihr Hass damals führte, scheint sie nicht beeindruckt zu haben – ganz im Gegenteil. Der Suizid war so etwas wie weiterer Zündstoff und Motivation für ähnlich gelagerte Hetzkampagnen. Der Hass und die offensichtlich terroristische Energie der Gruppe kennt keine Grenzen: auf Google wurde der Auftritt der Praxis manipuliert, die Verantwortlichen als „Menschenfeinde“ bezeichnet und mit den Nazis verglichen. Die Praxis wurde sogar auf Google umbenannt:

In Beiträgen anderer „Querdenker“-Extremist:innen werden die behandelnden Ärzt:innen mit Namen und Telefonnummer an den Pranger gestellt und es wird mit Beleidigungen dazu aufgerufen, sie zu terrorisieren.

Aufgehetzt kündigten andere Kanäle an, der Arztpraxis persönlich „einen Besuch abzustatten“ und man fordert buchstäblich, sie öffentlich anzuprangern. Zur Erinnerung: Die Arztpraxis bietet nur nachweislich sichere Impfungen für Kinder an, in aller erster Linie die sogenannten Grundimmunisierungen (Masern, Mumps, Röteln etc.). Doch das interessiert hier offenbar niemanden mehr, denn es ist wahre Hass-Ideologie, die sich hinter vermeintlichen „Impfgegnern“ verbirgt. Der Vernichtungsgedanke steht im Vordergrund.

Die betroffene Ärztin und ihre Praxis waren von der Redaktion bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht für eine ausführliche Stellungnahme zu erreichen. Kein Wunder: Mail und Telefon wurden durch den „Querdenker“-Terror überlastet und lahmgelegt. Aus dem Umfeld der Betroffenen heißt es, sowas habe man noch nie erlebt, man sorgt sich um die Mitarbeitenden. Auch sollen Anwälte bereits eingeschaltet worden sein, um sich gegen den Hass und die Lügen zu wehren. Laut Anwalt Jun kann man zivilrechtlich gegen diesen Terror vorgehen. Man freut sich in diesen düsteren Zeiten aber sicherlich auch abseits davon über positiven Zuspruch und Solidarität.

Haintz entschuldigt sich – aber da ist es bereits zu spät

„Querdenker“ Haintz selbst löschte den Post nach einer Weile und nach heftiger Kritik unter anderem von Anonymous, die erklärten, Haintz habe eine „rote Linie überschritten“. Haintz habe den Beitrag “leider nicht richtig gelesen”, bevor er ihn geteilt hatte. Später postete er ein Video, in dem er sich entschuldigt und die Weiterleitung des Posts “ganz klar als Fehler bei mir” bezeichnet. Zugleich suchte er via Telegram aber noch dringend Unterstützung für sich, da der Hashtag #Haintz bereits in den Trends war.

Screenshot Telegram-Kanal vom 25.10.2022

Beiträge teilen ohne sie richtig zu lesen – das muss wohl dieses „kritische Denken“ sein von dem diese „Querdenker“ immer sprechen! Zur Erinnerung: Markus Haintz ist eigentlich Anwalt, Fachanwalt für Baurecht. Ein Beruf, der es mit jeder noch so kleinen Formulierung und den Tatsachen eigentlich extrem genau nimmt, zumindest immer dann, wenn er uns abmahnt und Unterlassungserklärungen einfordert. Wie er das extrem prominente Bild der Ärztin im Beitrag mit buchstäblichen Teufelshörnern offenbar übersehen haben soll, bleibt unklar, da er dies auch nicht weiter erläutert. Die Distanzierung kam unmittelbar nachdem sich die Polizei Schleswig-Holstein auf Twitter meldete und meinte, sie gingen den unzähligen Hinweisen der User nach. Nun, man könnte es nun so werten, als ob Haintz irgendwie damit rechnet, dass ein Strafermittlungsverfahren drohen könnte und er mit diesem Distanzierungs-Video inklusive Non-Pology ein „Nachtatverhalten“ vorweisen möchte, sollte es zu einer Vernehmung und eventuell sogar Anklage kommen. Der Vorteil: dieses Video würde in der Beweisaufnahme eingebracht werden und im Urteil als strafmildernd bewertet werden können. Aber das weiß er sicher alles selbst.

Auch enthält seine Stellungnahme eigentlich keine Entschuldigung an die Praxis. Haintz nahm wohl Kontakt zu der Person auf, die den Post ursprünglich erstellt hatte. Diese sieht allerdings keinen Fehler bei sich, wie Anonleaks hier dokumentiert. Man sehe ein Problem nur in der Aufmachung, nicht darin, eine Arztpraxis derart anzuprangern. Wie aufrichtig Haintz seine Stellungnahme meinen könnte, deutet ein öffentlicher Kommentar von ihm an: Er scheint zufrieden, eine „nötige“ „Debatte“ ausgelöst zu haben. Es scheint also wohl doch eine gewisse Motivation gegeben haben so einen gearteten Beitrag weiterzuleiten.

Hass ist schneller – Posts mit Morddrohungen

Aber mit Löschen und „Sorry“ sagen ist es eben bei der Verbreitung von Hass im Netz nicht getan. Denn Hass ist schneller. Gerade Menschen in der Querdenker-Szene warten hungrig auf das nächste Feindbild auf welches sie all ihren Hass und ihren Frust projizieren können. Zahlreiche Accounts aus der „Querdenken“-Szene haben den Hasspost unterdessen bereits aufgegriffen und weiter verbreitet, wie wir dokumentierten. Dass sich daraus für die Praxis eine reale Bedrohungslage ergibt, zeigt sich daran, dass manche buchstäblich ankündigten, der Praxis einen Besuch abstatten zu wollen und andere angeben, sie hätten bereits mehrfach angerufen und sie würden prüfen, ob man die Praxis juristisch belangen könne.

Am drastischsten wird die Gefahr aber in dem Post eines anderen Kanals verdeutlicht, wo ein GIF geteilt wird, auf dem zu sehen ist, wie Menschen erhängt werden. Begleitet wird das von einem hasserfüllten Text, der zum Teilen und Anrufen aufruft und dazu, „die Arschlöcher durch das Internet zu jagen“. Der Mann, der das geteilt hat, predigt auf seiner Website übrigens von „dauerhafter Gelassenheit“ und „innerem Frieden“.

Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand aus dieser Szene zu direkter Gewalt greift. Berichte über Angriffe gegen Andersdenkende und Medienvertreter:innen auf „Querdenken“-Demos gibt es Unzählige. Und wir möchten an den Mord an dem Tankstellenangestellten erinnern, der getötet wurde, weil der Verurteilte ein „Zeichen gegen die Maskenpflicht“ setzen wollte. Dieses Phänomen nennt sich „Stochastischer Terrorismus“.

Hey „Querdenker“: Erst denken und lesen, dann Teilen

Die Entschuldigung von Haintz ist durchaus beachtenswert. Er bekennt sich zu seinem Fehler – also dem, etwas vorschnell weitergeleitet zu haben. Er scheint sich sogar an verschiedenen Stellen dafür eingesetzt zu haben, dass auch andere Accounts den Post löschen und nicht weiter verbreiten – also nachdem alles bereits seinen Lauf nahm und der Ball nicht mehr aufzuhalten war. Vielleicht, weil er juristische Konsequenzen fürchtet, vielleicht aber ja auch wirklich, weil ihm bewusst wurde, wie gefährlich der Post war? Aber warum muss es überhaupt so weit kommen? Echtes „Selberdenken“ erfordert nun mal, das man wirklich …. selber denkt.

Und definitiv nicht, dass man Hassbotschaften teilt, nur um danach zurückzurudern, wenn der Schaden bereits nicht mehr gutzumachen ist. Fragt er sich vielleicht, ob das ganze Verbreiten von Fake News und das offensichtliche Anstiften zu Hass wirklich das Richtige sein kann? An dieser Stelle also ein eher ungewöhnlicher Aufruf unserer Seite: „Querdenker“, nehmt endlich eure eigenen Ansprüche ernst und denkt selbst, bevor ihr gefährlichen Hass teilt!

Artikelbild: Jörg Carstensen/dpa